Helmut Kellershohn zum Richtungsstreit in der AfD

In der DISS-Online-Bibliothek erschien eine Analyse zum aktuellen Richtungsstreit innerhalb der AfD zwischen dem Petry-Flügel und dem Höcke-Flügel.

Helmut Kellershohn: Kampf zweier Linien. Über das Verhältnis von AfD und der Neuen Rechten

Der Autor kommt zu dem Schluss, dass beide Fraktionen neu-rechts zu verorten sind: Junge Freiheit versus Institut für Staatspolitik.

Mit diesem Gegensatz sind gewissermaßen die Entwicklung der Neuen Rechten und die der AfD unmittelbar miteinander in einem Kampf zweier Linien verwoben. Die weitere Entwicklung der AfD (und mit ihr die der Neuen Rechten) wird u.a. davon abhängig sein, inwieweit sie es schafft, unterschiedliche und womöglich sich als inkompatibel erweisende Parteikonzepte miteinander zu vermitteln. Auf der einen Seite verlockt die Perspektive, es den anderen Parteien gleich zu tun und den Karriereweg einer klassischen Partei einzuschlagen: Einzug in den Bundestag, Status der Koalitionsfähigkeit, Regierungsbeteiligung, Regierungsübernahme. Das Etikett „Volkspartei“, das sich die AfD nur zu gerne anheftet, würde es erforderlich machen, den eigenen Anspruch durch die Anbindung von außerparlamentarischen Vorfeldorganisationen und -bewegungen zumindest soweit zu unterstreichen, dass man sich legitimatorisch auf sie berufen kann. Der Schwerpunkt läge auf der Parlamentsarbeit, ein zweites Standbein auf der Bedienung von Ansprüchen seitens der Basisorganisationen. Propagandistisch würde dieses Konzept durch die JF unterstützt.

Das zweite Parteikonzept verdichtet sich in der bereits erwähnten Formulierung Björn Höckes, der die AfD als „fundamentaloppositionelle Bewegungspartei“ verstanden wissen möchte. Fundamentaloppositionell heißt, so Höcke in seiner Dresdner Rede (17.01.2017), „diesen Staat, den wir erhalten wollen, vor den verbrauchten politischen Altparteien zu schützen, die ihn nur missbrauchen, um ihn abzuschaffen.“ Und als Bewegungspartei müsse die AfD „immer wieder auf der Straße präsent sein und […] im engsten Kontakt mit den befreundeten Bürgerbewegungen stehen.“ Der Schwerpunkt liegt hier erstens auf der Dienstbarmachung der Partei für außerparlamentarische Bewegungen; das Parlament wäre dann im Liebknechtschen Sinne die „Tribüne“, auf der die Ansprüche dieser Bewegungen (an deren Aushandlung man natürlich selbst maßgeblich beteiligt wäre) artikuliert würden. Zweitens liegt die Betonung auf der Befürchtung, dass der „lange Marsch durch die Institutionen“ die AfD zu einer Staatspartei deformieren könnte, die nicht mehr in der Lage wäre, den nötigen Umbau des Staates und des „Systems“ generell zu bewerkstelligen. Im Hintergrund steht hier die Auffassung des anderen Teils der Neuen Rechten rund um das IfS. Götz Kubitschek, Stichwortgeber für Björn Höcke und Pegida, beruft sich auf Robert Michels Parteientheorie, wonach Organisationen generell und speziell auch demokratische Parteien zu Bürokratisierung, zur Herausbildung einer Machtelite und in der Folge zu einer Oligarchisierung tendierten. Bei Höcke heißt es: „…jede Partei hat eine schlimme Tendenz, und das ist die Tendenz der Oligarchisierung und der Erstarrung. Diese Tendenzen … sind Parteien immanent, das sind praktisch die Naturgesetzlichkeiten des Parteienstaates“.  Bekanntlich trat Michels 1928 der faschistischen Partei Italiens bei und stimmte der von Mussolini vorgebrachten Kritik an der „als ewig unfruchtbar und als innerlich unwahr betrachteten Demokratie“ zu und propagierte nun eine faschismusaffine Theorie der Elite als einer bewussten und energischen, nötigenfalls opferbereiten Minderheit, der die wahre Macht im Staat zukommen müsse. Diese opferbereite, idealistische Elite schwebt Kubitschek als Vorbild offensichtlich vor, auch wenn er sie in Kategorien kleidet, die Spengler und Ernst Jünger entlehnt sind. Björn Höcke, der bereits mehrfach mit NS-Anspielungen zu provozieren suchte, drückt sich da schon klarer aus, wenn er, darauf weist Andreas Kemper hin, von einer „Tat“-Elite im Unterschied zu den demokratischen „Pseudo-Eliten“ spricht und damit auf eine Selbstbezeichnung der SS zurückgreift. Sollten sich derartige Konzepte als zentrales Element einer „fundamentaloppositionellen Bewegungspartei“ in der AfD durchsetzen, kann man sich nur schwer vorstellen, dass dies ohne erneute Spaltungsprozesse abgehen würde.

Lesen Sie den vollständigen Text in der DISS-Online-Bibliothek:

Helmut Kellershohn: Kampf zweier Linien. Über das Verhältnis von AfD und der Neuen Rechten

 

Neue DISS-Broschüre: Fluchtdiskurs in deutschen Medien 2015 und 2016

Ab sofort in der DISS Online-Bibliothek kostenlos als PDF-Datei abrufbar ist die Studie:

Margarete Jäger und Regina Wamper (Hg.)

Von der Willkommenskultur zur Notstandsstimmung.
Der Fluchtdiskurs in deutschen Medien 2015 und 2016

Duisburg 2017, 209 Seiten, PDF-Datei

Spätestens im Sommer 2015 kam es in Deutschland zu einer massiven medialen Debatte um Flucht und Migration, die vor allem durch die Fluchtbewegungen ausgelöst wurde, welche hunderttausende Flüchtende nach Europa brachte. Gleichzeitig gab es zahlreiche Anschläge und Übergriffe auf Geflüchtete und ihre Unterkünfte. Sie ließen in Deutschland ein Klima entstehen, das an die Zustände in den frühen 1990er Jahren erinnert. Und tatsächlich gibt es Parallelen. Auch damals wurde die Debatte rassistisch aufgeheizt, indem vom ‚massenhaftem Asylmissbrauch‘ die Rede war. Damals wie heute wird durch eine Verschärfung der Asylgesetzgebung der Auffassung Vorschub geleistet, es seien die Geflüchteten selbst, die rassistische Ausschreitungen provozierten. Damals wie heute werden Flüchtlinge als Gefahr für den ‚inneren Frieden‘ angesehen, weshalb die Bevölkerung vor ihnen geschützt werden müsse. Doch es gibt auch markante Unterschiede. So bemühen sich große Teile der deutschen Bevölkerung, die Flüchtenden zu unterstützen und engagieren sich in der Flüchtlingshilfe.
Eine Analyse des Mediendiskurses zu Flucht und Migration, die im Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung vorgenommen wurde, ist diesen gegenläufigen Tendenzen nachgegangen. Im Resultat ist festzustellen, dass sich innerhalb weniger Monate das Sagbarkeitsfeld des Diskurses entscheidend in Richtung einer Problematisierung von Flucht und Asyl verschob. Welche diskursiven Mechanismen zu dieser Verschiebung beitrugen, und vor allem welches Wissen über Flucht und Geflüchtete, über Asyl und Rassismus transportiert wurde, ist zentraler Gegenstand der Untersuchung.
Die Ergebnisse sind ernüchternd. Diskursiv wurde entweder ein Notstand ausgerufen oder zumindest prognostiziert, die Fluchtbewegungen wurden massiv denormalisiert. Neben der Aufspaltung der Geflüchteten in ‚legitime’ und ‚illegitime’ erlaubt diese Denormalisierung Flucht und Migration als Naturkatastrophe zu bewerten – und zwar nicht als eine Katastrophe für die Flüchtenden, sondern als eine für die Zielländer, also auch für Deutschland. Eine solche Perspektive eignet sich aber dazu, Abwehr gegen Flüchtende zu erzeugen und weiteren Einschränkungen des Grundrechts auf Asyl zuzustimmen. Sie evoziert Rassismus und trägt damit zu einem angespannten gesellschaftlichen Klima bei. Wir müssen feststellen, dass Aussagen, die noch vor einigen Jahren als extrem rechts oder rassistisch bewertet wurden, heute zum Sagbarkeitsfeld des mediopolitischen Diskurses gehören. Es scheint so, als haben sich auch ‚progressive’ Positionen innerhalb des mediopolitischen Diskurses mit ihm nach rechts bewegt. Kritische Positionen sind 2015/2016 dagegen in die Defensive geraten.
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