ArNo: Kandidat Gauck

ArchivNotizen von Martin Dietzsch

Majestätsbeleidigung

Am vergangenen Wochenende wurde von einer ganz großen Koalition der Wunschkandidat der BILD-Zeitung Joachim Gauck zum Nachfolger des bei der BILD-Zeitung in Ungnade gefallenen Christian Wulff erwählt. Der parteilose Kandidat steht politisch eher rechts. Er scheint auf einer Wellenlänge mit CDU-Rechtsaußen Vera Lengsfeld zu funken. Freiheit statt Gleichheit ist sein schlichtes Credo.

Die Wahl des Bundespräsidenten war in der Vergangenheit schon mehrfach ein Signal für sich anbahnende Veränderungen in der Bundespolitik. Das lässt Böses ahnen. Gauck ist ja zuerst ausgerechnet von der Opposition auf den Schild gehoben worden. Soll man das als Omen nehmen, dass uns mit einem Regierungswechsel nach Rot-Grün ein ähnliches Desaster droht wie unter Gerhard Schröder? Da kommt schon fast der ketzerische Gedanke auf, ob nicht Angela Merkel das kleinere Übel darstellt. Immerhin zögerte sie bei der Kandidatenkür, allerdings vermutlich aus rein machtpolitischem Kalkül.

Die ganz große Koalition und fast alle Mainstream-Medien sind jedenfalls begeistert von ihrem Kandidaten und rufen ihn jetzt schon zum „Präsidenten der Herzen“ aus. Nur in Teilen der Blogosphäre und bei sozialen Basisbewegungen regt sich Kritik, denn sie befürchten einen „Präsidenten der steinernen Herzen“. Diese Kritik wird vom Mainstream als Majestätsbeleidigung aufgefasst.

In einem Gastbeitrag beim Blog Ruhrbarone kritisiert Rolf von Raden die Kritik an der Kritik.

Nach dem Shitstorm kommt der Gegensturm: Was wird der „Netzgemeinde“ nicht alles vorgeworfen, nachdem sie auf die große Gauck-Koalition damit reagierte, die Kritik an dem Bundespräsidenten in spe erneut pointiert vorzutragen.

[…] Und jetzt kommen wir zum Knackpunkt. In ihren angeblich aufklärerischen Artikeln weisen die selbsternannten Kritiker der Netzgemeinde nach, dass Joachim Gauck – welch Wunder – doch kein lupenreiner „Antidemokrat“ ist, und wohl auch kein „ausgemachter Rassist“. Letztere Formulierung habe ich bisher übrigens einzig in dem Blogpost gefunden, der die Unterstellung widerlegen will, aber in keiner Primärquelle. Der zukünftige Bundespräsident ist also kein „ausgemachter Rassist“ – und während er die selbst formulierte Unterstellung widerlegt, zeigt Patrick Breitenbach in seinem inzwischen vielbeachteten Blogpost unfreiwillig, was trotzdem so hochproblematisch an Gaucks Sarrazin-Thesen ist. Sie öffnen nämlich sehr wohl ein Feld, an das altbekannte rechte Diskurse über angeblich notwendigen Tabubruch und Political Correctness anschlussfähig sind.

Den vollständigen Text lesen Sie hier…
Kein Grund zur Aufregung: Die Gauck-Debatte in den sozialen Netzwerken

 

Die extreme Rechte und der Kandidat

Wie positioniert sich aber die extreme Rechte gegenüber dem Kandidaten? Hier ein erster kurzer Überblick.

Das Hass-Blog PI ist vom Kandidaten Joachim Gauck begeistert.

Ob Sarrazin-Lob, Kritik an der Anti-Atomhysterie, das Bloßstellen von populistischem Banken-Bashing oder seine Befürwortung von Stuttgart 21 – Joachim Gauck könnte durchaus auch für PI antreten.  ((PI, 19.2.2012, Gauck soll neuer Bundespräsident werden!))

Doch ein kleines Tröpfchen Essig schüttet PI dann doch noch sein Bier. Was glaubt man bei PI Verwerfliches in den Äußerungen von Joachim Gauck gefunden zu haben? Ausgerechnet das:

Lobhudelei für Kommunisten  ((ebenda))

Auch Dieter Stein von der Jungen Freiheit sieht Jürgen Gauck als seinen Wunschkandidaten. Er hofft auf einen erzkonservativen Antipoden zur verhassten Pragmatikerin Angela Merkel, der dazu beiträgt, der JF und dem Spektrum rechts von der Union das Schmuddelimage zu nehmen. Vielleicht wird es dann ja doch mal was mit der lange ersehnten neuen Rechtspartei.

Mit Joachim Gauck erwächst der Bundeskanzlerin ein ernstzunehmender Gegenspieler […] Wir werden mit ihm positive Überraschungen erleben!  ((JF, 19.2.2012, Joachim Gauck wird ein guter Bundespräsident))

Der neue NPD-Vorsitzende Holger Apfel hat ein Problem. 2010 hatten die Vertreter der NPD in der Bundesversammlung im dritten Wahlgang für Gauck gestimmt. Nun produziert sich Apfel noch fundamentaloppositioneller als sein Vorgänger Udo Voigt. Der Dissens zu Gauck wird allerdings nicht mit dessen Positionen begründet, sondern wirkt an den Haaren herbeigezogen.

Wir werden einem Konsenskandidaten von Merkel bis Özdemir auf keinen Fall die Stimme geben, denn ein solcher Präsident wird wieder mal nichts anderes sein, als eine Knetfigur des Establishments, ein willfähriges Ausführungsorgan des Kartells der Deutschland-Abschaffer.  ((NPD Bundesverband, 20.2.2012, Gauck wird sich als ein willfähriges Ausführungsorgan des Kartells der Deutschland-Abschaffer entpuppen))

Es läuft also wieder auf einen eigenen NPD-Bewerber hinaus. Scherzbolde haben bereits das Gerücht in die Welt gesetzt, die NPD wolle nach Frank Rennicke diesesmal Beate Zschäpe als Kandidatin aufstellen.

Auch aus der NPD Mecklenburg-Vorpommern unter Udo Pastörs kommt keine wirkliche Kritik an Gauck.

Dabei wird Joachim Gauck als Person geradezu missbraucht, um einer korrupten Politiklandschaft als Alibi zu dienen.  ((MUPINFO, 20.2.2012, Joachim Gauck als letztes Aufgebot einer korrupten Politiklandschaft))

Einzig das der NPD Saarland unter Frank Franz nahestehende Blog Deutschlandecho setzt etwas andere Akzente. Dem Autoren geht es ausschließlich darum, möglichst viel Medienaufmerksamkeit für die NPD zu erzeugen.

[…] wäre es ratsamer, ohne eigenen Kandidaten für Gauck zu stimmen und so wenigstens eventuell durch von dessen pro-Sarrazin-Äußerungen aufgeschreckte Linksmedien ein paar wütende Erwähnungen zu ergattern, als mit drei Stimmen für irgend einen Wald- und Wiesen-Kandidaten diejenigen zu verärgern, die trotz einiger sicherlich gegebener Mängel Gauck im Vergleich zu seinen Vorgängern als regelrechten Lichtblick sehen.  ((Deutschlandecho, 20.2.2012, Kommentar: Warum die NPD nur bei Schlagzeilengarantie nicht für Joachim Gauck stimmen sollte))

Das Deutschlandecho hat sich durch diese seriöse Äußerung immerhin eine Erwähnung in einem der führenden Linksmedien, den ArchivNotizen, ergattert.

Das den Piusbrüdern nahesstehende rechtsradikale Krawall-Blog Kreuz-net lehnt Gauck dagegen tatsächlich scharf ab. Die Erzkatholiken haben herausgefunden, dass er evangelisch ist, und es kommt noch schlimmer: Er ist mit seiner Lebensgefährtin nicht verheiratet!

Gestern wurde der Ehebrecher und Ex-Prediger Joachim Gauck (72) von den deutschen Systemparteien zum Kandidaten für das Amt des nächsten Bundespräsidenten gekürt.  ((Kreuz-net, 20.2.2012, Jetzt wird der nächste Gaukler deutscher ‘Bild’-Bundespräsident))

Kreuz-net zitiert ausführlich und zustimmend den Beitrag eines anderen politesoterischen Blogs, in dem Gauck und Merkel als ehemalige privilegierte DDR-Funktionäre angeprangert werden. Der Beitrag versteigt sich dann aber sogar zu der  Behauptung, die Verurteilung von Gaucks Vater durch ein sowjetisches Tribunal 1951 sei zu Recht erfolgt.

Die ehemalige Tagesschau-Vorleserin Eva Herman argumentiert auf der Seite des Kopp-Verlags ganz ähnlich:

Sie raunt über

[…] die mögliche Stasi-Vergangenheit sowohl Gaucks als auch Merkels […]

Nun sind 2 IMs – IM Erika und IM Larve – an der Spitze – DDR2.0

Und natürlich sind die wahre Ursache für Wulffs Sturz wieder einmal die Machenschaften der Bilderberger. Wie langweilig!

Bilderbergerin Merkel dürfte ordentlich aufgeschreckt gewesen sein, als sich der Wulff im Schafspelz letztes Frühjahr zum ersten Mal offenbarte und von einem Tag auf den anderen – für alle überraschend – zum erbitterten Widersacher des ESM –Vertrags geworden war.  ((Kopp-Verlag, 20.2.2012, Joachim Gauck: Präsident der Herzen oder Kandidat der Finanzindustrie?))

 

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