Jobst Paul: DAS PHANTASTISCHE IN DER NATUR

Einladung zur Ausstellung im Evangelischen Bildungswerk Duisburg

Die Fotografie hat den Duisburger Künstler Jobst Paul schon immer begleitet. Mit der Digitalisierung entdeckte er neue künstlerische Räume. Ausgangspunkt seiner Arbeiten sind eigene Fotoarbeiten und Serien, die oft Jahre zurück liegen und die ihn bei der Neubegegnung erneut fesseln. Dann setzt ein Prozess des digitalen Malens und Veränderns ein, bei dem er einer Spur folgt. Sie erschließt sich intuitiv, aus ästhetischen Anmutungen oder widersprüchlichen Impulsen, aber auch aus ironischen oder utopischen Assoziationen.

Die Ausstellung im Evangelischen Bildungswerk Duisburg umfasst über 40 Arbeiten, die den Betrachter mit Farben- und Formenreichtum in traumhafte Szenerien entführen und zu einer meditativen Wahrnehmung der Natur einladen.

Die Arbeiten sind zu den Öffnungszeiten (siehe unten) bis Dezember 2021 zu sehen (3G-Regel).

Save the date:
Künstlergespräch zur Ausstellung am Freitag, 29. Oktober 2021, 19 Uhr

Im Haus der Familie
Hinter der Kirche 34
47058 Duisburg

Öffnungszeiten:
Mo – Do: 8.30-13.00 / 14.00-16.00 Uhr
Fr: 8.30-12.00 Uhr

Aktuelle Hinweise von Martin Gerner zu Afghanistan

Luftbrücke für Afghanistan: Rettung ALLER gefährdeten Menschen jetzt!

-> Petition bei Change.org

Vormarsch der Taliban in AfghanistanZurück bleibt ein betrogenes Volk

Angesichts des Vormarschs und der Übermacht der Taliban verschärft sich die Lage zahlreicher Afghaninnen und Afghanen. Sie fühlten sich vom Westen betrogen, kommentiert Martin Gerner. Ihr Notlage gelte es zu lindern, denn die neue humanitäre Katastrophe habe längst begonnen.

Ein Kommentar von Martin Gerner

-> Weiter lesen beim Deutschlandfunk

Zwanglos ausgegrenzt

Impfdebatte in Frankreich und Deutschland

Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) machte am 24. Juli das Fass einer offenen Ungleichbehandlung auf: Bei hohem Infektionsgeschehen trotz Testkonzepten müssten Ungeimpfte aus seiner Sicht wieder ihre Kontakte reduzieren. »Das kann auch bedeuten, dass gewisse Angebote wie Restaurant-, Kino- und Stadionbesuche selbst für getestete Ungeimpfte nicht mehr möglich wären, weil das Restrisiko zu hoch ist«[1]. Siegessicher nimmt er den erhofften Ausgang der nun angestoßenen Debatte vorweg: »Geimpfte werden definitiv mehr Freiheiten haben als Ungeimpfte«

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) nimmt den Ball am 27. Juli auf und erinnert Gastronom*innen an die Möglichkeit, nur für Geimpfte zu öffnen. »Die Vertragsfreiheit ermöglicht privaten Anbietern wie Gastronomen eine weitgehend freie Gestaltung ihrer Angebote«, sagte sie den Zeitungen der Funke-Mediengruppe [2]. »Wer seinen Gästen einen besonderen Schutz anbieten will, kann deshalb auch Angebote machen, die sich nur an Geimpfte richten.« Zugleich sprach sie sich abermals gegen eine Impfpflicht aus. Ein gleichermaßen verlogener wie geschickter Schachzug in der Debatte um die sogenannte Impfpflicht.

Noch im Frühjahr dieses Jahres betonte die Bundesregierung, man werde gesellschaftsspaltende Angebote von Dienstleister*innen nur an Geimpfte „nicht zulassen“. Diese mediale „Androhung“ blieb jedoch ohne Konsequenzen und entlarvte sich schon damals als PR-Schutzbehauptung, denn der Gesetzgeber unternahm rein gar nichts, solche Einschränkungen der Kundschaft explizit zu untersagen.

Jetzt fordert das höchste politische Amt in der Justiz sogar dazu auf, die Vertragsfreiheit derart zu überdehnen, um der mittlerweile impfmüden Bevölkerung einen ausreichend großen Impfanreiz zu verpassen, ohne selbigen „verordnen“ zu müssen. Also ohne den unpopulären Schritt eines gesetzlichen Ausschlusses von Nicht-Geimpften gehen zu müssen.

Die Bundesregierung nimmt weiterhin für sich in Anspruch, der Bevölkerung ein rein freiwilliges Impfangebot zu machen. Niemand werde zur Impfung gezwungen, auch nicht durch die Hintertür. Der Begriff der „Freiwilligkeit“ wird mit der Aufforderung Lambrechts jedoch maximal ausgehöhlt: Wenn nämlich sämtliche Dienstleistungsbereiche des Alltagslebens (mit Ausnahme der allgemeinen Berufsausübung, kommunaler Verwaltungsangelegenheiten und des Arztbesuches) einer offensiv entsolidarisierenden Auslegung der Vertragsfreiheit unterworfen werden. Der hemmungslose Aufruf dazu, ist ein bedenklich kurzsichtiger Kurzschluss zur Anhebung der Impfquote gegen den Widerstand von Impfgegner*innen, denn er vergisst rein praktisch sämtliche Jugendlichen und solche, die sich aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen wollen/ können. Diese müssten eine Ausnahmegenehmigung beantragen. Und er vergisst insbesondere die spaltende Wirkung einer solchen Maßnahme, die Querdenker*innen und Impfgegner*innen in die Hände spielt.

Ausschluss statt Verordnung

Der französische Rückgriff auf eine gesetzlich angeordnete „Verpflichtung“ zur Impfung ist die etwas altbackene Form eines autoritär verordnenden Staates, der sich immer noch auf den Ausnahmezustand beruft. In Frankreich werden seit heute (9.8.21) Getestete den Geimpften nicht mehr ohne weiteres gleichgestellt und sind von vielen Bereichen des alltäglichen Lebens ausgeschlossen. Konkret: Beim Betreten von Restaurants und Cafés, Zügen, Flugzeugen, Fernreisebussen, Gesundheitseinrichtungen, Einkaufszentren, Messen und Jahrmärkten muss ein Gesundheitspass vorgezeigt werden. Wer nicht geimpft ist, muss für den tagesaktuellen Eintrag in eben diesen Pass 30 Euro für einen Test selbst bezahlen. Da insbesondere in ärmeren Bevölkerungsschichten der Anteil Geimpfter besonders niedrig ist, kommt dies einem Ausschluss gleich und verschärft die soziale Ungleichheit weiter.

Die moderne Form des staatlich lenkenden Bevölkerungsmanagements gibt hingegen lediglich den Rahmen für eine nunmehr zulässige, ja sogar explizit erwünschte Ungleichbehandlung vor und lässt sich besser in das „neue Normal“ eines neu etablierten Gerechtigkeitsempfindens „jede/r wie sie es verdient“ integrieren. Statt einen beklagbaren Malus für Ungeimpfte zieht Frau Lambrecht einen weithin sichtbaren Bonus für Geimpfte vor. Nicht-Geimpfte müssten dann eben auf Theater- oder Restaurantbesuche verzichten. Der ur-menschliche soziale Druck, nicht zu vereinsamen, soll hier eine erhöhte Impfbereitschaft per „nudge“ (Anstubser) herbeiführen.

Allerdings wird hier die Grenze zwischen belohnendem Anreiz und Bevormundung eindeutig überschritten: Impfprämien (entweder vom Arbeitgeber, oder vom Staat) sind völlig legitim und qualitativ nichts anderes als das 1954 eingeführte Kindergeld gegen eine überalternde Gesellschaft, oder verschenktes Bauland gegen die Landflucht. Aber das Gewähren zuvor entzogener Grundrechte nur für Geimpfte als Anreiz für Ungeimpfte ist weder juristisch noch gesellschaftlich (zusammen-) zu halten. Was gäbe es für einen Eklat in diesem Land, wenn aus Gründen eines akuten Klima-Notstandes zunächst allen die Fahrerlaubnis entzogen würde, und nach einer Phase des immobilen Innehaltens nur noch denen zurückgegeben würde, die ein ausreichendes Bemühen um Klimaneutralität nachweisen konnten oder aber aus triftigen Gründen einer Ausnahmegenehmigung bedürften.

Noch im Frühjahr wurden Getestete den Geimpften und Genesenen gleichgestellt. Auch damals war bekannt, dass Schnelltests unzuverlässig sind, und Infektionen nur zu etwa 60 Prozent und mit mehrtägigem Verzug gegenüber dem Zeitpunkt der Infektion erkennen. Die Politik propagierte jedoch die Akzeptanz solcher Schnelltest als „wesentlicher Baustein im Kampf gegen Corona“ um die Folgen der schweren logistischen Fehler bei der Impfstoff-Beschaffung und-Verteilung (sowie bei der Impfstoffproduktion) zu überbrücken.

Jetzt, wo genügend Impfstoff vorhanden ist, sollen die gleichermaßen unzuverlässigen Schnelltests nicht mehr als Alternative gelten. Das ist nicht nur nicht vermittelbar, sondern insbesondere vor dem Hintergrund der damals noch nicht vorhandenen Delta- und Lambda-Mutationen des Coronavirus falsch: Die Delta-Variante des Virus können auch Geimpfte (eingeschränkt) weiterverbreiten. Bei der Lambda-Variante schützen derzeitige Impfungen nicht einmal vor einer schweren Erkrankung – so die aktuelle Einschätzung von Virolog*innen. Beides hebt die Bedeutung häufiger Tests trotz deren unveränderter Unzulänglichkeit an – auch bei Geimpften!

So sehr wir uns eine höhere (dringend benötigte) Impfquote wünschen; ein gesellschaftlicher Ausschluss für Ungeimpfte als Impfanreiz, ist nicht hinnehmbar und er ist das falscheste Signal, was die Politik zum Vertrauensgewinn senden kann. Ohne eben dieses Vertrauen wird die Gesellschaft keine Herdenimmunität erlangen können. Je mehr Zeit des Misstrauens vergeht, desto größer die Gefahr von neuen Mutanten und desto geringer das Vertrauen in weitere notwendige Impfungen bzw. zukünftige Covid19-Medikationen.

Dies wäre neben dem Festhalten an den Patenten für Covid-19-Impfstoffe (siehe Artikel „Impfprivilegien – Egoismus, der krank macht“ im DISS Journal #41) der zweite folgenschwere Irrweg der Bundesregierung zur Eindämmung des Virus‘. Beide tragen maßgeblich zu einer (viele unnötige Tote produzierenden) Verschärfung der Corona-Krise bei.

Eine Rückkehr zu einer Normalität eines Leben mit dem Virus ist nur kollektiv denkbar. Das schließt die Möglichkeit der Testung als Teilhabe für Ungeimpfte als Alternative zum Impfen mit ein. Alle anderen Vorschläge müssen als Vorstöße zur Etablierung einer neuen Normalität verstanden werden – eine Normalität, die zwar restriktive Verordnungen so weit wie möglich vermeidet, jedoch über dezentrale Bonus-Malus-Systeme den gleichen normierenden Ausschluss produziert.

[1] https://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/helge-braun-im-bild-interview-geimpfte-werden-mehr-freiheiten-haben-77179202.bild.html

[2] https://www.morgenpost.de/vermischtes/article232893347/corona-impfung-impfpflicht-lambrecht.html

Guido Arnold, 9. August 2021

Antiklassismus-Magazin „Dishwasher“ & Aufruf für Beiträge

Netzfundstück:

Das Antiklassismus-Magazin „Dishwasher“ erscheint jetzt bundesweit

Mai 8, 2021
Autor: Andreas Kemper

Seit ein paar Jahren gibt das autonome Arbeiter*innenkinder-Referat der Uni Münster das Magazin „The Dishwasher – Magazin für studierende Arbeiter*innen|kinder“ heraus. Seit 2019 sind weitere Antiklassismus-Referate und -Projekte an Hochschulen entstanden. Diese haben nun im April 2021 eine erste gemeinsame Redaktions-Konferenz organisiert.

Das Arbeiter*innenkinder-Referat in Münster

Mehr als 15 Jahre lang hatte das autonome FiKuS-Referat, „Referat für finanziell und kulturell benachteiligte Studierende“ im AStA der Uni Münster ein Alleinstellungsmerkmal. Nur an der Uni Münster trafen sich jährlich studierende Arbeiter*innenkinder im weiteren Sinne zu einer Vollversammlung, um aus ihren Reihen Referent*innen zu wählen, die politisch gegen die Benachteiligungen im Bildungssystem aktiv werden sollten. Nur an der Uni Münster gab es ein solches Referat. Und dieses Referat publizierte mit eigenen Geldern das Magazin „The Dishwasher“, welches aber über Münster hinaus auf Interesse stieß.

Seit 2019 neue Referate in Marbung, Köln und München

2019 kam es an der Uni Marburg zu einer weiteren Vollversammlung von studierenden Arbeiter*innenkindern. Obwohl auch diese ein autonomes Referat nach dem Münsteraner Vorbild einforderten wurde ihnen vom AStA nur ein halbautonomer Status zugestanden (im Gegensatz zum gleichzeitig etablierten Familien-Referat). 2020 organisierten Kölner*innen eine entsprechende Vollversammlung und es entstand ein drittes Antiklassismus-Referat, kurz darauf folgte das Antiklassismus-Referat der LMU München. Und an den Hochschulen in Potsdam, Hildesheim und der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin sind ebenfalls Referate in Startlöchern. Weitere Projekte gibt es in Wien, Gießen, Mainz, Frankfurt a.M. und an anderen Hochschulstandorten.

Der neue Dishwasher als Bewegungsorgan von Arbeiter*innenkindern

Diese Referate und Initiativen sind seit einigen Monaten miteinander vernetzt und das Fikus-Referat aus Münster schlug vor, den Dishwasher ab sofort dann gemeinsam heraus zu geben. Der Verein zum Abbau von Bildungsbarrieren e.V. wurde reaktiviert. In den Vorstand eine Referentin aus Köln und ein Referent und eine Ex-Referentin aus Münster gewählt. Rechnungsprüfer kommen aus dem Referat aus München und dem Referatsprojekt aus Hildesheim. Mit dem Verein sollen Spenden für eine Anschubfinanzierung gesammelt werden. Wird das Spendenziel von ca. 2.000 Euro erreicht, kann der Dishwasher in den Druck gehen. Die Ausgaben werden dann für den Selbstkostenpreis an die Referate und Initiativen verkauft, die diese dann an den jeweiligen Hochschulen für die Studierenden verteilten.

So der Plan. Was jetzt noch fehlt, sind die Spenden.

(https://andreaskemper.org/2021/05/08/das-antiklassismus-magazin-dishwasher-erscheint-jetzt-bundesweit/ Abruf: 20.7.2021)

-> Dishwasher
-> Aufruf zu Beiträgen für die nächste Ausgabe
-> Andreas Kemper

Online-Workshop: Frauenpower antifeministisch

Freitag, 4. Juni 2021

18 bis 20 Uhr

Zoom

im Rahmen der langen Nacht der Bildung 2021 der FAchschaften Politik und Soziologie der Uni Münster

Programm und Zugangsdaen – LNdB_2021_Programm

Veranstaltung in Facebook

 

Judith & Benno (DISS) über

#120Dezibel

Frauenpower antifeministisch (Workshop)

Fünf Frauen machen ein Video, in dem Sie sich mit Opfern sexualisierter Gewalt identifizieren und nebenbei dem Feminismus den Kampf ansagen. Wie geht das zusammen? Zuerst ethnisiert frau sexualisierte Gewalt als Merkmal von muslimisch markierten Männern und erklärt diese zu einem Anderen im Außen. Dann werden alle, die dieses Feindbild nicht mittragen, zu Mitschuldigen erklärt und so zu Anderen im Innern. Dort verortet frau dann auch Feminismus und Frauenrechte – und fertig ist die identitäre Kriegserklärung.

Spätestens seit der Debatte über die sexualisierten Übergriffe in der Silvesternacht 2015/16 in Köln ist offensichtlich, dass die Ethnisierung von Sexismus schon lange Teil des Alltagsdiskurses ist. 2018 versucht die Kampagne der rechtsextremen Identitären Bewegung dies als Anschlussstelle für ihre Positionen zu nutzen. So funktioniert Rechtspopulismus!

Aber funktioniert er wirklich? Wie reagieren einerseits rechtextreme Medien auf den Bruch mit dem völkischen Antifeminismus? Loben sie die Strategie oder bekämpfen sie ein Aufbegehren von powervollen Frauen gegen sexualisierte Gewalt als Bedrohung männlicher Kampfbereitschaft? Und wie reagieren andererseits hegemoniale Medien der Mitte, wenn ihnen Ethnisierung von Sexismus von Rechtsextremen vorgespielt wird? Gehen sie mit? Kritisieren sie sie? Oder reflektieren sie gar ihre eigene Verstrickung in dieses rassistische Denkmuster?

Mit solchen Fragen beschäftigten wir uns in der Bachelorarbeit „Das identitäre Geflecht der Töchter Europas“ und der Studie „#120Dezibel: Frauenrechte oder Antifeminismus?“. Dabei nutzten wir beide die Kritische Diskursanalyse (KDA) des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS) als Methode. Wir freuen uns auf euch!

Edward Curtis – The North American Indian (Interview mit Jobst Paul)

Die Bildsprache in Curtis‘ Fotografien und ihre Wirkung

Die Ausstellung „The North American Indian“ im Kultur- und Stadthistorischen Museum in Duisburg zeigt Fotos von Native Americans im frühen 20. Jahrhundert. Der Fotograf Edward Curtis wollte indigene Kultur wissenschaftlich dokumentieren. Zugleich sind seine Bilder Kunstwerke, die eine romantisch-verklärende Perspektive auf das Vergangene und Fremde offenbaren. Jobst Paul (DISS) unterzieht ausgewählte Werke einer Bildanalyse, wie sie in der Visual History üblich ist. Dabei dekonstruiert er Curtis Bildsprache und zeigt auf, wie Bilder unsere Vorstellung von der Realität beeinflussen.

The North American Indian – Die Bildsprache in Curtis‘ Fotografien und ihre Wirkung

Brexitannia – Großbritanniens Weg aus der EU

Illustratotion des WDR (eingebunden)

 

Radiofeature von Robert Tonks und Zakaria Rahmani (Regie)

Frühjahr 2020: Die ganze Welt spricht über Corona. Die ganze Welt? Nicht ganz: Im Auftrag des WDR reist der Deutsch-Brite Robert Tonks zusammen mit Zakaria Rahmani (Regie) und Iris Tonks durch Großbritannien. Sie interviewen Brexit-Wähler und Gegner, Expertinnen und Zeitzeuginnen, Heldinnen und Verlierer – und einen Professor, der als Erfinder des Brexits gilt. In vier halbstündigen Radiofeatures rekonstruieren sie die politische und ökonomische Vorgeschichte des Brexits. Einfache Erklärungen und entsubjektivierende Darstellungen vermeintlich irrer Brexiteers findet man hier nicht. Dafür erfährt man en passant dann doch, warum COVID-19 die Britten so hart treffen konnte.

Immer sonntags auf WDR 5: 8.04 – 8.35 Uhr (Wiederholung 22.30 – 23.00 Uhr).
6.12.2020: Teil 1: Der Feind im Inneren – 6. Dezember 2020
13.12.2020: Teil 2: Auf der Suche nach Middle England – 13. Dezember
20.12.2020: Teil 3: God Save the NHS – 20. Dezember
27.12.2020: Teil 4: Rule Britannia! – 27. Dezember

Oder ganz bequem und jetzt schon komplett in der
-> WDR-Audiothek

 

Mehr zum Brexit beim DISS:

It is not all English what shines

 

Corona-Solutionismus (Teil 1)

SINN UND UNSINN DER CORONA-WARN-APP

Illustration: Ja zum Schutz durch Masken, nein zur Corona Warn-AppGrafik anklicken zum Vergrößern!

Es ist derzeit unklar wann und sogar ob es einen wirksamen Impfstoff gegen das sich verändernde Corona-Virus Sars-CoV-2 geben wird. Nach aktuellem Forschungsstand ist (abhängig von der Schwere des Verlaufs der Krankheit Covid-19) nicht einmal eine andauernde Immunität bereits Infizierter gegeben. Es wurden zahlreiche Fälle von Corona-Infizierten registriert, die sich nach überstandener Krankheit erneut infiziert haben. Die Folgen der Krankheit für Herz, Lunge und Hirn können schwerwiegend sein – selbst bei vermeintlich leichter Erkrankung jüngerer „Nicht-Risiko-Patient*innen“.

Weltweit wird „bis zur Verfügbarkeit eines Impfstoffes“ auf PCR- und (neuerdings) Antigen-Tests gesetzt um akute Infektionen zu erkennen. Viele Länder wählen zusätzlich Smartphone-Apps zur Kontaktnachverfolgung um ein individuelles Infektionsrisiko abzuschätzen und Infektionsketten nach Möglichkeit zu unterbrechen. Zusätzlich sollen Antikörpertests eine (zeitlich begrenzte) „Immunität“ als Unbedenklichkeitsnachweis bescheinigen. Dieser Text zeigt auf, wie (absehbar) wenig geeignet die derzeitige Nutzung dieser Techniken zur Bekämpfung der Pandemie ist. Es lässt sich eine Instrumentalisierung der Krise konstatieren – zur Durchsetzung einer umfassenden Herrschafts- und Kontrollstruktur, die über die Corona-Krise hinaus in einem „neuen Normal“ in Anwendung bleiben wird.

Die Corona-Warn-App
Ich verstehe die nun folgende Kritik an der Corona-Warn-App der Bundesregierung als Ergänzung und in Teilen als Aktualisierung zur bereits veröffentlichten Kritik des capulcu-Kollektivs [0].

Das Paradigma einer Kontaktnachverfolgung der (nach Möglichkeit) gesamten Bevölkerung ist unhinterfragt vom Gesundheitsministerium gesetzt worden. Debattiert wurden in der Öffentlichkeit lediglich Fragen des Datenschutzes und technische Details der Umsetzung. Apple und Google rollen mit ihren neuen Betriebssystemupgrades nun ein Fundament aus, welches auch zukünftig und für unbestimmte Anlässe eine Kontaktverfolgung per Smartphone und Bluetooth ermöglicht. Die Menge der Interessent*innen an einer solchen Kontaktverfolgung ist unüberschaubar groß: Gesundheitsämter, Repressionsorgane, aber auch Werbetreibende, Versicherungen, Datingportale und viele weitere. Wo ein Trog ist, da kommen die Schweine.

Fatal erscheint diesbezüglich das viel zu kurz greifende „Unbedenklichkeitsattest“ von „Datenschützern“ des CCC. Es ist zwar richtig, dass ein zentraler Zugriff auf die Kontaktdaten zur Zeit durch das Design der App unmöglich ist. Ein dezentraler Zugriff z.B. nach der Beschlagnahmung eines Smartphone ist in der öffentlichen Debatte kaum diskutiert: Bei derzeitigem Stand hat die App keinen verschlüsselten Container, in dem die Kontaktdaten und die verwendeten Schlüssel hinterlegt sind. Da Repressionsorgane grundsätzlich alle auffindbaren Smartphones beschlagnahmen, wäre es möglich, soziale Kontakte zumindest partiell zu rekonstruieren. Die Welle neuerlich verschärfter Polizeigesetze erlaubt diversen Behörden „Staatstrojaner“ einzusetzen, also Software unter der Kontrolle der jeweiligen Behörde auf dem trojanisierten Smartphone zu installieren und auszuführen. Das könnte die Behörde in die Lage versetzen, kontinuierlich Tagesschlüssel auszulesen zu können und damit einen Großteil der Kryptographie der App, die den Datenschutz sicherstellen soll, unwirksam zu machen. Erbeutet würde somit das was Informatiker*innen soziale Graphen nennen – also wer hat wann miteinander Kontakt gehabt. Diese Information wäre von anderer Qualität als die (bisherige) Erkenntnis, zwei Personen haben sich in der gleichen Funkzelle bzw. an einem Ort (ungefähr) gleicher GPS-Koordinaten aufgehalten.

Unbrauchbare Entfernungsabschätzung

Für die Ermittlung des Infektionsrisikos über die Corona-Warn-App werden Dauer und Nähe eines Kontakts zwischen zwei Smartphones in Bluetooth-Reichweite erfasst. Verschiedene Risiko-Konstellationen führen dazu, dass die beiden Smartphones sich in pseudonomisierten Listen merken, dass sie in Kontakt waren. Z.B. länger als 15 Minuten in weniger als 2 Meter Abstand zueinander. Da Smartphones keine Entfernungen messen können, versuchen die App-Programmierer*innen aus der gemessenen Signalstärke der empfangenen Bluetooth-Funksignale die Distanz zwischen den beiden beteiligten Smartphones zu erahnen. Das ist jedoch unzuverlässig, wie wir im Folgenden sehen werden.

Die Übertragung des Coronavirus im öffentlichen Nahverkehr wurde als eines der wichtigsten Szenarien für die digitale Kontaktverfolgung beworben. Forscher vom Trinity College in Dublin zeigten bereits im Juni 2020 [1], dass die Corona-Warn-App in Bussen und Bahnen nicht wie geplant funktioniert. Das Ergebnis der Studie ist vernichtend: Unter optimalen Bedingungen, in denen alle Passagiere die Corona-Warn-App aktiviert haben, würde kein einziger Kontakt registriert. Gemessen wurde mit fünf Android-Smartphones, die sich über 15 Minuten in einem Radius von weniger als zwei Metern befanden. Das entspricht den Vorgaben der deutschen Tracing-App.

Leith, Inhaber der Lehrstuhls für Computersysteme am Trinity College, bekräftigt: „Basierend auf unseren Messungen, ist die App in Straßenbahnen und Bussen nutzlos.“ Das Ministerium von Gesundheitsminister Jens Spahn stellt die Glaubwürdigkeit der Studie infrage und verweist stattdessen auf die Messungen des Fraunhofer Instituts, in denen „rund 80 Prozent der Begegnungen“ richtig erfasst worden seien. Hierbei verschweigt das Ministerium, dass die Tests am Fraunhofer Institut in einem großen offenen Raum durchgeführt wurden. Das Bahn-Szenario wurde dort lediglich „nachgestellt“. So lassen sich keine Reflexionen der hochfrequenten Bluetooth-Strahlung untersuchen, die gemäß der Studie die Hauptursache ist für die massiv gestörte Entfernungsabschätzung.

Die Studie macht ein grundsätzliches Problem deutlich, auf das zuvor bereits eine umfangreiche wissenschaftliche Untersuchung vom Mai 2020 [2] hinwies: Der theoretisch eindeutige Zusammenhang zwischen gemessener Signalstärke des Bluetooth-Funkchips einerseits und der Distanz der miteinander funkenden Smartphones andererseits unterliegt in der Praxis so starken Schwankungen, dass eine aussagekräftige Entfernungsmessung nicht möglich scheint. Vier voneinander unabhängige Fehlerquellen sorgen in der Summe dafür, dass ein risikoreicher zwei Meter Abstand zwischen zwei Smartphoneträger*innen für die Corona-Warn-App als sichere bis zu 20-Meter-Distanz fehlinterpretiert werden kann.

(1) Eine genaue Abstandsmessung erfordert eine optimale (parallele) Ausrichtung der Bluetooth-Antennen der beiden Smartphones. Abhängig vom Winkel der beiden Smartphones zueinander ist das empfangene Signal schwächer. Die schwächere Signalstärke wird als größere Distanz fehlinterpretiert. Dieser Effekt ist der kleinste der vier.

(2) Nimmt die Strahlung nicht (ausschließlich) den direkten Pfad zwischen Sender und Empfänger (z.B. über Reflexionen an metallischen Oberflächen wie im Fall von Bussen und Bahnen) können sich diese verschiedenen Pfade abschwächend überlagern und ebenfalls zu einer Überschätzung des Abstands führen. Dieser Effekt ist doppelt so groß wie Effekt (1).

(3) Der menschliche Körper dämpft elektromagnetische Strahlung. Befindet sich eine oder beide Smartphoneträger*innen (in der direkten Verbindungsline) zwischen den beteiligten Geräten, schätzt die App die Distanz als zu groß ein. Dieser Effekt ist dreimal so stark wie (1).

(4) Smartphones unterschiedlicher Hersteller haben unterschiedliche Bluetooth-Funkchips (mit unterschiedlicher Sendeleistung) verbaut. Selbst zwei „baugleiche“ Smartphones senden nicht in gleicher Signalstärke, denn die Bluetooth-Technologie nutzt aus Kostengründen keine geeichte Sende- und Empfangselektronik. Diese Ungenauigkeit ist im Vergleich dreimal so stark wie (1).

Fazit: Die Bluetooth-Technologie ist für die Abstandsmessung weder gedacht noch geeignet.

Verbreitung der Corona-Warn-App

Circa 19 Millionen Menschen in Deutschland haben die Corona-Warn-App runtergeladen (Stand Mitte Oktober). Wie viele sie aktiv nutzen, lässt sich nur erahnen. Es wäre sehr überraschend, wenn mehr als 80% derer, die sie in der Welle der „Gemeinsam gegen Corona“-Mobilisierung heruntergeladen haben, die App dauerhaft nutzen (Umzug auf neues Smartphone, Absprung wegen der zahlreichen Funktionsstörungen, wegen der immer noch nicht flächendeckend anonym funktionierenden Infiziert-Meldung, wegen Akku-Problemen, wegen der Notwendigkeit, die Standortermittlung zuzulassen, etc). In der Schweiz wird der Anteil der aktiven Nutzer*innen auf nur 60% der Downloads geschätzt.

Nehmen wir dennoch an, alle 19 Mio. Menschen, also 23 Prozent der Bevölkerung in Deutschland nutzten die App aktiv, hätten Bluetooth permanent aktiviert und aktualisierten für die korrekte Funktionsweise einmal am Tag ihre Kontaktlisten, dann liegt die Wahrscheinlichkeit, dass zwei Menschen mit installierter Corona-Warn-App aufeinandertreffen bei gerade mal 5 Prozent aller Begegnungen. Das heißt in 95 Prozent aller Kontakte kann keine nachträgliche Kontaktrekonstruktion stattfinden, schlicht weil nicht beide die App installiert haben. Es drückt eine gewisse Hilflosigkeit der Bundesregierung gegenüber der Pandemie aus, wenn die App als der zentrale Baustein zur Virus-Bekämpfung dargestellt wird, dieser Baustein in 95% aller Fälle aber gar nicht zur Anwendung kommen kann.

Nach anfänglich raschem Anstieg der Download-Zahlen verzeichnet das RKI in letzter Zeit nur noch geringen Zuwachs. In Deutschland haben 57,7 der 83,2 Mio. Einwohner ein Smartphone, 20% von diesen jedoch ein zu altes. Das bedeutet: nur 55 Prozent der Bevölkerung kommt überhaupt für die Corona-Warn-App in Frage. Würden alle, die könnten, die Corona-Warn-App herunterladen, aktivieren und „pflegen“, dann läge die Wahrscheinlichkeit, dass die App ein Kontaktereignis zwischen zwei in Deutschland lebenden Personen nachvollziehbar macht, immer noch lediglich bei 30 Prozent. Das heißt: selbst eine Verpflichtung zur Nutzung der Corona-Warn-App würde weniger als ein Drittel der potenziell infektiösen Kontakte registrieren können. Ein beschämendes Resultat für das RKI, die Politik und eine kritische Öffentlichkeit, die sich technikgläubig an einen bereits (konzeptionell) abgeknickten Strohhalm klammert.

Hat sich die App dennoch bewährt?

Bisher wurden gemäß RKI 10.000 Infiziert-Meldungen über die Corona-Warn-App registriert (Stand Mitte Oktober). Das sind gerade einmal die Anzahl an Neuinfektionen eines Tages(!) in der nun aufkommenden zweiten Welle. Also, eine magere Ausbeute für derzeit vier Monate App-Geschichte. Nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums würden zudem nur sechs von zehn positiv getesteten Nutzer*innen ihr Ergebnis in der App melden. Das kann an der immer noch nicht überall anonymen (telefonischen) Meldeprozedur liegen. In Österreich fällt das Zwischenurteil mit einer Million Downloads und nur 412 Infektionsmeldungen ähnlich bescheiden aus. Auch in Ländern wie Frankreich und Italien bleibt der Nutzen (erwartungsgemäß) weit hinter den „Erwartungen „ zurück.

So ist es verständlich, wenn Mitarbeiter*innen der Gesundheitsämter mitteilen, dass sich ihre Arbeit „durch die App in keiner Weise vereinfacht hat“. Der Beitrag der App zur Bewältigung des Infektionsgeschehens ist nicht messbar. Hier wird (bewusst) eine Überwachungsstruktur mit massivem Missbrauch-Potenzial ausgerollt ohne auch nur die Aussicht auf einen positiven Beitrag zu haben. In einer Meta-Studie werteten Braithwaite et. al über 100 Studien zur Effizienz verschiedener Corona-Warn-Apps weltweit aus: „Es wurden keine empirischen Belege für die Wirksamkeit der automatisierten Ermittlung von Kontaktpersonen (in Bezug auf die ermittelten Kontakte oder die Reduzierung der Übertragung) gefunden.“ [4]

Fazit: Die Corona-Warn-App ist kein geeignetes Instrument, die manuelle Kontaktrekonstruktion der Gesundheitsämter zu automatisieren bzw. spürbar zu erleichtern.

Zweifelhaftes Vertrauen in Google und Apple

Die Bundesregierung versuchte eine zentrale Lösung durchzusetzen, scheiterte aber zum einen an der öffentlichen Debatte und zum anderen an den Smartphone-Betriebssystemherstellern Apple und Google. Letztere hatten eine dezentrale Lösung erzwungen, die ihnen allein (exklusiven) Zugriff auf die Tracing-Daten ermöglicht: Gesundheitsämter und Ermittlungsbehörden müssten die Daten bei Apple oder Google anfordern, um einen Kenntnisstand analog einer zentralen Lösung zu erlangen. Mittlerweile ist die Kontaktnachverfolgung als Anwendung ins Betriebssystem der beiden Hersteller gewandert, die der Anwender auf Wunsch bewusst ausschalten muss. Die befürchtete „Normalisierung“ dieser Funktionalität ist also eingetreten – sie wird „nach Corona“ nicht wieder entfernt werden.

Für eine korrekte Funktionsweise der Corona-Warn-App muss bei einem Smartphone mit dem Google-Betriebssystem Android die Standortermittlung aktiviert sein. Das erlaubt anderen Apps auf dem Smartphone die Standortdaten auszuwerten und aufzuzeichnen. Für Android gilt die für das Tracing notwendige Bluetooth-Technologie als Standortdienst, deshalb müssen diese Dienste aktiviert werden; GPS gehört ebenfalls dazu. Die Ortskoordinaten werden zwar nicht von der Corona-Warn-App genutzt, so das Robert-Koch-Institut, aber Google zeichnet die Standortdaten mit Zeitstempel auf. Nutzer*innen bleibt bislang nichts anderes übrig, als Google zu vertrauen. Das hat sich bislang noch nie als gute Idee erwiesen: Eine (per Ausnahmezustand im Infektionsschutzgesetz begründete) Kooperation von Google mit den Gesundheitsämtern könnte aus dem anonymen Tracing nachträglich ein personalisiertes Tracking machen. Die Daten liegen aufgezeichnet vor.

Sicherheitsforscher*innen der Universität Marburg hatten zudem bereits im Juni nachgewiesen, dass ein Angriff auf das Google-Apple-Protokoll der Corona-Warn-App sogar Dritten das Erstellen von Bewegungsprofilen ermöglicht [5].

“Download und Nutzung der App sind vollkommen freiwillig.”

Diese Zusicherung der Bundesregierung war absehbar hohl. Auch wenn niemand per Gesetz zur Installation der Corona-Warn-App gezwungen wird, ist das eingetreten, was ich in einem Gedankenspiel Anfang April befürchtet habe. Privatwirtschaftliche Unternehmen und Dienstleister knüpfen ihre Dienstleistung oder ihr Arbeitsangebot an die Voraussetzung, die Corona-Warn-App installiert und aktiviert zu haben. Gesellschaftliche Teilhabe wird damit faktisch und unfreiwillig beschnitten.

Ich habe Kenntnis darüber erlangt, dass mehrere Arbeitgeber in der Altenpflege und in der Gastronomie von ihren Mitarbeiter*innen verlangen, die App auf dem Smartphone aktiviert zu haben. Ein Campingplatz im Landkreis Aurich lässt nur noch Camper mit Corona-Warn-App aufs Gelände [3]. Auf Nachfrage hat das drei Gründe: zum einen, erhofft sich der Betreiber tatsächlich mehr Sicherheit für sich und seine Mitarbeiter*innen, zum anderen wirbt er mit dieser „Hygiene-Maßnahme“ als besonders verantwortungsbewusst. Der dritte Grund ist bemerkenswert: Durch die Maßnahme will er „in erster Linie verhindern, dass Urlauber auf seinen Campingplatz kommen, die das Thema Corona nicht ernst nehmen oder sogar leugnen.“ Hier wird eine Art Gesinnungsprüfung vorgenommen und die Bandbreite des Diskurses von „Corona fürchten“ bis leugnen auf die Bereitschaft zur Installation der App reduziert.

Solutionismus – Technische Lösung eines Ersatzproblems

In der Technologiekritik kursiert seit einigen Jahren der Begriff des „Solutionismus“. Er beschreibt die selbstbewusste „Lösungsorientierung“ einer technozentrierten Kaste von Ingenieur*innen und Programmierer*innen, die jegliche (auch soziale) Probleme für technisch beschreib- und lösbar hält. Solutionismus sucht nach Lösungen über (neue) Technologien, die vielfach an den Problemen vorbeigehen. Das eigentliche Problem wird wie im Fall der Corona-Warn-App zwar nicht gelöst, aber für lösbar erklärt – wenn nur genügend Leute mitmachen .

Die Solutionist*in löst zu ihrer eigenen Legitimation als „Problemlöser*in“ technologisch fassbare, leichter zu lösende Ersatzprobleme, die sich die Technokrat*in gerne zunutze macht. Gemeinsam suggerieren Solutionist*in und Technokrat*in die Kontrollierbarkeit selbst von (denormalisierenden) Krisenphänomenen wie eine Pandemie oder menschengemachter Klimawandel.

Der Solutionismus steht dabei vielmehr für die Vertauschung von Problem und Lösung: Statt ein Problem mit einer technischen Erfindung zu lösen, preist die Solutionist*in technische Erfindungen als Lösung für Probleme an, von denen man nicht weiß, nicht wissen will, oder verschleiern will, welcher Art und Komplexität sie sind. Der Solutionismus gibt vor, mit seinen „pragmatischen“ Problemlösungsstrategien „post-ideologsch“ zu sein. Tatsächlich ist die Radikalität, mit der Technokrat*innen den Solutionismus zum einzig „denkbaren“ Ansatz für gesellschaftliche Probleme erheben, alles andere als unideologisch. Man muss die konsequente Art, lediglich digitale Pflaster auf die eklatantesten Wunden eines krisenhaften Kapitalismus zu kleben, sehr wohl als Ideologie, – nämlich als Ideologie der „Politik-Vermeidung“ – begreifen. Mit der machtvollen Neusetzung gesellschaftlicher Strukturen im Zuge der Renormalisierung (nach der Pandemie) etablieren Solutionismus und Technokratie eine „neue Normalität“ und machen ihrerseits wirkungsvoll (eine andere) Politik. Die neu geschaffenen digitalen (Lösungs-)Welten sind dabei Orte der Spaltung und Individualisierung, nicht der gegenseitigen Hilfe und Solidarität.

Guido Arnold – Mitarbeiter im DISS
30.10.2020

-> siehe auch: Kritisches Statement zur geplanten Corona-App (capulcu, April 2020)

[0] Die „freiwillige“ Corona-Warn-App in der Broschüre DIVERGE, capulcu 2020
https://capulcu.blackblogs.org/wp-content/uploads/sites/54/2020/06/DIVERGE-small.pdf
[1] https://www.scss.tcd.ie/Doug.Leith/pubs/luas.pdf
[2] https://medium.com/personaldata-io/inferring-distance-from-bluetooth-signal-strength-a-deep-dive-fe7badc2bb6d
[3] https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/oldenburg_ostfriesland/Krummhoern-Campingplatz-macht-Corona-App-zur-Pflicht,coronaapp154.html
[4] https://www.thelancet.com/journals/landig/article/PIIS2589-7500(20)30184-9/
[5] https://www.faz.net/aktuell/rhein-main/forscher-entdecken-sicherheitsluecke-bei-corona-apps-16812694.html

 

Fluchtdiskurs in deutschen Medien

Fluchtdiskurs in deutschen Medien

Workshop des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS)
> für Student*innen und andere Interessierte <

Es sind noch Plätze frei.

Dank der freundlichen Unterstützung der Rosa Luxemburg Stiftung ist die Veranstaltung kostenlos.

Freitag, 4.12.2020, 12:00 – 17:00
in den Räumen des DISS in der Siegstraße 15 in 47057 Duisburg.

Nur mit Anmeldung: siehe Link unten

„Oder soll man es lassen?“, fragt die Wochenzeitung DIE ZEIT am 12. Juli 2018 und lässt dis-kutieren, ob es legitim sei, wenn private Helfer*innen Geflüchtete im Mittelmeer aus Seenot retten. So wird die Alternative ins Spiel gebracht, sie vorsätzlich ertrinken zu lassen. Das schließt an die Diskreditierung von Hilfe für Geflüchtete an, wie wir sie häufiger beobachten können, seit 2015/16 die Willkommenskultur in eine Abschiebekultur umgekippt ist.

Die Antwort gibt Carola Rackete ein Jahr später, …

-> Flyer: Weiterlesen und Anmeldung