Der Schäuble-Schwiegersohn und der Grieche

Mit Recht sorgen herabsetzende Äußerungen, insbesondere aus den Reihen verantwortlicher Politiker oder hoher Beamter, für breite öffentliche Empörung. Dagegen können kritische Analysen solcher Äußerungen zu nachhaltigeren Einsichten über den Tag hinaus führen. Im Zusammenhang der Griechenland-Krise des Jahres 2015 und der nachfolgenden, immer noch andauernden Debatte um Flüchtlinge und Zuwanderer kam es (und kommt es weiterhin) zu menschenverachtenden Aussagen. Im Folgenden dokumentieren wir die Analyse, die Jobst Paul im Juli 2015 zu einer Äußerung von Thomas Strobl, dem Stellvertretenden Vorsitzenden der CDU, formulierte.

Thomas Strobl (CDU-Vize) am 13.7.2015:
Der Grieche hat jetzt lang genug genervt.“1

Eine Analyse von Jobst Paul

Am 13. Juli 2015 kommentierte Thomas Strobl, „CDU-Vize und Schäuble-Schwiegersohn“, den Stand der Griechenland-Krise vor Kameras und Journalisten mit dem Satz „Der Grieche hat jetzt lang genug genervt“ – als „ob er am Stammtisch säße beim dritten Glas Heilbronner Trollinger Rosé“, meinte Oliver Das Gupta in der SZ2. Strobl habe damit auf dem Höhepunkt von Ängsten in ganz Europa, Deutschland wolle anderen Staaten seinen Willen aufzwingen und den Kontinent beherrschen, genau diese Ängste geschürt.

Für scharfe Kritik hat zunächst die Formulierung „der Grieche“ gesorgt3. Es gibt allerdings mehrere Schwerpunkte für die Analyse. Zunächst aber erinnert der Singular „der Grieche“ tatsächlich an alte herabsetzende Muster, wie zum Beispiel „der Russe“, „der Chinese“ und ähnliches. Betrachten wir zunächst, wie die Herabsetzung in diesem Fall funktioniert.

Die Reduktion eines Kollektivs von Individuen auf einen Singular zielt auf die Charakterisierung des Kollektivs, bzw. seines Charakters und Verhaltens, als unveränderlich, als sozusagen für alle ‚gleich programmiert‘. Was aber als Charakter und Verhalten unveränderlich ist, ist einem individuellen menschlichen Willen entzogen. Ein solches Wesen kann nichts lernen und es kann von nichts abgehalten werden. Insofern ist es ein dummes, seinen Impulsen ausgeliefertes Wesen.

Dummheit“ kann ‚nur‘ (wie im Fall „das Schaf“, „die Kuh“, „der Ostfriese“) Passivität, d.h. eine gewisse Harmlosigkeit signalisieren. Es kann aber auch, je nach Kontext, andeuten, dass das Wesen automatisch (‚blind‘) seinen instinktiven, egoistischen Trieben folgt und von daher auf Angriff und gewaltsame Inbesitznahme gebürstet ist. Dann aber, wie offenbar im Fall des obigen Zitats, appelliert ein Kollektiv-Singular wie “der Grieche“ an den Impuls zur Abwehr und Verteidigung.

Das Zitat hat aber zwei weitere Schwerpunkte. Betrachten wir zunächst die möglichen Valenzen von “nerven“. Man kann aus Formulierungen wie: ‚die Kinder nerven‘, ‚die Arbeitskollegen nerven‘, ‚der Pressluftbohrer nervt‘ eine ständige Belästigung extrapolieren, die an Schmerz grenzt oder Schmerz, vor allem auch psychischen Schmerz beinhaltet, da man der Situation ausgeliefert ist.

Hier wiederholen sich zwei bereits genannte Aspekte. Einerseits scheint die Belästigung unveränderlich und damit die Urheber nicht ansprechbar zu sein. Andererseits führt die Belästigung (auf der Seite des ‚Opfers‘) zweifellos zum Bedürfnis nach Abwehr und Verteidigung. Doch steht in dieser Konstellation (‚die Kinder nerven‘) noch merklich die Bereitschaft des Erduldens und Tolerierens im Vordergrund.

Dies verändert sich in der Perfekt-Form ‚hat (lang genug) genervt‘. Hier soll es zweifellos zur Gegenhandlung kommen oder es ist bereits zur Gegenhandlung gekommen, wobei die Ursache der Belästigung – sozusagen schlagartig – beseitigt wird oder werden soll. Damit aber verschiebt sich die Gesamtkonstellation: Nun sind es nicht mehr Kinder, Arbeitskollegen oder ein Pressluftbohrer, die nerven oder genervt haben. Nun ist es vielleicht ein entzündeter Zahn, der den Körper angreift und kurzerhand gezogen wurde, weil er „lang genug genervt hat“, eine Mücke, die nun nicht mehr nervt, weil sie abgeklatscht wurde, oder ein unbotmäßiger Schüler, der ‚von der Schule fliegt‘ und insofern ‚verschwindet‘.

Strobl partizipiert damit zunächst am stereotypen Erziehungsdiskurs, der im Zusammenhang mit der Griechenland-Krise prägend war (‚die Griechen müssen ihre Hausaufgaben machen‘) und dem es insbesondere um ‚klare Regeln‘ mit angekündigten ‚Konsequenzen‘ geht, in Abgrenzung zu einem ‚libertären‘ (schwachen) Stil, der es zulässt, dass die Quälgeister ‚einem auf der Nase herumtanzen‘.4

Doch geht Strobls Assoziation definitiv weiter als der Vorstellungsgehalt der Zähmung und Domestizierung des ‚wilden Kinds‘, das am Ende ‚in den Stiefel gebracht wird‘. Denn offenbar ist der Fall hoffnungslos – das Kind lässt sich wohl nicht zähmen.

Damit allerdings nimmt der Erziehungsdiskurs Strobls, ganz entsprechend der Logik dehumanisierender Rhetorik, eine dramatische Wendung, weg von Methoden der schwarzen Erziehung hin zu einem Vernichtungsszenario: Der kleine Quälgeist, der einem ganz Großen zusetzen will/wollte, der freche David, der einen Goliath herausfordert(e), erhält die (tödliche) Quittung. Entscheidend wird der Aspekt der Beseitigung, nicht nur der Belästigung, sondern des Quälgeistes selbst. Dies verrät Strobls Vorstellung eines binär, d.h. zwischen totaler Macht und totaler Machtlosigkeit organisierten Machtgefälles zwischen dem ganz Großen (als vermeintlichem Opfer) und dem ‚Quälgeist‘.

Offen ist lediglich, ob Strobl mit der Perfektform (hat … genervt) zum kurzen gewaltsamen Schlag gegen den ‚kleinen frechen‘ Aggressor aufruft oder ob er Vollzug melden möchte. Allgemein unterstreicht Strobl die Heftigkeit und Unmittelbarkeit des ‚Schlags‘ durch die Einfügung eines ‚jetzt‘ (hat jetzt lang genug genervt). Die geringfügige schwäbische Dialektfärbung (lang genug statt lange genug) bindet die Haltung des ‚kurzen Prozesses‘ – stark genug für die Wahrnehmung – zudem an ein ‚gesundes Volksempfinden‘.

In der Presse wurde übrigens gut verstanden, dass Strobl eine Vernichtungsphantasie formuliert hatte:

Und dann kommt dieser Strobl daher und sagt mit Blick auf das Land, das die Deutschen vor nur etwas mehr als 70 Jahren überfallen und grausam beherrscht hatten: ‚Der Grieche hat lang genug genervt.‘“5

2 Ebd.

4 Strobl verknüpft damit das Griechenland-Thema subkutan mit den Links/Rechts-‚Schlachten‘ im Erziehungsdiskurs in verschiedenen deutschen Bundesländern.

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