Forschung des DISS: Gegen die »BrandSätze«

Auf der Seite nd-aktuell erschien ein Artikel von Lukas Geisler zur Geschichte und zur gegenwärtig akuten finanziellen Situation unseres Instituts.

Forschung des DISS: Gegen die »BrandSätze«

Das Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS) prägte die Kritische Diskursanalyse, nun ist es finanziell in Not

Lukas Geisler 12.07.2024

»Bevor wir zu antirassistischen Strategien vordringen können«, schreiben Margarete und Siegfried Jäger in einer Sonderausgabe zu Antirassismus der Zeitschrift »Das Argument« aus dem Oktober 1992, »scheint es uns erforderlich, herauszufinden, wie er sich im Alltagsbewusstsein darstellt, woraus er sich speist, welche Funktion(en) er für heutige Gesellschaften hat«. Zu diesem Zweck hatten sie 1991 und 1992 qualitative Interviews geführt, die sie diskursanalytisch ausgewertet haben. Die Ergebnisse sind ausführlich in ihrer Studie »BrandSätze. Rassismus im Alltag« dokumentiert, die erstmals im Mai 1992 veröffentlicht wurde. Darin legen sie ausdrücklich dar, dass »Rassismus kein Problem irgendwelcher Randgruppen«, sondern »in der Mitte unseres Alltags angesiedelt ist«.

Dass solche Erkenntnis heute in antirassistischen Diskussionen selbstverständlich erscheinen, daran haben Siegfried und Margarete Jäger einen entscheidenden Anteil. Zeitgleich zu Forschungsprojekten am Institut für Sozialforschung in Frankfurt am Main (IfS) und den theoretischen Publikationen des Argument-Verlags führten die beiden die ersten empirischen Untersuchungen zu (Alltags-)Rassismus in Deutschland durch.

Notlage kritischer Wissenschaft

1987 gründeten Margarete Jäger und ihr Mann Siegfried, der 2020 im Alter von 83 Jahren verstorben ist, das Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS). Bis heute – 37 Jahre später – wird hier unabhängig zur extremen Rechten und völkischem Nationalismus, zu Rassismus, Antiziganismus, Antifeminismus und Antisemitismus sowie natürlich zur Diskurstheorie geforscht.

Margarete Jäger, Vorsitzende des DISS, erklärt: »Unsere Forschung war immer prekär, aber so wie heute war es noch nie.« Das DISS befindet sich in einer finanziellen Notlage, denn ein größeres Projekt wurde »unerwartet nicht bewilligt«. Dies habe auch mit strukturellen Bedingungen der Wissenschaftslandschaft in Deutschland zu tun. Durch die immer schlechter werdende Grundfinanzierung von Universitäten und großen Forschungseinrichtungen müsse das DISS mittlerweile in der Akquise von Forschungsmitteln mit diesen konkurrieren.

»Deshalb haben wir uns diesmal dazu entschlossen, öffentlich auf unsere finanzielle Situation aufmerksam zu machen und einen Notruf rauszusenden«, erklärt Jäger. Darin bittet das Institut um Spenden in Form von Fördermitgliedschaften, »damit wir die Infrastrukturkosten bewältigen können, also die Miete und das Archiv«. Die meisten Mitarbeitenden seien ehrenamtlich beim DISS tätig, um aber Personal zu bezahlen, sei man auf Drittmittel angewiesen.

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Jürgen Link im Gespräch mit Denise M’Baye und Sebastian Friedrich

NDR Kultur

Was ist normal? Mit Jürgen Link und Michel Foucault

Tee mit Warum – Die Philosophie und wir

16.05.2024 · 42 Min.

-> Podcast abspielen (ARD Mediathek)

Welche Parameter nutzt eine Gesellschaft, um sich auf den Richtwert für das „Normale“ zu einigen? Wann und wie werden sogenannte Standards festgelegt und schließlich zur Norm? Wer ist dazu befugt? Wer hat die Macht dazu? Fragen, die seit Jahrzehnten Jürgen Link beschäftigen. In seinen Büchern „Versuch über den Normalismus. Wie Normalität produziert wird“ oder „Normalismus und Antagonismus in der Postmoderne. Krise, New Normal, Populismus“ hat der Literaturwissenschaftler wegweisende Richtungen für die gesellschaftliche Debatte vorgelegt.

Denise M’Baye und Sebastian Friedrich gehen mit Jürgen Link in die Diskussion, loten das Spannungsfeld aus zwischen „Protonormalismus“ und „flexiblem Normalismus“ und befragen Michel Foucault, der in seiner Philosophie die „Macht der Norm“ historisch und gesellschaftlich analysiert hat.

Redaktion: Juliane Bergmann, Claudia Christophersen

 

Literatur:

  • Jürgen Link: „Normalismus und Antagonismus in der Postmoderne. Krise, New Normal, Populismus“. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2018, 439 Seiten
  • Jürgen Link: „Versuch über den Normalismus. Wie Normalität produziert wird“. Westdeutscher Verlag, [in mehreren Auflagen, zuletzt] 2006, 449 Seiten
  • Michael Foucault: „Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses“. Aus dem Französischen von Walter Seiter, dt.: 1976. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1993, 396 Seiten

Die Verfolgung der Duisburger Sinti in der NS-Zeit

Ausstellung in der Salvatorkirche Duisburg, Burgplatz 19, 47051 Duisburg
Eröffnung mit einem Gottesdienst am So, 28.1., 16 Uhr
Dann 28.1.2024 – 11.2.2024 zu den Öffnungszeiten der Kirche: Di-Sa 10-17 Uhr, So 9-13 Uhr. Mo geschlossen

Unter der Überschrift „Die Verfolgung der Duisburger Sinti in der NS-Zeit“ eröffnet am Sonntag, dem 28. Januar, um 16.00 Uhr mit einem Gottesdienst eine Ausstellung über die Ausgrenzung und Entrechtung der Minderheit der Roma und Sinti im Nationalsozialismus bis hin zu ihrer systematischen Vernichtung im besetzten Europa. In der Salvatorkirche werden sechs Tafeln zu Duisburger Sinti-Biografien gezeigt, die als Ergänzung zu einer Wanderausstellung des Dokumentations- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma vom Zentrum für Erinnerungskultur erarbeitet wurden.
Es ist der „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“ an dem es Jahr um Jahr wichtig ist zu erinnern und zu mahnen. Die Aktualität wird darin deutlich, dass wir uns gerade in diesem vergehenden Jahr neu mit dem latent lauernden Antisemitismus und Rassismus auseinandersetzen müssen, was klare Antworten braucht.
Die Ausstellung machte die zerstörten persönlichen Lebenswege hinter den abstrakten Dokumenten der bürokratisch organisierten Vernichtung sichtbar. Neben der unvorstellbaren Verfolgung und Vernichtung von Menschen jüdischen Glaubens, waren auch Homosexuelle, Kommunisten und politisch Andersdenkende, sowie eben auch Roma und Sinti der Verfolgung ausgesetzt. Historische Familienfotos geben wiederum Einblicke in ihre Lebenswirklichkeit und lassen sie als Menschen, die unter uns ihr Leben lebten, hervortreten – bis sie durch Ausgrenzung, Verfolgung und Ermordung herausgerissen wurden.

Die Ausstellung wird bis zum 11. Februar in der Salvatorkirche zu den üblichen Öffnungszeiten zu sehen sein.

Eröffnunggottesdienst am So, 28.1., 16 Uhr:

Gottesdienst zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus (Pfarrerin Süselbeck mit Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Duisburg-Mülheim-Oberhausen e.V., Schüler*innen des Landfermann-Gymnasiums, Kirchenkreis und kath. Gemeinde).

-> https://salvatorkirche.de/

Ein anderes Duisburg

Ein sehr spannendes Projekt zur Duisburger Zeitgeschichte ist am Wochenende mit einer Website online gegangen: Ein anderes Duisburg.

Eine rassismuskritische Erinnerungskultur und die Migrationsgeschichte in Duisburg stehen im Mittelpunkt von „Ein Anderes Duisburg“. Mit historischen Dokumenten, Fotos und Videointerviews von Zeitzeug:innen archiviert die Webdokumentation sowohl eindringliche Migrations-, Flucht- und Rassismuserfahrungen als auch Widerstände und Selbstorganisierungen. In thematisch aufgebauten Episoden werden bisher ungehörte Geschichten sicht- und hörbar. Die Webdokumentation zeigt: Eine multidirektionale Erinnerungskultur im städtischen Gedächtnis ist auch Voraussetzung für den Aufbau einer solidarischen Stadt für Alle an Rhein und Ruhr.

In Episode 1 (weitere sollen folgen) geht es um den Brandanschlag in Wanheimerort in der Nacht vom 26. auf den 27. August 1984, durch den sieben Menschen gestorben sind: Von Rassismus wurde nicht gesprochen!

Wir freuen uns, dass wir mit einigen Dokumenten aus dem DISS-Archiv zu dieser wichtigen Recherche beitragen konnten.

Am 26.8.2023 konnte endlich eine Gedenktafel am Haus des Brandes  enthüllt werden, die im öffentlichen Raum an die Ereignisse von 1984 erinnert.

Gedenktafel, Wanheimer Straße 301, enthüllt am 26.8.2023. Foto: M. Dietzsch

„Ich überlege, mein Bauch entscheidet“

Heinrich Strunk – Nachlassausstellung


Ausschnitt aus einem Bild von Heinrich Strunk

Wer das DISS kennt, kennt den 1949 geborenen Künstler Heinrich Strunk, denn ihm verdanken wir unser Logo und die Gestaltung von Buchcovern aus den 1990-Jahren. Auch der stilisierte Fink, der die Duisburger Studierendenkneipe Finkenkrug bis heute ziert, stammt aus seiner Hand.
Heinrich war Mitte der 1990er-Jahre zwei Jahre Mitarbeiter des DISS und hat uns einen immerwährenden, antirassistischen Kalender hinterlassen. Dieser spielt mit dem changierenden Verhältnis von Individualität und allgemeinmenschlicher Solidarität. Dazu kombiniert er verfremdete, vielfältige und ausdrucksstarke gemalte Portraits mit immer neuen Variationen des Mottos „Du bist wie keiner. Alle sind wie jeder“. Restexemplare können noch heute im DISS und der Buchhandlung Weltbühne erworben werden.

2016 verstarb Heinrich. Jetzt zeigt die cubus kunsthalle in Duisburg seinen Nachlass. Die Ausstellung zeigt, wie vielfältig, kritisch und humorvoll er war. Zwischen den Ausstellungsstücke sind Fotografien des Duisburger Fotografen Gernot Schwarz platziert, die mit künstlerischem Blick Ausschnitte aus Heinrich Strunks ehemaligen Atelier zeigen.

In der Ausstellung können Bilder zu Preisen zwischen 5 und 100 € erworben werden.  Das bedeutet aber auch: Je später man hingeht, je wenige Bilder sind noch zu sehen. Also los…

cubus kunsthalle
Friedrich-Wilhelm-Straße 64 in Duisburg.
bis Sonntag, 11.6.2023
Mi–So, 14–18 Uhr, Eintritt frei

 

Kalenderblatt des Kalenders gegen Rassismus, © 1994 DISS

Umschlaggestaltung © 1995

 

Podcast des WDR zur Brandstiftung in Duisburg-Wanheimerort 1984

Am 26. August 1984 wird im Duisburger Stadtteil Wanheimerort ein Mehrfamilienhaus angezündet. Im Haus wohnen viele Menschen, die als sogenannte Gastarbeiter:innen nach Deutschland gekommen sind. Sieben Mitglieder der Familie Satir sterben in dieser Nacht: Döndü Satir, Ümit Satir, Çigdem Satir, Songül Satir, Zeliha Turhan, Rasim Turhan und Tarik Turhan. Ein:e Täter:in wird nicht gefunden. Erst zehn Jahre später kommt es zu einer Verurteilung – ein rassistisches Motiv wird aber nie untersucht.

Das große Eckhaus in der Duisburger Wanheimerstraße steht heute noch, nichts erinnert an den Brand. Erst im Jahr 2018 hat sich eine Initiative aus Überlebenden, Angehörigen und Aktivist:innen gegründet. Sie schafft es, den Fall wieder in die Öffentlichkeit zu holen. Inzwischen hat sie ein Gutachten in Auftrag gegeben, in dem der juristische und polizeiliche Umgang mit dem Brand ausgewertet wird.

Wie ist die Duisburger Polizei damals vorgegangen? Inwiefern hat sie Spuren wie Hakenkreuze an der Hausfassade und rassistische Anrufe bei Helfer:innen verfolgt? Und wie haben die Überlebenden all das verkraftet und verarbeitet, während die Behörden sie viele Jahre vernachlässigt haben?

Hören Sie den Podcast des WDR
Schwarz Rot Blut – Der True Crime Podcast über rassistische Gewalt in Deutschland. Teil 4 von 7. 01.06.2022.

Brand im Mehrfamilienhaus – Duisburg 1984

 

Migazin berichtet über Hausräumungen in Duisburg

In der Online-Zeitschrift Migazin berichtet Joachim Krauß über die Hausräumungen in Duisburg durch die sogenannte „Taskforce“. Statt gemäß dem Wohnaufsichtsgesetz die Situation der Mietenden zu verbessern wird in Duisburg vermeintliche ‚Gefahr im Verzuge‘ in Bezug auf Branschutz zum Vorwand genommen, und Mietende werden obdachlos und mittellos gemacht.

Brandschutz als vertreibender Mieterschutz für Rumänen in Duisburg

In Duisburg werden Wohngebäude von Rumänen und Bulgaren brandschutztechnisch überprüft. Finden sich Mängel, haben die Bewohner fünf Stunden, um ihre Sachen zu packen und sich für eine neue Bleibe zu kümmern. Tausende haben bereits ihre Wohnungen verloren. Diese Praxis wirft Fragen auf: Geht es wirklich um Brandschutz?

[…]

Das Wohnaufsichtsgesetz wurde durch die damalige SPD-Landesregierung mit dem Schutz von Mietenden begründet. In Duisburg dient es der städtischen „Taskforce Problemimmobilien“ nicht als erste Handlungsgrundlage. Die Ordnungsbehörde agiert primär nach Brandschutzlogik. Dieses Vorgehen ist unter dem Aspekt der Gefahrenabwehr sehr effektiv und unmittelbar, es lässt auch keine Güterabwägung zu. Auf die Gefahrenfeststellung erfolgt die Nutzungsuntersagung und sofortige Schließung, um Leib und Leben der Bewohnenden zu schützen. Die Behörde könnte im Zuge einer Ersatzvornahme auch die notwendigen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr anstelle der Hauseigentümer ergreifen und diesen die Kosten in Rechnung stellen, aber davon ist in keinem nach der Neuausrichtung der „Taskforce Problemimmobilien“ bekanntgewordenen Fall Gebrauch gemacht worden.

In der Kritik an der kommunalen Praxis wird gefragt, weshalb die Mietenden nicht vorab über eine Hausbegehung informiert und einbezogen werden, um auch präventiv tätig sein zu können und sie nicht schutzlos zu lassen. Nach der Logik des Brandschutzes verbietet sich gerade das, da mit Bekanntwerden der Gefahr, durch die Behörde eine Handlung erfolgen muss. Sollte aber die Gefahrenlage bereits vor der Begehung bekannt sein, würde sich die Behörde der verspäteten Abwehr schuldig machen und die Menschen wissentlich in der Gefahr belassen.

Die Mietenden vorab über mögliche Gefahren zu informieren und mit ihnen die Beseitigung zu planen, wäre eine präventive Herangehensweise, läge aber außerhalb der Gefahrenabwehrlogik einer Brandschutzüberprüfung. Hausräumungen könnten so vermieden werden. Sie kämen nur gleichzeitig nicht mehr als Steuerungsinstrument zwecks Abschreckung in Frage. Die Gefahrenabwehrlogik einer Brandschutzüberprüfung verbietet also behördliche Vorsorge, ihr Ergebnis kann (theoretisch) vorher nicht feststehen.

Vorauseilendes Jobcenter

Im April 2022 erhielten EU-Zugewanderte Bescheide des zuständigen Jobcenters. Darin hieß es: „Die Zahlung ihrer Leistungen wurde vorläufig eingestellt. Laut Aktenklage gibt es eine Räumung ihrer Wohnung zum 4.5.2022. Um Leistungen nach dem SGB II in Duisburg zu beziehen, muss ihr gewöhnlicher Aufenthalt in Duisburg sein. Nach der Räumung zum 04.05.2022 ist dies nicht sichergestellt.“ Eine lokale Organisation die u.a. eine Sozialberatung anbietet brachte den Fall in die Öffentlichkeit. Nach Bekanntwerden sagte die Ordnungsbehörde den Einsatz ab.

[…]

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