Ein Reisebericht aus Korfu von Robin Heun
Am 18. September 2013 erstach in Athen ein Anhänger der Neonazi Partei „Chrysi Avgy“ (Goldene Morgenröte) auf offener Straße den antifaschistischen Rapper Pavlos Fissas (Killah P). Dieser Mord sorgte über die Landesgrenzen hinweg für Empörung. Auch deutsche Medien berichten seitdem vermehrt über die Ereignisse rund um die Neonazi- Partei, die mit 18 Mandaten (von 300) im griechischen Parlament vertreten ist.
Selbst auf der wohlhabenden touristischen Insel Korfu ist der Mord an Pavlos Fissas im öffentlichen Raum allgegenwärtig. In den engen Gassen der Hauptstadt (Korfu-Stadt) findet man an vielen Stellen antifaschistische Schriftzüge und Plakatierungen, die auf den Mord hinweisen. Auf einem Plakat, auf dem ein Foto von Pavlos Fissas abgebildet ist, steht: „Ihr habt sie [die Partei] gewählt. Ihr habt ihr zugehört. Ihr habt ihr applaudiert. Ihr habt sie machen lassen“.
Deutungskämpfe im öffentlichen Raum
An zahlreichen Stellen kann man aber auch die diskursiven Kämpfe um die Deutungshoheit im öffentlichen Raum erkennen. Antifaschistische Schriftzüge und Symbole überdecken rassistische Schriftzüge und Symbole, wie das „white power Kreuz“. Oder Graffiti-Tags mit dem Parteinamen „goldene Morgenröte“ wurden z.B. zu „goldene Eier“ abgewandelt.
Die Partei „Chrysi Avgy“ eine „kriminelle Organisation“…
Zehn Tage nach dem Mord an Pavlos Fissas ließen die griechischen Behörden die gesamte Führung der Neonazi-Partei festnehmen. Die Partei wurde zur kriminellen Organisation ((Ein Parteiverbotsverfahren, wie es in Deutschland vor dem BVerfG verhandelt werden kann, sieht die griechische Verfassung nicht vor. Allerdings will sich die griechische Regierung darum bemühen, die öffentliche Parteifinanzierung zu stoppen.)) erklärt. Im Zuge der Verhaftungen und Hausdurchsuchungen wurden allein beim Parteivorsitzenden drei nicht lizenzierte Schusswaffen sichergestellt. ((Boris Kálnoky / Dimitra Moutzouri: „Enthauptungsschlag“ gegen Nazi-Partei, (Welt-Online), Artikel vom 28.09.2013, http://www.welt.de/politik/ausland/article120478541/Enthauptungsschlag-gegen-Nazi-Partei.html)) Mit diesen Maßnahmen ist nun eingetreten was ExpertInnen zuvor vermutet hatten. Die Regierung nutzt die öffentliche Empörung über den Mord, um ihre entschlossene Handlungsfähigkeit gegenüber der Neonazi-Partei unter Beweis zu stellen. ((Vgl., Boris Kálnoky / Dimitra Moutzouri: Mordfall stürzt Griechenland in politische Krise, (Welt-Online), Artikel vom 27.09.2013, http://www.welt.de/politik/ausland/article120470480/Mordfall-stuerzt-Griechenland-in-politische-Krise.html )) Kritiker werfen den staatlichen Sicherheitsbehörden allerdings vor, die rassistischen Hetzreden und Übergriffe der Partei und ihrer Sympathisanten viel zu lange geduldet zu haben. ((o.V.: Chef der Neonazi-Partei festgenommen, Artikel vom 28.09.2013 auf tagesschau.de, http://www.tagesschau.de/ausland/griechenland2880.html)) Den Mitgliedern und Anhängern der Partei werden mittlerweile vier Morde und 10 Mordversuche zur Last gelegt. ((Boris Kálnoky / Dimitra Moutzouri: Neonazi nennt Regierung “kriminelle Organisation”, (Welt-Online), Artikel vom 28.09.2013, http://www.welt.de/politik/ausland/article120484465/Neonazi-nennt-Regierung-kriminelle-Organisation.html)) Eine Studie der griechischen Ombuds-Behörde hat ergeben, dass es landesweit allein zwischen Januar und April 2013 281 rassistisch motivierte Übergriffe gab. ((o.V.: Gewalt bei Demos gegen Rechts, Artikel vom 25.09.2013 auf tagesschau.de, http://www.tagesschau.de/ausland/proteste-griechenland100.html))
Bereits im Vorfeld der Verhaftungen drohte die Partei im Falle staatlicher Repressionen mit dem Rücktritt aller ihrer Abgeordneten. Dies könnte möglicherweise Nachwahlen in 15 Regionen bedeuten. Allerdings sei die Partei in Meinungsumfragen nach Bekanntwerden des Mordes von 11% Zustimmung auf 6% abgestürzt. Unabhängig davon drohten einige „Reserveoffiziere“ im Internet mit einem Putsch. Eine Demonstration dieser Offiziere am Syntagma-Platz wurde daraufhin aus Gründen der öffentlichen Sicherheit verboten. ((Siehe Anm. Nr. 3.)) Laut einiger Medienberichte verfügt die Partei aber auch vereinzelt über Verbindungen zu Polizeikräften.
Der Aufstieg der „goldenen Morgenröte“
Der elelektorale Erfolg der Partei „Chrysi Avgy“ wird in einem Artikel auf dem ZDF-Nachrichtenportal heute.de, der wohl auf einer dpa-Meldung basiert, vor dem Hintergrund der Euro-Schuldenkrise mit der Protestwahlhypothese erklärt. Ein „bislang unkontrollierter Flüchtlingsstrom“ hätte zu einem „dramatischen Anstieg der Arbeitslosigkeit und des Rassismus“ geführt. Ein „verzweifelter“ Teil der Gesellschaft hätte sich daher radikalisiert und aus Protest die Neonazi Partei gewählt. ((o.V.: Führende Neonazis in Griechenland verhaftet, Artikel auf dem ZDF-Nachrichtenportal heute.de, Stand: 28.09.2013, http://www.heute.de/F%C3%BChrende-Neonazis-in-Griechenland-verhaftet-29971288.html)) Hier greift der Autor/die Autorin auf einen höchst problematischen Erklärungsansatz zurück. Rassistische Einstellungsmuster werden bei der einheimischen Bevölkerung demzufolge durch den „Flüchtlingsstrom“ hervorgerufen. Den LeserInnen wird außerdem suggeriert, dass Zuwanderung im kausalen Zusammenhang mit negativen sozialen Entwicklungen, wie Arbeitslosigkeit, stünde.
Der „Orkan“ des Rechtsextremismus…
Im Hinblick auf die aktuellen Entwicklungen bezeichnete der griechische Staatspräsident die rassistischen Übergriffe als „Orkan“ des Rechtsextremismus. Seine höchste Pflicht sei es nun, die Demokratie vor diesem „Orkan“ zu schützen. ((o.V.: Präsident warnt vor “Orkan des Rechtsextremismus”, (Welt-Online), Artikel vom 23.09.2013, http://www.welt.de/politik/ausland/article120317507/Praesident-warnt-vor-Orkan-des-Rechtsextremismus.html)) Wie so häufig wird der Rechtsextremismus hier als Naturgewalt (um)gedeutet. Die gesellschaftlichen Ursachen werden in die Sphäre der Naturkatastrophen katapultiert und somit verschleiert. ((Vgl., Heun, Robin 2013: Duisburg im „Strudel“ des Nationalsozialismus, in: DISS-Journal 25 (2013), 32-34.))
In den kommenden Wochen wird sich zeigen, wie ernst der griechische Präsident und die Behörden es mit der Verfolgung der rechtsextremen Übergriffe meinen. Zusätzlich zur strafrechtlichen Verfolgung der Täter sollten auch die Opfer rechter Gewalt sowie die Angehörigen der Getöteten angemessen betreut werden. Dass sie von engagierten AntifaschistInnen unterstützt werden, zeigen die Plakatierungen z.B. auf Korfu. Eigentlich hätte das Wahlergebnis der aggressiv agitierenden Neonazi-Partei „Chrysi Avgy“ von knapp 7% vom Mai 2012 die griechische Regierung bereits in Alarmbereitschaft bringen müssen.