Radio Corax Halle: Talk über Fluchtstudie des DISS

Im deutschen Diskurs sind Geflüchtete keine Subjekte

Wie die Kriminalisierung von Seenotrettung im Fall von Carola Rackete und der Brand im September 2020 im Geflüchtetenlager Moria medial aufgegriffen wurden, ist Gegenstand des Buchs „Deutsche Rettung? Eine kritische Diskursanalyse des Fluchtdiskurses um Carola Rackete und Moria“. Darin wird genau das Sprechen über die beiden Ereignisse untersucht und gezeigt wie über Geflüchtete und Flucht gesprochen wird. Radio Corax sprach mit Milan und Anna, die an dem Buch mitgeschrieben haben, über ihre Ergebnisse und welche Rolle diese auch für die weitere Solidaritätsarbeit mit Geflüchteten spielen kann.

Das Buch „Deutsche Rettung? Eine kritische Diskursanalyse des Fluchtdiskurses um Carola Rackete und Moria“ ist vergangenen Februar im Unrast Verlag erschienen.

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Flüchtlingshilfe von unten

Spendenaufruf Medico International
Flucht aus der Ukraine

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Jetzt gilt es, die Netzwerke der Solidarität zu unterstützen und zu ermöglichen, dass Menschen an- und weiterkommen.

Wir wissen nicht, was in den nächsten Tagen noch passieren wird. Es ist Krieg in der Ukraine und er betrifft Millionen Menschen. Sie bringen sich vor den russischen Angriffen in Sicherheit und fliehen aus Angst vor dem, was noch kommen mag, in die Nachbarländer, in die Europäische Union. In Polen werden zurzeit bis zu 3 Millionen Menschen erwartet, über 300.000 sind bereits angekommen. Dazu wird es Millionen Binnenvertriebene und Flüchtlinge in anderen angrenzenden Ländern geben.

Auf Hilfe von außen hat niemand gewartet. Innerhalb von Stunden sind Netzwerke der Solidarität entstanden, die wichtige Telefonnummern, Tipps zu Grenzübergängen, Asylfragen und andere nützliche Informationen teilen. Willkommenskomitees geben an den Grenzen warme Getränke aus. Inzwischen sind Hilfsorganisationen vor Ort und es gibt staatliche Unterstützung für die Flüchtenden. Ukrainischen Flüchtenden stehen die Grenzen offen, es gibt Zusagen der EU für Aufnahme. Das ist gut so. Es gibt jedoch tausende Menschen, für die dies nicht gilt. Menschen aus afrikanischen und arabischen Ländern, die sich in der Ukraine aufhalten müssen an der Grenze oft stundenlang warten. Haben sie es dennoch nach Polen geschafft erreicht sie keine gleichberechtigte Hilfe.

Jetzt gilt es, die Netzwerke der Solidarität zu unterstützen und zu ermöglichen, dass alle Menschen an- und weiterkommen. Auch in Deutschland gibt es erste Aufrufe in die Netzwerke der Willkommensstrukturen. Vieles erinnert an 2015 und profitiert von dem, was damals entstanden ist.

Die medico-Partner:innen der polnischen Grupa Granica sind an der ukrainischen Grenze aktiv. Sie bauen ihre Hilfsnetzwerke aus – auch in der Ukraine – teilen Informationen und leisten praktische Hilfe für die Flüchtenden aus der Ukraine. Sie unterstützen besonders diejenigen, die ohne ukrainischen Pass an der Grenze ankommen und organisieren Schlafplätze und juristische Beihilfe für die Flüchtenden. Grupa Granica ist ein Netzwerk aus verschiedenen Initiativen, die medico seit letztem Winter unterstützt. Das Netzwerk kümmert sich bis heute um Geflüchtete, die an der polnisch-belarussischen Grenze aufgehalten und zurückgedrängt werden. Auch sie dürfen jetzt nicht vergessen werden.

Mit einer Spende unter dem Stichwort „Flucht und Migration“ können Sie die Arbeit des medico-Partners Grupa Grancia in Polen unterstützen.

-> Wir bitten um Spenden unter dem Stichwort „Flucht und Migration“

-> Hintergrund: Wie konnte es soweit kommen?

DISS Neuerscheinung zum Fluchtdiskurs

Ab sofort lieferbar ist der Band 47 der Edition DISS im Unrast-Verlag:

Judith Friede, Louis Kalchschmidt, Fabian Marx, Anna-Maria Mayer, Benno Nothardt, Milan Slat, Christian Sydow

Deutsche Rettung?
Eine Kritische Diskursanalyse des Fluchtdiskurses um Carola Rackete und Moria

Das Buch ist erhältlich im guten Buchhandel oder direkt beim Unrast-Verlag.

ISBN 978-3-89771-776-3
Münster: Unrast-Verlag, 2022
310  Seiten, 24 €

 

Inhalt

Als im Juni 2019 die Kapitänin Carola Rackete dem Verbot trotzte, mit dem Seenotrettungsboot »Sea-Watch 3« im Hafen von Lampedusa anzulegen und daraufhin festgenommen wurde, brach sich eine mediale Welle der Solidarität Bahn.

Während die ZEIT noch 2018 in einem viel diskutierten Beitrag gefragt hatte, ob Seenotrettung von Geflüchteten nicht besser zu lassen sei, wurde nach der Verhaftung Racketes die Kriminalisierung humanitärer Rettungsmaßnahmen im medialen Diskurs Deutschlands unsagbar. Stattdessen rückte das Leid von Geflüchteten ins Scheinwerferlicht und Seenotretter*innen wurden als Held*innen gefeiert.

Ein Jahr später geriet die Abschottungspolitik der EU in den Fokus der medialen Öffentlichkeit, als im September 2020 das Geflüchtetenlager Moria fast komplett abbrannte. Die katastrophalen Zustände im Lager wurden scharf kritisiert; sie seien, so der Vorwurf, von Griechenland gewollt, dienten zur Abschreckung und würden von den anderen EU-Staaten insgeheim gebilligt.
Die vorliegende kritische Diskursanalyse der medialen Debatte über diese beiden Ereignisse untersucht Struktur und Verschiebungen des Sagbarkeitsfeldes, widmet sich Kollektivsymbolik und Held*innenkonstruktionen und sucht Antwort auf eine Reihe von Fragen: Inwieweit bietet der Diskurs Anschlussstellen für humane Positionen? Wo lauern Gefahren? Wird auch mit Geflüchteten diskutiert oder nur über sie? Und wird in diesem Fluchtdiskurs womöglich eine moralische deutsche Rettung inszeniert, die die Mitschuld am Sterben im Mittelmeer verdecken soll? Die Struktur- und Feinanalysen zu einzelnen Zeitungen sowie zur Held*innenkonstruktion, die auch einzeln gut lesbar sind, ermöglichen einen Einblick in transportiertes Wissen und Vermittlungsweisen, die auf den ersten Blick gar nicht auffallen. So wird nicht nur deutlich, was besser nicht gesagt würde, sondern auch, welche Themen und Aussagen im Sagbarkeitsfeld fehlen.

-> Leseprobe: Einleitung

-> Inhaltsverzeichnis

 

Dank

Wir danken ganz herzlich der Rosa-Luxemburg-Stiftung, die ein Projekt des DISS zur Konzeption von Workshops zum Flucht- und Migrationsdiskurs in deutschen Medien unterstützte, in dessen Kontext auch diese Studie entstanden ist.

 

Workshops / Vorträge

Bei Interesse an der Wiederholung eines Workshops wenden Sie sich gerne an das DISS.

 

 

 

 

 

 

 

 

DISS Workshop: Antiziganismus in Medien & Politik

Workshop
Antiziganismus in Medien und Politik –
Mediale Inszenierungen von Sinti und Roma im deutschen Fernsehen

Ort:
Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung, Siegstraße 15, 47051 Duisburg.
Der Workshop ist als Präsenzveranstaltung geplant. Es gelten die 3-G-Regeln. Im Falle einer Zuspitzung der Corona-Situation könnte er auch als Zoom-Konferenz stattfinden.

Termin:
Samstag 13. November 2021, 10:30 bis 15:30 Uhr

Anmeldung:
Die Teilnahme ist kostenlos.
Die Anzahl der Plätze ist begrenzt, deshalb ist eine verbindliche Anmeldung erforderlich.
Bitte senden Sie eine Mail mit Titel des Seminars, Name, Anschrift, Telefon, Mailadresse an: info@diss-duisburg.de.

Die Talksendung „Die letzte Instanz“ hat Anfang des Jahres einen Aufschrei durch die Presse und die sozialen Medien gehen lassen. Zu Recht – war sie doch voller antiziganistischer Vorurteile und diskriminierender Äußerungen über vermeintlich ‚Andere‘ der deutschen Gesellschaft.
Dabei sollte jedoch nicht übersehen werden, dass hier keine neuen, unerhörten Aussagen geäußert wurden, sondern diese seit Jahren so oder ähnlich im deutschen Fernsehen vorhanden sind.
Der Workshop geht deshalb den Fragen nach, was im Fernsehen in den vergangenen Jahren auf welche Weise sagbar war und wo sich hier am Beispiel des Antiziganismus diskriminierende Strukturen erkennen lassen.
Dabei werden wir u.a. mit Hilfe der Kollektivsymbolanalyse der KDA analysieren, welche Bilder von ‚Sinti und Roma‘ entworfen werden und fokussieren uns dabei vor allem auf die Krimireihe ‚Tatort‘ und politische Talkshows der öffentlich-rechtlichen Sender.
Wir werden die mediale Berichterstattung und das eigene „Sehverhalten“ kritisch beleuchten und uns auf die Suche nach Leerstellen und alternativen Perspektiven begeben.

Leitung des Workshops:
Katharina Peters, Benno Nothardt

Förderung:
Dieser Workshop wird gefördert durch die
Rosa Luxemburg Stiftung NRW

Zwanglos ausgegrenzt

Impfdebatte in Frankreich und Deutschland

Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) machte am 24. Juli das Fass einer offenen Ungleichbehandlung auf: Bei hohem Infektionsgeschehen trotz Testkonzepten müssten Ungeimpfte aus seiner Sicht wieder ihre Kontakte reduzieren. »Das kann auch bedeuten, dass gewisse Angebote wie Restaurant-, Kino- und Stadionbesuche selbst für getestete Ungeimpfte nicht mehr möglich wären, weil das Restrisiko zu hoch ist«[1]. Siegessicher nimmt er den erhofften Ausgang der nun angestoßenen Debatte vorweg: »Geimpfte werden definitiv mehr Freiheiten haben als Ungeimpfte«

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) nimmt den Ball am 27. Juli auf und erinnert Gastronom*innen an die Möglichkeit, nur für Geimpfte zu öffnen. »Die Vertragsfreiheit ermöglicht privaten Anbietern wie Gastronomen eine weitgehend freie Gestaltung ihrer Angebote«, sagte sie den Zeitungen der Funke-Mediengruppe [2]. »Wer seinen Gästen einen besonderen Schutz anbieten will, kann deshalb auch Angebote machen, die sich nur an Geimpfte richten.« Zugleich sprach sie sich abermals gegen eine Impfpflicht aus. Ein gleichermaßen verlogener wie geschickter Schachzug in der Debatte um die sogenannte Impfpflicht.

Noch im Frühjahr dieses Jahres betonte die Bundesregierung, man werde gesellschaftsspaltende Angebote von Dienstleister*innen nur an Geimpfte „nicht zulassen“. Diese mediale „Androhung“ blieb jedoch ohne Konsequenzen und entlarvte sich schon damals als PR-Schutzbehauptung, denn der Gesetzgeber unternahm rein gar nichts, solche Einschränkungen der Kundschaft explizit zu untersagen.

Jetzt fordert das höchste politische Amt in der Justiz sogar dazu auf, die Vertragsfreiheit derart zu überdehnen, um der mittlerweile impfmüden Bevölkerung einen ausreichend großen Impfanreiz zu verpassen, ohne selbigen „verordnen“ zu müssen. Also ohne den unpopulären Schritt eines gesetzlichen Ausschlusses von Nicht-Geimpften gehen zu müssen.

Die Bundesregierung nimmt weiterhin für sich in Anspruch, der Bevölkerung ein rein freiwilliges Impfangebot zu machen. Niemand werde zur Impfung gezwungen, auch nicht durch die Hintertür. Der Begriff der „Freiwilligkeit“ wird mit der Aufforderung Lambrechts jedoch maximal ausgehöhlt: Wenn nämlich sämtliche Dienstleistungsbereiche des Alltagslebens (mit Ausnahme der allgemeinen Berufsausübung, kommunaler Verwaltungsangelegenheiten und des Arztbesuches) einer offensiv entsolidarisierenden Auslegung der Vertragsfreiheit unterworfen werden. Der hemmungslose Aufruf dazu, ist ein bedenklich kurzsichtiger Kurzschluss zur Anhebung der Impfquote gegen den Widerstand von Impfgegner*innen, denn er vergisst rein praktisch sämtliche Jugendlichen und solche, die sich aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen wollen/ können. Diese müssten eine Ausnahmegenehmigung beantragen. Und er vergisst insbesondere die spaltende Wirkung einer solchen Maßnahme, die Querdenker*innen und Impfgegner*innen in die Hände spielt.

Ausschluss statt Verordnung

Der französische Rückgriff auf eine gesetzlich angeordnete „Verpflichtung“ zur Impfung ist die etwas altbackene Form eines autoritär verordnenden Staates, der sich immer noch auf den Ausnahmezustand beruft. In Frankreich werden seit heute (9.8.21) Getestete den Geimpften nicht mehr ohne weiteres gleichgestellt und sind von vielen Bereichen des alltäglichen Lebens ausgeschlossen. Konkret: Beim Betreten von Restaurants und Cafés, Zügen, Flugzeugen, Fernreisebussen, Gesundheitseinrichtungen, Einkaufszentren, Messen und Jahrmärkten muss ein Gesundheitspass vorgezeigt werden. Wer nicht geimpft ist, muss für den tagesaktuellen Eintrag in eben diesen Pass 30 Euro für einen Test selbst bezahlen. Da insbesondere in ärmeren Bevölkerungsschichten der Anteil Geimpfter besonders niedrig ist, kommt dies einem Ausschluss gleich und verschärft die soziale Ungleichheit weiter.

Die moderne Form des staatlich lenkenden Bevölkerungsmanagements gibt hingegen lediglich den Rahmen für eine nunmehr zulässige, ja sogar explizit erwünschte Ungleichbehandlung vor und lässt sich besser in das „neue Normal“ eines neu etablierten Gerechtigkeitsempfindens „jede/r wie sie es verdient“ integrieren. Statt einen beklagbaren Malus für Ungeimpfte zieht Frau Lambrecht einen weithin sichtbaren Bonus für Geimpfte vor. Nicht-Geimpfte müssten dann eben auf Theater- oder Restaurantbesuche verzichten. Der ur-menschliche soziale Druck, nicht zu vereinsamen, soll hier eine erhöhte Impfbereitschaft per „nudge“ (Anstubser) herbeiführen.

Allerdings wird hier die Grenze zwischen belohnendem Anreiz und Bevormundung eindeutig überschritten: Impfprämien (entweder vom Arbeitgeber, oder vom Staat) sind völlig legitim und qualitativ nichts anderes als das 1954 eingeführte Kindergeld gegen eine überalternde Gesellschaft, oder verschenktes Bauland gegen die Landflucht. Aber das Gewähren zuvor entzogener Grundrechte nur für Geimpfte als Anreiz für Ungeimpfte ist weder juristisch noch gesellschaftlich (zusammen-) zu halten. Was gäbe es für einen Eklat in diesem Land, wenn aus Gründen eines akuten Klima-Notstandes zunächst allen die Fahrerlaubnis entzogen würde, und nach einer Phase des immobilen Innehaltens nur noch denen zurückgegeben würde, die ein ausreichendes Bemühen um Klimaneutralität nachweisen konnten oder aber aus triftigen Gründen einer Ausnahmegenehmigung bedürften.

Noch im Frühjahr wurden Getestete den Geimpften und Genesenen gleichgestellt. Auch damals war bekannt, dass Schnelltests unzuverlässig sind, und Infektionen nur zu etwa 60 Prozent und mit mehrtägigem Verzug gegenüber dem Zeitpunkt der Infektion erkennen. Die Politik propagierte jedoch die Akzeptanz solcher Schnelltest als „wesentlicher Baustein im Kampf gegen Corona“ um die Folgen der schweren logistischen Fehler bei der Impfstoff-Beschaffung und-Verteilung (sowie bei der Impfstoffproduktion) zu überbrücken.

Jetzt, wo genügend Impfstoff vorhanden ist, sollen die gleichermaßen unzuverlässigen Schnelltests nicht mehr als Alternative gelten. Das ist nicht nur nicht vermittelbar, sondern insbesondere vor dem Hintergrund der damals noch nicht vorhandenen Delta- und Lambda-Mutationen des Coronavirus falsch: Die Delta-Variante des Virus können auch Geimpfte (eingeschränkt) weiterverbreiten. Bei der Lambda-Variante schützen derzeitige Impfungen nicht einmal vor einer schweren Erkrankung – so die aktuelle Einschätzung von Virolog*innen. Beides hebt die Bedeutung häufiger Tests trotz deren unveränderter Unzulänglichkeit an – auch bei Geimpften!

So sehr wir uns eine höhere (dringend benötigte) Impfquote wünschen; ein gesellschaftlicher Ausschluss für Ungeimpfte als Impfanreiz, ist nicht hinnehmbar und er ist das falscheste Signal, was die Politik zum Vertrauensgewinn senden kann. Ohne eben dieses Vertrauen wird die Gesellschaft keine Herdenimmunität erlangen können. Je mehr Zeit des Misstrauens vergeht, desto größer die Gefahr von neuen Mutanten und desto geringer das Vertrauen in weitere notwendige Impfungen bzw. zukünftige Covid19-Medikationen.

Dies wäre neben dem Festhalten an den Patenten für Covid-19-Impfstoffe (siehe Artikel „Impfprivilegien – Egoismus, der krank macht“ im DISS Journal #41) der zweite folgenschwere Irrweg der Bundesregierung zur Eindämmung des Virus‘. Beide tragen maßgeblich zu einer (viele unnötige Tote produzierenden) Verschärfung der Corona-Krise bei.

Eine Rückkehr zu einer Normalität eines Leben mit dem Virus ist nur kollektiv denkbar. Das schließt die Möglichkeit der Testung als Teilhabe für Ungeimpfte als Alternative zum Impfen mit ein. Alle anderen Vorschläge müssen als Vorstöße zur Etablierung einer neuen Normalität verstanden werden – eine Normalität, die zwar restriktive Verordnungen so weit wie möglich vermeidet, jedoch über dezentrale Bonus-Malus-Systeme den gleichen normierenden Ausschluss produziert.

[1] https://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/helge-braun-im-bild-interview-geimpfte-werden-mehr-freiheiten-haben-77179202.bild.html

[2] https://www.morgenpost.de/vermischtes/article232893347/corona-impfung-impfpflicht-lambrecht.html

Guido Arnold, 9. August 2021

DISS-Journal 41 erschienen

Die neue Ausgabe unserer Institutszeitschrift DISS-Journal ist erschienen und kostenlos als PDF-Datei abrufbar.

Vorwort

Aktuell scheint ein Aufatmen durch die Republik zu gehen, die sog. „Bundes-Notbremse“ vorerst in weite Entfernung gerückt zu sein. Also Grund genug, wieder einmal innezuhalten und über einige Aspekte der „Corona-Krise“ nachzudenken.

Klaus Dörre hat in einem Artikel im Berliner Journal für Soziologie „Die Corona-Pandemie – eine Katastrophe mit Sprengkraft“ den Begriff der „ökonomisch-ökologischen Zangenkrise“ geprägt. Gemeint ist damit das Zusammentreffen zweier Krisenprozesse, zum einen einer schwachen Akkumulationsdynamik des Kapitals, zum anderen einer „epochalen Krise der Gesellschafts-Natur-Beziehungen“. Im Kreuzungspunkt einer solchen kritischen Konstellation, die durch die Pandemie bzw. durch deren in Zukunft zu bewältigenden Folgelasten nochmals verschärft worden sei, stellt sich die Frage, welchen Entwicklungspfad das kapitalistische Weltsystem zukünftig einschlagen wird. Mit welchen politischen und ökonomischen Mitteln soll die „Zangenkrise“ bearbeitet werden? Der Artikel von Jürgen Link in diesem Heft widmet sich dieser Fragestellung aus Normalismus-theoretischer Sicht, in dem er die retardierenden Kräfte, die ein Zurück zur „alten“ Normalität propagieren und für die in Deutschland die AfD steht, unter die Lupe nimmt.

Die anderen Artikel zum Corona-Schwerpunkt thematisieren im Vergleich dazu eher Detailprobleme, die jedoch für die Stimmungslage in der Republik von erheblicher Bedeutung sind. Guido Arnold untersucht die Debatte über „Impfprivilegien“ (auch in ihrer internationalen Dimension). Ulrike Höhmann kritisiert die strukturellen Defizite des Gesundheitssystems, die die Bearbeitung der Pandemie erschwert haben. Gaby Cleve schildert in einem Erfahrungsbericht das unsägliche Chaos im Schulsystem. Und Alexander Häusler stellt seine Einschätzung der Bewegung der Pandemie-Leugner*innen vor. Den geneigten Leser*innen seien aber auch die anderen Artikel empfohlen, die das neue DISS-Journal abrunden: zwei Diskursanalysen (Dortmunder Tatort, Flüchtlings-Diskurs), ein ironischer Blick auf das britisch-deutsche Verhältnis, eine kompakte Einführung in die Staatstheorie von Poulantzas, eine Analyse des Wahlprogrammentwurfs der AfD und – wie üblich – der Rezensionsteil.

Helmut Kellershohn

 

Inhalt

Impfprivilegien – Egoismus, der krank macht
von Guido Arnold

Strukturmerkmale des Gesundheitssystems
und die COVID 19 Pandemie
von Ulrike Höhmann

Lernen im Corona-Modus
EINE HERAUSFORDERUNG FÜR BILDUNG, MULTIPROFESSIONELLE TEAMS, SCHÜLER:INNEN UND ELTERN/ERZIEHUNGSBERECHTIGTE
Von Gaby Cleve

Erweiterung extrem rechten Resonanzraums oder neue
Form der „Delegitimierung des Staates“?
DIE BEWEGUNG DER PANDEMIE-LEUGNER*INNEN
von Alexander Häusler

»Deutschland – aber normal« (AfD)
WAS HEISST HIER »ABER«?
von Jürgen Link

Standortnationalismus – Völkischer Nationalismus –
Autoritärer Staat
ANMERKUNGEN ZUM NEUEN WAHLPROGRAMM DER AFD
Von Helmut Kellershohn

Das Verhältnis von Staat und gesellschaftlichen
Klassen in der Theorie von Nicos Poulantzas
von Wolfgang Kastrup

Neues aus dem Institut

Extremismus und Popkultur
EINE KRITISCHE ANALYSE DER POPKULTURELLEN VIRULENZ DER EXTREMISMUSTHEORIE AM BEISPIEL DES TATORTS DORTMUND „HEILE WELT“ VOM 21. FEBRUAR 2021
von Lisa Wessel

Carola Rackete und das Leid der Gefl üchteten
DER DEUTSCHE MEDIENDISKURS IM JUNI & JULI 2019
Von Anna-Maria Mayer, Judith Friede, Fabian Marx, Benno
Nothardt, Milan Slat, Christian Sydow

Brexitannia – a podcast and more …
VORWÄRTS IN DIE VERGANGENHEIT ODER RÜCKWÄRTS IN DIE ZUKUNFT
von Robert Tonks

Politische Bewegungsbilder im Social Web
Jens Eder, Britta Hartmann & Chris Tedjasukmana: Bewegungsbilder. Politische Videos in Sozia- len Medien
Rezension von Dirk Dieluweit

Neue alte falsche Propheten
Leo Löwenthal: Falsche Propheten. Studien zur faschistischen Agitation
Rezension von Stefan Vennmann

150 Jahre Rosa Luxemburg
(1871-1919)

Online-Workshop: Frauenpower antifeministisch

Freitag, 4. Juni 2021

18 bis 20 Uhr

Zoom

im Rahmen der langen Nacht der Bildung 2021 der FAchschaften Politik und Soziologie der Uni Münster

Programm und Zugangsdaen – LNdB_2021_Programm

Veranstaltung in Facebook

 

Judith & Benno (DISS) über

#120Dezibel

Frauenpower antifeministisch (Workshop)

Fünf Frauen machen ein Video, in dem Sie sich mit Opfern sexualisierter Gewalt identifizieren und nebenbei dem Feminismus den Kampf ansagen. Wie geht das zusammen? Zuerst ethnisiert frau sexualisierte Gewalt als Merkmal von muslimisch markierten Männern und erklärt diese zu einem Anderen im Außen. Dann werden alle, die dieses Feindbild nicht mittragen, zu Mitschuldigen erklärt und so zu Anderen im Innern. Dort verortet frau dann auch Feminismus und Frauenrechte – und fertig ist die identitäre Kriegserklärung.

Spätestens seit der Debatte über die sexualisierten Übergriffe in der Silvesternacht 2015/16 in Köln ist offensichtlich, dass die Ethnisierung von Sexismus schon lange Teil des Alltagsdiskurses ist. 2018 versucht die Kampagne der rechtsextremen Identitären Bewegung dies als Anschlussstelle für ihre Positionen zu nutzen. So funktioniert Rechtspopulismus!

Aber funktioniert er wirklich? Wie reagieren einerseits rechtextreme Medien auf den Bruch mit dem völkischen Antifeminismus? Loben sie die Strategie oder bekämpfen sie ein Aufbegehren von powervollen Frauen gegen sexualisierte Gewalt als Bedrohung männlicher Kampfbereitschaft? Und wie reagieren andererseits hegemoniale Medien der Mitte, wenn ihnen Ethnisierung von Sexismus von Rechtsextremen vorgespielt wird? Gehen sie mit? Kritisieren sie sie? Oder reflektieren sie gar ihre eigene Verstrickung in dieses rassistische Denkmuster?

Mit solchen Fragen beschäftigten wir uns in der Bachelorarbeit „Das identitäre Geflecht der Töchter Europas“ und der Studie „#120Dezibel: Frauenrechte oder Antifeminismus?“. Dabei nutzten wir beide die Kritische Diskursanalyse (KDA) des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS) als Methode. Wir freuen uns auf euch!

Interview zur Verfolgung und Diskriminierung Duisburger Sinti

Das Kultur- und Stadthistorischen Museum Duisburg veröffentlicht aus aktuellem Anlass auf youtube ein Interview zur Verfolgung und Diskriminierung Duisburger Sinti.

Interview mit Mario Reinhardt. Duisburger Sinto und Enkel des Auschwitzüberlebenden Franz Lehmann. Der Völkermord an den europäischen Sinti und Roma gilt als der vergessene Holocaust. Der Duisburger Sinto Franz Lehmann (1922–1992) überlebte den Völkermord. Sein Enkel, Mario Reinhardt, berichtet in diesem Video über die Verfolgung der Familie Lehmann, das Leben in der Nachkriegszeit und die Gegenwart rassistischer Diskriminierung. Das Interview wurde 2020 im Rahmen der Wanderausstellung „Rassendiagnose Z*: Der Völkermord an den Sinti und Roma und der lange Kampf um Anerkennung“ gezeigt. Das Zentrum für Erinnerungskultur präsentierte die Ausstellung des Dokumentations- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma im Kultur- und Stadthistorischen Museum.

Produktion: LVR-Zentrum für Medien und Bildung
Interview: Robin Richterich, Zentrum für Erinnerungskultur

Part 1: Duisburg Kasslerfeld – Weimarer Republik

Part 2: Die Jahre der Verfolgung 1933 – 1945

Part 3: Nachkriegszeit und Gegenwart