Zum Thema „Autonome Nationalisten“, einem Teil der militanten Neonazisszene, erschien im Wiesbadener VS-Verlag ein sehr lesenswerter Sammelband:
Jan Schedler, Alexander Häusler (Hrsg.)
Autonome Nationalisten
Neonazismus in Bewegung
VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2011
ISBN 978-3-531-17049-7
Aus der Einleitung:
In den Medien hat dieses neue Erscheinungsbild des Neonazismus oftmals zu oberflächlichen wie zugleich unsachlichen Gleichsetzungen zwischen AN und linken Autonomen geführt, die nach der schlichten Analogie hergeleitet wurden: Die sehen gleich aus, also sind sie auch gleich. Ähnliche Reaktionen sind auch in den politischen Debatten über ‚Extremismus‘ im allgemeinen Sinne zu finden. Ein solcher verkürzter Blick auf das Phänomen der AN findet sich auch in den Schriftenreihen der Extremismusforschung und der Verfassungsschutzbehörden: In der analytisch unhaltbaren Gleichsetzung von Wesen und Erscheinung werden dort stilistische und bewegungspraktische Ähnlichkeiten linksradikaler und neonazistischer Szenen zum Anlass genommen, diese als ‚identitäre Pole‘ eines übergeordneten ‚Extremismus‘ zu verorten. Trotz einiger Ansätze (Schedler 2009; Peters/Schulze 2009) zu einer tiefer greifenden Beschäftigung mit den AN, stand eine umfassende wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Phänomen bislang noch aus.
Die vorliegende Arbeit erhebt den Anspruch, dieses Forschungsdesiderat zu füllen mittels einer dezidierten Beschreibung und Analyse der AN sowie einer breit angelegten sozialwissenschaftlichen und sozialhistorischen Kontextualisierung der Entwicklungsprozesse im neonazistischen Lager.
Inhalt:
Genese
Jan Schedler
‚Modernisierte Antimoderne‘: Entwicklung des organisierten Neonazismus 1990-2010
Martin Langebach und Jan Raabe
Die Genese einer extrem rechten Jugendkultur
Ulrich Peters
Die Anfänge der AN in Berlin
Analyse
Jan Schedler
Style matters: Inszenierungspraxen ‚Autonomer Nationalisten‘
Fabian Virchow
„Deutschland wird funkeln wie der junge Tau am Morgen“. Selbstbilder und Weltanschauungen der ‚Autonomen Nationalisten‘
Tomas Sager
Freund oder Feind? Das widersprüchliche Verhältnis von ‚Autonomen Nationalisten‘, NPD und neonazistischer Kameradschaftsszene
Hendrik Puls
„Der ganze Alltag, das ganze Leben bestand eigentlich nur aus Nazi sein, Naziwelt leben und Naziaktivismus.“ Zur Lebenswelt ‚Autonomer Nationalisten‘ zwischen politischen Aktionen und individuellem Alltag
Eike Sanders und Ulli Jentsch
AN und gender
Jan Raabe und Martin Langebach
Jugendkulturelle Dynamik – Vom Hardcore über den NSHC zu den ‚Autonomen Nationalisten‘
Alexander Häusler
„Nähe zum Gegner“ und „Brüder im Geiste“? Die ‚Autonomen Nationalisten‘ im Spiegel der Extremismusforschung
Regionale Entwicklungen
Sabine Kritter, Fabian Kunow und Matthias Müller
Vom Vorreiter zum Hinterbänkler – Zur Stagnation der Berliner ‚Autonomen Nationalisten‘
Jan Schedler
Brennpunkt Nordrhein-Westfalen: ‚Autonome Nationalisten‘ in Ruhrgebiet und Rheinland
Julian Bollhöfner
Neonazismus im ländlichen Raum Ostwestfalen-Lippe
Christoph Schulze
‚Autonome Nationalisten‘ in Ostdeutschland
Mario Born und Robert Andreasch
Entwicklungen in Süddeutschland
Jan Schedler und Daniel Fleisch
Vorbild Deutschland: Rezeption der AN in Europa
Klára Kalibová
‚Autonome Nationalisten‘ in Tschechien
Historische Bezüge
Daniel Schmidt
„Soldaten der Bewegung“. Gewaltpraxis und Gewaltkult in der SA während der nationalsozialistischen „Kampfzeit“
Karin Priester
Ästhetik und Propaganda im italienischen Faschismus
Regina Wamper, Michael Sturm und Alexander Häusler
Faschistischer Selbstbedienungsladen? Aneignungspraktiken der ‚Autonomen Nationalisten‘ in historischer und diskursanalytischer Perspektive
Fazit
Alexander Häusler und Jan Schedler
Neonazismus in Bewegung: Verortung der ‚Autonomen Nationalisten‘ in der sozialwissenschaftlichen Bewegungsforschung