NPD-Verbot: Sie werden es wieder vermasseln

Dieser Kommentar erschien zuerst am 5.12.2011 auf Publikative.org (vormals NPD-Blog.info).

Die Politiker, die jetzt ein neues NPD-Verbotsverfahren initiieren, haben immer noch nichts begriffen. Das Problem ist nicht, der NPD Verfassungswidrigkeit nachzuweisen; das wäre auch ganz ohne Verwicklung in die Zwickauer Terrorzelle möglich. Wir haben stattdessen ein Geheimdienstproblem.

Ein Kommentar von Martin Dietzsch*

Das erste NPD-Verbotsverfahren wurde von innen torpediert. Es wurde ja nicht nur dem Gericht, sondern auch den Vertretern der Anklage die frühere V-Mann Tätigkeit eines geladenen Zeugen vorsätzlich verschwiegen. Man hat die eigenen Leute in’s offene Messer rennen lassen. Daraus sind nie Konsequenzen gezogen worden. Statt der Verselbständigung der Geheimdienste mit wirksamer Kontrolle gegenzusteuern, wurden deren Kompetenzen und Aufgabenfelder immer mehr ausgeweitet.

Man muss es einmal deutlich aussprechen: Es geht bei einem NPD-Verbotsverfahren schlicht und einfach darum, den Neonazis, also der NPD und den sogenannten Freien Kameradschaften, den staatlichen Schutz und die staatliche Förderung zu entziehen. Und das exzessive V-Mann Unwesen zählt nicht zur Bekämpfung, sondern zur Förderung des Neonazismus.

 

Abbildung: Logo der Kampagne nonpd
Abbildung: Logo der Kampagne nonpd, die von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) initiiert wurde. - "Wenn die amt­li­che Vor­gabe ist, dass nur Links­ex­tre­mis­ten an eine ernst­hafte Gefahr von Rechts glau­ben, dann darf man sich nicht wun­dern, wenn die bit­tere Rea­li­tät ver­harm­lost und geleug­net wird."

 

NRW-Innenminister Ralf Jäger äußerte kürzlich, eine Abschaltung der V-Männer sei unmöglich, denn sie mache die Behörden blind. Jahrzehntelang haben die Ämter den Rechtsextremismus durch die Brille der V-Männer des Verfassungsschutzes betrachtet. Vielleicht sollten sie diese Brille endlich einmal absetzen. Man hat den Eindruck, dass diese Brille von innen verspiegelt ist und der Betrachter glaubt, er würde die Welt sehen, in Wirklichkeit sieht er nur sein Spiegelbild.

V-Leute versprechen sich von ihrer Tätigkeit nicht nur Geld, und staatlichen Schutz bei möglichen Strafverfahren. Sie sind und bleiben Rechtsextremisten und füttern die Dienste mit gefilterten Informationen, und die Dienste hören nur das, was sie hören wollen. Wenn die amtliche Vorgabe ist, dass nur Linksextremisten an eine ernsthafte Gefahr von Rechts glauben, dann darf man sich nicht wundern, wenn die bittere Realität verharmlost und geleugnet wird. Die Dienste waren blind, weil sie nur das sehen durften, was sie sehen wollten.

Es heißt, die V-Mann-Dichte im NPD-Umfeld sei heute sogar noch höher als beim ersten Verbotsverfahren. Nach allem, was man bisher weiß, muss man befürchten, dass auch im engeren Umfeld der Terrorzelle Vertrauenspersonen von deutschen Geheimdiensten tätig waren und eher zur Verdunkelung als zur Aufklärung beitrugen und vielleicht sogar in die terroristische Vereinigung involviert waren. Diese Möglichkeit kann zur Zeit niemand ausschließen. Und es verwundert nicht, dass nicht nur in der rechten Szene, sondern auch in der breiten Öffentlichkeit die irrsten Verschwörungsmythen kursieren und durch das undurchsichtige Operieren der Geheimdienste scheinbare Plausibilität erhalten. Dadurch erleidet unsere Demokratie zusätzlichen schweren Schaden, dessen langfristige negative Folgen nicht unterschätzt werden dürfen.

Doch an den Pforten der Geheimdienste endet der demokratische Sektor der Bundesrepublik Deutschland.

NPD-Verbot? Das geht nur, wenn man den Diensten kräftig auf die Füße tritt. Und wenn man den institutionellen Rassismus in der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr verleugnet und ihn stattdessen bekämpft. Dazu gehört Mut. Liebe Politiker, Freiwillige bitte vortreten! – Es meldet sich niemand? Dann sei mir die Prognose gestattet: Ihr werdet es wieder vermasseln.

 

*Martin Dietzsch ist Mitarbeiter im Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung www.diss-duisburg.de

 

 

Nachtrag 12.12.2011:

Lesen Sie bitte auch den Beitrag von Patrick Gensing zum Thema, der den Mut unserer Politikerinnen und Politiker etwas optimistischer einschätzt als ich. Möge er recht behalten!

Patrick Gensing am 12.12.2011 auf Publikative.org: NPD oder Verfassungsschutz? Einer wird verlieren!

 

Beifall für den Bürgerkrieger

Vor wenigen Tagen erschien in der Edition DISS im Unrast-Verlag ein Band mit Analysen zu den Reaktionen der deutschen Öffentlichkeit auf die Anschläge des rechten Terroristen Anders Behring Breiwik am 22.7.2011 in Norwegen. Der Band enthält auch einen Beitrag von DISS-Mitarbeiter Martin Dietzsch, in dem er die unmittelbaren Reaktionen auf die Anschläge in den beiden wichtigsten Haß-Blogs und deren Kommentarspalten analysiert. Der Text wurde Ende August / Anfang September 2011 verfasst.

Angesichts der neu bekanntgewordenen Fakten über rechten Terror in Deutschland bekommen die von ihm gefundenen billigenden Äußerungen zum Rechtsterror, die man nicht als pubertierende Gewaltfantasien abtun kann und die ‚weltanschaulich‘ grundiert sind, besonderes Gewicht.

Wir veröffentlichen hier eine stark gekürzte Fassung seines Beitrages. Die gedruckte Fassung enthält außerdem als Beleg eine Fülle von Original-Zitaten, die wir hier im Internet so nicht präsentieren möchten. Auslassungen sind kenntlich gemacht, die Fußnoten finden sich ebenfalls nur in der gedruckten Fassung.

Das Buch ist erhältlich in jeder guten Buchhandlung oder direkt beim Unrast-Verlag.

Cover "Das hat doch nichts mit uns zu tun", Edition DISS

Regina Wamper / Ekaterina Jadtschenko / Marc Jacobsen (Hg.)
„Das hat doch nichts mit uns zu tun!“
Die Anschläge in Norwegen in deutschsprachigen Medien

ISBN: 978–3-89771–759-6
184 Sei­ten, 18 Euro

 

 

Agent dunkler Mächte, Irrer oder einer von uns?
Die deutschsprachigen Hass-Blogs und die Anschläge von Oslo

Autor: Martin Dietzsch

Wie würden die einschlägigen deutschen Blogs und ihr Fußvolk auf die Anschläge in Oslo und Utøya reagieren? Das fragten wir uns im DISS, als wir beschlossen, eine Analyse dieses einschneidenden diskursiven Ereignisses zu erstellen. Würde der Massenmord von Oslo ihnen spürbar schaden? Würden sie angesichts des Massenmords zumindest zeitweise ihren Ton mäßigen (sei es aus taktischem Kalkül, sei es aufgrund von kritischer Selbstreflektion)? Würden vielleicht sogar einige Exponenten den Ausstieg aus der Bewegung vollziehen? Oder würde das Kalkül des Attentäters aufgehen, dessen Ziel auch eine weitere Radikalisierung des eigenen Milieus gewesen ist? Der folgende Beitrag soll diesen Fragen nachgehen – vor allem anhand der unmittelbaren Reaktionen auf die Anschläge auf den zwei meistfrequentierten deutschsprachigen Hass-Blogs der Szene, dem neonazistischen Altermedia-Deutschland und dem Anti-Islam-Blog Politically Incorrect (PI).

Der Mörder und das Web 2.0

Die Monstrosität der Tat Anders Behring Breiviks zeigte sich nicht nur in der Zahl der Opfer, nicht nur in der Tatsache, dass er vor allem Kinder und Jugendliche auswählte und nicht einmal nur, dass er sie mit Schusswaffen von Angesicht zu Angesicht ermordete.

Bei rechtsterroristischen Anschlägen in der Vergangenheit gab es sehr oft keine Bekennerbriefe. Die Tat stand für sich. Destabilisierung der demokratischen Gesellschaft, Verunsicherung der Bevölkerung, Angst und Schrecken bei den Opfern und beim politischen Gegner, all das stellte sich von allein ein.

Bei den Anschlägen von Oslo und Utøya ist das anders. Der Täter ist äußerst mitteilsam und weiß sich zu artikulieren. Er sieht sich als Teil einer großen Bewegung und will mit seiner Tat einen bewaffneten Arm dieser Bewegung initiieren. Er wirbt um Mitstreiter und Nachahmer. Der Anschlag soll das Startsignal für einen lang andauernden Bürgerkrieg sein. Ohne einen solchen Krieg stehe der unvermeidliche Untergang bevor. Mit Krieg erfolgt die Befreiung – vor allem auch vom inneren Feind. Er schreibt selbst, die allermeisten Menschen würden ihn heute wegen seiner Tat hassen. Erst im Verlaufe des Krieges und der unvermeidlichen Polarisierung in zwei Lager würde sich das ändern und er würde dann als Held verehrt. Die Radikalisierung der Gegenseite als Reaktion ist Teil des Kalküls und wird deshalb sogar begrüßt. Im Krieg gibt es nur noch Freund und Feind.

Breivik hat sich ausführlich im Internet zu Wort gemeldet: Ein youtube-Video soll eine Kurzfassung seiner Weltanschauung vermitteln. Die Langfassung besteht aus einer über 1.500 Seiten umfassenden Textdatei mit dem Titel „2083 – A European Declaration of Independence“, die in der Presse als „Manifest“ bezeichnet wird, Breivik selbst spricht von „compilation“. Mit dem Massenmord vom 22.7.2011 wollte der Täter die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit und von potentiellen Nachahmern auf diesen Text lenken. Ca. 70-80% des Konvolutes stammen nicht von Breivik selbst, sondern sind von ihm – meist mit Quellenangabe – aus Beiträgen der sogenannten „islamkritischen“ Bloggerszene zusammengestellt worden, weil er sie für ideologisch grundlegend hält. Breivik selbst war in den Jahren der Vorbereitung seiner Tat in dieser Szene aktiv, beteiligte sich rege an Diskussionen sowohl in norwegisch- als auch in englischsprachigen Foren und pflegte zahlreiche internationale Kontakte über seinen Facebook-Account. Dabei fiel er nie sonderlich auf. Er schwamm wie ein Fisch im Wasser im Web 2.0 des „islamkritischen“ Milieus.

Der britische Guardian machte sich die Mühe, die Internet-Quellen, die Breivik in seinem Konvolut benennt, auszuwerten und die 525 Links und deren Verknüpfungen untereinander in einer interaktiven Karte „Beifall für den Bürgerkrieger“ weiterlesen