Neuerscheinung über die Autonormalen Nationalisten

Zum Thema „Autonome Nationalisten“, einem Teil der militanten Neonazisszene, erschien im Wiesbadener VS-Verlag ein sehr lesenswerter Sammelband:

Jan Schedler, Alexander Häusler (Hrsg.)
Autonome Nationalisten
Neonazismus in Bewegung

VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2011
ISBN 978-3-531-17049-7

Buchcover: Autonome Nationalisten

 

Aus der Einleitung:

In den Medien hat dieses neue Erscheinungsbild des Neonazismus oftmals zu oberflächlichen wie zugleich unsachlichen Gleichsetzungen zwischen AN und linken Autonomen geführt, die nach der schlichten Analogie hergeleitet wurden: Die sehen gleich aus, also sind sie auch gleich. Ähnliche Reaktionen sind auch in den politischen Debatten über ‚Extremismus‘ im allgemeinen Sinne zu finden. Ein solcher verkürzter Blick auf das Phänomen der AN findet sich auch in den Schriftenreihen der Extremismusforschung und der Verfassungsschutzbehörden: In der analytisch unhaltbaren Gleichsetzung von Wesen und Erscheinung werden dort stilistische und bewegungspraktische Ähnlichkeiten linksradikaler und neonazistischer Szenen zum Anlass genommen, diese als ‚identitäre Pole‘ eines übergeordneten ‚Extremismus‘ zu verorten. „Neuerscheinung über die Autonormalen Nationalisten“ weiterlesen

Von der freiwilligen Unterwerfung

„Mädelsache! Frauen in der Neonazi-Szene“

Eine Rezension von Regina Wamper

Wie ein Krimi liest sich das neue Buch von Andrea Röpke und Andreas Speit. Verständlich und spannend geschrieben vermitteln die AutorInnen ein vielschichtiges Bild von Frauen in der männerdominierten Neonaziszene. Diese treten seit einigen Jahren selbstbewusster auf, präsentieren ihre Ideen in der Öffentlichkeit und spielen eine wichtige Rolle bei der kommunalen Verankerung extrem rechter Strukturen.

Das Buch behandelt Frauen in der NPD als Akteurinnen im Wahlkampf, die Neonaziorganisationen „Ring Nationaler Frauen“ und die „Gemeinschaft Deutscher Frauen“ sowie die Rolle von Frauen in freien Kameradschaften und bei sogenannten Autonomen NationalistInnen. Auch das Wirken von Einzelakteurinnen innerhalb brauner Netzwerke wird dargestellt, so beispielsweise die Aktivitäten der Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck.

Cover: Röpke/Speit: Mädelsache!Ein Kapitel widmet sich zudem heidnisch-völkischen Siedlungsprojekten und zeigt zugleich die Schwerpunktsetzung von Frauen in der Neonaziszene auf, Brauchtumspflege und Kindererziehung.

Röpke und Speit nähern sich ihrem Untersuchungsgegenstand sensibel. Sie betonen, dass extrem rechte Frauen und Mädchen sowohl radikal und aggressiv auftreten, nicht minder nazistische Positionen vermitteln als ihre männlichen Gesinnungsgenossen, jedoch „vor Ort, in Stadtteilen oder Gemeinden“ auch diejenigen sind, „die freundlich und nett das Gespräch mit Nachbarn und Vereinsmitgliedern suchen, über Kürzungen im sozialen Bereich, Streichungen bei den kommunalen Angeboten oder Einschränkungen im privaten Umfeld reden wollen“ (S. 8). Hier wird der sanfte Weg gewählt.

Neben dem Werben für Mutterschaft, Brauchtum und völkischer Tradition ist ein weiteres inhaltliches Feld das der sexualisierten Gewalt gegen Kinder, welches Neonazistinnen für eine Kampagne zur Wiedereinführung der Todesstrafe instrumentalisieren.

Bei ihren „Kameraden“ lösen sie mit selbstbewusstem Auftreten in den seltensten Fällen Wohlgefallen aus. Zwar werden Frauen gerne zum Zwecke des Wahlkampfes von Männern „eingesetzt“, die versprochenen Posten erhalten sie jedoch nur in Ausnahmen. Zwar weiß man inzwischen um die Wirkung, die Frauen bei der Vermittlung politischer Inhalte erzielen, doch werden männliche Privilegien gegen Frauen innerhalb der szeneinternen patriarchalen Hierarchie strikt verteidigt.

In der Öffentlichkeit löst das Wirken von Neonazistinnen im sogenannten vorpolitischen Raum immer wieder Verwunderung aus. Auch hier bestimmen nicht weniger sexistische Klischees die Wahrnehmung. Frauen fallen nicht auf, ihnen werden keine aktiven Rollen zugeschrieben. Dies lässt ihnen dann auch den Freiraum, von der Öffentlichkeit weitestgehend unbeobachtet agieren zu können. Umso wichtiger ist dieses Buch, das mit Hilfe von Gesprächen mit Aussteigerinnen und hervorragender Recherche die aktive Rolle von Frauen im Neonazismus aufzeigt und Handlungsmöglichkeiten gegen die völkische „Graswurzelarbeit“ (S. 21) diskutiert.

Keinen Zweifel lassen die AutorInnen daran, dass es sich bei Aufstreben von Neonazistinnen nicht um antipatriarchale Akte handelt oder gar Positivbezüge auf Feminismen gezogen werden. Feminismus gilt rechten Frauen (wie Männern) nach wie vor als zersetzendes Prinzip. Vielmehr handelt es sich hier um einen offensiven Kampf für die Rückkehr von Frauen ins Private, in Familie und Mutterschaft. Binäre Geschlechterordnungen werden ebenso verteidigt wie Heterosexismus und männliche Dominanz, so widersprüchlich das aktive Eintreten für die eigene Unterwerfung auch sein mag.

 

Andrea Röpke / Andreas Speit: Mädelsache! Frauen in der Neonazi-Szene, Ch. Links Verlag, Berlin, 2011, 237 Seiten, 16,90 Euro, ISBN 978-3-86153-615-4

 

Dem Leben dienen?

Anmerkungen zum »Staatspolitischen Handbuch« des »Instituts für Staatspolitik«

Autor: Helmut Kellershohn

Nach dem im November 2009 veröffentlichten ersten Band »Leitbegriffe« der dreiteiligen Reihe »Staatspolitisches Handbuch« erschien nun das Folgewerk. Die Herausgeber präsentieren sich damit als Gralshüter eines »wahren« Konservatismus.

Das »Staatspolitische Handbuch« des »neu-rechten« »Instituts für Staatspolitik« (IfS) befasst sich in dem im Februar 2011 veröffentlichten zweiten Teil mit den Schlüsselwerken konservativer Weltanschauung und handelt auf etwa 250 Seiten 164 Werke von 133 Autoren ab, von Solons Eunomia-Gedicht bis hin zu – man höre und staune – Sarrazins Pamphlet über die angebliche Selbstabschaffung Deutschlands, dem die Herausgeber offensichtlich den Status eines konservativen Meisterwerks zuweisen. Dabei behauptet doch Sarrazin von sich im Brustton der Überzeugung, altgedienter Sozialdemokrat zu sein. Nun, auf das Problem der Auswahl wird noch zu kommen sein. Zunächst jedoch einige Anmerkungen zum Anspruch, den die Herausgeber im Vorwort dem Leser gegenüber erheben.

Anspruch

Zu den rhetorischen Mitteln, derer zu bedienen die Herausgeber sich nicht schämen, gehört die ins Grandiose gesteigerte Selbsteinschätzung ihres Handbuchs, die von vornherein demjenigen imponieren will, der sich derart geschmeichelt fühlt zum Kreis der Eingeweihten zu gehören, dass er sich das zu Herzen nimmt, was hier vermittelt werden soll. Das politische Denken der anderen Unglückseligen unterliege, so Weißmann & Co., seit den 1960er Jahren einer unglaublichen »Verwahrlosung«, „Dem Leben dienen?“ weiterlesen

Pro-Bewegung: Die Reise nach Absurdistan – Teil III

Nach dem Scheitern des „Anti-Islam-Kongresses“ 2008 und des „2. Anti-Islam-Kongresses“ 2009 geriet auch der von der Pro-Bewegung organisierte „Marsch für die Freiheit“ am 7.5.2011 in Köln zu einer Farce. Realitätsfern spricht die rassistische Pro-Bewegung von einem „Erfolg“ und feiert sich selbst.

Autor: Michael Lausberg
Bereits im Vorfeld der Kundgebung wurde mit selbstgerechtem Pathos eine „internationale Großdemonstration für die Freiheit“ angekündigt: Auf einem eigens  eingerichteten Blog hieß es:

„In Köln, der Geburtsstadt der Pro-Bewegung, wird am 7. Mai mit diesem Demonstrationszug ein starkes Zeichen für mehr Demokratie gesetzt werden. Wir haben es einfach satt, dass uns tagtäglich von den Blockwarten der Political Correctness vorgeschrieben wird, was man sagen darf und was nicht. Zur Demokratie gehört das auch für Freiheitliche, Patrioten und Islamkritiker das Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Dieses demokratische Grundrecht werden wir am 7. Mai mit Freunden aus der ganzen Welt wahrnehmen!“ ((http://marschfreiheit.wordpress.com/marsch-fuer-die-freiheit/))

Wir stellen uns quer - Kein Rassismus bei uns in Köln

Die Pro-Bewegung sei das Opfer einer „bizarren Koalition aus Altparteien, Gewerkschaften in trauter Eintracht mit offen verfassungsfeindlichen und latent gewaltbereiten linksextremistischen Gruppierungen“, die „Rechtsdemokraten“ in „schlimmster nationalsozialistischer Tradition elementare Grundrechte verweigern“ würden. Dieses Argumentationsmuster ist Teil der Strategie der Pro-Bewegung. Sie behauptet, sie werde  in ihrer Meinungsfreiheit beschränkt und von demokratischen Entscheidungsprozessen ausgegrenzt . Dabei inszeniert sie sich als Opfer der Medien, demokratischer Parteien und antifaschistischer Initiativen. Ihre politischen Gegner werden durch die Formel „Blockwarte der Political Correctness“ als Nazis und Zensoren diffamiert.

Die Pro-Bewegung sprach im Vorfeld von mindestens 2.000  erwarteten Teilnehmern am „Marsch für die Freiheit“. ((http://marschfreiheit.wordpress.com/marsch-fuer-die-freiheit/)) Markus Beisicht tönte:

„Noch nie ist so erfolgreich für eine öffentlichkeitswirksame Veranstaltung der PRO-BEWEGUNG mobilisiert worden wie jetzt. „Pro-Bewegung: Die Reise nach Absurdistan – Teil III“ weiterlesen

Friedhofsschänder und Computerspezialist

Eine österreichische Karriere

Autor: Anton Maegerle

Im Rahmen der Großrazzia gegen die Betreiber, Aktivisten und Hintermänner der Neonazi-Website „alpen-donau.info“ wurde neben dem bekannten Neonazi Gottfried Küssel auch ein zweiter Mann verhaftet, der Computerexperte Wilhelm-Christian Anderle (Jg. 1971). Bei Anderle soll es sich um einen der Webmaster des militanten Neonazi-Netzwerks handeln.

Kontakte ins neonazistische Milieu soll Anderle bereits 1990 – als 19jähriger – geknüpft haben. Demnach lernte er bei einer Sonnwendfeier in Kirchberg am Wechsel Norbert Burger, den Vorsitzenden der 1988 wegen NS-Wiederbetätigung verbotenen Nationaldemokratischen Partei (NDP) kennen. In der Folgezeit nahm Anderle Verbindungen zu bekannten Neonazis wie Franz Radl und Gerd Honsik sowie zu der Neonazi-Truppe Nationalistische Front (NF) auf, die 1992 in der Bundesrepublik Deutschland verboten wurde.

Im Visier der Sicherheitsbehörden stand Anderle erstmals 1991. Wegen „rechtsextremer Äußerungen“ im BTX-System des Grazer „Instituts für Grundlagen der Informationsverarbeitung“ fiel er der Staatspolizei auf. Bis 1994 konnte er dort dennoch unter den Pseudonymen „Morris“, „Whiteknight“ und „Lancelot“ rassistische und hetzerische Parolen veröffentlichen.

Am 18. Oktober 1992 kandidierte Anderle, damals Mitglied der FPÖ-Jugendorganisation „Ring Freiheitlicher Jugend“ (RFJ), für die FPÖ bei der Gemeinderatswahl im burgenländischen Stadtschlaining auf dem zweiten Listenplatz.

Wenige Tage später, in der Nacht vom 30. zum 31. Oktober 1992, beschmierte Anderle gemeinsam mit einem Gesinnungskumpanen 88 Grabsteine auf dem Jüdischen Fiedhof in Eisenstadt mit Hakenkreuzen, „SS“-Runen und Parolen wie „Sieg Heil“ und „Heil Haider“. An einem Grabstein befestigten die Neonazis ein Flugblatt, in dem eine „Rassischsozialistische Arische Wiederstandsbewegung“ (R.A.W.) unter dem Titel „Affen raus“ sich mit folgendem Text „Friedhofsschänder und Computerspezialist“ weiterlesen

Netzfundstück: Völkisch und sozial?

In der Publikationsreihe Standpunkte (13 / 2011), die von der Rosa Luxemburg Stiftung herausgegeben wird, erschien der Aufsatz

Jens Zimmermann und Regina Wamper:
Völkisch und sozial?
Neonazistische Agitation gegen die neue EU -Freizügigkeit
für Arbeitnehmer_innen

Der Text ist als PDF-Datei abrufbar unter:

http://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Standpunkte/Standpunkte_13-2011.pdf

Demokratieerziehung mit Schlapphut


Oder: Wie der Inlandsgeheimdienst eigenmächtig seinen Aufgabenbereich erweitert. Schleichend, versteht sich.

Autor: Alexander Wielers
Aufgabe der Verfassungsschutzbehörde ist die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sach- und personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen […]“ (§ 3 VSG-NRW) ((http://www.im.nrw.de/sch/doks/vs/vsg_nrw_2007.pdf ))
Das Selbstverständnis der Verfassungsschutzämter in Deutschland hat sich geändert. Wir wollen, dass die Bürgerinnen und Bürger Extremismus erkennen und bewerten können, denn eine aufgeklärte Öffentlichkeit ist das Fundament einer demokratischen Kultur. Im Rahmen des Ansatzes „Verfassungsschutz durch Aufklärung“ stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.“ (VS-NRW 2008) ((http://www.im.nrw.de/imshop/shopdocs/Musik-Mode-Markenzeichen_Auflage_5.pdf))

Der Verfassungsschutz (VS) hat bereits Mitte der 70er Jahre das Konzept „Verfassungsschutz durch Aufklärung“ entwickelt. Dass seine eigentliche Funktion als Inlandsnachrichtendienst kaum mehr wahrgenommen wird, ist dagegen ein neues Phänomen. Dies liegt unter anderem daran, dass der Bereich pädagogischer Präventionsarbeit zunehmend ausgebaut wird. Der VS-NRW hat sich diesbezüglich seit mindestens acht Jahren intensiv um eine Ressorterweiterung bemüht. Denn seitdem arbeiten für den VS auch Sozialwissenschaftler, namentlich Thomas Pfeiffer (2002) und Thomas Grumke (2004). Dies ist natürlich nicht folgenlos geblieben: Erstens „Demokratieerziehung mit Schlapphut“ weiterlesen

DJ20: Volk, Raum und Rasse

Autor: Helmut Kellershohn

Es gibt zweifellos unterschiedliche Lesarten des Völkischen Nationalismus, mal moderate, mal weniger moderate. Die folgenden Ausführungen sollen zwei Knotenpunkte kenntlich machen, über die ein völkisches Verständnis von „Volk“ und „Nation“ sowohl implementiert als auch radikalisiert werden kann: zum einen über die Kopplung mit geopolitischen (Volk und Raum), zum anderen über die Verbindung mit eugenischen bzw. rassenhygienischen Ideen (Volk und Rasse). Öffentliche Debatten, die diese Knotenpunkte berühren, selbst wenn sie ursprünglich nicht einem explizit völkischen Denkhorizont entstammen sollten, sind daher für eine extreme Rechte, die sich als Gralshüterin in Sachen Ethnopolitik versteht, von besonderer Bedeutung. Gerade die Sarrazin-Debatte hat eindrucksvoll belegt, wie etwa eugenische Gedankengänge – Frank Schirrmacher (FAZ) hat sie schon zu Beginn der Debatte als Kernstück von Sarrazins Brandschrift bezeichnet – in den Medien der extremen Rechten als Bestätigung von Weisheiten gefeiert wurden, die sie, die Rechte, schon immer verkündet habe. Bezeichnenderweise setzte die sich konservativ gebende Junge Freiheit als allererstes das „Heidelberger Manifest“ ins Internet, um ihre Leser an das Original zu erinnern, das als heimliches Vorbild Sarrazin die Feder geführt haben könnte.

Volk und Raum: Kolonialpolitik, „innere Kolonisation“, „Lebensraum im Osten“

Volk und Raum stehen im völkisch-nationalistischen Denken in einer engen Beziehung zueinander. Erstens entfaltet sich seine ganze Wirksamkeit aus der immer wieder behaupteten Inkongruenz von Staatsgebiet und Volksnation, von Staats- und Sprachgrenzen, die es zu beseitigen gelte. So schreibt einer der wichtigsten deutschen Volkstumstheoretiker Max Hildebert Boehm 1936:

„Gesamtdeutsch ist jede Betrachtungsweise völkischer Fragen, die unter bewußter Absage an jede bloß reichsdeutsche, kleindeutsche Blickverengung auf das Gesamtvolk über staatliche Grenzen hinaus bezogen ist. Die Erziehung zu allseitigem und selbstverständlichem gesamtdeutschen Denken ist namentlich im Hinblick auf das schwer gefährdete Deutschtum außerhalb des Reiches eine der wichtigsten Gegenwartsaufgaben verantwortlicher Volkstumspflege. Hier entscheidet sich, ob wir ein Volk „DJ20: Volk, Raum und Rasse“ weiterlesen

DISS-Archiv: Neue Bestandsliste

Auf der Website des DISS ist eine aktualisierte und erweiterte Fassung des Auszuges aus der Bestandliste des Zeitschriftenarchivs abrufbar. Verzeichnet sind nun 421 Titel, von „actio“ bis „Zündstoff“.

Es handelt sich um Präsenzbestand. Bitte beachten Sie die Nutzungsbedingungen.

Die Liste ist abrufbar unter: http://www.diss-duisburg.de/Arbeitsbereiche/Archiv/archiv_liste.htm.

Ein Leserbrief, der nicht erscheinen durfte

In der Süddeutschen Zeitung vom 2./3.10.2010 erschien auf Seite 8 eine großformatige Farbanzeige der „Jungen Freiheit“: „Endlich Klartext. Die Sarrazin-Debatte zeigt: Das Kartell der politischen Korrektheit ist am Ende. Einem Zusammenbruch linker Ideologien folgt nun eine konservative Renaissance. Die Bürger haben die Bevormundung satt und fordern endlich freie Meinungsbildung.“

Kritik am Abdruck dieser politischen Propaganda ist in der Süddeutschen Zeitung unerwünscht. Die Veröffentlichung dieses Leserbriefes, der unter vielen anderen auch von Siegfried Jäger unterzeichnet wurde, verweigerten die Biedermänner von der Süddeutschen Zeitung.

4. Oktober 2010
Sehr geehrte Damen und Herren,

die Süddeutsche Zeitung druckte in ihrer Wochenendausgabe vom 2./3. Oktober eine großformatige Werbeanzeige der Berliner Wochenzeitung „Junge Freiheit“. Die „Junge Freiheit“ ist das Flaggschiff der extrem rechten Publizistik in Deutschland, das sich seit geraumer Zeit in einer bürgerlich-konservativen Verpackung zu verkaufen versucht. Sie bietet all jenen eine Plattform, denen die NPD und Straßennazis zu primitiv sind und die ihren Nationalchauvinismus gerne mit einem gewissen kulturellen Niveau verbrämen. Sie ist in der Grauzone zwischen Neokonservatismus und Neofaschismus beheimatet und arbeitet seit zwei Jahrzehnten an der historischen Legende einer „sauberen deutschen Rechten“ jenseits der NSDAP. Dabei waren es gerade die geistigen Vorbilder der „Jungen Freiheit“, die Hitler in Weimar den Weg an die Macht geebnet haben: Die Schriften Oswald Spenglers, Arthur Moeller van den Brucks und Ernst Jüngers haben das geistige Feld bereitet, die Kreise um Franz von Papen und Carl Schmitt die politischen Weichen gestellt.

Die „Junge Freiheit“ bezieht sich seit jeher auf jene politischen Kräfte, die mit der NSDAP die Koalition eingingen, und führt deren völkischen Nationalismus fort. Autoren der „Jungen Freiheit“ und Aktivisten des mit ihr eng verbundenen „Instituts für Staatspolitik“ betreiben die intellektuelle und politische Rehabilitation des europäischen Faschismus. Als Beispiel für diese Strategie sei der in der Anzeige namentlich erwähnte Karlheinz Weißmann genannt. Die „Junge Freiheit“ steht zudem für einen aggressiven christlichen Fundamentalismus. Sie verbreitet geschichtsrevisionistische Thesen und stellt die Ergebnisse der historischen Forschungen zur Vernichtung des europäischen Judentums in Abrede. So ergriff sie nicht nur Partei für den Holocaustleuger der fundamentalistischen Pius-Bruderschaft, Bischof Richard Williamson, sondern verbreitet, die Ergebnisse der Erforschung des Holocausts seien „von wissenschaftsfremden Kräften vorgegeben“ (JF 8/2009). Man führe sich zudem vor Augen, dass ihre Anhänger im November 2009 ernsthaft gegen die Teilnahme der Bundeskanzlerin Angela Merkel an den Gedenkfeierlichkeiten zum Ende des Ersten Weltkrieges demonstrierten. Ihre außenpolitische Programmatik wäre, sollte sie jemals umgesetzt werden, eine Gefahr für den Frieden in Europa.

Es war zu erwarten, dass die „Junge Freiheit“ im Schatten der Demagogen vom Schlage Thilo Sarrazins und Erika Steinbachs die angeheizte Debatte über eine „Renaissance des Konservatismus“ für ihre Zwecke nutzen würde. Nicht zu erwarten war dagegen, dass sich ein seriöses Medium wie die Süddeutsche Zeitung für eine Anzeige dieses Organs zur Verfügung stellt. Wir fordern die Süddeutsche Zeitung dazu auf, diesem Normalisierungsprozess völkischer und extrem rechter Positionen nicht auch noch Vorschub zu leisten und bei der Auswahl ihrer Anzeigenkunden künftig etwas sensibler zu Werke zu gehen.

Mit freundlichen Grüßen

Knud Andresen, Studienleiter Gustav-Heinemann-Bildungsstätte, Bad Malente
Friedrich Burschel, Referent zu Neonazismus und Strukturen/Ideologien der Ungleichwertigkeit, Rosa Luxemburg Stiftung
Anna Conrads, rechtspolitische Sprecherin DIE LINKE im NRW-Landtag
Prof. Dr. Michel Cullin, ehemaliger stellvertretender Generalsekretär des Deutsch-Französischen Jugendwerks
Prof. Dr. Frank Deppe, Marburg
Michael Ebenau, Gewerkschaftssekretär, IG Metall Jena-Saalfeld und IG Metall Gera
Prof. Dr. Norbert Finzsch, Direktor der Anglo-Amerikanischen Abteilung des Historischen Instituts, Universität zu Köln
Richard Gebhardt, Politikwissenschaftler, RWTH Aachen
Prof. Dr. Wolfgang Fritz Haug, Berliner Institut für kritische Theorie e.V.
PD Dr. Kirsten Heinsohn
Dr. habil Klaus Holz, Generalsekretär der Evangelischen Akademien in Deutschland, Berlin
Prof. Dr. Siegfried Jäger, Duisburg
Jan Jetter, Bildungsreferent, Hamburg
Stefan Kausch, Engagierte Wissenschaft e.V., Leipzig
Kerstin Köditz, MdL Sachsen; Sprecherin der Fraktion Die LINKE für antifaschistische Politik
Hildgarde Lisse, SPD-Aachen-Ost, ehem. Ratsfrau im Rat der Stadt Aachen
Birgit Mollemeier
Dr. Thomas Müller, Sozialwissenschaftler und Historiker, Aachen
Petra Pau, MdB, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages
Frank Schubert, Forum für kritische Rechtsextremismusforschung , Leipzig
Dr. Stefan Vogt, Ben-Gurion University of the Negev, Beer-Sheva, Israel
Dr. Volker Weiß, Villigster Forschungsforum zu Nationalsozialismus, Rassismus und Antisemitismus e.V.
Volkmar Wölk
Uwe Wötzel, Gewerkschaftssekretär, ver.di

sowie:

Antifaschistisches Bündnis Bergedorf, Hamburg
Mobiles Beratungsteam gegen Rassismus und Rechtsextremismus in Hessen
Opferperspektive Brandenburg e.V., Beratung von Opfern rechts-motivierter Gewalt
Teilnehmerinnen und Teilnehmer der antifaschistischen Konferenz „Manometer“ vom 1. – 3. Oktober in Kassel

Weitere informationen finden Sie im NPD-Blog:  http://npd-blog.info/2010/10/09/sz-druckt-jf-anzeigen-leserbrief-dazu-aber-nicht/