Das DISS braucht Deine Hilfe!

Seit 1987 steht das Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung für kritische Wissenschaft. Seitdem wird im DISS unabhängig geforscht – zur extremen Rechten und ihrem völkischen Nationalismus, zu Rassismus, Antiziganismus, Antifeminismus und Antisemitismus, zu Diskurstheorie, Demokratietheorie und Technologie.

Einige kennen uns, weil wir die Kritische Diskursanalyse (KDA) entwickelt und durch zahllose Workshops und Seminare diese Methode der qualitativen Sozialforschung vermittelt haben.

Anderen ist das DISS ein Begriff durch unsere Analysen zu den rassistischen Ausschreitungen Anfang der 1990er Jahre oder unsere stetige Beobachtung des medialen Migrations- und Fluchtdiskurses.

Wieder anderen mögen unsere Untersuchungen zur Extremen und Neuen Rechten bekannt sein oder unser Archiv zu rechtsextremer Publizistik. Zu all diesen Themen halten wir Vorträge, veranstalten Kolloquien, schreiben Texte, die wir auch in unserer Institutszeitschrift DISS-Journal veröffentlichen, und Bücher, die in der Edition DISS im Unrast Verlag erscheinen.

Das DISS ist als freies Institut ein gemeinnütziger Verein, also nicht universitätsgebunden und somit finanziell abhängig von Spendengeldern und Projekten, die wir an unterschiedlichen Stellen beantragen, aber auch vom Ehrenamt vieler Mitarbeiter_innen.

Seit einigen Jahren wird die Projektakquise jedoch immer schwieriger, sodass wir uns heute in einer ernsten finanziellen Notlage befinden, nachdem uns ein größeres Projekt unerwartet nicht bewilligt wurde.

Unsere Arbeit ist heute noch wichtiger als 1987. Daher bitten wir um Spenden in Form von Fördermitgliedschaften, Einzelspenden oder Daueraufträgen bzw. darum, bereits bestehende Förderbeiträge zu erhöhen.

www.diss-duisburg.de/foerderkreis

In der Hoffnung auf Dein Verständnis und Deine finanzielle Unterstützung.
Das DISS-Team

 

Sparkasse Duisburg IBAN: DE33 3505 0000 0209 0116 67 BIC: DUISDE33XXX


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Essen stellt sich quer – DISS auf dem Markt der Möglichkeiten

Markt der Möglichkeiten

🌟 Zeig‘ Gesicht und dein Engagement für Demokratie, Vielfalt und Toleranz! 🌟

Am Samstag 29.06.2024 will die AfD ihren Bundesparteitag in Essen abhalten. Dass DISS wird beim Protest dagegen dabei sein mit einem Bücher- und Infostand auf dem Markt der Möglichkeiten:

📅 Datum: 29.06.2024
🕙 Uhrzeit: ab 13:00 Uhr  (Aufbau bis 12:00 Uhr)
🏢 Ort: Messeparkplatz P2 Essen -> Stand in Google Maps
DISS-Stand = Nr. 49 52

-> Markt der Möglichkeiten

-> Überblick über alle Protestformen (28.6.-30.6.)

-> Infos bei Essen stellt sich quer

-> Infos von Widersetzen

8 Thesen zur Verteidigung der Migrationsgesellschaft

Die bundesweiten Proteste gegen die AfD im Anschluss an die Correctiv-Recherche über die Deportationspläne von AfD, Werteunion und anderen, sind ein Hoffnungsschimmer: Die Gesellschaft mag die zunehmende Rechtsverschiebung in Deutschland nicht hinnehmen.

Dennoch waren die Demonstrationen großteils von einer weißen bürgerlichen Mitte getragen und auch die Parteien der Ampel-Regierung mischen sich empört unter die Protestierenden. Während sie sich selbst als „Brandmauer gegen rechts“ verstehen, tragen sie erheblich zur rassistischen Stimmung im Land und zur Verschärfung der Migrationsgesetzgebung in Deutschland und Europa bei. So verabschiedeten sie beispielsweise direkt nach ihrer scheinheiligen Verurteilung der Deportationspläne der AfD das sogenannte „Rückführungsverbesserungs-Gesetz“ im Bundestag.

Was es braucht ist eine starke antirassistische Bewegung, die sich jeglicher Form von Ausgrenzung, Ungleichbehandlung, Haft- und Abschiebepolitiken entgegenstellt.

Das DISS teilt deshalb die 8 Thesen zur Migrationsgesellschaft:

 

1 Ohne Migration gibt es keine Gesellschaft

Wir leben in einer Migrationsgesellschaft, in der sich nicht zwischen einer vermeintlich „einheimischen“ und „fremden“ Bevölkerung unterscheiden lässt. Migration gab es schon immer und wird es auch in Zukunft geben. Ohne Migration gäbe es keine Gesellschaft. Migration ist also nicht, wie Ex-Innenminister Horst Seehofer behauptete, die „Mutter aller Probleme“, sondern wenn, dann die „Mutter aller Gesellschaften“. Migration bedeutet keinen Kontrollverlust, sondern ist unsere Realität.

Teil dieser Realität ist heute wie früher, dass Menschen auch gegen ihren Willen zur Flucht gezwungen werden. Durch gewaltsame Verschleppung und Vertreibung, als Resultat von Kriegen und Konflikten sowie Ausbeutung. Vieles davon sind Auswirkungen der imperialen Lebensweise des globalen Nordens – darunter die Klimakrise, die mehr und mehr Orte auf dem Planeten unbewohnbar macht.

Vertreibung verhindern heißt, politisch für globale Gerechtigkeit zu kämpfen. Gleichzeitig müssen wir Menschen Schutz gewähren und Migration ermöglichen, denn nur so kann eine plurale Gesellschaft bestehen und lebendig bleiben. Lasst uns gemeinsam Bedingungen schaffen, die der Gesellschaft und allen Individuen ermöglichen, sich zu entfalten. Lasst uns die Gesellschaft der Vielen immer wieder neugestalten.

2 Wir haben kein Migrationsproblem, es geht um die soziale Frage

Wachsende soziale Ungleichheiten, prekäre Arbeitsverhältnisse, Wohnungsnot und mangelnde Infrastruktur betreffen große Teile der Gesellschaft – hierzulande und global. Ihre Ursachen liegen, unter anderem, in der extrem ungleichen Verteilung von Wohlstand, in vernachlässigter Sozialpolitik und chronischer Unterfinanzierung der Kommunen.

Wir stellen uns gegen die Verkehrung von Ursache und Wirkung. Nicht Migration, sondern eine politisch geschaffene soziale Ungleichheit ist die Hauptursache der Krise in Bereichen wie Wohnen, Schule und Sozialpolitik. Es gibt zahlreiche gesellschaftliche Stellschrauben, an denen gedreht werden kann, um soziale Ungleichheit zu bekämpfen und Angebote für alle Menschen zu schaffen. Doch die gegenwärtige Politik rennt in die falsche Richtung.

Die sogenannte „Zeitenwende“ in der Außen- und Sicherheitspolitik sehen wir nicht als Lösung der multiplen Krisen, sondern als Gefahr, globale Krisen weiter anzuheizen und neue Fluchtursachen zu schaffen. Die Aufrüstungspolitik droht von massiven Einsparungen in den Bereichen Soziales, Klima- und Bildungspolitik sowie Katastrophenschutz und Entwicklungszusammenarbeit begleitet zu werden. Lasst uns die zugrunde liegenden Probleme verstehen und Lösungen finden, anstatt andere Menschen zu Sündenböcken zu machen!

3 Migration zum Problem zu erklären fördert rechte Ideologie

Entrechtung und Abschottung verhindern den gesellschaftlichen Rechtsruck nicht, sondern befeuern ihn. Weder Haftlager an den Außengrenzen noch Deals mit sogenannten „Drittstaaten” reduzieren, wie ihre Verfechter:innen behaupten, die Zahl der Flüchtenden und Toten an unseren Außengrenzen. Genauso wenig verhindern sie die autoritäre Verschiebung innerhalb Europas – ganz im Gegenteil!

Das Erstarken faschistischer Ideologien zeugt vom Versagen, adäquate und demokratische Antworten auf die vielfältigen Herausforderungen unserer Zeit zu finden. Populistische Versprechen, „einfache Lösungen“ und das Spiel mit Stereotypen sind Wasser auf die Mühlen antidemokratischer Kräfte. Erst wenn wir die Grundannahme, Migration sei eine Gefahr für die Gesellschaft, entkräften, können wir rechten Ideologien den Wind aus den Segeln nehmen und an Lösungen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt arbeiten. Nicht Migration ist das Problem, sondern die Zunahme autoritärer und menschenfeindlicher Haltungen.

Um die Gefahr des Faschismus effektiv zu bannen, gibt es verschiedene Wege: Es braucht eine Stärkung von Vielfalt, sozialer Teilhabe und politischer Bildungsarbeit. Gleichzeitig bedarf es einer Null-Toleranz-Politik gegenüber menschenfeindlichen Äußerungen und Ideologien und einer klaren Kante gegen rechts. Rechte Politik steht für Ausgrenzung und Entrechtung – sie lässt sich nicht mit Ausgrenzung und Entrechtung bekämpfen.

4 Die Entrechtung einzelner Gruppen ist nur der Anfang – es gibt kein Menschenrecht light

Deutsche und europäische Politik tragen maßgeblich Verantwortung für massive Verletzungen der Menschen[1]würde inner- und außerhalb der EU-Grenzen. Die Gewalt, die sich an den europäischen Außengrenzen abspielt, rückt gleichzeitig immer weiter ins Innere: Rechtsstaatliche Prinzipien werden ausgehebelt, Presse- und Meinungsfreiheit werden beschränkt, solidarische Unterstützung behindert oder kriminalisiert, menschliche Not ignoriert und Gewalt rationalisiert oder verschleiert.

Die Geschichte lehrt uns, dass Ausgrenzung und Entrechtung nicht bei einzelnen Gruppen stehen bleibt. Der Entzug von Grundrechten und das Schüren rassistischer und antisemitischer Ressentiments führt zu einem innergesellschaftlichen Autoritarismus und dem Erstarken rechter Bewegungen, so wie wir es gegenwärtig in Deutschland und großen Teilen Europas beobachten können. Die Ausgrenzung wird sich nicht nur gegen Minderheiten und marginalisierte Gruppen richten, sondern langfristig die Freiheit aller einschränken. Menschenrechte sind universell und unteilbar. Die einzige Antwort auf die Spaltung der Gesellschaft und politische Rechtsverschiebung kann und muss Solidarität heißen!

5 Auch die Ampel-Regierung bereitet den Weg für den gesellschaftlichen Rechtsruck

Auch wenn die Ampel-Fraktionen sich als Teil der Brandmauer verstehen und wir sie dafür bräuchten, trägt ihr politisches Handeln und ihre Rhetorik de facto zum gesellschaftlichen Rechtsruck bei. Das Erstarken rechter Ideologien kann nicht dadurch bekämpft werden, dass man sich auf Kosten grundlegender Menschenrechte deren Forderungen annähert. Doch die Ampel-Koalition tut genau dies und bietet dadurch zusätzlichen Nährboden für rechte Erzählungen. Die CDU/CSU fordert gleich die grundsätzliche Abschaffung des Asylrechts in Deutschland, während sie sich ebenfalls zur Brandmauer gegen die AfD erklärt.

Durch die Zustimmung zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems riskiert die Ampel-Koalition heute schon die de facto Abschaffung des Asylrechts auf europäischer Ebene. Auf nationaler Ebene fördert sie Inhaftierungs- und Abschiebepolitik, wie beispielsweise das Rückführungs-Verbesserungsgesetz, das kurz nach der Enthüllung der AfD-Deportationspläne vom Bundestag verabschiedet wurde.

Solange die Ampel das Signal sendet, dass Abschottung für sie über dem Schutz der Menschenrechte steht und dafür auch Flucht kriminalisiert wird, macht sie sich für den Rechtsruck mit verantwortlich. Stattdessen brauchen wir ein starkes und unumstößliches Bekenntnis der Regierung zur Allgemeingültigkeit der Menschenrechte – gerade gegenüber geflüchteten Menschen.

6 Das Recht, Asyl zu suchen ist kein Gnadenrecht

Asyl ist ein Grundrecht. Das Recht, Asyl zu suchen, ist im Völker- und Europarecht tief verankert: Es ergibt sich aus Art. 14 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sowie aus der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Daneben steht das Recht geflüchteter Menschen auf Schutz vor Verfolgung, welches unter anderem in der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention festgehalten ist.

Diese völkerrechtlichen Verträge und die Grundrechte-Charta der EU sind für Deutschland bindend. Zugang zum Asylsystem sicherzustellen und Schutz zu gewähren ist kein humanitärer Gnadenakt, sondern eine zwingende Verpflichtung gegenüber Geflüchteten. Wenn Menschen an den EU-Außengrenzen um Schutz ersuchen und ihnen daraufhin Zugang zu den Asylsystemen gewährt wird, ist das also kein Kontrollverlust, sondern entspricht schlicht den geltenden Verträgen. Das Recht, spontan Asyl zu suchen, lässt sich auch nicht durch Programme der freiwilligen Aufnahme, Deals für Fachkräfte-Einwanderung oder ins Ausland ausgelagerte Verfahren zur Asylantragstellung ersetzen.

7 Entrechtung und Spaltung geht auf Kosten der Gesellschaft

Die Entrechtung von Menschen löst keine sozialen Probleme, sondern kreiert zahlreiche Folgeprobleme für alle. Abschottung, Abschiebungen, Arbeitsverbote und die erzwungene Unterbringung in Sammelunterkünften hindern Menschen daran, einen sinnvollen Anschluss an ihre neue Umgebung zu finden – und kosten zusätzlich Milliarden. Dieses Geld ließe sich besser ausgeben: für die Unterstützung beim Ankommen und für Strukturen in den Gemeinden und Kommunen.

In den Debatten um Migration fahren wir in Deutschland zweigleisig: Fachkräfte? Ja! Schutzsuchende? Nein! Das unwürdige Spalten in „nützliche“ und „nicht nützliche“ Menschen und ihre Illegalisierung aufgrund vermeintlich „falscher“ Migrationsmotive muss ein Ende haben. Wenn Deutschland für Einwanderung attraktiv sein soll, müssen wir an den Kern: die Abwertung von Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder ihres Aussehens beenden.

Auch die Unterbringung in Lagern und das Schwanken zwischen Arbeitsverbot und Arbeitszwang muss aufhören. Stattdessen muss allen Menschen ein geregelter und fairer Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglicht werden, ebenso wie zu anderen Gütern der sozialen Grundsicherung – anstatt sie mit Bezahlkarten abzuspeisen. Auch die Ausgrenzung aus der gesundheitlichen Regelversorgung schadet letztlich allen Steuerzahler:innen, weil Krankheiten nicht rechtzeitig behandelt werden und unter Umständen chronisch werden. Hören wir auf, die Benachteiligung verschiedener Gruppen gegeneinander auszuspielen und Isolierung, Ausgrenzungen und künstliche Abhängigkeiten zu schaffen. Wir wollen ein selbstbestimmtes Leben für alle!

8 Den strukturellen Rassismus überwinden – Menschenrechte und Solidarität sind unteilbar

Rassistische Denkmuster sind tief in die europäische Gesellschaft eingeschrieben. Das Ergebnis ist struktureller Rassismus, der in vielen Bereichen wie Bildung, Arbeitsmarktzugang, Gesundheitsversorgung und Wohnungssuche Gleichbehandlung verhindert. Für Menschen, die nicht weiß sind, denen eine bestimmte religiöse Zugehörigkeit zugeschrieben wird, Menschen mit Behinderung und Menschen, die nicht der klassischen Geschlechternorm entsprechen, ist das Leben von ständiger Diskriminierung geprägt. Sich des eigenen Rassismus und der eigenen Vorurteile bewusst zu werden, ist der erste Schritt, diese zu überwinden. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, der wir uns gemeinsam stellen müssen.

In aktuellen Debatten zum Thema Flucht und Migration wird jegliche Menschlichkeit und Rationalität fallen gelassen. Wir akzeptieren Bilder von Toten an unseren Außengrenzen, wir akzeptieren, dass Sozialleistungen für Geflüchtete das gesetzlich festgelegte Minimum unterschreiten, wir akzeptieren, dass manchen Gruppen fundamentale Rechte abgesprochen werden. Angeblich „sichere“ Grenzen werden mit einem Maß an Zwang und Gewalt erkauft, das letztlich die Freiheit aller gefährdet. Denn Menschenrechte verlieren ihre Wertigkeit, wenn sie nicht für alle gleichermaßen gelten. Die Rechte Geflüchteter sind somit unser aller Rechte. Lasst uns gemeinsam für sie einstehen!

Unsere Solidarität ist und bleibt unteilbar!

-> Flyer als Download bei medico international

 

Antifaschistische Plattform zur Verteidigung der Migrationsgesellschaft

Die Plattform ist ein bundesweiter Zusammenschluss von Gruppen, Organisationen und Einzelpersonen aus der kritischen Migrationsforschung, der antirassistischen Arbeit und der Menschenrechtsbewegung. Wir haben uns angesichts des gesellschaftlichen Rechtsrucks zusammengefunden. Antifaschismus ist eine Notwendigkeit und Migration Realität der demokratischen Gesellschaft. Ihre Verteidigung ist unser Anliegen.

Wer mit der Plattform ins Gespräch kommen, eine Veranstaltung organisieren oder mehr Flyer zum Verteilen haben möchte:

kontakt-plattform@posteo.de

Jürgen Link im Gespräch mit Denise M’Baye und Sebastian Friedrich

NDR Kultur

Was ist normal? Mit Jürgen Link und Michel Foucault

Tee mit Warum – Die Philosophie und wir

16.05.2024 · 42 Min.

-> Podcast abspielen (ARD Mediathek)

Welche Parameter nutzt eine Gesellschaft, um sich auf den Richtwert für das „Normale“ zu einigen? Wann und wie werden sogenannte Standards festgelegt und schließlich zur Norm? Wer ist dazu befugt? Wer hat die Macht dazu? Fragen, die seit Jahrzehnten Jürgen Link beschäftigen. In seinen Büchern „Versuch über den Normalismus. Wie Normalität produziert wird“ oder „Normalismus und Antagonismus in der Postmoderne. Krise, New Normal, Populismus“ hat der Literaturwissenschaftler wegweisende Richtungen für die gesellschaftliche Debatte vorgelegt.

Denise M’Baye und Sebastian Friedrich gehen mit Jürgen Link in die Diskussion, loten das Spannungsfeld aus zwischen „Protonormalismus“ und „flexiblem Normalismus“ und befragen Michel Foucault, der in seiner Philosophie die „Macht der Norm“ historisch und gesellschaftlich analysiert hat.

Redaktion: Juliane Bergmann, Claudia Christophersen

 

Literatur:

  • Jürgen Link: „Normalismus und Antagonismus in der Postmoderne. Krise, New Normal, Populismus“. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2018, 439 Seiten
  • Jürgen Link: „Versuch über den Normalismus. Wie Normalität produziert wird“. Westdeutscher Verlag, [in mehreren Auflagen, zuletzt] 2006, 449 Seiten
  • Michael Foucault: „Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses“. Aus dem Französischen von Walter Seiter, dt.: 1976. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1993, 396 Seiten

Die Verfolgung der Duisburger Sinti in der NS-Zeit

Ausstellung in der Salvatorkirche Duisburg, Burgplatz 19, 47051 Duisburg
Eröffnung mit einem Gottesdienst am So, 28.1., 16 Uhr
Dann 28.1.2024 – 11.2.2024 zu den Öffnungszeiten der Kirche: Di-Sa 10-17 Uhr, So 9-13 Uhr. Mo geschlossen

Unter der Überschrift „Die Verfolgung der Duisburger Sinti in der NS-Zeit“ eröffnet am Sonntag, dem 28. Januar, um 16.00 Uhr mit einem Gottesdienst eine Ausstellung über die Ausgrenzung und Entrechtung der Minderheit der Roma und Sinti im Nationalsozialismus bis hin zu ihrer systematischen Vernichtung im besetzten Europa. In der Salvatorkirche werden sechs Tafeln zu Duisburger Sinti-Biografien gezeigt, die als Ergänzung zu einer Wanderausstellung des Dokumentations- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma vom Zentrum für Erinnerungskultur erarbeitet wurden.
Es ist der „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“ an dem es Jahr um Jahr wichtig ist zu erinnern und zu mahnen. Die Aktualität wird darin deutlich, dass wir uns gerade in diesem vergehenden Jahr neu mit dem latent lauernden Antisemitismus und Rassismus auseinandersetzen müssen, was klare Antworten braucht.
Die Ausstellung machte die zerstörten persönlichen Lebenswege hinter den abstrakten Dokumenten der bürokratisch organisierten Vernichtung sichtbar. Neben der unvorstellbaren Verfolgung und Vernichtung von Menschen jüdischen Glaubens, waren auch Homosexuelle, Kommunisten und politisch Andersdenkende, sowie eben auch Roma und Sinti der Verfolgung ausgesetzt. Historische Familienfotos geben wiederum Einblicke in ihre Lebenswirklichkeit und lassen sie als Menschen, die unter uns ihr Leben lebten, hervortreten – bis sie durch Ausgrenzung, Verfolgung und Ermordung herausgerissen wurden.

Die Ausstellung wird bis zum 11. Februar in der Salvatorkirche zu den üblichen Öffnungszeiten zu sehen sein.

Eröffnunggottesdienst am So, 28.1., 16 Uhr:

Gottesdienst zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus (Pfarrerin Süselbeck mit Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Duisburg-Mülheim-Oberhausen e.V., Schüler*innen des Landfermann-Gymnasiums, Kirchenkreis und kath. Gemeinde).

-> https://salvatorkirche.de/

»Kriminalität wird ethnisiert«

nd, 25.7.2023, S. 4

Benno Nothardt über das »Feindbild junger muslimischer Mann« und sinnvolle Integrationsstrategien

• Interview: David Bieber

Vielfach hört man, wir hätten in unserer Gesellschaft ein Problem mit jungen muslimischen Männern. Sie widersprechen …

Unser Institut hat schon 2015 beobachtet, dass das Feindbild »junger muslimischer Mann« in den Medien eine wichtige Funktion für das Kippen von der Willkommenskultur in eine Notstandstimmung hatte. Besonders deutlich wurde das bei der Debatte über sexualisierte Übergriffe in der Silvesternacht von 2015 auf 2016 in Köln. Um die Wirkung dieser Zuschreibung zu verstehen, hilft der Begriff Ethnisierung von Sexismus, den Margret Jäger schon vor mehr als 25 Jahren erarbeitete. Gemeint ist damit, dass patriarchales Verhalten oder sexualisierte Gewalt als ethnisches Merkmal beziehungsweise typisch muslimisches Verhalten konstruiert und zugeschrieben wird. In den zurückliegenden Jahren gewinnt die ähnlich strukturierte Ethnisierung von Kriminalität an Bedeutung, etwa in der Debatte über die Ausschreitungen der vergangenen Silvesternacht. Solche Zuschreibungen erklären nichts, sondern verorten Gewalt in einer Gruppe, die man somit ausgrenzen kann. Sie sind aber auch schmerzhaft für junge Männer, die aufgrund ihres Aussehens ständig befürchten müssen, als potenzielle Vergewaltiger oder Gewalttäter behandelt zu werden. Nicht junge muslimische Männer sind das Problem, sondern vielmehr, dass ihnen problematische Eigenschaften zugeschrieben werden, die es auch in anderen Teilen unserer Gesellschaft gibt.

Wie würde man es schaffen, diese jungen Männer besser zu integrieren und welche Fehler haben Staat und Behörden in Deutschland bisher gemacht?

Als Diskursanalytiker*innen können wir keine Integrationskonzepte erstellen oder anordnen. Aber wir können zeigen, wie ausgrenzende Zuschreibungen und aufgeheizte Debatten gerade die Menschen treffen, die sowieso schon unter Ausbeutung und Segregation im ungezügelten Kapitalismus leiden. Und wir können zeigen, wie problematisch es ist, wenn eben muslimische junge Männer nicht als Teil unserer Gesellschaft gesehen werden, also als Teil eines »Wir«, sondern per se als Delinquenten. Insofern ist es wichtig, mit Communitys und Personen direkt zu sprechen und nicht über sie, denn ihre Perspektive muss maßgeblich sein. In diese Richtung gehen Konzepte partizipativer Sozialarbeit, die ihr Gegenüber als politische Akteure ernst nehmen und sie vor allem auch darin bestärken, für ihre Rechte und Anliegen einzutreten.

Wie beurteilt Ihr Institut die mediale Berichterstattung über die sogenannten Silvester-unruhen oder aktuell über Schlägereien in Freibädern?

Ein Projektteam im DISS hat zumindest zu Silvester 2022/2023 eine kleine Medienuntersuchung gemacht. Dabei wurde deutlich, dass die Ereignisse hauptsächlich als Anlass für darüber hinausgehende politische Forderungen genommen wurden. In den Darstellungen von »Bild« bekommt man den Eindruck, es herrschten kriegsähnliche Zustände. Und »Bild« und »Frankfurter Allgemeine« glorifizierten angegriffene Polizei- und Rettungskräfte. Beide Medien ethnisieren Kriminalität und betonen eine Wertedifferenz zwischen einer angeblich kriminellen muslimischen Minderheit und einer vermeintlich unschuldigen Mehrheit der Gesellschaft. Als Konsequenz daraus werden in der »FAZ« schnellere oder härtere Strafen gefordert, während »Bild« die Abschiebung krimineller Migrant*innen fordert. Die Debatte in beiden Zeitungen war rassistisch aufgeheizt. Die »Taz« hingegen kritisiert diesen Rassismus und benennt in zwei Kommentaren auch unangemessenes Polizeiverhalten als mögliche Ursache für die Ereignisse. Trotzdem wird auch hier neben sozialen Maßnahmen vor allem ein restriktives Vorgehen seitens der Polizei und direkte Bestrafung gefordert. Dabei wird übersehen, dass dies häufig Auswirkungen auf Menschen hat, die als migrantisch wahrgenommen werden, etwa durch Racial Profiling.

Vor allem in konservativen Kreisen wird beklagt, sobald man unangenehme Wahrheiten anspreche, werde der Rassismusvorwurf erhoben – und als Totschlag-Argument genutzt. Wie sehen Sie das?

Es handelt sich dabei um einen Abwehrmechanismus: Kritik an rassistischen Strukturen wird umgedeutet als angebliches Sprechverbot, gegen das man sich dann wehrt. Außerdem wird unterstellt, die Debatte über die angeblich wahren Probleme solle so unterbunden werden. Doch das ergibt nur Sinn, wenn man davon ausgeht, dass die wahren Probleme Migration und Islam sind und nicht etwa Rassismus, soziale Ungerechtigkeit oder patriarchale Strukturen.

Was sollten Redaktionen tun, um Gewalt in ihrer Berichterstattung nicht zu stark zu ethnisieren?

Es ist schon viel erreicht, wenn Journalist*innen eventuell auch ungewollte rassistische Effekte reflektieren. Wenn man an die Asyldebatte der 1990er Jahre und die Diskurse zum Brandanschlag in Solingen 1993 oder über die Pogrome in Rostock-Lichtenhagen zurück-denkt, kann man sagen, dass die Sensibilität bei einem Teil der Journalist*innen deutlich gestiegen ist. Allerdings fällt bei der Silvesterdebatte auf, dass linke Medien zwar benennen, dass rassistische Strukturen ein zentrales Problem sind, dann aber doch restriktive Maßnahmen statt besserer sozialer und antirassistischer Konzepte fordern. Es lohnt sich auch, darauf zu achten, welche »Wir«- und »Fremd«-Gruppen in Zeitungstexten konstruiert werden. Ob die Grenze zwischen Christ*innen und Muslim*innen, rechtschaffenen Bürger*innen und Kriminellen oder Erwachsenen und delinquenten Jugendlichen gezogen wird: Es kommt in allen Fällen zur Konstruktion eines ausgrenzenden »Wir«. Das zu reflektieren ist aber nur die halbe Miete. Außerdem sollten Redaktionen möglichst plural besetzt sein, es sollte häufig Gastbeiträge und Reportagen geben, in denen auch Menschen zu Wort kommen, die von Ethnisierung betroffen sind.

Benno Nothardt engagiert sich ehrenamtlich im Arbeitskreis Migration des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS). Das vor 35 Jahren gegründete Institut forscht zu gesellschaftlich relevanten Themen wie Rechtsextremismus, Migration, Geschlechterdiskurse, Antisemitismus und Rassismus gegen Sinti*zze und Rom*nja.


online veröffentlicht 24.7.2023: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1174992.feindbild-muslime-kriminalitaet-wird-ethnisiert.html
zugleich in der Printausgabe des Neuen Deutschland (nd), 25.7.2023, S. 4

»Von der Wiege bis zur Bahre«

Neu in der Edition DISS beim Unrast-Verlag:

Rebecca Folke:
»Von der Wiege bis zur Bahre«
Kindeswohlgefährdung im völkisch-neonazistischen Spektrum

ISBN 978-3-89771-781-7 | 128 Seiten | Edition DISS, Bd. 51 | 16,00 Euro

Seit den 1950er Jahren werden Kinder und Jugendliche in einem spezifischen Teil der organisierten neonazistischen Szene in der BRD in völkisch-nationalistischen und neonazistischen Jugendbünden erzogen. Dennoch war diese Form der institutionalisierten Erziehung bisher nicht Gegenstand erziehungswissenschaftlicher Forschung. Unter dem Pseudonym Rebecca Folke liefert die Autorin nun eine erste systematische Untersuchung der innerorganisationalen Sozialisationsbedingungen eines solchen Jugendbundes, der Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ). Zwar wurde die HDJ 2009 aufgrund ihrer Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus verboten, doch steht sie bis heute exemplarisch für diese spezifische Form institutionalisierter völkischer Erziehung. In ihrer Untersuchung beleuchtet die Autorin insbesondere den Aspekt der Kindeswohlgefährdung. Sie zeigt auf, dass die Grundrechte von Kindern und Jugendlichen in diesem Spektrum systematisch verletzt werden und diskutiert in ihrem Fazit Implikationen für die erziehungswissenschaftliche Forschung und Praxis.