Ein Leserbrief, der nicht erscheinen durfte

In der Süddeutschen Zeitung vom 2./3.10.2010 erschien auf Seite 8 eine großformatige Farbanzeige der „Jungen Freiheit“: „Endlich Klartext. Die Sarrazin-Debatte zeigt: Das Kartell der politischen Korrektheit ist am Ende. Einem Zusammenbruch linker Ideologien folgt nun eine konservative Renaissance. Die Bürger haben die Bevormundung satt und fordern endlich freie Meinungsbildung.“

Kritik am Abdruck dieser politischen Propaganda ist in der Süddeutschen Zeitung unerwünscht. Die Veröffentlichung dieses Leserbriefes, der unter vielen anderen auch von Siegfried Jäger unterzeichnet wurde, verweigerten die Biedermänner von der Süddeutschen Zeitung.

4. Oktober 2010
Sehr geehrte Damen und Herren,

die Süddeutsche Zeitung druckte in ihrer Wochenendausgabe vom 2./3. Oktober eine großformatige Werbeanzeige der Berliner Wochenzeitung „Junge Freiheit“. Die „Junge Freiheit“ ist das Flaggschiff der extrem rechten Publizistik in Deutschland, das sich seit geraumer Zeit in einer bürgerlich-konservativen Verpackung zu verkaufen versucht. Sie bietet all jenen eine Plattform, denen die NPD und Straßennazis zu primitiv sind und die ihren Nationalchauvinismus gerne mit einem gewissen kulturellen Niveau verbrämen. Sie ist in der Grauzone zwischen Neokonservatismus und Neofaschismus beheimatet und arbeitet seit zwei Jahrzehnten an der historischen Legende einer „sauberen deutschen Rechten“ jenseits der NSDAP. Dabei waren es gerade die geistigen Vorbilder der „Jungen Freiheit“, die Hitler in Weimar den Weg an die Macht geebnet haben: Die Schriften Oswald Spenglers, Arthur Moeller van den Brucks und Ernst Jüngers haben das geistige Feld bereitet, die Kreise um Franz von Papen und Carl Schmitt die politischen Weichen gestellt.

Die „Junge Freiheit“ bezieht sich seit jeher auf jene politischen Kräfte, die mit der NSDAP die Koalition eingingen, und führt deren völkischen Nationalismus fort. Autoren der „Jungen Freiheit“ und Aktivisten des mit ihr eng verbundenen „Instituts für Staatspolitik“ betreiben die intellektuelle und politische Rehabilitation des europäischen Faschismus. Als Beispiel für diese Strategie sei der in der Anzeige namentlich erwähnte Karlheinz Weißmann genannt. Die „Junge Freiheit“ steht zudem für einen aggressiven christlichen Fundamentalismus. Sie verbreitet geschichtsrevisionistische Thesen und stellt die Ergebnisse der historischen Forschungen zur Vernichtung des europäischen Judentums in Abrede. So ergriff sie nicht nur Partei für den Holocaustleuger der fundamentalistischen Pius-Bruderschaft, Bischof Richard Williamson, sondern verbreitet, die Ergebnisse der Erforschung des Holocausts seien „von wissenschaftsfremden Kräften vorgegeben“ (JF 8/2009). Man führe sich zudem vor Augen, dass ihre Anhänger im November 2009 ernsthaft gegen die Teilnahme der Bundeskanzlerin Angela Merkel an den Gedenkfeierlichkeiten zum Ende des Ersten Weltkrieges demonstrierten. Ihre außenpolitische Programmatik wäre, sollte sie jemals umgesetzt werden, eine Gefahr für den Frieden in Europa.

Es war zu erwarten, dass die „Junge Freiheit“ im Schatten der Demagogen vom Schlage Thilo Sarrazins und Erika Steinbachs die angeheizte Debatte über eine „Renaissance des Konservatismus“ für ihre Zwecke nutzen würde. Nicht zu erwarten war dagegen, dass sich ein seriöses Medium wie die Süddeutsche Zeitung für eine Anzeige dieses Organs zur Verfügung stellt. Wir fordern die Süddeutsche Zeitung dazu auf, diesem Normalisierungsprozess völkischer und extrem rechter Positionen nicht auch noch Vorschub zu leisten und bei der Auswahl ihrer Anzeigenkunden künftig etwas sensibler zu Werke zu gehen.

Mit freundlichen Grüßen

Knud Andresen, Studienleiter Gustav-Heinemann-Bildungsstätte, Bad Malente
Friedrich Burschel, Referent zu Neonazismus und Strukturen/Ideologien der Ungleichwertigkeit, Rosa Luxemburg Stiftung
Anna Conrads, rechtspolitische Sprecherin DIE LINKE im NRW-Landtag
Prof. Dr. Michel Cullin, ehemaliger stellvertretender Generalsekretär des Deutsch-Französischen Jugendwerks
Prof. Dr. Frank Deppe, Marburg
Michael Ebenau, Gewerkschaftssekretär, IG Metall Jena-Saalfeld und IG Metall Gera
Prof. Dr. Norbert Finzsch, Direktor der Anglo-Amerikanischen Abteilung des Historischen Instituts, Universität zu Köln
Richard Gebhardt, Politikwissenschaftler, RWTH Aachen
Prof. Dr. Wolfgang Fritz Haug, Berliner Institut für kritische Theorie e.V.
PD Dr. Kirsten Heinsohn
Dr. habil Klaus Holz, Generalsekretär der Evangelischen Akademien in Deutschland, Berlin
Prof. Dr. Siegfried Jäger, Duisburg
Jan Jetter, Bildungsreferent, Hamburg
Stefan Kausch, Engagierte Wissenschaft e.V., Leipzig
Kerstin Köditz, MdL Sachsen; Sprecherin der Fraktion Die LINKE für antifaschistische Politik
Hildgarde Lisse, SPD-Aachen-Ost, ehem. Ratsfrau im Rat der Stadt Aachen
Birgit Mollemeier
Dr. Thomas Müller, Sozialwissenschaftler und Historiker, Aachen
Petra Pau, MdB, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages
Frank Schubert, Forum für kritische Rechtsextremismusforschung , Leipzig
Dr. Stefan Vogt, Ben-Gurion University of the Negev, Beer-Sheva, Israel
Dr. Volker Weiß, Villigster Forschungsforum zu Nationalsozialismus, Rassismus und Antisemitismus e.V.
Volkmar Wölk
Uwe Wötzel, Gewerkschaftssekretär, ver.di

sowie:

Antifaschistisches Bündnis Bergedorf, Hamburg
Mobiles Beratungsteam gegen Rassismus und Rechtsextremismus in Hessen
Opferperspektive Brandenburg e.V., Beratung von Opfern rechts-motivierter Gewalt
Teilnehmerinnen und Teilnehmer der antifaschistischen Konferenz „Manometer“ vom 1. – 3. Oktober in Kassel

Weitere informationen finden Sie im NPD-Blog:  http://npd-blog.info/2010/10/09/sz-druckt-jf-anzeigen-leserbrief-dazu-aber-nicht/

Vorankündigung: Rechte Diskurspiraterien

Regina Wamper / Helmut Kellershohn / Martin Dietzsch (Hg.)
Rechte Diskurspiraterien
Strategien der Aneignung linker Codes, Symbole und Aktionsformen
Edition DISS Bd. 28
287 Seiten, ca. 20 EUR
Unrast-Verlag, Münster, erscheint im Herbst 2010
ISBN 978-3-89771- 757-2
Zur Vorbestellung beim Unrast-Verlag bitte hier klicken.

In den letzten Jahren ist ein verstärktes Bemühen auf Seiten der extremen Rechten zu beobachten, Themen, politische Strategien, Aktionsformen und ästhetische Ausdrucksmittel linker Bewegungen zu adaptieren und für ihren Kampf um die kulturelle Hegemonie zu nutzen. Dabei handelt es sich keineswegs mehr nur um ein Steckenpferd der intellektuellen Neuen Rechten, vielmehr wird dies auch von NPD und militanten Neonazis praktiziert. Im Resultat hat sich die extreme Rechte eine Bandbreite kultureller und ästhetischer Ausdrucksformen angeeignet, indem sie sich am verhassten ‚Vorbild’ der Linken abgearbeitet hat. Man könnte auch sagen: Um überzeugender zu wirken, hat sie kulturelle Praktiken und Politikformen der Linken ‚entwendet’ – allerdings nicht, ohne sie mit den eigenen Traditionen zu vermitteln.
Solche Phänomene sind keineswegs neu. Auch der Nationalsozialismus bediente sich der Codes und Ästhetiken politischer Gegner und suchte Deutungskämpfe gerade verstärkt in die Themenfelder zu tragen, die als traditionell links besetzt galten. Auch in den 1970er Jahren waren solche Strategien vorhanden. Es stellt sich die Frage, warum und in welcher Form diese Diskurspiraterien heute wieder verstärkt auftreten.
Inhalt
Helmut Kellershohn
Strategische Optionen des Jungkonservatismus
Martin Dietzsch
Strategiediskussion in der NPD
Christina Kaindl
Die extreme Rechte in der Krise
Sabine Kebir
Dekonstruktion von Wackelkandidaten und Diskurspiraten
Gramsci, Brecht und Anverwandlung linker Signifikanten durch rechte Politik
Volker Weiß
›Deutscher Sozialismus‹
Karriere eines Konzeptes von der Sozialdemokratie zu Oswald Spengler und Arthur Moeller van den Bruck
Volkmar Woelk
Tertium non datur
Anmerkungen zum Widerschein des revolutionären Nationalismus in der ›Neuen‹ Rechten
Renate Bitzan
Feminismus von rechts?
Richard Gebhardt
Völkischer Antikapitalismus
Zur Analyse und Kritik eines zentralen Strategie- und Ideologieelements des modernen Neonazismus
Fabian Virchow
Völkischer Nationalismus und Atomwaffen
Was die extreme Rechte unter einer »Politik des Friedens« versteht
Lenard Suermann
Rebel Without a Course
Der Diskurs um die »Autonomen Nationalisten«
Christoph Schulze / Regina Wamper
»Adolf H. didn’t booze or smoke«
Konsumkritik, Jugendkultur, Drogenverzicht von Rechts:
Die neonazistische Adaption von Hardcore und Straight Edge
Helmut Kellershohn
Provokationselite von rechts: Die Konservativ-subversive Aktion
Regina Wamper / Britta Michelkens
Was tun?!
Gegenstrategien zu Adaptionen von rechts
Regina Wamper / Siegfried Jäger
Überlegungen zu einem Forschungsprogramm zum Völkischen Nationalismus in Deutschland im Anschluss an die Diskussionen auf dem DISS-Colloquium 2009
Jens Zimmermann
Wissenschaftstheoretische Elemente einer Kritik an der Extremismusforschung und Kritische Diskursanalyse als alternative Perspektive für eine kritische Rechtsextremismusforschung

Zum Bochumer Tortenprozess

Neues Bilderverbot durch Bochumer Tortenprozess:
Stehen wir vor einer Einschränkung der Pressefreiheit?

Autor: Rolf van Raden

Vor dem Bochumer Amtsgericht hat am Mittwoch ein Aufsehen erregender Prozess stattgefunden: Der verantwortliche Redakteur des lokalen Internetportals bo-alternativ ist zu einer Strafe von 1.500 Euro verurteilt worden, weil er ein Anti-Nazi-Plakat dokumentiert hat. Auf dem Plakat ist eine Comicfigur zu sehen, die eine Torte in der Hand hält. In den Augen der Staatsanwaltschaft und der Richterin stellt die Abbildung auf dieser Seite aus dem Jahr 2008 einen „Aufruf zur gefährlichen Körperverletzung“ dar.

http://www.bo-alternativ.de/aktuell/wp-content/uploads/2008/10/nazistopp.jpg
„Aufruf zur gefährlichen Körperverletzung“? Die dokumentierende Abbildung dieser Grafik soll strafbar sein.

Es handelt sich bereits um den dritten Prozess zum Thema – vor einem Jahr gab es bereits einen Freispruch, worauf die Staatsanwaltschaft allerdings Revision einlegte. Der beschuldigte Redakteur hat jetzt angekündigt, gegen das neue Urteil selbst in Berufung zu gehen. Sollte die Verurteilung vor weiteren Instanzen Bestand haben, könnte das die Presse- und Meinungsfreiheit in Deutschland empfindlich einschränken.

Die Anklage der Bochumer Staatsanwaltschaft (hier im Wortlaut) stand von Anfang an unter massiver Kritik. In einer Solidaritätserklärung bewerteten eine Reihe prominenter Persönlichkeiten den Prozess als einen „Affront gegen die Menschen, die sich am 25. Oktober in Bochum und an anderen Tagen in anderen Städten den Nazi-Aufmärschen entgegen stellten.” Andere BeobachterInnen weisen darauf hin, welche politischen Folgen die Verurteilung haben kann: Wenn nämlich schon die Abbildung einer Comicfigur mit einer Torte in der Hand dazu ausreicht, um das Recht auf Äußerungsfreiheit im Internet einzuschränken, dann wäre der behördlichen Willkür Tür und Tor geöffnet.

Die Anklage hat die Abbildung einer Torte zu einer „getarnten Bombe“ umgedeutet. Damit aber nicht genug. Denn im nächsten Schritt erklärte die Staatsanwaltschaft die angebliche Bombe zu einem verbotenen Aufruf, „Gegenstände, die ihrer Art nach zur Verletzung von Personen oder Beschädigung von Sachen geeignet und bestimmt sind, ohne behördliche Genehmigung mit sich zu führen und diese zur Begehung von Vergehen der gefährlichen Körperverletzung einzusetzen“. In einfache Sprache übersetzt behauptet die Staatsanwaltschaft: Indem das Internetportal das Plakat dokumentiert, rufe es dazu auf, mit Waffen zur Demo zu gehen und diese zu benutzen.

Kommt die Staatsanwaltschaft mit dieser obskuren Argumentation durch, wäre künftig keine grafische Veröffentlichung mehr vor solch aggressiver Interpretation und Umdeutung geschützt. Ein Plakat mit einer erhobenen Faust? Klar, da holt jemand zum Schlag aus. Es droht ein neues Bilderverbot für politische Publikationen. Und noch mehr: Die Strafverfolgungsbehörden bekämen ein einfaches wie mächtiges Instrument an die Hand, um politisch missliebige Äußerungen weitgehend willkürlich zu kriminalisieren. Das wäre eine massive Einschränkung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit – und weil es sich bei dem Angeklagten ja nicht einmal um den Plakat-Urheber, sondern lediglich um den Redakteur eines Internetportals handelt, auch um eine Aushebelung der Pressefreiheit.

Der Diskursanalytiker und Herausgeber der Zeitschrift kultuRRevolution Jürgen Link ging noch einen Schritt weiter. Bereits anlässlich des ersten Tortenprozesses vor einem Jahr veröffentlichte er eine „Diskursanalytische Wortmeldung“, in welcher er deutlich machte: Selbst, wenn auf dem Plakat tatsächlich eine Bombe zu sehen wäre, würde es sich dadurch nicht um einen Aufruf zu Gewalt handeln – weil bei einer Interpretation immer Kollektivsymboliken und diskursive Kontexte zu berücksichtigen sind. Um das zu verdeutlichen, überträgt Link das Argumentationsmuster der Staatsanwaltschaft probeweise auf eine Karikatur, welche die WAZ elf Jahre zuvor veröffentlicht hatte. In der Grafik ist der damalige Verteidigungsminister Volker Rühe zu sehen, der den im Rollstuhl sitzenden Wolfgang Schäuble mit einem Panzer bedroht. Folge man der Logik der Bochumer Staatsanwaltschaft, stelle diese Veröffentlichung „zweifelsfrei sogar einen Aufruf zum Mord dar.“ Jürgen Link weiter: „Staatsanwältin W. weiß nicht, dass Karikaturen Konflikte symbolisch darstellen und dazu groteske Übertreibungen als ihr wesentliches Mittel einsetzen müssen. ‚Panzer’ bedeutet symbolisch ‚große Entschlossenheit’ (und nicht: realer Panzereinsatz!!!) – Torte mit Lunte bedeutet symbolisch ‚Entschlossenheit mit Spaß’ (erheblich kleinere als Panzer!!!), und nicht realen Terrorismus! Man muss schon nicht bloß völlig humorlos, sondern außerdem diskursanalytisch eine Null sein, um derart danebenhauen (keine Unterstellung, Staatsanwältin W. habe wirklich zugeschlagen!!!) zu können.” Zum vollständigen Text von Jürgen Link.

Ob die Staatsanwaltschaft und die vorsitzende Richterin tatsächlich diskursanalytische Nullen sind, oder ob es andere Gründe dafür gibt, dass sie eine Interpretation des Plakats für gültig erklären, die überhaupt nichts mit der tatsächlichen diskursiven Wirkung der Veröffentlichung zu tun hat, das kann an dieser Stelle nicht geklärt werden. Fest steht jedenfalls, dass die Demonstration, zu der das Plakat aufrief, selbst in den Augen der Polizei völlig friedlich verlaufen ist. Und obwohl die Polizei – wie zu solchen Anlässen üblich – umfangreiche Taschenkontrollen durchführte, konnte sie nicht einen einzigen „gefährlichen Gegenstand“ finden – weder als Torten getarnte Bomben, noch andere Gegenstände, die zur Beschlagnahme geeignet waren. Darüber hinaus ist der jetzt wegen „Aufruf zur gefährlichen Körperverletzung“ verurteilte Redakteur seit Jahrzehnten ein aktives Mitglied der Friedensbewegung und für seine kompromisslos gewaltfreie politische Linie bekannt.

Diese Tatsachen verweisen auf eine Fragestellung, um die es bei der Berufungsverhandlung zumindest implizit auch gehen wird: Wenn Strafverfolgungsbehörden und Gerichte über die Strafbarkeit einer Publikation befinden, dürfen sie dann einfach eine Interpretation zur Grundlage machen, die weder vom Publizisten selbst, noch von der Zielgruppe der Publikation, und noch nicht einmal im Rahmen des Hegemonialdiskurses als naheliegend oder gar zwingend angesehen wird? Oder verletzen die Behörden vielleicht sogar ihre Sorgfaltspflicht, wenn sie sich auf eine Interpretation berufen, die nichts mit den diskursiven Verhältnissen zu tun hat, in denen die Publikation veröffentlicht worden ist?

Diese Fragen sind aus einer diskurs- und machtanalytischen Perspektive interessant. In der politischen Dimension wird in der Berufungsverhandlung allerdings nicht weniger verhandelt als die Reichweite der Grundrechte auf Presse- und Äußerungsfreiheit. Deswegen ist sicher, dass weiterhin viele Augen auf den Bochumer Tortenprozess gerichtet sein werden.

Zum Weiterlesen: Alle Stellungnahmen und Berichte zum Bochumer Tortenprozess auf bo-alternativ.de

Wortmeldung

Netzfundstück: Hymnen, Flaggen, Fangesänge

Der Internet-Sender detektor.fm aus leipzig sendete heute ein Interview mit DISS-Mitarbeiter Jens Zimmermann zum Thema »Hymnen, Flaggen, Fangesänge – wie weit ist es zur Menschenfeindlichkeit?«.

Anmoderation:

Fußball verbindet. Doch leider sind oftmals auch Rassismus, Homophobie und Menschenfeindlichkeit mit im Stadion. Ein Interview über Flaggen, Hymnen und die Gretchenfrage, wieviel unbeschwertes Feiern erlaubt ist.

Eigentlich ist es ja das normalste der Welt: die Flaggen und Fahnen, die zur WM überall auftauchen. Natürlich drückt man seinem Heimatland die Daumen – und warum sollte man das nicht auch zeigen. Das Ganze hat aber manchmal auch eine Kehrseite – und die ist für die, die im Feiertaumel sind, nur schwer zu erkennen: Rassismus und Fremdenfeindlichkeit im Sport. Während eines solchen Großereignisses wie der WM treffen verschiedenste Nationen aufeinander. Die Frage ist also: baut sowas Vorurteile ab? Oder brechen sie dadurch erst recht auf?

Darüber sprechen wir jetzt mit einem Experten vom  Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung, kurz DISS. Dort wird seit 1987 beobachtet und erforscht, wie sich Rechtsextremismus, Rassismus und sozialer Ausgrenzung in der Gesellschaft entwickeln, wie darüber debattiert wird, wo es sich festsetzt. Die Forscher sprechen dabei von Diskursen. Und wie präsent solche menschenfeindlichen Diskurse im Fußball sind, das fragen wir Jens Zimmermann vom DISS.

Das Interview können Sie als mp3-Audio-Datei von der Website von detektor.fm herunterladen (8:20 Minuten, 8 MB):

http://detektor.fm/download/?file=/images/uploads/mp3/Jens_Zimmermann_ber_Rassismus_und_Fremdenfeindlichkeit_im_Fuball_WEBSITE_1.mp3

Netzfundstück: Politologentrug

Auf der Seite der Rosa-Luxemburg-Stiftung ist ein Text von Prof. Wolfgang Wippermann abrufbar, der auf einem Vortrag beruht, den er im März 2010 in Duisburg gehalten hat:

Politologentrug
Ideologiekritik der Extremismus-Legende

Herausgeber Friedrich Burschel schreibt in seiner Einleitung u.a.:

Dem Text «Politologentrug» von Wolfgang Wippermann liegt sein Vortrag beim Gesprächskreis «Rechtsextremismus» der Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin in Duisburg am 19. März 2010 zugrunde. In Kooperation mit dem Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS) stellten drei Wissenschaftler ihre Thesen zum «Extremismus»-Begriff zur Diskussion. Neben Professor Wippermann sprachen Stefan Kausch (Forum Kritische Rechtsextremismusforschung, Leipzig) zu «Ordnung.Macht.Extremismus. Das Konstrukt der ‹guten Mitte› und alternative Perspektiven» sowie der DISS-Mitarbeiter Jens Zimmermann zu «Wissenschaftstheoretischen Elementen einer Kritik der Extremismusforschung und Kritische Diskursanalyse als alternative Perspektive für eine kritische Rechtsextremismusforschung». Dem Gesprächskreis ging es um die Problematik des Extremismusbegriffs und seine politische Instrumentalisierung. In den zurückliegenden Monaten konnte beobachtet werden, wie der seit Jahren umstrittene und wissenschaftlich eigentlich verworfene Begriff des Extremismus fröhliche Urstände feiert und in durchsichtiger Weise instrumentell in Dienst genommen wird.

Den vollständigen Text finden Sie HIER.

Fratzen des Antisemitismus

Facebook-NutzerInnen propagieren radikale Judenfeindschaft auf neuem Niveau

Autor: Jonathan Messer

Die Meldung war am 31. Mai kaum aus dem Nachrichtenticker, da kommentierten eifrige Facebook-NutzerInnen schon den israelischen Militäreinsatz gegen eine Schiffsflotte mit Hilfsgütern für den abgeriegelten Gaza-Streifen. Dass ein politisches Ereignis in die Aufmerksamkeitssphäre des interaktiven „sozialen Netzwerkes“ gerät, ist schon eine Besonderheit. Zu Selbstbezüglich agieren solche Gruppen sonst. Dieses mal jedoch gab es kein Halten mehr – schließlich ging es um Israel. Und so verschlug es selbst den hartgesottenen LeserInnen den Atem, was dort auf den persönlichen Profilen der NutzerInnen gepostet wurde.

Großer Beliebtheit erfreuten sich krude und verfälschte Hitler-Zitate. Dazu kamen unzählige weitere Referenzen, die keinen Hehl daraus machten, dass es der einzige Fehler Hitlers war, nicht alle Juden umgebracht zu haben. Das alles passte gut zur Überzeugung mancher NutzerInnen, dass der Holocaust sicher keine unbegründete Sache gewesen sei, wie man an den aktuellen Ereignissen sehen könne, und er es im Grunde verdiene, fortgeführt zu werden. ((Ich verzichte bewusst auf eine Zitation und Verlinkung der Aussagen, da ich ansonsten direkt auf die Profile der NutzerInnen verweisen würde. Wer dennoch die Originalzitate haben möchte, kann sie beim Autor anfragen.)) Solch‘ unverblümte Affirmation von offenem Vernichtungsantisemitismus würde an sich reichen, um vor Scham den Browser zu schließen. Es grenzt so schon ans Unerträgliche. Doch wenn es um Israel und Juden geht – das ist für die alle ProtagonistInnnen der Hetze selbstredend dasselbe –, kennt der Wahnsinn keine Grenzen. In muskelbetonter Pose, lockerem Outfit oder flankiert vom Hochzeitsbild geben die selbsterklärten ExpertInnen für Nahostpolitik ihre Judenfeindschaft zum Besten.

Auch das ansonsten sehr beliebte Anonymisieren durch Nicknames ist deshalb nicht nötig: man bürgt mit seinem Namen. Die Datenschutzpolitik von Facebook, welche in den letzten Jahren immer mehr in die Kritik geraten ist, tut hier ihr übriges, um die Postings öffentlich zu machen. ((Mehr Kontrolle übers eigene Profil, 27.5.2010 http://www.taz.de/1/netz/netzkultur/artikel/1/mehr-kontrolle-bei-persoenlichen-daten/)) Viele NutzerInnen werden nicht wissen, dass ihr Profil auch von Nicht-Mitgliedern einsehbar ist und nicht nur „Freunde“ die Postings lesen können. So reicht ein Sucheintrag auf der Seite youropenbook, um die judenfeindlichen Äußerungen auf dem Silbertablett serviert zu bekommen.

Blanker Hass scheint in Teilen der Facebook-Gemeinschaft kein Tabu mehr zu sein – bewusst und offen verschafft man seinem Vernichtungswunsch Luft. Auch aktuell reißt die Flut an antisemitischen Postings nicht ab – davon kann man sich leicht im Netz überzeugen. Mittlerweile – nachdem unter anderem der österreichische Standard ((Gaza-Hilfsflotte: User toben sich auf Facebook antisemitisch aus, 01. Juni 2010 http://derstandard.at/1271377916109/Gaza-Hilfsflotte-User-toben-sich-auf-Facebook-antisemitisch-aus)) über die Vorfälle berichtete – mehrt sich jedoch auch die Gegenwehr anderer NutzerInnen, die sich mit der Hetze nicht abfinden wollen. Doch als Mittel stehen ihnen kaum mehr als Gegenpostings und Löschanträge ((Löschanträge müssen auf Facebook für jeden einzelnen Eintrag (!) verfasst werden.)) zur Verfügung, die anschließend von den Betreibern geprüft werden. Ein insgesamt zeitaufwändiges und mühseliges Verfahren, denn für beständigen Nachschub an Einträgen scheint gesorgt zu sein. Die Aussicht auf Erfolg ist klein. Und so wird sich das perpetuum mobile auf Facebook weiter drehen, zumal vermehrt antiarabische und antiislamische Postings als Kritik am Antisemitismus missverstanden werden.

Die aktuellen judenfeindlichen Auswüchse sind nicht als isoliertes Phänomen misszuverstehen. Insgesamt scheint es sich um eine Entgrenzung des Antisemitismus im Netz zu handeln. Dafür spricht auch, dass angesichts der Finanzkrise im Jahr 2008 „jüdische Spekulanten“ in zahlreichen Internetforen als Verantwortliche für den Crash ausgemacht wurden. ((vgl. DISS-Journal 18, 7 http://www.diss-duisburg.de/DISS-Journale/diss-journal-18-2009.pdf)) Und auch im Zuge der israelischen Katastrophenhilfe für die Erdbebenopfer auf Haiti kursierte das Gerücht, jüdische Ärzte würden dort den Opfern Organe für den israelischen Schwarzmarkt entnehmen ((Haiti und das antisemitische Nachbeben im Web http://www.hagalil.com/archiv/2010/01/20/haiti-2/)). Das alles sind modernisierte Remakes klassischer antisemitischer Klischees, die auch in Zukunft das Internet zu genüge bevölkern werden.

Pro NRW: Der Kreuzzug wird vertagt

Autor: Michael Lausberg

Ein „politisches Erdbeben an Rhein und Ruhr“ und einen Tag der Abrechnung“ hatte die Partei Pro NRW angekündigt. Bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 9. Mai verfehlte sie deutlich ihr selbst gestecktes Ziel von 5%+x. Trotzdem redet sie sich das Ergebnis schön.

Auf dem „Programmparteitag“ von Pro NRW am 19.2.2010 im „Forum Leverkusen“ verkündete ihr Vorsitzender Markus Beisicht den Einzug in den Landtag als leicht erreichbares Ziel:

„Eine Rüttgers-CDU, die schon Planspiele für eine schwarz-grüne Koalition macht, kann keine Alternative für konservative und patriotische Bürger dieses Bundeslandes mehr sein. Wir dagegen füllen das Vakuum zwischen den prinzipienlosen Altparteien in der Mitte und abgehalfterten Splittergruppierungen im Rechtsaußenbereich. Wir machen eine Politik für die einheimische Bevölkerung im Stile unserer Partnerparteien FPÖ und Vlaams Belang, die dafür in ihren Heimatländern Wahlergebnisse von 20 % und mehr der Stimmen erreichen. „Pro NRW: Der Kreuzzug wird vertagt“ weiterlesen

Vorankündigung: Rechte Diskurspiraterien

Vorraussichtlich im Oktober 2010 erscheint in der Edition DISS im Unrast-Verlag der Band:

Martin Dietzsch / Helmut Kellershohn / Regina Wamper (Hg.)
Rechte Diskurspiraterien
Strategien der Aneignung linker Codes, Symbole und Aktionsformen

ISBN: 978-3-89771-757-2
ca. 250 Seiten, ca. 20 Euro

In den letzten Jahren ist ein verstärktes Bemühen auf Seiten der extremen Rechten zu beobachten, Themen, politische Strategien, Aktionsformen und ästhetische Ausdrucksmittel linker Bewegungen zu adaptieren und für ihren Kampf um die kulturelle Hegemonie zu nutzen. Dabei handelt es sich keineswegs mehr nur um ein Steckenpferd der intellektuellen Neuen Rechten, vielmehr wird dies auch von NPD und militanten Neonazis praktiziert. Im Resultat hat sich die extreme Rechte eine Bandbreite kultureller und ästhetischer Ausdrucksformen angeeignet, indem sie sich am verhassten ‚Vorbild’ der Linken abgearbeitet hat. Man könnte auch sagen: Um überzeugender zu wirken, hat sie kulturelle Praktiken und Politikformen der Linken ‚entwendet’ – allerdings nicht, ohne sie mit den eigenen Traditionen zu vermitteln.
Solche Phänomene sind keineswegs neu. Auch der Nationalsozialismus bediente sich der Codes und Ästhetiken politischer Gegner und suchte Deutungskämpfe gerade verstärkt in die Themenfelder zu tragen, die als traditionell links besetzt galten. Auch in den 1970er Jahren waren solche Strategien vorhanden. Es stellt sich die Frage, warum und in welcher Form diese Diskurspiraterien heute wieder verstärkt auftreten.

Aus dem Inhalt:

Helmut Kellershohn / Martin Dietzsch
Aktuelle Strategien der extremen Rechten in Deutschland

Sabine Kebir
Gramscismus von rechts?

Volker Weiss
Sozialismusbegriff bei Moeller van den Bruck und Oswald Spengler

Volkmar Woelk
Strasserismus und Nationalbolschewismus

Renate Bitzan
Feminismus von rechts?

Richard Gebhardt
Völkischer Antikapitalismus

Fabian Virchow
Antikriegs-Rhetorik von rechts

Helmut Kellershohn
Das Institut für Staatspolitik und die Konservativ-subversive Aktion

Lenard Suerman
Autonome Nationalisten

Regina Wamper / Britta Michelkens
Gegenstrategien

Jens Zimmermann
Kritik des Rechtsextremismusbegriffs

1. Mai: PRO-Zirkus in Solingen

Autor: Martin Dietzsch

„Wir werden die letzte Wahlkampfwoche mit einem Paukenschlag in der Klingenstadt Solingen eröffnen.“ Die „zentrale Wahlkampfkundgebung von pro NRW“ sollte am 1. Mai in Solingen stattfinden und „die letzte und alles entscheidende Woche des Landtagswahlkampfes“ einläuten. Glaubt man den Verlautbarungen der Bewegung im Internet, schreitet sie von Erfolg zu Erfolg voran zum „Tag der Abrechnung“, umjubelt von der begeisterten Bevölkerung.

Foto: 1.5.2010, Bus mit Aufschrift "Kreuzzug für das Abendland"
Mit einem „Keuzzug für das Abendland“ droht der Pro-Brinkmann-Bus. Für Juden und alle anderen Gottlosen und Ketzer hat diese Parole einen ganz besonderen Klang. Im Heckfenster: Rechtsradikale, die sich hinter einer Israel-Fahne verstecken.
Foto: 1.5.2010 PRO Solingen - Totale
Höhepunkt des „fulminanten“ (M. Beisicht) Landtagswahlkampfes. Die Polizei will 70 Teilnehmer gezählt haben, realistisch wäre wohl eher die Zahl 40. PRO machte daraus bescheiden 150.
Foto: 1.5.2010 Solingen, Rouhs verteilt JF
Es ist genug für alle da! Der Vorsitzende von „Pro Deutschland“, Manfred Rouhs (ex-JU, ex-JN/NPD, ex-REP, ex-DLVH), verteilt Freiexemplare der „Jungen Freiheit“ an die Teilnehmer.

Foto: Solingen 1.5.2010
Patrik Brinkmann sitzt in seiner albernen Brinkmann-Jacke mit Brinkmann-Aufschrift auf einer Bank. Im Hintergrund: Gegendemonstranten. Im Vordergrund: ein alter Bekannter, mal wieder auf der Suche nach einem neuen Betätigungsfeld.

„Pro NRW“ ist wahrlich eine Rechtspartei Neuen Typs. Die gesamte Partei passt in einen einzigen Reisebus. Und die Gegendemonstranten werden genial zermürbt durch geringe eigene Teilnehmerzahlen. In einem Punkt hat die virtuelle PRO-Erfolgsberichterstattung allerdings Recht. Die Solinger Bevölkerung begleitete den Abzug der PROler mit fröhlichem, spontanem Beifall. Allerdings erklang dabei im Chor der Ruf „Auf Nimmer-Wiedersehen!“

Am 9. Mai werden wir sehen, ob der „rechtspopulistische“ Dummenfang und der Appell an die niedrigsten Instinkte Erfolg hat und die PRO-Schulden aus Steuermitteln beglichen werden müssen.

Weitere Berichte aus Solingen finden Sie hier: Mit Deutschlandflagge und Wurststulle auf Kreuzzug für das Abendland und hier: Braunes Kurzgastspiel im bunten Solingen.

Braunes Kurzgastspiel im bunten Solingen

Die Deutsche Gildenschaft und ihr Verhältnis zum Nationalsozialismus

Im „Dienst an der nationalsozialistischen Revolution“
Die Deutsche Gildenschaft und ihr Verhältnis zum Nationalsozialismus

Autor: Helmut Kellershohn

[Bitte beachten Sie den Link zum Download des kompletten Textes am Ende dieses Blogeintrags]

Die Geschichte der Deutschen Gildenschaft (DG), einer akademischen Korporation, die mittlerweile auf eine rund achtzigjährige Tradition zurückblicken kann, ist aufs engste mit der Geschichte der deutschen Jugendbewegung, insbesondere mit der der Bündischen Jugend verbunden. Freilich ist selbst die Existenz dieser Korporation einer größeren Öffentlichkeit im allgemeinen nicht bekannt, so daß es sinnvoll erscheinen mag, zunächst ein Kurzporträt der Gildenschaft voranzuschicken, um von dort aus die Fragestellung nach dem Verhältnis der Gildenschaft zum Nationalsozialismus aufzuwerfen. „Die Deutsche Gildenschaft und ihr Verhältnis zum Nationalsozialismus“ weiterlesen