Schlingerkurs zwischen den Flügeln
von Lenard Suermann
Dieser Text erschien zuerst im Online-Blog des Magazins „der rechte rand“ aus Hannover – im April 2020
„Wir sind die Endgegner, denen sich die Öko-Sozialisten werden stellen müssen.“ Mit diesen markigen Worten brachte sich Thomas Röckemann im Juli 2019 beim AfD-Landesparteitag in Stellung. Soeben war der damalige Landesvorsitzende knapp einer Amtsenthebung entkommen, etwa 40 Prozent der Parteitagsdelegierten hielten zu ihm. Daraufhin traten neun vergleichsweise gemäßigte Vorstandsmitglieder zurück. Die drei „Flügel“-Leute blieben. Die Landtagsabgeordneten Röckemann aus Minden und Christian Blex aus Warendorf bildeten mit dem Heinsberger Kreisvorsitzenden Jürgen Spenrath eine Art Rumpf-Vorstand. Die damalige Kreisvorsitzende aus Solingen Verena Wester wurde kooptiert. Vorausgegangen war diesem Szenario eine politische Schlammschlacht, in der gemobbt, beleidigt und immer wieder interne Chatverläufe an die Presse durchgedrückt worden waren. Drei Monate lang durfte man dem Treiben zusehen, bis schließlich auf Anordnung aus Berlin Anfang Oktober 2019 eine Neuwahl des Landesvorstands durchgeführt wurde. Dieses Mal wählten die vermeintlich Gemäßigten ihre Kandidat*innen durch, angeführt von MdB Generaloberst a.D. Rüdiger Lucassen. Die „Flügel“-Truppe unterlag – wiederum knapp mit etwa 40Prozent – und ging leer aus.
Flügelkämpfe
Dieses bizarre Szenario mag als Lehrstück der inneren Zerrissenheit der AfD gelten, es zeigt aber auch die Macht des „Flügels“ in Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland. Laut Schätzung des Verfassungsschutzes sind dem „Flügel“ in NRW 1.000 Personen zuzuordnen, also etwa 20Prozent der Mitglieder – eine konservative Schätzung, angesichts der Wahlergebnisse der letzten Parteitage. Zudem sind mit Münster und Detmold zwei der fünf Landesbezirke – allerdings die kleinsten – fest in „Flügel“-Hand. Der Sprecher des münsterländischen Bezirks, Steffen Christ, holte 2018 Björn Höcke gleich zwei Mal nach NRW, während in Ostwestfalen-Lippe 2018 und 2019 die „Hermannstreffen“ stattfanden: Eine offensichtlich an die Kyffhäusertreffen angelehnte Variante mit Andreas Kalbitz und weiterer Prominenz des „Flügels“.
In den drei anderen Bezirken hat der „Flügel“ zwar keine Hausmacht, aber lokale Hochburgen. Dem Kreisverband (KV) Aachen steht der Höcke-Vertraute Markus Mohr vor, dem KV Hamm der sich zum „Flügel“ bekennende Pierre Jung. Andernorts sorgen die Flügelkämpfe für Querelen: Erst im März gab Wester ihren Kreisvorsitz in Solingen ab, in Herne wurde der Kreisvorstand vom neuen Landesvorstand im Dezember gleich komplett abgesetzt.
Und schließlich ist der NRW-„Flügel“ mit Martin Renner und Andreas Keuter auch im Bundesverband vertreten. Renner, ein Urgestein der Partei, zusammen mit (oder auch: gegen) seinem Intimfeind Marcus Pretzell bis 2017 Landesvorsitzender, zog als Spitzenkandidat in den Bundestag ein, um „Schuldkult und die Political Correctness [zu] stoppen“. Keuter, der schon durch das Posten von Nazi-Bildchen in die Schlagzeilen geriet, war im März 2020 bei einem Höcke-Event in Schnellroda. Für ihn arbeitet Verena Wester. Auch MdB Udo Hemmelgarn, der sonst eher in der braunen Verschwörungsszene fischt, dürfte als Vorsteher des Bezirks Detmold kaum Berührungsängste mit dem „Flügel“ haben.
In der Sache vereint
Ohnehin ist die Distanz des aktuellen Vorstands zum „Flügel“ nicht inhaltlich begründet. So kann das als „Malbuch“ getarnte Hetzwerk, das vom Landesvorstand im März herausgegeben und dann als Satire verteidigt wurde, keinesfalls als Ausdruck einer politischen Mäßigung bewertet werden. Erst nach Ankündigung polizeilicher Ermittlungen distanzierte man sich und warf schließlich den ehemaligen Co-Landesvorsitzenden und erklärten Gegner Röckemanns, Helmut Seifen, aus dem Vorstand. Auch die Fantasien des AfD Landesvorsitzenden Lucassen zum Einsatz der Bundeswehr für den Grenz- und Heimatschutz oder die Beschäftigung der neurechten Autorin Irmhild Boßdorf in dessen Büro belegen eher Nähe als Distanz. Oder anders gesagt: die internen Kämpfe werden nicht der Inhalte wegen geführt.
Auf Schlingerkurs
Dem aktuellen Vorstand wird bewusst sein, dass er auf einem Pulverfass sitzt. Der Vorstoß zum Verbot des „Flügels“ Mitte März kam aus NRW, dann aber gefolgt von deutlichen Worten gegen Jörg Meuthens Vorschlag zur Abspaltung desselben. Schon 2019, während der internen Kämpfe um den Landesvorsitz, hatte Lucassen sich um Auftritte mit Andreas Kalbitz bemüht. Die bereits angekündigten Veranstaltungen wurden letztlich gecancelt, Kalbitz trat stattdessen mit Röckemann auf. Ein nächster Anlauf war für Ende März geplant gewesen: In Höxter hätte der Kommunalwahlkampf starten sollen, mit Lucassen, dem hessischen MdL Dimitri Schulz – und Höcke.
Bevor es aber zu einer Annäherung der rechten Lager in der NRW-AfD kommt, müsste eben dieser Schlingerkurs zwischen Abgrenzung und Einbindung überwunden werden. Angesichts der anstehenden Kommunalwahlen im Herbst 2020 werden die Gräben wohl wieder geöffnet werden, – auf beiden Seiten und aus taktischen Gründen.