8 Thesen zur Verteidigung der Migrationsgesellschaft

Die bundesweiten Proteste gegen die AfD im Anschluss an die Correctiv-Recherche über die Deportationspläne von AfD, Werteunion und anderen, sind ein Hoffnungsschimmer: Die Gesellschaft mag die zunehmende Rechtsverschiebung in Deutschland nicht hinnehmen.

Dennoch waren die Demonstrationen großteils von einer weißen bürgerlichen Mitte getragen und auch die Parteien der Ampel-Regierung mischen sich empört unter die Protestierenden. Während sie sich selbst als „Brandmauer gegen rechts“ verstehen, tragen sie erheblich zur rassistischen Stimmung im Land und zur Verschärfung der Migrationsgesetzgebung in Deutschland und Europa bei. So verabschiedeten sie beispielsweise direkt nach ihrer scheinheiligen Verurteilung der Deportationspläne der AfD das sogenannte „Rückführungsverbesserungs-Gesetz“ im Bundestag.

Was es braucht ist eine starke antirassistische Bewegung, die sich jeglicher Form von Ausgrenzung, Ungleichbehandlung, Haft- und Abschiebepolitiken entgegenstellt.

Das DISS teilt deshalb die 8 Thesen zur Migrationsgesellschaft:

 

1 Ohne Migration gibt es keine Gesellschaft

Wir leben in einer Migrationsgesellschaft, in der sich nicht zwischen einer vermeintlich „einheimischen“ und „fremden“ Bevölkerung unterscheiden lässt. Migration gab es schon immer und wird es auch in Zukunft geben. Ohne Migration gäbe es keine Gesellschaft. Migration ist also nicht, wie Ex-Innenminister Horst Seehofer behauptete, die „Mutter aller Probleme“, sondern wenn, dann die „Mutter aller Gesellschaften“. Migration bedeutet keinen Kontrollverlust, sondern ist unsere Realität.

Teil dieser Realität ist heute wie früher, dass Menschen auch gegen ihren Willen zur Flucht gezwungen werden. Durch gewaltsame Verschleppung und Vertreibung, als Resultat von Kriegen und Konflikten sowie Ausbeutung. Vieles davon sind Auswirkungen der imperialen Lebensweise des globalen Nordens – darunter die Klimakrise, die mehr und mehr Orte auf dem Planeten unbewohnbar macht.

Vertreibung verhindern heißt, politisch für globale Gerechtigkeit zu kämpfen. Gleichzeitig müssen wir Menschen Schutz gewähren und Migration ermöglichen, denn nur so kann eine plurale Gesellschaft bestehen und lebendig bleiben. Lasst uns gemeinsam Bedingungen schaffen, die der Gesellschaft und allen Individuen ermöglichen, sich zu entfalten. Lasst uns die Gesellschaft der Vielen immer wieder neugestalten.

2 Wir haben kein Migrationsproblem, es geht um die soziale Frage

Wachsende soziale Ungleichheiten, prekäre Arbeitsverhältnisse, Wohnungsnot und mangelnde Infrastruktur betreffen große Teile der Gesellschaft – hierzulande und global. Ihre Ursachen liegen, unter anderem, in der extrem ungleichen Verteilung von Wohlstand, in vernachlässigter Sozialpolitik und chronischer Unterfinanzierung der Kommunen.

Wir stellen uns gegen die Verkehrung von Ursache und Wirkung. Nicht Migration, sondern eine politisch geschaffene soziale Ungleichheit ist die Hauptursache der Krise in Bereichen wie Wohnen, Schule und Sozialpolitik. Es gibt zahlreiche gesellschaftliche Stellschrauben, an denen gedreht werden kann, um soziale Ungleichheit zu bekämpfen und Angebote für alle Menschen zu schaffen. Doch die gegenwärtige Politik rennt in die falsche Richtung.

Die sogenannte „Zeitenwende“ in der Außen- und Sicherheitspolitik sehen wir nicht als Lösung der multiplen Krisen, sondern als Gefahr, globale Krisen weiter anzuheizen und neue Fluchtursachen zu schaffen. Die Aufrüstungspolitik droht von massiven Einsparungen in den Bereichen Soziales, Klima- und Bildungspolitik sowie Katastrophenschutz und Entwicklungszusammenarbeit begleitet zu werden. Lasst uns die zugrunde liegenden Probleme verstehen und Lösungen finden, anstatt andere Menschen zu Sündenböcken zu machen!

3 Migration zum Problem zu erklären fördert rechte Ideologie

Entrechtung und Abschottung verhindern den gesellschaftlichen Rechtsruck nicht, sondern befeuern ihn. Weder Haftlager an den Außengrenzen noch Deals mit sogenannten „Drittstaaten” reduzieren, wie ihre Verfechter:innen behaupten, die Zahl der Flüchtenden und Toten an unseren Außengrenzen. Genauso wenig verhindern sie die autoritäre Verschiebung innerhalb Europas – ganz im Gegenteil!

Das Erstarken faschistischer Ideologien zeugt vom Versagen, adäquate und demokratische Antworten auf die vielfältigen Herausforderungen unserer Zeit zu finden. Populistische Versprechen, „einfache Lösungen“ und das Spiel mit Stereotypen sind Wasser auf die Mühlen antidemokratischer Kräfte. Erst wenn wir die Grundannahme, Migration sei eine Gefahr für die Gesellschaft, entkräften, können wir rechten Ideologien den Wind aus den Segeln nehmen und an Lösungen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt arbeiten. Nicht Migration ist das Problem, sondern die Zunahme autoritärer und menschenfeindlicher Haltungen.

Um die Gefahr des Faschismus effektiv zu bannen, gibt es verschiedene Wege: Es braucht eine Stärkung von Vielfalt, sozialer Teilhabe und politischer Bildungsarbeit. Gleichzeitig bedarf es einer Null-Toleranz-Politik gegenüber menschenfeindlichen Äußerungen und Ideologien und einer klaren Kante gegen rechts. Rechte Politik steht für Ausgrenzung und Entrechtung – sie lässt sich nicht mit Ausgrenzung und Entrechtung bekämpfen.

4 Die Entrechtung einzelner Gruppen ist nur der Anfang – es gibt kein Menschenrecht light

Deutsche und europäische Politik tragen maßgeblich Verantwortung für massive Verletzungen der Menschen[1]würde inner- und außerhalb der EU-Grenzen. Die Gewalt, die sich an den europäischen Außengrenzen abspielt, rückt gleichzeitig immer weiter ins Innere: Rechtsstaatliche Prinzipien werden ausgehebelt, Presse- und Meinungsfreiheit werden beschränkt, solidarische Unterstützung behindert oder kriminalisiert, menschliche Not ignoriert und Gewalt rationalisiert oder verschleiert.

Die Geschichte lehrt uns, dass Ausgrenzung und Entrechtung nicht bei einzelnen Gruppen stehen bleibt. Der Entzug von Grundrechten und das Schüren rassistischer und antisemitischer Ressentiments führt zu einem innergesellschaftlichen Autoritarismus und dem Erstarken rechter Bewegungen, so wie wir es gegenwärtig in Deutschland und großen Teilen Europas beobachten können. Die Ausgrenzung wird sich nicht nur gegen Minderheiten und marginalisierte Gruppen richten, sondern langfristig die Freiheit aller einschränken. Menschenrechte sind universell und unteilbar. Die einzige Antwort auf die Spaltung der Gesellschaft und politische Rechtsverschiebung kann und muss Solidarität heißen!

5 Auch die Ampel-Regierung bereitet den Weg für den gesellschaftlichen Rechtsruck

Auch wenn die Ampel-Fraktionen sich als Teil der Brandmauer verstehen und wir sie dafür bräuchten, trägt ihr politisches Handeln und ihre Rhetorik de facto zum gesellschaftlichen Rechtsruck bei. Das Erstarken rechter Ideologien kann nicht dadurch bekämpft werden, dass man sich auf Kosten grundlegender Menschenrechte deren Forderungen annähert. Doch die Ampel-Koalition tut genau dies und bietet dadurch zusätzlichen Nährboden für rechte Erzählungen. Die CDU/CSU fordert gleich die grundsätzliche Abschaffung des Asylrechts in Deutschland, während sie sich ebenfalls zur Brandmauer gegen die AfD erklärt.

Durch die Zustimmung zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems riskiert die Ampel-Koalition heute schon die de facto Abschaffung des Asylrechts auf europäischer Ebene. Auf nationaler Ebene fördert sie Inhaftierungs- und Abschiebepolitik, wie beispielsweise das Rückführungs-Verbesserungsgesetz, das kurz nach der Enthüllung der AfD-Deportationspläne vom Bundestag verabschiedet wurde.

Solange die Ampel das Signal sendet, dass Abschottung für sie über dem Schutz der Menschenrechte steht und dafür auch Flucht kriminalisiert wird, macht sie sich für den Rechtsruck mit verantwortlich. Stattdessen brauchen wir ein starkes und unumstößliches Bekenntnis der Regierung zur Allgemeingültigkeit der Menschenrechte – gerade gegenüber geflüchteten Menschen.

6 Das Recht, Asyl zu suchen ist kein Gnadenrecht

Asyl ist ein Grundrecht. Das Recht, Asyl zu suchen, ist im Völker- und Europarecht tief verankert: Es ergibt sich aus Art. 14 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sowie aus der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Daneben steht das Recht geflüchteter Menschen auf Schutz vor Verfolgung, welches unter anderem in der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention festgehalten ist.

Diese völkerrechtlichen Verträge und die Grundrechte-Charta der EU sind für Deutschland bindend. Zugang zum Asylsystem sicherzustellen und Schutz zu gewähren ist kein humanitärer Gnadenakt, sondern eine zwingende Verpflichtung gegenüber Geflüchteten. Wenn Menschen an den EU-Außengrenzen um Schutz ersuchen und ihnen daraufhin Zugang zu den Asylsystemen gewährt wird, ist das also kein Kontrollverlust, sondern entspricht schlicht den geltenden Verträgen. Das Recht, spontan Asyl zu suchen, lässt sich auch nicht durch Programme der freiwilligen Aufnahme, Deals für Fachkräfte-Einwanderung oder ins Ausland ausgelagerte Verfahren zur Asylantragstellung ersetzen.

7 Entrechtung und Spaltung geht auf Kosten der Gesellschaft

Die Entrechtung von Menschen löst keine sozialen Probleme, sondern kreiert zahlreiche Folgeprobleme für alle. Abschottung, Abschiebungen, Arbeitsverbote und die erzwungene Unterbringung in Sammelunterkünften hindern Menschen daran, einen sinnvollen Anschluss an ihre neue Umgebung zu finden – und kosten zusätzlich Milliarden. Dieses Geld ließe sich besser ausgeben: für die Unterstützung beim Ankommen und für Strukturen in den Gemeinden und Kommunen.

In den Debatten um Migration fahren wir in Deutschland zweigleisig: Fachkräfte? Ja! Schutzsuchende? Nein! Das unwürdige Spalten in „nützliche“ und „nicht nützliche“ Menschen und ihre Illegalisierung aufgrund vermeintlich „falscher“ Migrationsmotive muss ein Ende haben. Wenn Deutschland für Einwanderung attraktiv sein soll, müssen wir an den Kern: die Abwertung von Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder ihres Aussehens beenden.

Auch die Unterbringung in Lagern und das Schwanken zwischen Arbeitsverbot und Arbeitszwang muss aufhören. Stattdessen muss allen Menschen ein geregelter und fairer Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglicht werden, ebenso wie zu anderen Gütern der sozialen Grundsicherung – anstatt sie mit Bezahlkarten abzuspeisen. Auch die Ausgrenzung aus der gesundheitlichen Regelversorgung schadet letztlich allen Steuerzahler:innen, weil Krankheiten nicht rechtzeitig behandelt werden und unter Umständen chronisch werden. Hören wir auf, die Benachteiligung verschiedener Gruppen gegeneinander auszuspielen und Isolierung, Ausgrenzungen und künstliche Abhängigkeiten zu schaffen. Wir wollen ein selbstbestimmtes Leben für alle!

8 Den strukturellen Rassismus überwinden – Menschenrechte und Solidarität sind unteilbar

Rassistische Denkmuster sind tief in die europäische Gesellschaft eingeschrieben. Das Ergebnis ist struktureller Rassismus, der in vielen Bereichen wie Bildung, Arbeitsmarktzugang, Gesundheitsversorgung und Wohnungssuche Gleichbehandlung verhindert. Für Menschen, die nicht weiß sind, denen eine bestimmte religiöse Zugehörigkeit zugeschrieben wird, Menschen mit Behinderung und Menschen, die nicht der klassischen Geschlechternorm entsprechen, ist das Leben von ständiger Diskriminierung geprägt. Sich des eigenen Rassismus und der eigenen Vorurteile bewusst zu werden, ist der erste Schritt, diese zu überwinden. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, der wir uns gemeinsam stellen müssen.

In aktuellen Debatten zum Thema Flucht und Migration wird jegliche Menschlichkeit und Rationalität fallen gelassen. Wir akzeptieren Bilder von Toten an unseren Außengrenzen, wir akzeptieren, dass Sozialleistungen für Geflüchtete das gesetzlich festgelegte Minimum unterschreiten, wir akzeptieren, dass manchen Gruppen fundamentale Rechte abgesprochen werden. Angeblich „sichere“ Grenzen werden mit einem Maß an Zwang und Gewalt erkauft, das letztlich die Freiheit aller gefährdet. Denn Menschenrechte verlieren ihre Wertigkeit, wenn sie nicht für alle gleichermaßen gelten. Die Rechte Geflüchteter sind somit unser aller Rechte. Lasst uns gemeinsam für sie einstehen!

Unsere Solidarität ist und bleibt unteilbar!

-> Flyer als Download bei medico international

 

Antifaschistische Plattform zur Verteidigung der Migrationsgesellschaft

Die Plattform ist ein bundesweiter Zusammenschluss von Gruppen, Organisationen und Einzelpersonen aus der kritischen Migrationsforschung, der antirassistischen Arbeit und der Menschenrechtsbewegung. Wir haben uns angesichts des gesellschaftlichen Rechtsrucks zusammengefunden. Antifaschismus ist eine Notwendigkeit und Migration Realität der demokratischen Gesellschaft. Ihre Verteidigung ist unser Anliegen.

Wer mit der Plattform ins Gespräch kommen, eine Veranstaltung organisieren oder mehr Flyer zum Verteilen haben möchte:

kontakt-plattform@posteo.de

Kurzgutachten: Religion und Macht

Unser Mitarbeiter Jobst Paul erstellte 2023 das Kurzgutachten Religion und Macht – Zum extremistischen Potenzial des christlichen Fundamentalismus.

Es ist auf der Website des BICC – Bonn International Centre for Conflict Studies abrufbar.

Das Kurzgutachten entstand im Rahmen von Core-NRW – Netzwerk für Extremismusforschung in Nordrhein-Westfalen.

https://www.bicc.de/Publikationen/CoRE_KurzGutachten7_Religion_u_Macht_231016_web.pdf

Paul, J. (2023). Religion und Macht – Zum extremistischen Potenzial des christlichen Fundamentalismus . In Kurzgutachten 7 . BICC.

ZUSAMMENFASSUNG

Im Rahmen des vorliegenden Gutachtens werden streiflichtartig die Fülle und Variabilität von christlich-fundamentalistischen Organisationen, Bewegungen und Gruppierungen umrissen, die darin übereinkommen, nicht für, sondern gegen den Abbau von Diskriminierung und Ungleichheit einzutreten und danach zu streben, vergangene autoritäre, antidemokratische Machthierarchien wieder herzustellen. Entscheidend ist, dass in den vergangenen Jahren eine immer größere Anschlussfähigkeit der Positionen der erwähnten Organisationen, Bewegungen und Gruppierungen und der Programmatik rechtsextremer Gruppen entstanden ist, wobei sich personelle Verbindungen und organisatorische Vernetzungen zwischen den Milieus ausgebildet haben.

Viele der Manifeste, die rechtsextrem motivierte Gewalttäter:innen u. a. auch in jüngster Zeit in legitimierender Absicht in Online-Netzwerken veröffentlichten, belegen, in welchem Ausmaß sich darin zentrale Positionen des christlichen Fundamentalismus mit rechtsextremen Agenden und deren Narrativen überschneiden. Die resultierenden Programmatiken, in denen sich Organisationen, Bewegungen und Gruppierungen zunehmend zusammenfinden und unter deren Einfluss Radikalisierungsprozesse ausgelöst werden, sind durchzogen von verschwörungsideologischen, u. a. antisemitischen Grundthesen und von militanter Gegnerschaft gegen Selbstbestimmungsrechte im Bereich von Reproduktion, von Lebensformen und geschlechtlicher Identität.

Ganz besonders hervorzuheben ist dabei, dass diese Entwicklung zur Voraussetzung hatte, dass es zunächst zu inter-konfessionellen Koalitionen zwischen radikalen Fraktionen katholischer, evangelikaler und orthodoxer Provenienz kam, bevor es zu Bündnissen von diesen mit extrem rechten Gruppierungen, u. a. aber auch mit einem breiten Spektrum des esoterischen Aktionismus kommen konnte.

In ihrer Gesamtheit haben diese Prozesse zu einer derzeit kaum überschaubaren Bandbreite von Organisationsund Aktionsformen geführt, die zudem zwischen lokalen und regionalen, zugleich aber auch nationalen und dann internationalen Ebenen hin- und herchangieren. Dabei scheinen sechs unterschiedliche und zugleich komplementäre Dynamiken am Werk zu sein:

So tendieren (1) diese Prozesse in die Richtung einer Konzentration, d. h. der Bildung immer schlagkräftigerer Kooperationen und Verbände, und hin zu einer entsprechenden Verbreiterung der finanziellen Machtbasis. Wie sich zeigte, sind nach bisherigem Stand oligarchische Geldquellen, aber auch Großspender äußerst relevant. Großverbände wie z. B. Tradition, Family and Property (TFP) haben aber gezeigt, dass die organisatorische und ökonomische Professionalisierung des Personals (2), das im Aufbau und Ausbau von lokalen und regionalen Klein- und Missionsgruppen und der Akquirierung von Finanzmitteln eingesetzt werden kann, zu fast autarken Finanzstrukturen führen kann.

Einen erheblichen Zuwachs an Macht erbrachte darüber hinaus (3) die Etablierung einer sehr effizienten, international agierenden juristischen Ebene, die, wie etwa der Verband Alliance Defending Freedom (ADF), versucht, in Musterprozessen gegenüber Verwaltungen die Aktionsfreiheit fundamentalistischer Akteure dauerhaft durchzusetzen, wobei sie auch (und gerade) regionalen Kleingruppen zu Hilfe kommt.

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen sind zwei scheinbar gegenläufige Tendenzen beobachtbar: So scheinen die Prozesse der Diversifizierung (4) und der regionalen und lokalen Dislozierung von Gruppen (5) einerseits dazu zu dienen, im Sinn von „Schneeball“-Systemen die Attraktivität für lokale, potenziell neue Mitglieder zu erhöhen, sei es als Besteller und Konsumenten einschlägiger Devotionalien, als Spender bzw. als ihrerseits in der Mission einsetzbare Akteure. Andererseits können so die größeren Organisationsstrukturen, in denen sie wirken, unsichtbar gemacht werden.

Eine sechste Tendenz, die der verbalen und politischen Radikalisierung (6), ergibt sich nicht nur aus den oben bereits beschriebenen, gegen Grundrechte gerichteten Programmatik des christlichen Fundamentalismus und der politischen Agenda extrem rechter Bewegungen, mit denen sich Kooperationen etabliert haben. Prozesse der Radikalisierung ergeben sich auch aufgrund fundamentalistischer Logiken selbst, die nach zunehmend „reinen“ Unterscheidungen zwischen Gut und Böse, hier: zwischen eigenen, „reinen“ Ego-Idealen und dem „satanischen“ Anderen streben. Organisatorisch kann dies bedeuten, dass sich innerhalb der betreffenden Organisationen, Bewegungen und Gruppierungen immer weiter abgehobene Führungsebenen entwickeln, es aber zugleich in ihnen zu einer verstärkten inneren Sozialkontrolle kommt.

Insbesondere die Radikalisierungsprozesse, die sich z. B. in Afrika und Südamerika zeigen, unterstreichen darüber hinaus, dass sie nicht denkbar sind ohne die ständige Steigerung der verbalen, rhetorischen Herabsetzung von Opfergruppen, um eine Polarisierung der Öffentlichkeit zu erreichen (und zu erhalten) und Opfergruppen dann der rechtlichen, öffentlichen, psychischen wie physischen Verfolgung preiszugeben. Mit diesen Prozessen ist auch in Deutschland, ggf. gerade in regionalen und lokalen Kontexten zu rechnen (Anonym 2023e).

Dabei könnten Hass- und Gewalt-Prediger, die – wie in Pforzheim (Anonym 2021d; Streib 2023a; Streib 2023b; Anonym 2023d) – zur „Tötung von LGBTQ-Personen“ aufrufen, in den Hintergrund treten gegenüber geografisch deutschlandweit bis in Kleinstgemeinden hinein gestreuten potenziellen Täter:nnen, die sich – wie im Fall des geplanten „Reichsbürger“-Coups um Heinrich XIII. Prinz Reuß – unterschiedlich und aufgrund unterschiedlichster, darunter christlich-fundamentalistischer Ideologiekonstrukte extrem radikalisiert hatten und sich offenbar spontan vernetzten (Anonym 2023e).

Gerade letzteres Beispiel zeigt, dass sich hate speech und Programmatiken der Ungleichheit nicht auf bestimmte Themen und Politikfelder beschränken lassen, sondern auf eine insgesamt totalitäre Ordnung zielen, auch wenn sie sich temporär auf die Verfolgung bestimmter Minderheiten fokussieren. Nicht zu unterschätzen in ihrer gesellschaftlichen Dynamik sind aber auch „kalte“ Wege einer Radikalisierung, die die – bereits genannte – Ausbildung zunehmend abgehobener Führungsebenen und einer intensivierten inneren Sozialkontrolle der betreffenden Organisationen, Bewegungen und Gruppierungen zur Voraussetzung haben: Zu nennen sind hier eine aggressive Siedlungstätigkeit und/oder der Land- und Immobilienerwerb durch vernetzte Kleingruppen, wie aktuell in der Bundesrepublik im Fall der völkischen, extrem rechten, so genannten „Anastasia“- Bewegung mit über 20 Siedlungsprojekten, die mit Einschüchterungsmaßnahmen gegenüber der umgebenden Bevölkerung einhergehen (Kelan 2023; Takac 2023).

INHALTSVERZEICHNIS

Einleitung 4

1 Rückblick. Eine Kontextualisierung. 7

2 Rechtliche Aspekte 9

2.1 Religiöser Fundamentalismus als Familien- und Jugendproblem 9

2.2 Verschiebungen der Perspektive 11

2.3 Haltung der Bundesregierung 13

2.4 Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte 14

3 Forschungslage 16

3.1 Strukturen der Forschung 16

3.2 Dokumentations- und Informationsstelle für die Bundesregierung

zum Bereich „Sekten und Psychogruppen“ 18

4 Diabolisierung als Konstante im christlichen Fundamentalismus 19

4.1 Ältere Gutachten 20

4.2 Religionsgeschichtlicher Rückblick 20

4.3 Katholischer Fundamentalismus 21

4.4 Protestantischer Fundamentalismus 22

4.5 Russisch-Orthodoxer Fundamentalismus 23

5 „Anti-Gender“ als fundamentalistischer Nenner 24

6 Taktiken, Konzeptionen, Finanzen 26

6.1 Taktisch-theoretische Konzeptionen von rechts 26

6.2 Christlich-fundamentalistische Vernetzungen mit rechtsextremistischen Gruppierungen 29

6.2.1 Katholische Akteure (Auswahl) 31

6.2.2 Evangelikale Akteure (Auswahl) 32

6.2.3 Vernetzungen mit dem russisch-orthodoxen Machtapparat – und darüber hinaus (Auswahl) 34

6.3 Astroturfing, Multiple Gruppen, Mega Churches 36

6.4 Finanzierungsformen 37

7 Zwei Fallstudien 40

7.1 Tradition, Family and Property (TFP) 40

7.2 World Congress of Families (WCF) 41

8. Schlussfolgerungen und Empfehlungen 43

8.1 Befunde 43

8.2 Empfehlungen an die Praxis 45

i Foren für Austausch und Projektkonzeptionen 45

ii Schnittstellen zwischen Forschung, Praxis, Politik, Medien und Öffentlichkeit 45

8.3 Empfehlungen an die Forschung 46

i Forschungsverbundstrukturen in NRW aufbauen 46

ii Forschungsthemen etablieren 46

iii Psychologische Forschung 47

iv Territorialforschung 47

v Rechtsforschung 47

Literatur 48

Björn Höcke (AfD) – Der Niedergang – der Umsturz – das Nichts

titel-jobstpaul-hoeckeUnser DISS-Mitarbeiter Jobst Paul legt eine ausführliche Analyse der IfS-Rede des Thüringer AfD-Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke vom November 2015 vor:

Der Niedergang – der Umsturz – das Nichts. Rassistische Demagogie und suizidale Perspektive in Björn Höckes Schnellrodaer IfS-Rede

Anlässlich eines 2-tägigen Kongresses des Instituts für Staatspolitik (Schnellroda) am 21./22. November 2015 sprach auch der Thüringer AfD-Fraktionsvorsitzende Björn Höcke zum Thema Asyl – Eine politische Bestandsaufnahme. Erst Wochen später veröffentlichte das Institut den Redemitschnitt und machte dadurch Höckes rassistische Einlassungen zu einem vermeintlich europäischen, bzw. afrikanischen ‚Reproduktionsverhalten‘ bekannt, die an die Rhetorik vor 1945 anknüpfen.

Jobst Pauls Analyse der Rede und ihrer rassistischen Thesen versteht sich als Fallstudie zu de-humanisierender und demagogischer Rhetorik. Zugleich erarbeitet sie Grundlagen, wie programmatisch der Vorstoß Höckes zu verstehen ist, der am Rassismus des 18. und 19. Jahrhundert orientiert ist.

Zum Inhalt des Artikels in der DISS Online Bibliothek:

Die Analyse betrachtet zunächst die Rede insgesamt, vor allem Höckes Beschreibung der AfD-Taktik, Parlamentsmandate als Ressource zu nutzen, um eine „Massenmobilisierung“ der Straße zu organisieren. Man wolle sich „nicht mit Landtagsarbeit überbeschäftigen“ und stattdessen „innerhalb kürzester Zeit“ und „in ganz Deutschland“ die letzte ‚friedliche‘ Chance zur sogenannten „Wende“ in die Hand nehmen. Höcke spricht von einer „Anti-These“, auf die er Deutschland festlegen möchte.

Eine Kostprobe, was damit gemeint ist, liefern dann die rassistischen Thesen Höckes, die nicht nur pseudo-wissenschaftliches Beiwerk sind, sondern vor allem auf die furchtbare Aussage zielen, den ‚Bevölkerungsüberschuss Afrikas‘ an den Grenzen sterben zu lassen – als Lektion für ‚Afrika‘. Björn Höcke’s Rhetorik erschöpft sich in einem Szenario des Niedergangs, der Zerstörung und rassistischer Brutalität und nimmt letztlich eine suizidale Perspektive ein.

Eine Transkription der vollständigen Höcke-Rede ist im Anhang dokumentiert.

Lesen Sie bitte die Analyse von Jobst Paul, 39 Seiten im PDF-Format: Der Niedergang – der Umsturz – das Nichts. Rassistische Demagogie und suizidale Perspektive in Björn Höckes Schnellrodaer IfS-Rede

 

Das NPD-Verbot in der wissenschaftlichen Debatte

Neuer Text in der DISS-Onlinebibliothek

Robin Heun: Die NPD-Verbotsdebatte

Abrufbar unter: http://www.diss-duisburg.de/?p=4495

Nach über einjähriger Vorlaufzeit seit dem Bekanntwerden der rechtsterroristischen Vereinigung (NSU), hat der Bundesrat am 14.12.2012 beschlossen, einen neuen Verbotsantrag beim Bundesverfassungsgericht einzureichen.1 Das Thema NPD-Verbot hat mit diesem Bundesratsbeschluss eine neue Relevanz erhalten. Wir veröffentlichen deshalb eine von Robin Heun im Frühjahr 2012 erstellte Bachelor-Arbeit mit einer Analyse der wissenschaftlichen Verbotsdebatte2. Der Untersuchungszeitraum erstreckt sich von 2000 bis März 2012.

Bisher wurde die Wissenschafts-Debatte zum NPD-Verbot noch nicht explizit untersucht. Die vorliegende Arbeit soll daher einen Einblick in diese Debatte gewähren, indem die typischen Argumente und Argumentationsmuster und die zugrunde liegenden Argumentationslogiken der Verbotsskeptiker und Verbotsbefürworter herausgearbeitet werden. Zu diesem Zweck werden vier Forschungsfragen gestellt:

  • Welches Bild haben die Verbotsskeptiker bzw. Verbotsbefürworter von der NPD?
  • Wie wird das Parteiverbotsinstrument bewertet?
  • Welche Erwartungen werden mit einem NPD-Verbot verknüpft?
  • Wie wird ein Verbot bzw. Nicht-Verbot begründet?

Zunächst wird im ersten Teil der Analyse (Kapitel 2.) erörtert, welches Gewicht politischen Parteien in der Forschung für die Verwirklichung eines parlamentarischen Regierungssystems beigemessen wird (Kapitel 2.1) und welche rechtliche Stellung Parteien in der Bundesrepublik besitzen (Kapitel 2.2). Anschließend wird das Institut des Parteiverbots in seinen Grundzügen dargestellt (Kapitel 2.3). Neben der historischen Verortung, den materiellen Voraussetzungen, den Rechtsfolgen wird hier auch auf das erste NPD-Verbotsverfahren eingegangen. Zudem werden die theoretischen und verfassungsrechtlichen Grundlagen des Konzepts der sog. „wehrhaften Demokratie“ dargelegt (Kapitel 2.4). Im zweiten Teil der Analyse (Kapitel 3.) erfolgt die Auseinandersetzung mit der wissenschaftlichen NPD-Verbotsdebatte.

1 Siehe Pressemitteilung des Bundesrates online verfügbar unter: http://www.bundesrat.de/cln_236/nn_8538/DE/presse/pm/2012/214-2012.html?__nnn=true [15.12.2012]. Der Bundesrat folgte mit diesem Beschluss der Empfehlung der Ministerpräsidentenkonferenz vom 06.12.2012.

2 Eine kurze Zusammenfassung der Analyse erschien im DISS-Journal 23 (2012), S. 11-13.

DISS Online-Text zur christlichen Judenfeindschaft

In der DISS Online-Bibliothek können Sie ab sofort einen Aufsatz von Jobst Paul abrufen, der bereits 2001 entstand. Thematisiert werden verschiedene Varianten christlicher, insbesondere calvinistisch-reformierter und angelsächsischer Judenfeindschaft, u.a. die Legenden, die an die Existenz des Chasaren-Reiches im 8. Jahrhundert anknüpfen.

Von Anglo-Israelismus zu Christian Identity
Entwicklungslinien calvinistisch-reformierter und angelsächsischer Judenfeindschaft
Autor: Jobst Paul

Lutherische und katholische Regionen entwickelten oft militant-abweisende Formen der Judenfeindschaft. Dagegen bildeten die calvinistisch-reformierten Regionen Europas, vor allem England und die Niederlande, in der Folge auch die amerikanischen Staaten und der Staat der Voortrekkers, der burischen Pioniere Südafrikas, paternalistische Formen der Judenfeindschaft aus. Insbesondere das Bewusstsein, die Juden als herrschendes Geschlecht bereits abgelöst und von ihnen die jüdisch-alttestamentarische Identität übernommen zu haben, beherrschte bereits die Millennialisten im Gefolge Cromwells, aber auch die niederländischen Eliten des 17. Jahrhunderts. Hinzu kam der reformierte Glaube an eine Wiederkunft des Messias in Jerusalem, wenn sich dort die inzwischen zerstreuten Juden zur Bekehrung zum Christentum versammelten. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts verbanden sich damit sektiererische Theorien, die sich – meist von Großbritannien ausgehend – in den USA unter kontinental-europäischem Einfluss zu rechtsextrem-antisemitischen Lehren radikalisierten und seitdem nach Europa zurückwirken.

Lesen Sie den Text von Jobst Paul in der DISS-Online-Bibliothek. Sie können ihn hier als PDF-Datei abrufen (57 Seiten):
Jobst Paul: Von Anglo-Israelismus zu Christian Identity

Demokratieerziehung mit Schlapphut


Oder: Wie der Inlandsgeheimdienst eigenmächtig seinen Aufgabenbereich erweitert. Schleichend, versteht sich.

Autor: Alexander Wielers
Aufgabe der Verfassungsschutzbehörde ist die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sach- und personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen […]“ (§ 3 VSG-NRW) ((http://www.im.nrw.de/sch/doks/vs/vsg_nrw_2007.pdf ))
Das Selbstverständnis der Verfassungsschutzämter in Deutschland hat sich geändert. Wir wollen, dass die Bürgerinnen und Bürger Extremismus erkennen und bewerten können, denn eine aufgeklärte Öffentlichkeit ist das Fundament einer demokratischen Kultur. Im Rahmen des Ansatzes „Verfassungsschutz durch Aufklärung“ stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.“ (VS-NRW 2008) ((http://www.im.nrw.de/imshop/shopdocs/Musik-Mode-Markenzeichen_Auflage_5.pdf))

Der Verfassungsschutz (VS) hat bereits Mitte der 70er Jahre das Konzept „Verfassungsschutz durch Aufklärung“ entwickelt. Dass seine eigentliche Funktion als Inlandsnachrichtendienst kaum mehr wahrgenommen wird, ist dagegen ein neues Phänomen. Dies liegt unter anderem daran, dass der Bereich pädagogischer Präventionsarbeit zunehmend ausgebaut wird. Der VS-NRW hat sich diesbezüglich seit mindestens acht Jahren intensiv um eine Ressorterweiterung bemüht. Denn seitdem arbeiten für den VS auch Sozialwissenschaftler, namentlich Thomas Pfeiffer (2002) und Thomas Grumke (2004). Dies ist natürlich nicht folgenlos geblieben: Erstens „Demokratieerziehung mit Schlapphut“ weiterlesen

Thesenpapier zur Rolle der Medien im Integrationsprozeß

Der folgende Text bildete die Grundlage für ein Impulsreferat bei der Eröffnung der Duisburger Interkulturellen Woche am 21.9.2010 in der „Black Box“ des „Kleinen Prinzen“. Die anschließende Podiumsdiskussion relativierte und/oder bestritt die vorgetragenen Thesen zum Teil heftig, allen voran der Stellvertretende Chefredakteur der WAZ, Wilhelm Klümper, der Gutmenschentum, 1968 und Political Correctness in seinen Redebeiträgen deutlich kritisierte. Das Podium war nahezu ausschließlich von lokalen Journalistinnen besetzt.

(Den Bericht auf dem Portal der WAZ-Mediengruppe Der Westen über die Veranstaltung finden Sie hier: http://www.derwesten.de/staedte/duisburg/Medienberichte-schueren-oft-Rassismus-id3745341.html)

Die Rolle der Medien im Integrationsprozess
(Thema der Eröffnungsveranstaltung)

Thesenpapier zur Podiumsdiskussion am 21.9.10 in Duisburg

Autor: Siegfried Jäger

Vorbemerkung:

Meine folgenden knappen Thesen, um die mich die Veranstalter zur Einstimmung gebeten haben, stützen sich auf empirische wissenschaftliche Diskurs-Analysen der Medien zum Thema Einwanderung, Flucht und Asyl wie sie von mir und anderen im Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung und andernorts seit etwa 1985 durchgeführt worden sind. Diese Thesen bringen auf den Punkt, welche Meinungen zu dieser Thematik in zentralen Medien in Deutschland geäußert worden sind.

Zu diesem Stichwort, also zu Meinung, möchte ich eine These voranschicken, ehe ich mich auf die Stichwörter beziehe, die mir von den Veranstaltern vorgegeben worden sind.

In Artikel 5, Absatz 1 des GG heißt es:

„Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten … Eine Zensur findet nicht statt.

Im 2. Absatz heißt es aber: „Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze ..“

Bei den Grundrechten heißt es, ich erinnere: 1. Die Würde des Menschen ist unantastbar…. Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.“

Auf diesem Hintergrund ist auch die Presse und Meinungsfreiheit zu verstehen. Sie ist also nicht absolut frei, wie häufig behauptet wird: Sie findet ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze. Diese Schranken werden von den Medien oftmals nicht eingehalten, insbesondere wenn es um den sog. Integrationsprozess geht.

1. Erscheinungsbild von Migrantinnen und Migranten in den Medien

Ich komme nun zur ersten These, Stichwort Erscheinungsbild von Migrantinnen und Migranten in den Medien.

In den Printmedien, aber nicht nur dort, werden Einwanderer und Einwanderinnen, oftmals diskriminiert und rassistisch ausgegrenzt. Wegen des großen Einflusses auf das Bewusstsein der breiten Masse der Bevölkerung, kann man insofern sagen, dass es in Deutschland neben einer ethisch und grundgesetzlich verantwortlichen Meinungs- und Pressefreiheit auch eine ethisch nicht zu verantwortende Meinungs- und Pressefreiheit gibt.

2. Beitrag der Medien zur Normalität/Nichtnormalität

Die Medien tragen erheblich dazu bei, in unserer Gesellschaft für die Unterscheidung von Normalität und Nichtnormalität zu sorgen. Doch auch das ist zwiespältig. Denn als normal wird in den Medien oftmals auch das dargestellt, was rassistisch und nicht rassistisch ist. So wird z.B. behauptet, dass es so etwas wie einen „demokratischen Rassismus“ gebe, Rassismus also in gewisser Weise zur Normalität gehöre. Das mag zwar, statistisch gesehen, stimmen. Das kann man jedoch angesichts der Tausenden von rassistisch motivierten Gewalttaten und Brandanschlägen und mehr als 100 Todesopfern rassistischer Verbrechen seit 1990 nicht als normal und demokratisch bezeichnen.

Denn solche Verbrechen sind gewiss nicht normal im Sinne von menschenfreundlich. Da Rassismus aber auch von den Medien geschürt wird, lässt sich schließen, dass die Medien auch zur Nichtnormalität in unserer Gesellschaft beitragen.

3. Islamdiskurs (Transport von Vorurteilen)

Der mediale Islamdiskurs ist ein Teil des menschenverachtenden rassistisch getönten Einwanderungs-Diskurses. Er betont besonders nur einen Aspekt dieses Diskurses, nämlich die religiöse Komponente, verzichtet aber auch nicht auf sonstige, im rassistischen Diskurs vorhandene Diskriminierungen und Ausgrenzungsargumente.

4. Überhöhung in positiven/negativen Sinn

Ich nenne dazu nur ein Beispiel, den Kriminalitätsdiskurs in den Medien: Hier werden Straftaten von EinwanderInnen oft mit der Herkunft der Täter in Verbindung gebracht, auch wenn sie damit überhaupt nichts zu tun haben. Ferner werden die Straftaten von Einwanderern deutlich drastischer dargestellt als die von deutschen Straftätern. Es handelt sich also signifikant häufig um negative Überhöhungen und um völlig unzulässige Assoziationen von Herkunft und Straftat.

5. Rolle/Verantwortung der Medien

Zur Rolle und Verantwortung der Medien habe ich einleitend aus dem GG zitiert. Ich vertiefe das nur noch ein wenig, indem ich mich auf auf eine Aussage des Bundesverfassungsgerichts beziehe (7/198/2008), in der es heißt: „… das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung (ist) eines der vornehmsten Menschenrechte … und für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung schlechthin konstituierend, weil es erst die ständige geistige Auseinandersetzung, das Lebenselement der Demokratie, ermöglicht.“

Ich erinnere jedoch: Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze …“ In Artikel 3, Absatz 3 aber heißt es: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Wobei der Begriff Rasse eigentlich nicht mehr ins Grundgesetz gehört, denn es ist erwiesen, dass es menschliche Rassen nicht gibt.

6. Frage: Wer transportiert was?

Das Thema „Wer transportiert was? Ist so etwas vage formuliert. Ich gehe einmal davon aus, dass damit gemeint ist, welchen positiven oder negativen Beitrag die Medien, alle Medien, für die Aufnahme von Einwanderinnen und Einwanderern in unsere Gesellschaft leisten. Unsere Untersuchungen haben ergeben, dass die Medien mehr oder minder uni sono unkritisch und weiter diskriminierend und rassistisch die Vorgaben der Regierungen zur Einwanderungspolitik in die Bevölkerung hinein transportieren. Diese Vorgaben sind jedoch im Resultat dafür verantwortlich, dass die Aufnahme von Einwanderern und Einwanderinnen in unsere Gesellschaft so schleppend und oftmals undemokratisch verläuft. Dominant sind dabei Kosten-Nutzenkalküle und nicht die Allgemeinen Menschenrechte, auf die sich das Grundgesetz immer noch stützt. Insgesamt kann man sagen, wie dies der freie Journalist Tom Schimmeck in seinem soeben erschienenen Buch behauptet, dass die Medien „kleinmütig und heruntergekommen“ sind und das bedeute, völlig unkritisch gegenüber der herrschenden Politik. Es herrsche nur das „Phantom der Pressefreiheit“.

7. Beitrag zur friedlichen Gesellschaft

Der Beitrag der Medien zur friedlichen Gesellschaft ist demnach, was das Thema Einwanderung betrifft, unterm Strich eher als eher kontraproduktiv einzuschätzen. Da sie aber zur großen „Verdummung“ der Bevölkerung beitragen, kann man vielleicht auch sagen, dass sie insgesamt zu einer politisch aphatischen Gesellschaft beitragen.

8. Manipulation

Abschließend das Thema „Manipulation“ durch Medien! Günter Wallraff glaubt feststellen zu können, dass die Medien, insbesondere BILD, nicht mehr so stark manipulieren wie in den 60er Jahren, was Fälschung und Verzerrung von Statistiken und offene Lügen angeht.

Da mag Günter Wallraff Recht haben. Durch die ständige Wiederholung von Stereotypen und Vorurteilen tragen sie jedoch erheblich dazu bei, dass sich in den Köpfen der Menschen Vorurteile verfestigen, wie sie natürlich mit dem Grundgesetz und den Allgemeinen Menschenrechten nicht zu vereinbaren sind.

Literatur:

Siegfried Jäger/Dirk Halm (Hg,): Mediale Barrieren. Rassismus als Integrationshindernis, Münster (Unrast), 2007 Margret Jäger/Gabriele Cleve/Ina Ruth/Siegfried Jäger: Von deutschen Einzeltätern und ausländischen Banden, Duisburg (DISS), 1998 Website des Projekts „Migration, Integration und Medien

Was tun gegen rechte Diskurspiraten

Autorin: Regina Wamper / Arbeitskreis Rechts des DISS

Entwendungsversuche der extremen Rechten finden auf drei Ebenen statt (die natürlich nur analytisch trennbar sind):

1. auf inhaltlicher Ebene

2. auf (sub)kultureller Ebene

3. auf taktischer Ebene

1. Inhaltliche Interventionen

Von „inhaltlichen Entwendungen“ zu sprechen, heißt nicht, Themenfelder „für sich“ zu proklamieren. Verschiedene Themen werden aus verschiedenen politischen Perspektiven gedeutet, niemand hat „Copyright“ auf Diskurse.

Die extreme Rechte forciert in den letzten Jahren einen Deutungskampf um Themen, die als Gegendiskurse (zu hegemonialen Diskursen) traditionell von links besetzt sind, so Feminismus, Antikapitalismus, die soziale Frage, „Was tun gegen rechte Diskurspiraten“ weiterlesen