Eine Stimme von anderswo (Rezension)

In der Zeitschrift DAS ARGUMENT erschien eine Rezension des Bandes mit Texten von Alfred Schobert (Analysen und Essays. Extreme Rechte – Geschichtspolitik – Poststrukturalismus, Edition DISS im Unrast-Verlag).

Bitte lesen Sie den vollständigen Text dieser Rezension in unserer Internet-Bibliothek:
Eine Stimme von anderswo. Alfred Schobert (1963-2006) – eingreifender und illegitimer Intellektueller
Von Maike Weißpflug und Richard Gebhardt

NPD-Verbot: Sie werden es wieder vermasseln

Dieser Kommentar erschien zuerst am 5.12.2011 auf Publikative.org (vormals NPD-Blog.info).

Die Politiker, die jetzt ein neues NPD-Verbotsverfahren initiieren, haben immer noch nichts begriffen. Das Problem ist nicht, der NPD Verfassungswidrigkeit nachzuweisen; das wäre auch ganz ohne Verwicklung in die Zwickauer Terrorzelle möglich. Wir haben stattdessen ein Geheimdienstproblem.

Ein Kommentar von Martin Dietzsch*

Das erste NPD-Verbotsverfahren wurde von innen torpediert. Es wurde ja nicht nur dem Gericht, sondern auch den Vertretern der Anklage die frühere V-Mann Tätigkeit eines geladenen Zeugen vorsätzlich verschwiegen. Man hat die eigenen Leute in’s offene Messer rennen lassen. Daraus sind nie Konsequenzen gezogen worden. Statt der Verselbständigung der Geheimdienste mit wirksamer Kontrolle gegenzusteuern, wurden deren Kompetenzen und Aufgabenfelder immer mehr ausgeweitet.

Man muss es einmal deutlich aussprechen: Es geht bei einem NPD-Verbotsverfahren schlicht und einfach darum, den Neonazis, also der NPD und den sogenannten Freien Kameradschaften, den staatlichen Schutz und die staatliche Förderung zu entziehen. Und das exzessive V-Mann Unwesen zählt nicht zur Bekämpfung, sondern zur Förderung des Neonazismus.

 

Abbildung: Logo der Kampagne nonpd
Abbildung: Logo der Kampagne nonpd, die von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) initiiert wurde. - "Wenn die amt­li­che Vor­gabe ist, dass nur Links­ex­tre­mis­ten an eine ernst­hafte Gefahr von Rechts glau­ben, dann darf man sich nicht wun­dern, wenn die bit­tere Rea­li­tät ver­harm­lost und geleug­net wird."

 

NRW-Innenminister Ralf Jäger äußerte kürzlich, eine Abschaltung der V-Männer sei unmöglich, denn sie mache die Behörden blind. Jahrzehntelang haben die Ämter den Rechtsextremismus durch die Brille der V-Männer des Verfassungsschutzes betrachtet. Vielleicht sollten sie diese Brille endlich einmal absetzen. Man hat den Eindruck, dass diese Brille von innen verspiegelt ist und der Betrachter glaubt, er würde die Welt sehen, in Wirklichkeit sieht er nur sein Spiegelbild.

V-Leute versprechen sich von ihrer Tätigkeit nicht nur Geld, und staatlichen Schutz bei möglichen Strafverfahren. Sie sind und bleiben Rechtsextremisten und füttern die Dienste mit gefilterten Informationen, und die Dienste hören nur das, was sie hören wollen. Wenn die amtliche Vorgabe ist, dass nur Linksextremisten an eine ernsthafte Gefahr von Rechts glauben, dann darf man sich nicht wundern, wenn die bittere Realität verharmlost und geleugnet wird. Die Dienste waren blind, weil sie nur das sehen durften, was sie sehen wollten.

Es heißt, die V-Mann-Dichte im NPD-Umfeld sei heute sogar noch höher als beim ersten Verbotsverfahren. Nach allem, was man bisher weiß, muss man befürchten, dass auch im engeren Umfeld der Terrorzelle Vertrauenspersonen von deutschen Geheimdiensten tätig waren und eher zur Verdunkelung als zur Aufklärung beitrugen und vielleicht sogar in die terroristische Vereinigung involviert waren. Diese Möglichkeit kann zur Zeit niemand ausschließen. Und es verwundert nicht, dass nicht nur in der rechten Szene, sondern auch in der breiten Öffentlichkeit die irrsten Verschwörungsmythen kursieren und durch das undurchsichtige Operieren der Geheimdienste scheinbare Plausibilität erhalten. Dadurch erleidet unsere Demokratie zusätzlichen schweren Schaden, dessen langfristige negative Folgen nicht unterschätzt werden dürfen.

Doch an den Pforten der Geheimdienste endet der demokratische Sektor der Bundesrepublik Deutschland.

NPD-Verbot? Das geht nur, wenn man den Diensten kräftig auf die Füße tritt. Und wenn man den institutionellen Rassismus in der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr verleugnet und ihn stattdessen bekämpft. Dazu gehört Mut. Liebe Politiker, Freiwillige bitte vortreten! – Es meldet sich niemand? Dann sei mir die Prognose gestattet: Ihr werdet es wieder vermasseln.

 

*Martin Dietzsch ist Mitarbeiter im Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung www.diss-duisburg.de

 

 

Nachtrag 12.12.2011:

Lesen Sie bitte auch den Beitrag von Patrick Gensing zum Thema, der den Mut unserer Politikerinnen und Politiker etwas optimistischer einschätzt als ich. Möge er recht behalten!

Patrick Gensing am 12.12.2011 auf Publikative.org: NPD oder Verfassungsschutz? Einer wird verlieren!

 

Beifall für den Bürgerkrieger

Vor wenigen Tagen erschien in der Edition DISS im Unrast-Verlag ein Band mit Analysen zu den Reaktionen der deutschen Öffentlichkeit auf die Anschläge des rechten Terroristen Anders Behring Breiwik am 22.7.2011 in Norwegen. Der Band enthält auch einen Beitrag von DISS-Mitarbeiter Martin Dietzsch, in dem er die unmittelbaren Reaktionen auf die Anschläge in den beiden wichtigsten Haß-Blogs und deren Kommentarspalten analysiert. Der Text wurde Ende August / Anfang September 2011 verfasst.

Angesichts der neu bekanntgewordenen Fakten über rechten Terror in Deutschland bekommen die von ihm gefundenen billigenden Äußerungen zum Rechtsterror, die man nicht als pubertierende Gewaltfantasien abtun kann und die ‚weltanschaulich‘ grundiert sind, besonderes Gewicht.

Wir veröffentlichen hier eine stark gekürzte Fassung seines Beitrages. Die gedruckte Fassung enthält außerdem als Beleg eine Fülle von Original-Zitaten, die wir hier im Internet so nicht präsentieren möchten. Auslassungen sind kenntlich gemacht, die Fußnoten finden sich ebenfalls nur in der gedruckten Fassung.

Das Buch ist erhältlich in jeder guten Buchhandlung oder direkt beim Unrast-Verlag.

Cover "Das hat doch nichts mit uns zu tun", Edition DISS

Regina Wamper / Ekaterina Jadtschenko / Marc Jacobsen (Hg.)
„Das hat doch nichts mit uns zu tun!“
Die Anschläge in Norwegen in deutschsprachigen Medien

ISBN: 978–3-89771–759-6
184 Sei­ten, 18 Euro

 

 

Agent dunkler Mächte, Irrer oder einer von uns?
Die deutschsprachigen Hass-Blogs und die Anschläge von Oslo

Autor: Martin Dietzsch

Wie würden die einschlägigen deutschen Blogs und ihr Fußvolk auf die Anschläge in Oslo und Utøya reagieren? Das fragten wir uns im DISS, als wir beschlossen, eine Analyse dieses einschneidenden diskursiven Ereignisses zu erstellen. Würde der Massenmord von Oslo ihnen spürbar schaden? Würden sie angesichts des Massenmords zumindest zeitweise ihren Ton mäßigen (sei es aus taktischem Kalkül, sei es aufgrund von kritischer Selbstreflektion)? Würden vielleicht sogar einige Exponenten den Ausstieg aus der Bewegung vollziehen? Oder würde das Kalkül des Attentäters aufgehen, dessen Ziel auch eine weitere Radikalisierung des eigenen Milieus gewesen ist? Der folgende Beitrag soll diesen Fragen nachgehen – vor allem anhand der unmittelbaren Reaktionen auf die Anschläge auf den zwei meistfrequentierten deutschsprachigen Hass-Blogs der Szene, dem neonazistischen Altermedia-Deutschland und dem Anti-Islam-Blog Politically Incorrect (PI).

Der Mörder und das Web 2.0

Die Monstrosität der Tat Anders Behring Breiviks zeigte sich nicht nur in der Zahl der Opfer, nicht nur in der Tatsache, dass er vor allem Kinder und Jugendliche auswählte und nicht einmal nur, dass er sie mit Schusswaffen von Angesicht zu Angesicht ermordete.

Bei rechtsterroristischen Anschlägen in der Vergangenheit gab es sehr oft keine Bekennerbriefe. Die Tat stand für sich. Destabilisierung der demokratischen Gesellschaft, Verunsicherung der Bevölkerung, Angst und Schrecken bei den Opfern und beim politischen Gegner, all das stellte sich von allein ein.

Bei den Anschlägen von Oslo und Utøya ist das anders. Der Täter ist äußerst mitteilsam und weiß sich zu artikulieren. Er sieht sich als Teil einer großen Bewegung und will mit seiner Tat einen bewaffneten Arm dieser Bewegung initiieren. Er wirbt um Mitstreiter und Nachahmer. Der Anschlag soll das Startsignal für einen lang andauernden Bürgerkrieg sein. Ohne einen solchen Krieg stehe der unvermeidliche Untergang bevor. Mit Krieg erfolgt die Befreiung – vor allem auch vom inneren Feind. Er schreibt selbst, die allermeisten Menschen würden ihn heute wegen seiner Tat hassen. Erst im Verlaufe des Krieges und der unvermeidlichen Polarisierung in zwei Lager würde sich das ändern und er würde dann als Held verehrt. Die Radikalisierung der Gegenseite als Reaktion ist Teil des Kalküls und wird deshalb sogar begrüßt. Im Krieg gibt es nur noch Freund und Feind.

Breivik hat sich ausführlich im Internet zu Wort gemeldet: Ein youtube-Video soll eine Kurzfassung seiner Weltanschauung vermitteln. Die Langfassung besteht aus einer über 1.500 Seiten umfassenden Textdatei mit dem Titel „2083 – A European Declaration of Independence“, die in der Presse als „Manifest“ bezeichnet wird, Breivik selbst spricht von „compilation“. Mit dem Massenmord vom 22.7.2011 wollte der Täter die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit und von potentiellen Nachahmern auf diesen Text lenken. Ca. 70-80% des Konvolutes stammen nicht von Breivik selbst, sondern sind von ihm – meist mit Quellenangabe – aus Beiträgen der sogenannten „islamkritischen“ Bloggerszene zusammengestellt worden, weil er sie für ideologisch grundlegend hält. Breivik selbst war in den Jahren der Vorbereitung seiner Tat in dieser Szene aktiv, beteiligte sich rege an Diskussionen sowohl in norwegisch- als auch in englischsprachigen Foren und pflegte zahlreiche internationale Kontakte über seinen Facebook-Account. Dabei fiel er nie sonderlich auf. Er schwamm wie ein Fisch im Wasser im Web 2.0 des „islamkritischen“ Milieus.

Der britische Guardian machte sich die Mühe, die Internet-Quellen, die Breivik in seinem Konvolut benennt, auszuwerten und die 525 Links und deren Verknüpfungen untereinander in einer interaktiven Karte „Beifall für den Bürgerkrieger“ weiterlesen

Druckfrisch: DISS-Journal 22 erschienen

Das DISS-Journal 22 ist erschienen – und hier kostenfrei als pdf-Datei herunterzuladen. Der Schwerpunkt dieser Ausgabe trägt den Titel „Arabischer Frühling, westlicher Herbst?“:

Ein neues Protestlabel hat die Welt erobert: „Occupy!“ heißt es auf den Straßen von Sydney und Oakland bis Tel Aviv und Hongkong. Im Internet lassen sich die Proteste in Echtzeit verfolgen. Immer wieder berufen sich die europäischen, israelischen und US-amerikanischen Bewegungen auf den ‚arabischen Frühling‘. In dessen Ursprungsland, also Tunesien, hat die Bevölkerung nun ein knappes Jahr nach dem Beginn der Jasmin-Revolution eine verfassungsgebende Versammlung gewählt – und dabei auch religiös-konservative Politikansätze gestärkt.

Was haben die westlichen Protestbewegungen mit den demokratischen und sozialen Aufständen in der arabischen Welt zu tun? Hängen sie überhaupt zusammen? Auf welche Werte berufen sich die Aktiven jeweils, und welche Begründungstraditionen werden thematisiert? Welche Tendenzen sind zu erkennen und wie könnte es weitergehen? Diesen Fragen widmet sich unser Schwerpunkt.

 

Die Artikel im Einzelnen:

 

DISS-Journal Schwerpunkt: Arabischer Frühling, europäischer Herbst?

 

 

Das DISS-Journal 22 komplett als pdf-Datei.

 

DISS-Neuerscheinung: Die Anschläge in Norwegen

In wenigen Tagen* erscheint in der Edition DISS des Unrast-Verlags eine Analyse zur Berichterstattung über die rechten Anschläge in Norwegen vom 22.7.2011.

 

Cover "Das hat doch nichts mit uns zu tun", Edition DISSRegina Wamper / Ekaterina Jadtschenko / Marc Jacobsen (Hg.)
„Das hat doch nichts mit uns zu tun!“
Die Anschläge in Norwegen in deutschsprachigen Medien

ISBN: 978-3-89771-759-6
184 Seiten, 18 Euro
November 2011
Edition DISS Bd. 30

 

Am 22. Juli 2011 explodierte in Oslo eine Autobombe, die acht Menschen tötete. Wenig später tötete der gleiche Täter auf der Insel Utøya 69 junge Sozialdemokratinnen. Nach seiner Festnahme äußerte er antimuslimische und antimarxistische Ansichten. Die Autorinnen analysieren deutsche Medien unter dem Gesichtspunkt, wie dort dieses Ereignis eingeordnet wurde, ob und welche Diskursverschiebungen stattgefunden haben. Verschränkungen mit antimuslimischen Diskursen und deren der Extremismusbekämpfung werden besonders beachtet. Analysen zu der Reaktion extrem rechter Medien beleuchten Distanzierungen und Solidarisierungen.

Inhalt:

Bernard Schmid
Anders Behring Breiviks ›Manifest‹: Skizze einer Wahnideologie?

Jonas Bals
Ein neoliberaler Terrorist? Gedanken zum Massenmörder, Ayn Rand und unserer Fortschrittspartei

Sebastian Friedrich und Hannah Schultes
Der antimuslimische Diskurs in Deutschland

Astrid Hanisch
»Wirr nicht wir!«
Die Extremismustheorie am Beispiel der Exklusion Anders B. Breiviks aus der »Mitte der Gesellschaft«

Margarete Jäger / Ekaterina Jadschenko
Was, wenn sich der Kontext ändert? Die Anschläge in Norwegen zwischen islamistischem Terrorismus, Rechtsextremismus und Wahnsinn

Regina Wamper
»Nicht rechts, nicht links, nur böse«?
Die Berichterstattung hegemonialer Printmedien zu den Anschlägen in Norwegen

Sebastian Reinfeldt
Rechter Populismus: Eine hässliche Fratze Europas

Helmut Kellershohn
Die jungkonservative Neue Rechte im »Vorbürgerkrieg«

Marc Jacobsen
Abwehr und Angriff
Die Reaktionen in den extrem rechten Printmedien nach den
Anschlägen in Norwegen

Martin Dietzsch
Agent dunkler Mächte, Irrer oder einer von uns?
Die deutschsprachigen Hass-Blogs und die Anschläge von Oslo

 

Das Buch ist erhältlich in jeder guten Buchhandlung oder direkt beim Unrast-Verlag.

* Nachtrag 28.11.: Das Buch liegt jetzt gedruckt vor.

 

Fatale Effekte des V-Leute-Unwesens

Die Studie des DISS zu den V-Leuten in der NPD aus dem Jahr 2002 kam zu dem Schluß, es sei an der Zeit das V-Mann-Unwesen endlich vollständig zu beenden und die Geheimdienste der Bundesrepublik einer wirksamen demokratischen Kontrolle zu unterziehen. Sie warnte aber auch vor Verschwörungsmythen, die die Organisationen und die Gewalttäter der extremen Rechten zu bloßen Marionetten geheimdienstlicher Machenschaften umdeuten.

Wir präsentieren hier noch einmal Auszüge aus dem Fazit der damaligen Studie und plädieren dafür, auch im aktuellen Fall in Bezug auf Verschwörungsmythen einen kritischen, kühlen Kopf zu bewahren. Die vollständige Studie können Sie hier als PDF-Datei abrufen: V-Leute bei der NPD. Geführte Füh­rende oder Füh­rende Geführte?

 

Fatale Effekte

Das Thema V–Leute in Organisationen der extremen Rechten ist alles andere als neu. Wie wir bereits schilderten, erinnerten sich Frenz und Kameraden von der DRP anlässlich ihrer Kontaktaufnahme mit dem Verfassungsschutz daran, dass sich die NSDAP in den dreißiger Jahren V–Männern bediente, um die Parteikasse zu füllen. Diese Traditionslinie ließe sich noch weiter zurückverlängern. Auch Adolf Hitler begann seine politische Karriere als bezahlter V–Mann. Hitler besuchte im September 1919 mit Bespitzelungsauftrag eine Versammlung der Deutschen Arbeiterpartei (DAP), der Vorläuferorganisation der NSDAP, und er trat bald darauf mit Auftrag in die DAP ein. Die Geschichte der NSDAP begann also mit einem V–Mann. Übrigens hatte dieser V–Mann-Einsatz noch eine Schlusspointe, denn Hauptmann Karl Mayr, der damals ein Parteigänger der extremen konterrevolutionären Rechten war und Hitler ‚führte‘, wandelte sich später zum Kritiker Hitlers, trat dem sozialdemokratischen Reichsbanner bei, floh 1933 nach Frankreich, wurde später von den Nazis gefangen und starb 1945 im Konzentrationslager Buchenwald. So wurde er also von den langen Armen seines früheren politischen Ziehkindes eingeholt.

Die historisch belegte V–Mann-Verpflichtung Hitlers ist ein alarmierendes geschichtliches Beispiel für die V–Leute-Problematik insgesamt.

Es wäre aber schon sehr aberwitzig, daraus verschwörungsmythisch in einer platten historischen Analogie zu folgern, die damalige NSDAP und die heutige NPD seien willenlose Marionetten an den Fäden von allmächtigen Geheimdiensten gewesen. Erstens lassen sich Entstehung, Aufstieg und die spätere Politik von Krieg und Vernichtung der Nazis nicht auf einen geheimdienstlichen Auftrag reduzieren. Zweitens ist eine derart zurechtgestutzte historische Analogie nicht als Interpretationsfolie für die hier untersuchten Aktivitäten der V–Leute Frenz und Holtmann geeignet. Sie anzulegen reproduzierte nur die Selbstermächtigungs- und Größenfantasien von Frenz und Kameraden.

Den komplexen Prozessen von Kooperation und Konkurrenz innerhalb einer Partei wie der NPD, ihrer Entwicklung innerhalb der Parteienkonkurrenz mit REPs und DVU und der außerparlamentarischen Rechten und ihrem Durchsetzungsvermögen im Rahmen einer hochkomplexen Gesellschaft und eines pluralen politischen Systems wie denen der Bundesrepublik Deutschland wird ein derartiges Verständnis der Aktivitäten von V–Leuten in der NPD nicht gerecht. Es reduzierte völlig unzulässig die Komplexität sozialer und politischer Prozesse, während es gleichzeitig die Aktivitäten von V–Leuten ins schier Unmögliche aufbauschte.

Vor derartigen Interpretationen, die wir hier – zugegeben in ironischer Überspitzung, doch in Kenntnis dessen, was auf dem besinnungslosen „Sinn“-Markt so feil geboten wird – präventiv simulieren, sei ausdrücklich gewarnt.

Allerdings gehört die Produktion und Reproduktion verschwörungsmythischer Vorstellungen von Macht und Politik, die die gesellschaftlichen Akteure auf bloße Marionetten von hinter den Kulissen agierenden geheimen Mächten reduzieren, bereits zu den fatalen Effekten, die die V–Leute-Praxis zeitigt. Ihre einer Demokratie abträglichen Konsequenzen „Fatale Effekte des V-Leute-Unwesens“ weiterlesen

Zum Thema NPD-Verbot…

…ist längst alles geschrieben und längst alles gesagt, könnte man meinen. Hier ein Kommentar von DISS-Mitarbeiter Martin Dietzsch, der schon dreieinhalb Jahre alt ist, aber auch heute geschrieben worden sein könnte. Der Beitrag erschien zuerst am 21.4.2008 auf der Tagebuch-Seite von diegesellschafter.de.

 

Redaktioneller Vorspann von diegesellschafter.de:

Bei der Innenministerkonferenz in Bad Saarow hatte sich am Donnerstag geklärt, dass es wegen des Widerstands der Unions-Innenminister zunächst keinen neuen Anlauf für ein NPD-Verbot geben wird. Als Haupthindernis erwies sich, dass keine Einigung in der Frage der V-Männer innerhalb der NPD erzielt wurde, berichtet SPIEGEL ONLINE unter der Überschrift »Union würgt NPD-Debatte ab«. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble begründete die Ablehnung mit mangelnden Erfolgschancen eines Verbotsantrags. Gastkommentator Martin Dietzsch plädiert dafür, die Voraussetzung für einen erfolgreichen Verbotsantrag zu schaffen und die aus dem Ruder gelaufene V-Mann Praxis zu beenden.

 

Keine Partei wie jede andere

von Martin Dietzsch, Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung

Die Innenminister der Länder und des Bundes sind mehrheitlich gegen ein neues NPD-Verbotsverfahren. Das ist nicht überraschend, aber deshalb nicht weniger fatal. Die NPD ist keine Partei wie jede andere. Sie ist auch nicht einfach nur »verfassungsfeindlich«. Sie kombiniert eine geschlossene, menschenverachtende Weltanschauung mit Einschüchterung und Gewalt, und sie nutzt geschickt die Schwächen des demokratischen Staates aus.

Die von ihr ausgehende Gefahr wird immer noch unterschätzt. Es wächst so etwas heran, wie eine moderne NSDAP. Dass sie noch über keine talentierte Führerfigur verfügt und noch weit von den Schalthebeln der Macht entfernt ist, kann nur ein schwacher Trost sein.

Die NPD ist nicht nur verfassungsfeindlich, sondern verfassungswidrig, und man muss dem Bundesverfassungsgericht nur die Chance geben, dies auch in einem Urteil festzustellen. Ein solches Verbot würde das Problem des Rechtsextremismus nicht aus der Welt schaffen. Es würde aber einer auch im europäischen Vergleich ungewöhnlich gewalttätigen und radikalen Variante des Rechtsextremismus die Flügel stutzen und den staatlichen Schutz entziehen.

Erinnern wir uns. 2003 scheiterte der erste Anlauf zu einem NPD-Verbot vor dem Bundesverfassungsgericht. Die Klageschriften führten öffentlich zugängliche Quellen gegen die NPD ins Feld, vor allem Texte, die von der Partei selbst veröffentlicht worden waren. Die Chancen für ein Verbot wurden damals als sehr hoch eingeschätzt. Es stellte sich aber heraus, dass einiges aus diesem Belastungsmaterial von Autoren stammte, die über eine Nebeneinkunft beim Staat verfügten und dass dies dem Gericht vorsätzlich verschwiegen worden war. Das Bundesverfassungsgericht verlangte, ihm gegenüber in Sachen V-Leute mit offenen Karten zu spielen. Dazu war man nicht einmal ansatzweise bereit, und deshalb scheiterte das Verfahren.

Hier ist nicht von Geheimagenten, von verdeckten Ermittlern, oder von Aussteigern die Rede. V-Leute in der NPD und deren Umfeld sind Rechtsextremisten, die Rechtsextremisten bleiben, die die Organisation aktiv aufbauen und vorantreiben, und immer wieder kommt es vor, dass sie auch an schweren Straftaten beteiligt sind. Sie unterscheiden sich von ihren Kameraden nur durch eine kleine Nebeneinkunft. Sie liefern auf konspirativem Wege Spitzelberichte an ihren V-Mann-Führer. Die so erlangten Informationen haben zweifelhafte Qualität, werden von den konkurrierenden Geheimdiensten eifersüchtig gehütet, und sie sind so geheim, dass sie nicht zu einer wirksamen Bekämpfung der NPD verwendet werden können.

Die V-Mann-Dichte in der NPD ist sehr hoch. Jedes von der NPD produzierte Material könnte durch die Mitwirkung von V-Leuten »kontaminiert« sein. Man muss sich das einmal vorstellen: Bei den Bundesvorstandssitzungen der NPD kommen die V-Männer des Bundes und der Länder und der anderen Geheimdienste zusammen, die alle von einander nichts wissen, und schreiben eifrig Spitzelberichte über andere V-Männer. Und das Ganze nutzt der NPD mehr als es ihr schadet. Es sei nur daran erinnert, dass ein gewisser Adolf Hitler seine politische Karriere als V-Mann der Reichswehr begann.

Von einer Kontrolle oder Steuerung der NPD durch die Geheimdienste kann nicht die Rede sein, das gehört ins Reich der Verschwörungsmythen und wird am eifrigsten von der NPD selbst als Schutzbehauptung verwendet, wenn sich mal wieder einer der ihren bei einer schweren Straftat hat erwischen lassen.

Geheimdienste entwickeln immer ein gewisses Eigenleben und werden leicht zum Selbstzweck. Deshalb unterliegen sie auch der demokratischen Kontrolle. Das sollte in demokratischen Staaten jedenfalls so sein. Vielleicht fehlt es ja an tapferen Politikern, die diese unpopuläre Kontrollfunktion auch wirksam ausüben? Liebe Politiker, verschont uns bitte mit weiteren Verbotsdiskussionen, wenn Ihr nicht die den Mut habt, das V-Mann Unwesen einzuschränken!

So wird die NPD also weiter als das gelten, was sie nicht ist: als eine ganz normale Partei. Sie wird gefördert durch staatliche Parteienfinanzierung und V-Mann-Gehälter; Spenden sind steuerlich absetzbar. Sie bemüht die Gerichte, um Aufmärsche und Kundgebungen zu erzwingen und Kritiker mundtot zu machen. Aus Polizeiperspektive werden diejenigen zu »Störern«, die mit bewundernswerter Courage gewaltfrei Neonazi-Aufmärsche blockieren, um denen nicht den öffentlichen Raum zu überlassen. Schlagstöcke und Wasserwerfer gegen Demokraten, damit Neonazis marschieren können.

Herr Biedermann hat die Brandstifter wieder in seinem Dachstuhl einquartiert, und das einzige, was ihn stört, sind die nörgelnden Nachbarn, die etwas von »Feuergefahr« faseln.

V-Leute bei der NPD

Aus aktuellem Anlass machen wir die Studie „V-Leute bei der NPD: Geführte Führende oder Führende Geführte?“ wieder zugänglich, die 2002 im Zusammenhang mit dem NPD-Verbotsverfahren von den DISS-Mitarbeitern Martin Dietzsch und Alfred Schobert vorgelegt wurde. Der Text ist leider heute immer noch so aktuell wie damals.

Titelseite der DISS Studie V-Leute bei der NPD

Im August 2002 kamen die Autoren zu dem Schluss:

Eine Analyse der Aktivitäten der V–Leute Holtmann und Frenz ergibt, dass diese nicht als agents provocateurs innerhalb der NPD wirkten. Vollkommen unsinnig wäre es, sogar von einer Steuerung der NPD durch Geheimdienste zu sprechen. Vielmehr verkörperten die beiden exponierten NPD-Funktionäre den Typus des omnimodo facturus, d.h. es handelte sich um Personen, die man zu nichts anstiften kann, weil sie ohnehin zu allem bereit sind. Ihre Aktivitäten deckten sich nahtlos mit dem sonstigen Kurs der Partei, und sie genossen gerade wegen ihrer antisemitischen und rassistischen Hetze über Jahrzehnte das Vertrauen der Partei. Aus diesem Grund kann die V–Mann-Affäre nicht als Argument gegen das lange überfällige Verbot der NPD dienen.

Freilich wirft die Affäre ein düsteres Licht auf die Aktivitäten der Verfassungsschutzämter, insbesondere auf deren V–Mann-Praxis. Diese führte letztendlich dazu, die NPD zu stärken, statt sie zu schwächen, und sie erbrachte geheimdienstliche Informationen, die zuvor von der NPD-Führung gefiltert worden waren und deren Wert auch deshalb mehr als zweifelhaft gewesen sein dürfte.

Es stellt sich die Frage, ob es nicht an der Zeit ist, das V–Mann-Unwesen endlich vollständig zu beenden. Die Affäre ist ein Beleg dafür, dass sich die Geheimdienste der Bundesrepublik Deutschland einer wirksamen demokratischen Kontrolle erfolgreich entziehen.

Die komplette Studie V-Leute bei der NPD können Sie hier als PDF-Datei abrufen.

 

Wir bauen um!

Das Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung überarbeitet seine Internetauftritte – und damit auch das DISSkursiv-Blog. Wir bitten um Verständnis, dass es in den kommenden Tagen hier layoutmäßig etwas drunter und drüber geht. In spätestens einer Woche sollten wir den Umstellungprozess abgeschlossen haben. Zur Entschädigung gibt es dann ein aktuelleres, umfangreicheres und übersichtlicheres DISS-Online-Angebot.

DISS-Neuerscheinung: Im Griff der Medien

Der Sammelband „Im Griff der Medien“, der auf den Vorträgen des DISS-Colloquiums vom November 2010 basiert, ist ab sofort lieferbar und über jede gute Buchhandlung oder direkt beim Unrast-Verlag erhältlich.

Cover der DISS-Veröffentlichung "Im Griff der Medien" 2011Rolf van Raden &
Siegfried Jäger (Hg.)

Im Griff der Medien
Krisenproduktion und Subjektivierungseffekte

Unrast-Verlag (Münster)
Edition DISS Band 29

ISBN: 978-3-89771-758-9
240 Seiten, 24 Euro

Gegenwärtige Medienkritik thematisiert nicht nur den Einfluss von Medien auf politisch-soziale Diskurse sowie umgekehrt den Einfluss dieser Diskurse auf die Medien. Darüber hinaus spielt das, was in Medien gesagt werden kann, eine wichtige Rolle für das Wissen der Menschen, für ihre Selbstbilder und ihre Handlungsspielräume – kurz: für das, was die Sozialwissenschaft als Subjektivierung bezeichnet. Namhafte Wissenschaftlerinnen und Journalisten untersuchen das schwierige Verhältnis von medialer Öffentlichkeit und Massenbewusstsein. Die Beiträge widmen sich nicht nur klassischen Nachrichtenmedien, sondern auch Jugendzeitschriften, Ratgeberliteratur, ikonografischen Darstellungen und Computerspielen.

Inhalt:

Raden, Rolf van; Jäger, Siegfried, Einleitung, S. 5-16

Schimmeck, Tom, Medien, Macht und Meinungsmache. Situation und Funktion des Journalismus in der Krise, S. 17-42

Link, Jürgen, Zum Anteil des mediopolitischen Diskurses an der Normalisierung der Krise, S. 43-54

Friedrich, Sebastian; Schultes, Hannah, Alles nur Sarrazin? Rückblick auf eine LEID-Debatte, S. 55-75

Jäger, Margarete; Jäger, Siegfried, Krieg ohne Ende: Afghanistan und die Medien, S. 76-94

Zumach, Andreas, Gute Medien, böser Krieg? Die Rolle der Medien zur Schaffung und Stabilisierung von Kriegsbereitschaft, S. 95-103

Kunz, Thomas, Und ewig droht der jugendliche Ausländer. Zum Zusammenhang zwischen Fremdheitsbildern im Medium Jugendzeitschrift und Feindbildern im Sicherheitsdiskurs, S. 104-122

Girstmair, Stefanie; Hametner, Katharina; Wrbouschek, Markus; Weigl, Daniel, Orientalismus am Beispiel der Türkei. Zur medialen Inszenierung europäischer Identität in der österreichischen Tageszeitung Kurier, S. 123-133

Wamper, Regina, Notstandsproduktionen. Eine Überblicksanalyse, S. 134-150

Bublitz, Hannelore, Im Beichtstuhl der Medien, S. 151-164

Spilker, Niels, Übernehmen Sie selbst die Verantwortung, bleiben Sie am Ball! Selbsthilfe-Ratgeber als Medien einer neoliberalen Regierung der Arbeit, S. 165-178

Paul, Jobst, Von Gladiatoren, Grenzschützern und Collateral Murder. Zur psycho-sozialen Dynamik medialer Gewaltästhetik, S. 179-200

Senf, Jörg, Ende der Berlusconi-Ära? Deutungskämpfe und Sagbarkeitsfelder in den italienischen Medien, S. 201-222

Kuhn, Gabriel, Overcoming Fear. Überlegungen zu Widerstandsformen und Alternativen im Medienbereich, S. 223-232