Netzfundstück: Podcast über das DISS-Colloquium

Auf dem Semiosisblog veröffentlichte Sebastian Reinfeldt einen Podcast über das diesjährige DISS-Colloquium.

Autoritäre Zuspitzung – oder: Die Rückkehr in die Provinz

Gleich ob in Deutschland, in Frankreich, in Polen, in Ungarn, in Österreich, in Tschechien, in Schweden, in Dänemark oder Norwegen, in Großbritannien oder in den USA: Themen, Schlagworte und Redeweisen rechter populistischer Parteien und ihrer Politikerinnen und Politiker geben den Ton in der Politik an. Nicht nur, dass sie in Wahlen deutlich an Stimmen gewinnen, dass sie die Regierung des Landes stellen oder an ihnen beteiligt sind. Sie beherrschen zudem das öffentliche Gerede über Politik.

Dabei sind „Flüchtlinge“ und Migration das bestimmende Thema. In diesem Kontext wird die Rückkehr in eine bessere Zeit versprochen – in eine Zeit nämlich, in der die sozialen Beziehungen noch intakt gewesen seien. Somit „verschieben und verdichten“ sich praktisch alle gesellschaftlichen Fragen in die rechtspopulistischen Redeweisen: Man spricht die Sprache der rechten Populisten, man denkt in ihren Kategorien – und man nimmt die Welt mithilfe ihrer verfälschten Bilder wahr.
Ihre strategischen politischen Mehrheiten bei Wahlen erzielen diese Parteien und Gruppen dabei durchwegs in der Provinz: In den ländlichen Regionen und in den kleinen und mittleren Städten, die am Rande der – oder zwischen den – urbanen Zentren liegen. Das diesjährige Jahrescolloquium des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung im Tagungshaus auf der Frankenwarte in Würzburg beleuchtete diese Situation in vielen Aspekten. Um jenseits der gängigen Schlagwörter in den Medien zu verstehen, was in dieser Autoritären Zuspitzung (so der Titel der Novembertagung) vor sich geht, werden wir uns also auf den Weg in die Provinz machen müssen.

Lesen Sie den kompletten Beitrag und hören Sie den Podcast unter:

Autoritäre Zuspitzung – oder: Die Rückkehr in die Provinz

Neue DISS-Broschüre: Pegida im Spiegel der Medien

In unserer Reihe kostenloser Online-Broschüren erschien

Pegida im Spiegel der Medien
Vom „bürgerlichen Protest“ zur „Bedrohung von rechts“

Eine Studie des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung,
durchgeführt von Paul Bey, Mark Haarfeldt, Johannes Richter und Regina Wamper,
gefördert durch die Otto Brenner Stiftung.

 

 

 

Aus dem Vorwort:

Im Oktober 2014 begannen in Dresden anfangs kleine, regelmäßige Kundgebungen und Demonstrationen der „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (Pegida). Zunächst kaum beachtet, wuchsen die Zusammenkünfte in den folgenden Wochen schnell an. Pegida gelang es zunehmend, Aufmerksamkeit in der bundesdeutschen Öffentlichkeit zu erzielen. Die Gruppierung entwickelte sich zu einem Phänomen, welches durch eine permanente Präsenz und hohe Mobilisierungskraft gekennzeichnet ist. Pegida positionierte sich abseits des traditionellen Parteiensystems und entzog sich weitgehend einer klaren politischen Einordnung. Seit der Entstehung entwickelte das Phänomen eine hohe Anziehungskraft auf die (wissenschaftliche) Öffentlichkeit. Mehrere Studien zu Pegida wurden veröffentlicht, deren Fokus vor allem auf der Frage nach der politischen Einstellung und sozialen Herkunft der Teilnehmenden lag. Auch das mediale Interesse war hoch und insbesondere in der Entstehungs- und Konsolidierungszeit Pegidas von kontinuierlicher Berichterstattung geprägt. Bislang wurde aber nur ungenügend herausgearbeitet, wie die Medien selbst in ihrer Wahrnehmung Pegidas und der politischen Fragestellungen, die sie in Zusammenhang mit der Gruppierung aufwarfen, die öffentliche Diskussion um Pegida mitbestimmten. In dieser Broschüre wird folglich der Blick auf die Berichterstattung zu Pegida in drei deutschen Tageszeitungen gelenkt. Leitfragen sind dabei, welche politischen Inhalte die Medien bei Pegida identifizieren und wie sie diese Inhalte rezipieren, sowie, wie Pegida in der Presse, die selbst oftmals zum Feindbild der Gruppierung wurde, besprochen, eingeordnet und bewertet wird. Mittels der Methode der Kritischen Diskursanalyse werden in dieser Studie die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die Süddeutsche Zeitung und die Sächsische Zeitung untersucht. Dabei werden Charakterisierungen, Bewertungen und Interpretationen des Phänomens Pegida herausgestellt. Es wird aufgezeigt, ob die Tageszeitungen Pegida problematisierten, welche Lösungsstrategien und gesellschaftlichen Umgangsformen sie favorisierten und mit welchen gesellschaftspolitischen Debatten Pegida in Zusammenhang gebracht wurde. Die vorrangige Frage ist die des gesellschaftlichen Umgangs mit Pegida. Doch auch die Inhalte von Pegida selbst sind Gegenstand der vorliegenden Untersuchung.

Download als PDF-Datei

 

Netzfundstücke: Eine Gegenerzählung: Gleichheit aller – auch der Klassen

Der Bayerische Rundfunk sendete in seiner Reihe Zündfunk-Generator am 4. Dezember das Feature „Trump, Le Pen, AfD – Geschichten gegen des Hass. Eine Suche“. In Anknüfpung an Didier Eribons „Rückkehr nach Reims“ wird die Frage nach einer linken Gegenerzählung gestellt.

In dem sehr hörenswerten Beitrag kommt auch DISS-Mitarbeiter Andreas Kemper zu Wort.

„Austeilen nach oben ist immer schwierig, das gibt sofort Ärger. Austeilen gegen Schwächere ist nicht so schwierig. Flüchtlinge werden außerdem gesehen, die sind auf der Straße. Mit denen kann man sich vergleichen. Aber die Reichen sieht man halt nicht, die sind ja abgeschottet. Die sind in ihren Villenvororten. Wenn die überhaupt Bahn fahren, dann erste Klasse.“

Den ausführlichen Ankündigungstext gibt es hier:

Trump, Le Pen, AfD – Geschichten gegen des Hass. Eine Suche

Den kompletten Beitrag als mp3-Datei finden Sie hier:

Zündfunk-Generator 3.12.2016

Die Effekte von zwei Jahre Pegida

In der DISS Online Bibliothek erschien ein Text von Johannes Richter: Die Effekte von zwei Jahre Pegida.

Es ist wahrscheinlich der größte diskursive Effekt, den die montäglichen „Spaziergänge von Pegida“ erzielt haben: Themen werden aktuell von rechts diskutiert, linke Inhalte, Perspektiven von Betroffenen rassistischer und rechter Gewalt, finden kaum bis keine Erwähnung. Dies zeigt sowohl eine Analyse des Mediendiskurses zu Pegida als auch der Umgang des Politikerdiskurses in Sachsen. Exemplarisch ist das Interview des sächsischen Innenministers Markus Ulbig zu Beginn von PEGIDA, in dem er Sondereinheiten für „kriminelle Asylbewerber“ versprochen hatte und zwei Jahre später der „Aufruf zu einer Leit- und Rahmenkultur“ der CSU und CDU-Sachsen, der an mehr Patriotismus und deutsche Leitkultur appelliert und damit letztlich den völkisch-nationalen Kern des Phänomens Pegida bedient.

Den vollständigen Beitrag von Johannes Richter lesen Sie bitte hier: Die Effekte von zwei Jahre Pegida

Anlässlich des Comebacks von Martin Hohmann

Anfang November 2016 kürte die AfD-Hessen ihre Kandidaten für die kommende Bundestagswahl. Der prominenteste unter den Kandidaten, an vierter Stelle gelistet, ist ein alter Bekannter, Martin Hohmann, der 2004 wegen einer als antisemitisch kritisierten Rede aus der CDU ausgeschlossen worden war. In der AfD hat er nun ein neue ‚Heimat’ gefunden und stärkt dort den christlich-konservativen Flügel. Aber auch völkische und identitäre Töne sind ihm, dem Kontakte zu Björn Höcke nachgesagt werden (FASZ v. 20.12.2015), nicht fremd. Mit Blick auf Merkels Flüchtlingspolitik verlautbarte er:

„Eine Volksgemeinschaft muss wissen, wer dazu gehört und wer nicht, wie viele Fremde man aufnehmen kann, ehe die Gemeinschaft ins Chaos fällt.“ (Spiegel online v. 20.06.2016).

Aus Anlass des erneuten Karrieresprungs von Hohmann erlauben wir uns, zwei ältere Texte von DISS-Mitarbeitern ins Netz zu stellen. Der erste, von dem leider allzu früh verstorbenen Alfred Schobert, erschien im Dezember 2003 in den Archiv-Notizrn und in der Graswurzelrevolution, der zweite, von Helmut Kellershohn, stammt von 2004 und wurde dann in veränderter Form in einem Sammelband von Stephan Braun und Daniel Hörsch im VS-Verlag veröffentlicht.

Alfred Schobert: Eliten-Antisemitismus in Nazi-Kontinuität. Martin Hohmanns Neuhofer Rede im Kontext (Dezember 2003)

Helmut Kellershohn: Im rechten Grenzraum des Verfassungsbogens. Der Fall Hohmann und die Junge Freiheit (2004)

DISS-Journal 32 erschienen

diss-journal-32-titelDie Ausgabe 32 der Institutszeitschrift des DISS ist erschienen. Wie immer können Sie das DISS-Journal kostenlos als PDF-Datei herunterladen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wie weit geht der Rechtsruck?

Im Schwerpunkt dieser Ausgabe beschäftigen wir uns mit dem politischen Rechtsruck in Deutschland, mit den Wahlerfolgen der AfD und dem Vokabular von Björn Höcke, welches Parallelen zum NS-Sprachgebrauch aufweist. Wir thematisieren, wie Pegida im medio-politischen Diskurs verhandelt wurde und welche Effekte die jeweiligen Deutungsmuster mit sich bringen. Auch richten wir den Blick nach Frankreich und Schweden.

Auf dem Weg zur drittstärksten Partei?
Ein Kommentar zu den jüngsten Wahlerfolgen der AfD
Von Helmut Kellershohn

Zur NS-Rhetorik des AfD-Politikers Björn Höcke
Von Andreas Kemper

Sachsen mal wieder – oder doch globale politische Verwerfungen?
Bemerkungen zum Diskurs über ‚sächsische Verhältnisse‘ im Kontext einer generellen Rechtsverschiebung
Von Tino Heim

Pegida und der Mainstream
Von Regina Wamper

Frankreich auf der Suche nach Identität
Anmerkungen zur aktuellen Debatte
Von Sebastian Chwala

Eure Armut kotzt uns an
EU-Migration und Bettelei in Schweden
Von Cordelia Heß

Pegida als Spiegel und Projektionsfläche
Eine Leseempfehlung von Helmut Kellershohn

Englischsprachige Forschungsliteratur
Ein Überblick von Jobst Paul

Genealogie als Kritik
Eine Skizze für eine Erweiterung Kritischer Diskursanalyse
Von Siegfried Jäger

Das Mombasa-Syndrom oder:
Rassismus à la carte
Von Jobst Paul

Nachruf auf Heinrich Strunk

Heimatfront Flüchtlingsheim
Von Rolf van Raden und Maren Wenzel

DISS-Neuerscheinung: Kulturkampf von rechts

Neu erschienen in der Edition DISS im Unrast Verlag ist der Band

Helmut Kellershohn / Wolfgang Kastrup (Hg.):
Kulturkampf von rechts
AfD, Pegida und die Neue Rechte
242 Seiten, 24 EUR

Edition DISS Bd. 38, ISBN 978-3-89771-767-1

editiondiss38kulturkampfcover

 

Phänomene wie Pegida und die AfD machen die Ausbreitung rechter Ideologeme in der Mitte der Gesellschaft deutlich und signalisieren einen Rechtsruck in Deutschland. Der Vertrauensverlust vieler Menschen in die politische Klasse hat durch die Flüchtlingspolitik einen großen Schub erhalten, war aber schon vorher vorhanden. Er ist nicht nur Ausdruck einer politischen Krise, sondern auch das Resultat der Krisenprozesse kapitalistischer Ökonomie in den letzten Jahren. Neurechte Gruppierungen und Netzwerke stehen bereit, diesen Menschen mit völkischer Ansprache Orientierung zu bieten.

 

 

 

 

 

 

Inhalt:

Teil I – Neoliberalismus, völkischer Nationalismus und konservative Revolution

Helmut Kellershohn
Nationaler Wettbewerbsstaat auf völkischer Basis. Das Ideologische Grundgerüst des AfD-Grundsatzprogramms
Helmut Kellershohn
Autoritärer Liberalismus. Zum Zusammenhang von Neoliberallsmus und konservativer Revolution
Wolfgang Kastrup
Facetten des Neoliberalismus

Teil II – Kulturkampf von rechts: Akteure

Alexander Häusler
Die AfD und der europäische Rechtspopulismus. Krisensymptome politischer Hegemonie
Julian Bruns/Kathrin Glösel/Natascha Strobl
Die Identitären. Der modernisierte Rassismus einer Jugendbewegung der Neuen Rechten.
Helmut Kellershohn
Götz Kubitschek und das Institut für Staatspolitik
Mark Haarfeldt
Die Rezeption von Peglda In Wissenschaft und Medien

Teil III- Kulturkampf von rechts: Themen

Jobst Paul
Der Niedergang – der Umsturz – das Nichts. Rassistische Demagogie und suizidale Perspektive in Björn Höckes Schnellrodaer Rede
Andreas Kemper
Geschlechter- und familienpolitische Positionen der AfD
Rolf van Raden
Pegida-Feindbild »Lügenpresse«. Über ein massenwirksames verschwörungstheoretisches Konstrukt
Floris Biskamp
Antimuslimischer Rassismus als systematisch verzerrtes Kommunikationsverhältnis. Das Sprechen über den Islam zwischen Befreiung und Festschreibung

Teil IV-Was tun?

Richard Gebhardt
»Bitte wählen Sie nicht AfD« – Der hilflose Antipopulismus und die gespaltene Republik
Floris Biskamp
Don’t Believe the Hype
Wolfgang Kastrup
Der enttäuschte Nationalismus der AfD
Marvin Chlada
Das neoliberale Subjekt und die menschliche Würde. Erziehung zur Autonomie im Angesicht der Barbarei
Sebastian Friedrich
Falsche Alternativen: Warum breite Bündnisse gegen die AfD keine Perspektive für Linke sind
Julia Meier
Die AfD bekämpfen, bevor es zu spät ist. Eine Replik auf den Beitrag von Sebastian Friedrich

 

Vorwort

1. »Rechte Wutbürger im Kulturkampf«, so lautete der Titel des Kolloquiums des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS), das im November 2015 in der Akademie Frankenwarte in Würzburg stattfand. Das vorliegende Buch fußt zu einem großen Teil auf Vorträgen dieses Kolloquiums, einige aktuellere Texte sind hinzugekommen und auch der Titel wurde verändert zu »Kulturkampf von rechts«.

Es war das Ziel des Kolloquiums, die in Deutschland laut und deutlich gewordenen Protestbewegungen von rechts und die schon damals vorhandenen Wahlerfolge der AfD zu untersuchen. Erst recht durch die jüngsten Wahlerfolge dieser Partei wird die Ausbreitung rechter Ideologeme in der Mitte der Gesellschaft deutlich und signalisiert einen Rechtsruck in Deutschland. Der Verlust des Vertrauens auf Seiten vieler Menschen in die politische Klasse hat durch die Flüchtlingspolitik einen großen Schub erhalten, er war aber schon vorher, im Zusammenhang mit der Finanz-, Banken- und Eurokrise, nicht zu übersehen.

Diese Entwicklung ist nicht nur Ausdruck einer im engeren Sinne politischen Krise, sondern auch das Resultat der Krisenprozesse kapitalistischer Ökonomie in den letzten Jahren, die die durch den >Westen< dominierte Weltordnung beeinträchtigen. Im globalisierten Kapitalismus wird es immer schwieriger, zwischen Zentren und Peripherie, zwischen nahen und fernen Regionen und zwischen trans- und innernationalen Krisenprozessen zu trennen. Die Folgen geopolitischer Spannungen mit regionalen Kriegen (u.a. in Syrien, Libyen, Mali und der Ukraine), bandenmäßigem Terror, zerfallenden Staaten und einem islamistischen Terrorismus erreichen daher auch unmittelbar die kapitalistischen Zentren. Millionen Flüchtlinge fliehen weltweit vor Krieg, Verfolgung, Armut und Perspektivlosigkeit, und sie fliehen, wenn sie nicht Binnenflüchtlinge sind, oftmals gerade in die Länder, in denen sie sich Schutz, Arbeit und Konsumverheißungen erhoffen. Die Menschen in den Wohlfahrtszonen des globalen Kapitalismus werden damit konfrontiert, ohne dass ihnen häufig bewusst ist, dass gerade solche Länder, wie etwa Deutschland, politisch wie ökonomisch eine große Mitverantwortung für diese Fluchtursachen tragen.

In den führenden kapitalistischen Industrienationen selbst wird eine immer größer werdende Einkommens- und Vermögensungleichheit deutlich, mit prekären Berufsperspektiven, erheblichen sozialen Verwerfungen, einer sich zuspitzenden ökologischen Krise und in der Folge mit Machtverschiebungen im politischen System. In den kapitalistischen Ländern zeigen sich aufgrund dieser Unsicherheiten sowie angesichts ökonomischer und sozialer Abstiegs- und Konkurrenzängste Empörung, Wut und Hass gegenüber den anscheinend unfähigen politischen und gesellschaftlichen Eliten, es konzentrieren sich diese Affekte und Ressentiments aber häufig gegen Migrant*innen und Flüchtling*innen. Stimmengewinne für rechte, nationalistische und rassistische Parteien sind oftmals die Folge, was sich in etlichen Ländern der Europäischen Union zeigt. Spätestens nach den Wahlerfolgen der AfD im Frühjahr dieses Jahres in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt wird deutlich, dass der völkische Nationalismus auch in Deutschland auf dem Vormarsch ist. Begleitet wird diese Rechtsorientierung von gewaltsamen Angriffen auf Flüchtlinge und deren Unterbringungen durch einen radikalisierten Mob. Neurechte Gruppierungen oder neonationalsozialistische Kader stehen bereit, diesen Menschen mit völkischer Ansprache Orientierung zu bieten.

2. Im Titel dieses Buches sprechen wir von einem »Kulturkampf von rechts«. Das bedarf einer Erläuterung. Es handelt sich hier nicht um einen Beitrag zur öffentlichen Debattenkultur, der »hart, aber fair« zu sein beanspruchen und eine entsprechende Gegenantwort von Seiten der Kontrahenten erwarten würde. Die rechten Protagonisten in und außerhalb der AfD wähnen sich vielmehr in »einem Kampf um die Vorherrschaft im eigenen Raum« (Götz Kubitschek), und das ist nun mal keine Debatte oder Diskussion im eigentlichen Sinne, sondern, soweit der Kampf mit intellektuellen Mitteln ausgetragen wird, ein »geistiger Bürgerkrieg«, der durch Überzeugung auf Gefolgschaft zielt. Dieser Bürgerkrieg findet in den zivilgesellschaftlichen Räumen und Institutionen, im vorpolitischen Raum statt; und hier die Oberhoheit zu gewinnen, d.h. das Denken möglichst vieler Menschen, ihre Lebensweise und Weltanschauung zu prägen, wird als Voraussetzung betrachtet, um die politische Macht zu erringen: entweder auf den Wegen, die die bestehende Verfassungsordnung bereit stellt, oder, unter Umständen, wenn die staatliche Ordnung sich auflöst und zerbricht, in einem realen Bürgerkrieg als ultima ratio. Der »Kulturkampf von rechts « ist also immer schon mehr als ein Kampf um die Werte und Normen, um den geistigen Überbau einer Gesellschaft, er ist immer schon mehr als nur ein Weltanschauungskampf, er zielt auf die Eroberung der politischen Macht und die Umgestaltung der Gesellschaft im Sinne der rechten Protagonisten.

Nun wird mancher Leser bzw. manche Leserin kopfschüttelnd einwenden, was das denn mit dem einfachen AfD-Mitglied oder den >kleinen Leuten<, die bei Pegida mitdemonstrieren zu tun hat? Der Einwand ist berechtigt. Der »Kulturkampf von rechts« ist ein Konzept, und Konzepte werden, um Marx zu zitieren, von »konzeptiven Ideologen« entworfen. Genau das meint Björn Hocke, einer der rechten Protagonisten innerhalb der AfD, wenn er davon spricht, dass die Gruppierung, die er in der AfD verkörpert oder verkörpern will, eine »Avantgarde« sei, die sozusagen über den Tag hinaus denkt und Perspektiven entwirft, im Kampf gegen eine als »dekadent« gebrandmarkte Kultur. Das ist eine deutliche Ansage, und um die geht es in diesem Buch.

3. Der erste Teil des Buches befasst sich mit einigen ideologischen Aspekten der Rechtsentwicklung, Ausgehend von einer Analyse des ideologischen Grundgerüsts der AfD-Programmatik wird nach dem Zusammenhang zwischen der das Selbstverständnis der Akteure im real existierenden Kapitalismus derzeit dominierenden Ideologie des Neo- bzw. Ordoliberalismus und dem völkischen Nationalismus als dem gemeinsamen ideologischen Nenner rechtspopulistischer und extrem rechter Kräfte gefragt. In einer kleinen ideengeschichtlichen Untersuchung, die sich exemplarisch auf die Endphase der Weimarer Republik bezieht, wird zudem die staatspolitische Schnittstelle zwischen Neoliberalismus und >Konservativer Revolution entwickelt.

Der zweite Teil widmet sich dann einigen ausgewählten Akteuren der derzeitigen Rechtsentwicklung in Gestalt der AfD, des Instituts für Staatspolitik und der Identitären Bewegung. Ein Artikel zu Pegida beleuchtet das Bild dieser Protestbewegung in Wissenschaft und Medien.

Im dritten Teil werden konkrete Erscheinungen und Artikulationen des »Kulturkampfs von rechts« untersucht. Dies geschieht in Form einer Analyse der sehr bekannt gewordenen Rede von Björn Höcke, die er im Institut für Staatspolitik gehalten hat. Es geht im Weiteren um die Familien- und Geschlechtervorstellungen der AfD, um das durch Pegida manifest gewordene Feindbild der »Lügenpresse« und abschließend um ein differenziertes Bild des antimuslimischen Rassismus.

Die Beiträge des abschließenden vierten Teils sind der Frage nach dem »Was tun?« gewidmet, Sie thematisieren diskursive Strategien im Umgang mit AfD und Pegida, betonen die Notwendigkeit der Profilierung linker Politik. Eine Debatte über die Kampagne »Aufstehen gegen Rassismus« unter bündnispolitischen Gesichtspunkten rundet diesen Teil ab.

Zu den vier Teilen des Buches werden zu Anfang jeweils Einführungen in das Thema gegeben.

Duisburg, im Juli 2016
Helmut Kellershohn/Wolfgang Kastrup

CSU-Generalsekretär – noch schlimmer – Singalesen, nicht Senegalesen

Glosse

Noch schlimmer – Singalesen, nicht Senegalesen: Andreas Scheuer’s rassistische Possen1 und der deutsche Journalismus

von Jobst Paul

 

Wir wissen nun schon einiges recht genau: Nach Andreas Scheuers herabsetzenden Äußerungen zu Asylbewerbern beim „Regensburger Presseclub“ am 15. September 2016 veröffentlichte die Mittelbayerische Zeitung am 16. September 2016 eine verkürzte und leicht veränderte Fassung der Scheuer’schen Äußerungen2:

Das Schlimmste ist ein fußballspielender ministrierender Senegalese. Der ist drei Jahre in Deutschland — als Wirtschaftsflüchtling — den kriegen wir nie wieder los“, sagt Scheuer und spricht sich für eine geordnete und gesteuerte Zuwanderung nach dem Vorbild Kanadas aus.

Bildschirmfoto br.de
Bildschirmfoto br.de

Während sich die Sprachwissenschaftlerin Elisabeth Wehling von der Universität Berkeley noch am 21. September auf diesen Wortlaut bezog und Scheuer das Spiel mit faschistischen Sprachbildern und Assoziationen bescheinigte3, platzte dem Regensburger Generalvikar Michael Fuchs schon am 17. September der Kragen4. Auf Facebook verurteilte er Scheuer’s Formulierungen und lud ihn zur Flüchtlingsarbeit vor Ort ein.

Erst jetzt wurde der Bayerische Rundfunk aufmerksam5 und verbreitete, wie alle Nachrichten-Agenturen, den Wortlaut der Mittelbayerischen Zeitung weiter. Erst danach besorgte sich die BR den Originalmitschnitt, erkannte die textliche Abweichung, korrigierte das Zitat und machte am 19. September 2016 den Original-Mitschnitt6 öffentlich zugänglich. Am 21. September 2016 stützte sich die deutsche Presse danach auf folgende Transkription des Wortlauts:

Weil wenn er mal über einen langen Zeitraum in den Verfahren herinnen ist, entschuldigen Sie die Sprache, das Schlimmste ist ein fußballspielender, ministrierender Senegalese, der über drei Jahre da ist, weil den wirst Du nie wieder abschieben. Aber für den ist das Asylrecht nicht gemacht, sondern er ist Wirtschaftsflüchtling. Aber wir haben halt eine Gesellschaft, wo’s Du den Vereinsvorsitzenden, den Pfarrer, schlimmstenfalls den Landtagsabgeordneten, den Bundestagsabgeordneten, und wie sie alle heißen, findest, der sagt: „Alle müssen durch dieses strenge Verfahren, aber der, der hat sich so gut integriert.“

Offenbar haben sich die Textlaut-Beauftragten aber erneut verhört – Scheuer hatte in Regensburg nicht von ‚Senegalesen‘, sondern hatte ausgerechnet ‚Singalesen‘, also Flüchtlinge aus Sri Lanka, als fußballspielende, ministrierende Wirtschaftsflüchtlinge bezeichnet.

***

Auf Sri Lanka tobte seit 1983 über Jahrzehnte einer der schlimmsten Bürgerkriege der Welt zwischen einer buddhistisch-singalesischen Mehrheit und einer hinduistischen Minderheit (Tamilen). Viele Zehntausende von Menschen wurden getötet, Hunderttausende wurden zu Flüchtlingen. In der Zeit des Bürgerkriegs (noch bis 2011) wurden von allen Seiten schwerste Kriegsverbrechen verübt.7 Noch bis in die jüngste Zeit lehnte es die sri-lankische Regierung ab, die bis 2011 andauernden Verletzungen der Menschenrechte aufzuarbeiten.

Nach Angaben einer Oldenburger Länderdaten-Plattform8 wurden im Jahr 2015 von ca. 350 Asylanträgen von Menschen aus Sri Lanka ca. 130 Antragsteller als Asylberechtigte anerkannt.

Von den 21 Millionen Einwohnern sind etwa 1,1 Mill. Christen, davon 270 000 Protestanten.9 Die Dominanz von Christen im Bildungswesen und in der Verwaltung führte zu einer Gefährdung der christlichen Minderheit, die zwischen die Linien des Kampfgeschehens geriet.

Noch einmal Andreas Scheuer zu katholischen Singalesen:

das Schlimmste ist ein fußballspielender, ministrierender Singalese, der über drei Jahre da ist, weil den wirst Du nie wieder abschieben. Aber für den ist das Asylrecht nicht gemacht, sondern er ist Wirtschaftsflüchtling …

 

 

1 Vgl. Jobst Paul, „Wir können nicht die ganze Welt retten.“ Der Generalsekretär der CSU, Andreas Scheuer, zu Migration und Flucht im Juli 2015. DISS-Journal 30 (2015)

Brasilianisches Jahrbuch zur Diskursanalyse mit DISS-Beitrag von Jobst Paul

Unter dem Titel Estudos críticos do discurso e realismo crítico: contribuições e divergências (Kritische Diskursanalyse und Kritischer Realismus – Beiträge und Unterschiede) ist jetzt an der Universität Cuiabá, Provinz Mato Grosso in Brasilien, das umfangreiche Online-Jahrbuch Polifonia erschienen, das von den beiden Professorinnen Solange Maria de Barros und Viviane de Melo Resende betreut wurde. Frau Prof. Resende von der Universität Brasilia besuchte das DISS im Jahr 2014 zu einem eingehenden Forschungsgespräch zu Fragen der Kritischen Diskursanalyse.

Der Band enthält neben portugiesisch-sprachigen Beiträgen u.a. auch einen englisch-sprachigen Beitrag unseres Mitarbeiters Jobst Paul unter dem Titel Reading the code of dehumanisation: the animal construct deconstructed. Darin stellt Paul erstmals in internationalem Rahmen seine Analyse des binären Codes der Herabsetzung (‚Tier‘-Konstrukt) vor, ergänzt um weitere, inzwischen erarbeitete Analyseteile. Besonderer Schwerpunkt ist dabei die Betrachtung des im westlichen Moraldiskurs dem ‚Tier‘ entgegengesetzten Konstrukts vom ‚zivilisierten Menschen‘.

Angesichts der aktuellen, massiven Rückschläge in der brasilianischen Demokratie trifft derzeit nicht allein die engagierte Analyse herabsetzender Rhetorik auf breites Interesse in Brasilien, sondern auch die umfassende Kritik an einer binär strukturierten, d.h. auf Herrschaft und Herabsetzung aufgebauten Kultur. Dass das neueste Jahrbuch von Polifonia mit den Stichworten Kritische Diskursanalyse und Kritischer Realismus diesen Nerv getroffen hat, zeigt sich daran, dass dieses fachwissenschaftliche Jahrbuch bereits in 5 Tagen seit dem Erscheinen (am 1. Juli 2016) von brasilianischen Lesern über 2000 Male (weltweit über 500 Male) heruntergeladen wurde.

Link zum Jahrbuch: http://periodicoscientificos.ufmt.br/ojs/index.php/polifonia/issue/view/271/showToc

Link zum Artikel von Jobst Paul: http://www.periodicoscientificos.ufmt.br/ojs/index.php/polifonia/article/viewFile/3861/pdf

DISS-Journal 31 erschienen

Die Ausgabe 31 der Institutszeitschrift des DISS ist erschienen. Wie immer können Sie das DISS-Journal kostenlos als PDF-Datei herunterladen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Grenzen dicht: Die Angst vor dem Kontrollverlust

Schlimmer geht immer: Die Balkanroute ist abgeriegelt, Europa schottet sich noch effektiver ab. Die Zahl der Menschen, die es bis nach Deutschland schaffen, hat abgenommen – das Massensterben im Mittelmeer geht weiter. Die Zustände in den hiesigen Massenunterkünften sind weiter dramatisch.

Schwerpunkt dieser Ausgabe ist das Thema Flucht nach Deutschland und Europa. Wir beleuchten, wie Flucht und Migration medial und politisch als Krise verarbeitet und denormalisiert werden. Hans Uske und Ursula Kreft analysieren die derzeitigen Normalisierungsversuche der deutschen Politik. Mit Blick auf die rassistische Instrumentalisierung der Silvester-Ereignisse plädiert Isolde Aigner für einen neuen solidarischen Feminismus in der Einwanderungsgesellschaft. Und Jürgen Link bringt transnormalistische Alternativen ins Spiel.

Außerdem in dieser Ausgabe: Helmut Kellerhohn kommentiert das AfD-Parteiprogramm und analysiert die völkisch-nationalistischen Implikationen. Ismail Küpeli schreibt über den Krieg in der Türkei und die Rolle Deutschlands. Und: Böhmermann zwischen hate speech und Satire – Jobst Paul nimmt den Fall unter die Lupe.

Inhalt:

Grenzen ziehen ohne Obergrenze.
Die Normalisierung der „Flüchtlingskrise“
Von Ursula Kreft und Hans Uske

Die Massenflucht zwischen Denormalisierung, Normalisierung und transnormalistischen Alternativen
Von Jürgen Link

Wenn das feministische Potenzial wegzubrechen droht
Die Debatten um die Silvester-Ereignisse im Kontext von Postfeminismus
Von Isolde Aigner

Verengungen, Verschiebungen und Auslassungen.
Vorläufige Anmerkungen zum Fluchtdiskurs 2015/2016 in den Medien
Von Margarete Jäger, Regina Wamper und Isolde Aigner

Der Krieg in der Türkei gegen die Kurden und die Rolle Deutschlands
Von Ismail Küpeli

Flucht als Deutungsmuster linker Aktivist_innen
Von Sina Kaiser

Die Kölner Silvesternacht: (Re)Konstruktion eines diskursiven Ereignisses
Von Felix Schneider

Die Aufnahme von Flüchtlingen in den Bundesländern und Kommunen
Eine Rezension von Robin Heun

DISS Presseerklärung zur Debatte um die Ereignisse in der Silvesternacht in Köln, Duisburg, 16. Februar 2016
In der Debatte um die Ereignisse in der Silvesternacht in Köln dominieren rassistische und sexistische Deutungsmuster

Schmäh eines Unpolitischen?
Böhmermann zwischen hate speech und Satire
Von Jobst Paul

Nationaler Wettbewerbsstaat auf völkischer Basis
Das AfD-Grundsatzprogramm
Von Helmut Kellershohn

Entfremdung: Renaissance eines Begriffes
Von Wolfgang Kastrup

Beinahe zehn Jahre nach Veröffentlichung der Erstausgabe ist nun die dritte, erweiterte und überarbeitete Auflage des „Lexikons der Vergangenheitsbewältigung“ erschienen.
Eine Rezension von Philipp Erdmann

Glossar für einen diskriminierungssensiblen Sprachgebrauch
Eine Rezension von Zakaria Rahmani

„Recht auf Stadt reloaded“
Eine Rezension von Maren Wenzel