DISS-Journal 44 erschienen

Die neue Ausgabe unserer Institutszeitschrift DISS-Journal ist erschienen und kostenlos als PDF-Datei abrufbar.

Vorwort

Während der Ukraine-Krieg sich zu einem veritablen Abnutzungskrieg entwickelt hat, dessen Ende vorerst nicht absehbar ist, verschieben sich das mediale Interesse und die politische Aufmerksamkeit im ‚Westen‘ auf die ökonomischen und sozialen Folgen des Krieges für den Zusammenhalt der europäischen Gesellschaften. Inflation (bereits älteren Datums) und Energiekrise belasten große Teile der Bevölkerung. Im Schatten des Krieges reüssiert derweil die europäische Rechte. In Italien und Schweden bestimmen in Zukunft rechte Parteien direkt durch Regierungsübernahme oder indirekt über Vereinbarungen die Regierungspolitik. Auch die AfD befindet sich wieder im Aufwind und liegt in Umfragen in Ostdeutschland vorn.

Das vorliegende DISS-Journal widmet sich schwerpunktmäßig – am deutschen Beispiel – der Frage, mit welchen strategischen Überlegungen zum Ukrainekrieg und zur Energiekrise die AfD und die sie beratenden neurechten Intellektuellen ihre Machtposition vor allem in Ostdeutschland im sog. „Heißen Herbst“ auszuweiten gedenken. Dabei geht es nicht nur um eine erfolgversprechende Intervention in und die Einflussnahme auf die sich entwickelnde Protestbewegung, sondern auch um die weitere Transformation der Partei in eine auf Björn Höcke ausgerichtete Bewegungs-Partei, von der z.B. Bodo Ramelow unlängst in der FAZ (24.10.22) behauptete, dass sie sich zu einer „neuen faschistischen Bewegung mitten in Deutschland“ entwickle. Dass die politische Rechte in Italien á la Meloni eher auf ‚samtenen‘ Pfoten daherkommt, Kontinuität statt Diskontinuität betonend, beschreibt Jörg Senf (Rom) in seiner Analyse des italienischen Mediendiskurses anlässlich der italienischen Parlamentswahlen.

Der Beitrag von Peter Höhmann thematisiert eine wichtige gesellschaftliche Voraussetzung des Erstarkens der politischen Rechten, nämlich den Rückgang des Vertrauens in die öffentlichen Institutionen vor dem Hintergrund langfristig zunehmender Ungleichheitsverhältnisse und der reaktiven Ausbildung eines geschlossenen Nationalbewusstseins, das sich gegen ein als feindlich kodiertes Außen wendet. Die Ergebnisse des jüngsten „Deutschland-Monitors“ können dazu parallel gelesen werden (siehe dazu den Beitrag von F. Berisha und Chr. Hoeps).

Mit Bestürzung und Trauer haben wir vom Tod Kurt Lenks erfahren. Der Nestor der deutschen Konservatismus-Forschung war ein Freund und Förderer des DISS und hat mit seinen Vorträgen auf den DISS-Kolloquien unsere Sicht auf die Konservative Revolution und den Faschismus geprägt. Aus Anlass seines Todes hat der uns verbundene Volker Weiß einen Nachruf in der taz geschrieben, den er uns zur Verfügung gestellt hat. Und wir erlauben uns, an einen luziden Vortrag Kurt Lenks auf dem DISS-Kolloquium 2004 zu erinnern, in dem er sich mit einem Zentralbegriff der politischen Rechten befasst, dem Begriff der Dekadenz. Er sei hier zur erneuten Lektüre abgedruckt und als Anregung gedacht, sich mit dem umfangreichen Werk Kurt Lenks tiefer auseinanderzusetzen.

Ein Letztes, diesmal etwas Erfreuliches: Das DISS ist 35 Jahre alt. Margarete Jäger blickt aus diesem Anlass zurück auf die lange Zeit intensiver gemeinsamer Arbeit.

Helmut Kellershohn

Inhalt

4 VORWORT
5 DAS DISS WIRD 35 JAHRE!
Von Margarete Jäger
6 VOM UKRAINEKRIEG ZUM „HEISEN HERBST“
DIE AFD UND NEURECHTE „BEWEGUNGSINTELLEKTUELLE“ HOFFEN AUF MACHTGEWINN
Von Helmut Kellershohn
11 DIE PARTEI UND IHR VORFELD. DAS KONZEPT DER MOSAIK-RECHTEN
Von Helmut Kellershohn
15 PRONTI. BEREIT, WOZU?
ITALIENISCHE MEDIENDISKURSE ZUM WAHLSIEG DES MELONI-BÜNDNISSES
Von Jörg Senf
17 UNGLEICHHEIT, VERTRAUENSVERLUST UND AUSGRENZUNG
Von Peter Höhmann
20 32 JAHRE DEUTSCHE EINHEIT
ERGEBNISSE DES „DEUTSCHLANDMONITORS“
Von Florentina Berisha und Christian Hoeps
23 30 JAHRE ROSTOCK-LICHTENHAGEN
DER RASSISMUS IST NOCH NICHT ÜBERWUNDEN
Von Heiko Kauffmann
25 NACHRUF AUF KURT LENK: „RECHTS, WO DIE MITTE IST“
DER POLITOLOGE KURT LENK HAT GRUNDLEGENDES ZUR GESCHICHTE VON PARTEIEN UND DER THEORIE DER RECHTEN ERFORSCHT. NUN IST ER 93-JÄHRIG GESTORBEN.
Von Volker Weiß
26 DAS PROBLEM DER DEKADENZ SEIT GEORGES SOREL
Von Kurt Lenk
32 HEGEL UND DER PÖBEL
Von Wolfgang Kastrup
36 DIE DEFORMATION DES ÖFFENTLICHEN RAUMS DURCH SEINE VIRTUALISIERUNG
Von Guido Arnold
41 SELBSTMITLEID STATT SOLIDARITÄT
DER DISKURS UM DIE BELARUSSISCHE AUSENGRENZE 2021 IM KONTEXT DES UKRAINEKRIEGS
Von Constantin Walkerling
45 EINE WOHLWOLLENDE, ABER EINDEUTIGE KRITIK POSTKOLONIALER ERINNERUNGSTHEORIE
Rezension von Stefan Vennmann
47 EINE KRITIK DER VERGLEICHENDEN GENOZIDFORSCHUNG
Rezension von Stefan Vennmann
49 RECHTE RÄUME
Rezension von Dirk Dieluweit
51 LESETIPPS
52 NEUES AUS DEM INSTITUT
54 DISS-KOLLOQUIUM