Vor 25 Jahren: Der Brandanschlag in Solingen

Vor 25 Jahren: Der Brandanschlag in Solingen.
Der V-Mann und die Neonazis

Von Anton Maegerle

Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Mölln, Hünxe, Solingen – in einer Serie von Anschlägen gegen AusländerInnen und AsylbewerberInnen zu Beginn der 90er Jahre wurde die Stadt im Bergischen Land  zum Tatort. Der Bundestag hatte im Mai 1993 nach jahrelangem Streit eine Verschärfung des Asylrechts beschlossen. Drei Tage später schlugen die fremdenfeindlichen Mörder in Solingen zu.

In der Nacht zum 29. Mai 1993, gegen 01.49 Uhr, verübten Neonazis einen Brandanschlag auf das Wohnhaus der türkischen Familie Genc, die vor 23 Jahren in die Bundesrepublik gekommen war. In deren Haus in der Unteren Wernerstraße 81 in Solingen starben fünf Frauen und Kinder: Gülüstan Öztürk (12) und Gürsün Ince (27) sowie Saime Genc (4), Hülya Genc (9) und Hatice Genc (18). Gut sechs Monate zuvor starben bei einem ebenfalls fremdenfeindlich motivierten Anschlag im schleswig-holsteinischen Mölln die Türkinnen Bahide Arslan (51), Ayse Yilmaz (14) und Yeliz Arslan (10).


Als im Mai 2008 an den tödlichen Brandanschlag von Solingen vor 15 Jahren erinnert wurde, sagte der damalige NRW-Integrationsminister und heutige NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU): „Wir erinnern an diese Mordtat, weil sie nicht vergessen werden darf. Der Brandanschlag von Solingen war der schlimmste fremdenfeindliche Anschlag in der Geschichte des Landes Nordrhein-Westfalen“. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Drei der Solinger Attentäter gingen in der Kampfsportschule „Hak Pao“ (Schwarzer Panther) von Bernd Schmitt (Jg. 1944), einem Fachmann für den Kampf Mann gegen Mann, ein und aus. Nach dem Anschlag wurden zentnerweise Unterlagen aus der Solinger Kampfsportschule geschleppt und in einen Mercedes-Lieferwagen gepackt. Der Wagen wurde von der Polizei zwar gestoppt, durfte dann aber weiterfahren. Erst einen Monat später wurde das geheime Archiv der „Hak Pao“, 55.000 Blatt, gehoben. Dabei stießen die Ermittler auf Lageskizzen von Wohnungen ausländischer Bürger und Anleitungen zum Bau von Molotow Cocktails.

Im Juni 1994, dreizehn Monate nach dem Brandanschlag in Solingen, wurde Bernd Schmitt als V-Mann enttarnt. Schmitt war nach offizieller Darstellung seit dem 3. April 1992 als V-Mann für das Landesamt für Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen im Einsatz. Zuvor war er ab dem 25. März Gelegenheitsinformant.

Der diplomierte Sportlehrer war Inhaber der 1987 gegründeten Kampfsportschule „Hak Pao“ mit Sitz in der Straße In der Freiheit 22 in Solingen. Vor Ort betrieb Schmitt einen „Deutschen Hochleistungs-Kampfkunstverband“ (DHKKV), eine Vorfeldorganisation der bundesweit aktiven Neonazi-Truppe „Nationalistische Front“ (NF). Die NF und deren Planungen zum Aufbau eines militanten „Nationalen Einsatzkommandos“ (NEK) waren Zielobjekte des V-Mannes. Die 1985 gegründete NF wurde zwar im November 1992 vom Bundesminister des Innern wegen Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus als verfassungswidrige Organisation verboten, führte ihre Untergrundstrukturen nach dem Verbot jedoch weiter. Führer der NF vor und nach dem Verbot war der Neonazi Meinolf Schönborn. Schönborn referierte selbst am 7. März 1992 in den mit einem Hakenkreuz geschmückten Räumen von „Hak Pao“ über „nationale Fragen“.

Förderer des DHKKV war der Altnazi Otto-Ernst Remer. Remer war Kommandeur beim Wachbataillon „Großdeutschland“, das den Aufstand gegen Hitler am 20. Juli 1944 blutig niederschlug. In einem Werbeflugblatt des DHKKV hieß es: „Leider sind die meisten Deutschen zu bequem geworden, sich einem intensiven sportlichen Training zu unterziehen. In den meisten Clubs und Schulen in Deutschland liegt der Ausländeranteil bei über 80%. Sollte dies nicht zu denken geben? Wir wollen keine Schläger ausbilden, aber hart trainieren“. Beim DHKKV ließen sich Neonazis beim „kanackenfreien Training“ für den Straßenkampf schulen. Nach erfolgreichem Training fungierten die ausgebildeten Schläger als Ordner und Personenschützer bei Neonazi-Veranstaltungen. So bewachte Schmitt mit acht kampferprobten Kameraden den damals international bekannten und eigens aus Kanada angereisten deutschen Holocaustleugner Ernst Zündel bei einer rechtsextremen Veranstaltung des „Förderkreises Freies Deutschland“ und des NF-Stützpunktes Rhein-Sieg am 5. Juni 1992 in Bonn. In einem Veranstaltungsbericht der Organisatoren wird der DHKKV für sein Auftreten bei der Zündel-Veranstaltung gelobt: „Jeder von ihnen ist ein Meister seines Faches. Ihr diszipliniertes … Auftreten imponierte so manchen. Auch an sie ein dickes Dankeschön, die sie ihre Kampfkunst und auch Gesundheit im Ernstfall, der zum Glück nicht eintraf, selbstlos zum Einsatz gebracht hätten.“

Im direkten Umfeld des DHKKV existierte noch eine weitere braune Handkantentruppe: die „Deutsche Kampfsportinitiative“ (DKI). Bei dieser arbeitete Schmitt als Trainer. Die DKI verstand sich als „Zusammenschluss patriotisch denkender Kampfsportler, die es sich zum Ziel gesetzt haben, den Sport bzw. Kampfkünste im Nationalen Lager bundesweit zu fördern“. Werbeanzeigen der DKI wurden unter anderem im NPD-Bundesorgan „Deutsche Stimme“ oder der „Deutschen Rundschau“, dem Sprachrohr der NPD-Abspaltung „Deutsche Liga für Volk und Heimat“ (DLVH), platziert. Für einen DKI-Lehrgang am 5. Juni 1993 war neben dem bis heute bundesweit bekannten Neonazi Christian Worch auch Markus G. vorgemerkt. Zum Termin des Lehrgangs konnte dieser nicht erscheinen, da er kurz zuvor wegen Beteiligung an dem Solinger Brandanschlag festgenommen worden war.

Der damalige Innenminister Herbert Schnoor (SPD) erklärte nach dem Outing des Spitzels, dass Schmitt „sein Vorgehen immer mit dem Verfassungsschutz abgestimmt“ hat. Dem Verfassungsschutz habe Schmidt den Namen eines der Attentäters des Brandanschlags geliefert. Auch soll mit Schmitts Hilfe ein Anschlag von Skinheads auf ein Asylbewerberheim verhindert werden worden sein, so Schnoor. Andererseits musste der Minister eingestehen, dass V-Mann Schmitt einige Mitglieder von „Hak Pao“ nach dem Brandanschlag vor Hausdurchsuchungen gewarnt hatte. Seine V-Mann-Dienste soll Schmidt aus finanziellen Interessen geleistet haben. Die Bezüge verglich Schnoor mit dem Lohn eines „Arbeiters, der am Hochofen steht“.

Der 6. Strafsenat des Oberlandesgerichtes Düsseldorf hat am 13. Oktober 1995 alle vier Angeklagten des Solinger Brandanschlags wegen Mordes an fünf Menschen, wegen versuchten Mordes an 14 Menschen und wegen besonders schwerer Brandstiftung verurteilt. Die Attentäter sind heute wieder auf freiem Fuß. Das ausgebrannte Haus der Familie Genc wurde im August 1993 abgerissen.
Einer der vier Brandstifter war im September 2005 vom Landgericht Dortmund zu einer Haftstrafe von vier Monaten ohne Bewährung verurteilt worden. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Christian R. bei einer Neonazi-Demonstration in Hamm zweimal den Hitlergruß gezeigt hatte.

Vor 50 Jahren: Attentat auf Rudi Dutschke

Der Schütze und sein politisches Umfeld.

von Anton Maegerle

In den frühen Jahren der Bundesrepublik führten Neonazis antisemitische Schmieraktionen auf Jüdische Friedhöfe und Synagogen durch. Höhepunkt war die Synagogen-Schändung Weihnachten 1959 in der Dom-Metropole Köln. Noch blieb die Bundesrepublik von Mord und Terror von rechts verschont. Das sollte sich Ende der 1960 Jahre ändern.

Der 23-jährige Anstreicher Josef Bachmann (Jg. 1944), ein Leser der „Deutschen National-Zeitung“, schoss am Gründonnerstag, dem 11. April 1968, den Studentenführer Rudi Dutschke (Jg. 1940) vor der Zentrale des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) am Kurfürstendamm in Berlin auf offener Straße nieder. Zum Zeitpunkt des Attentates hatte Bachmann, der mit zwölf Jahren aus der DDR in den Westen kam, ein selbstgemaltes Hitler-Porträt an seine Wohnungswand gepinnt und Hitlers „Mein Kampf“ ins Bücherregal gestellt. Im Februar 1970 beging „Seppl“, der bis heute als Einzelgänger gilt, Selbstmord in seiner Zelle.

Vor dem Anschlag auf Dutschke war Bachmann jedoch in der militanten Neonazi-Szene seines niedersächsischen Wohnorts Peine aktiv. Schon als 17-Jähriger hatte er Kontakte zu Rechtsextremisten geknüpft. 1961 traf er in Peine auf Wolfgang Sachse, der örtliche Anhänger der braunen Szene mit Waffen und Munition versorgte. Sachse wusste 2012 dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel zu erzählen, dass Bachmann etliche Waffen besessen und diese bei ihm, einem ehrenamtlichen Schießwart auf dem Schießplatz in Peine, ausprobiert hatte.

Zur rechten Schießplatz-Allianz gehörten neben örtlichen Polizisten auch Paul Otte (Jg. 1924) und Hans-Dieter Lepzien (Jg. 1943), beide NPD-Männer. Jahre nach dem Attentat auf Dutschke avancierte Otte, der in seiner Jugend der Reiter-Hitler-Jugend (Reiter-HJ) angehörte und bis zum Verbot in der Sozialistischen Reichspartei (SRP) aktiv war, zum Führer der „Braunschweiger Gruppe“ der NSDAP/AO. Als Sprengstoffbeschaffer der Gruppe galt Lepzien, der wie erst beim Prozess bekannt wurde, seit 1976 V-Mann (Deckname: „Otto Folkmann“) des niedersächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz war. In einem Interview mit „Monitor“ sprach der Bonner Strafrechtslehrer Gerald Grünwald hinsichtlich der Aktivitäten von Lepzien ausdrücklich von „Anstiftung zu Straftaten durch Behörden“. Im „Braunschweiger Prozess“ wurden durch Urteil des 3. Strafsenats des Oberlandgerichtes Celle vom 19. Februar 1981 Otte, Lepzien, Sachse, Volker Heidel (Jg. 1954), Oliver Schreiber (Jg. 1958), zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Otte wurde wegen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung als Rädelsführer, Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion, Vorbereitung von zwei Explosionsverbrechen und Verstößen gegen das Waffengesetz zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Lepzien wurde nach Verbüßung eines Teils der Haft vom Bundespräsidenten Karl Carstens (CDU) begnadigt.

Im August 1981 überraschte die „Deutsche National-Zeitung“ ihre Leser mit folgender Anzeige: „Ich möchte mich bei allen nationaldenkenden Männern und Frauen, die durch meine Spitzeltätigkeit für den >Verfassungsschutz< in Verruf kamen, ausdrücklich entschuldigen und bitte alle um Verzeihung. Hans-Dieter Lepzien“.

Verfahrensgegenstand des Braunschweiger Prozesses waren neben der Beteiligung in der terroristischen Vereinigung Sprengstoffanschläge gegen Justizgebäude, die mit selbstgebastelten Rohrbomben ausgeführt worden waren, sowie Waffengeschäfte, durch die Neonazis mit Handfeuerwaffen versorgt worden waren. Der erste Anschlag richtete sich am 2. September 1977 gegen die Amtsanwaltschaft Flensburg, die drei Monate vorher eine Anklage gegen Manfred Roeder, den Kopf der rechtsextremen „Deutschen Bürgerinitiative“ (DBI), vertreten hatte. Eine zweite Bombe ging am Hannoverschen Amtsgericht hoch. Die besondere Gefährlichkeit des Hauptangeklagten und NSDAP/AO-Aktivisten Otte lag nach Auffassung des Gerichts darin, dass er junge Menschen für seine Organisation zu gewinnen verstand. So führte Otte die späteren Rechtsterroristen Kurt Wolfgram sowie das Ehepaar Christine und Klaus-Dieter Hewicker dem Terrorismus zu. Ottes Planungen sahen für seine „Braunschweiger Gruppe“ neben einem Anschlag auf das Jüdische Gemeindezentrum in Hannover auch Anschläge auf DDR-Grenzanlagen, Attentate auf Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und politisch motivierte Banküberfällen zur Beschaffung von Geld für den NS-Untergrundkampf vor. 1961 hatte Otte bereits erstmals erfolglos versucht, in Braunschweig eine Bank auszurauben. Erfolgreicher bei Banküberfällen war Jahrzehnte später der rechtsterroristische NSU.

Vortragsreihe: Zur Bekämpfung des Antiziganismus heute

Das Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung lädt gemeinsam mit dem Zentrum für Erinnerungskultur der Stadt Duisburg ein zu einer Vortragsreihe zum Thema

Zur Bekämpfung des Antiziganismus heute.

In der Zeit vom April bis zum Juli 2018 werden acht Vorträge stattfinden. Referentinnen und Referenten sind Nicolás Brochhagen und Wolfgang Esch, Dr. Markus End, Dr. Sebastian Winter, Dr. Rafaela Eulberg, Prof. Dr. Astrid Messerschmidt, Joachim Krauß, Sylvia Brennemann und Merfin Demir.

Die Vortragsreihe wird in Kooperation mit dem Zentrum für  Erinnerungskultur, Menschenrechte und Demokratie durchgeführt und gefördert durch die Amadeu Antonio Stiftung und durch den AStA der Uni Duisburg/Essen.

Falls Sie eine Teilnahmebestätigung benötigen, sprechen Sie uns bitte während der jeweiligen Veranstaltung an.

Die Informationen auf dieser Seite werden laufend ergänzt und aktualisiert.

 

 

 

Feindseligkeit, stereotype Wahrnehmung und Vorurteile werden wach, wenn von „Zigeunern“ gesprochen wird. Bei diesen Ressentiments handelt es sich um Projektionen, die mit der Realität oder den realen Personen nichts zu tun haben. Sie existieren bereits seit Jahrhunderten und werden in der Wissenschaft als Antiziganismus bezeichnet. Im Nationalsozialismus wurden Sinti*ze und Rom*nija Opfer eines systematischen Völkermords. Trotzdem ist in der Gegenwart der Antiziganismus die am meisten akzeptierte Form des Rassismus. Sie trifft aktuell insbesondere Zuwander*innen aus Südosteuropa.

Welche Möglichkeiten gibt es, sich mit Antiziganismus zu beschäftigen? Wie lässt sich die historische Entstehung philosophisch, sozialpsychologisch und geschlechtertheoretisch rahmen? Kann Bildung zur Aufklärung beitragen? Fördern oder verhindern behördliche Maßnahmen die Ausgrenzung? Welche Perspektive entwickelt eine Rom*nija-Selbstorganisation?

Die Vortragsreihe zielt auf eine Verbindung von Theorie und Praxis. Sie wendet sich nicht nur an Vertreter*innen aus Wissenschaft und Politik, sondern auch an Interessierte, die in Beruf und Alltag mit Antiziganismus konfrontiert sind.

 

 

 

Programm

 

Sonntag, 8.04.2018, 15 Uhr, DenkStätte im Stadtarchiv Duisburg, Karmelplatz 5
Duisburger Geschichte(n):
Die Bürgerrechtlerin Hildegard Lagrenne und der Polizeisekretär Wilhelm Helten. Forschungsbericht
Anne Ley-Schalles, Nicolás Brochhagen, Wolfgang Esch und Robin Richterich

Eine Veranstaltung des Zentrums für Erinnerungskultur.

Anlässlich des Welt-Roma-Tags lädt das Zentrum für Erinnerungskultur (ZfE) am Sonntag, den 8. April um 15 Uhr zu einem spannenden biografischen Forschungsbericht ein. Im Zentrum der Veranstaltung stehen die Bürgerrechtlerin Hildegard Lagrenne und der Duisburger Polizeisekretär Wilhelm Helten. Im Mai 1940 wurde die 19- Jährige Sinteza Hildegard Lagrenne von Duisburg aus in das besetzte Polen deportiert. Für die Verfolgung der Duisburger Sinti und Roma waren Wilhelm Helten und seine Kollegen von der Kriminalpolizei verantwortlich. Hildegard Lagrenne überlebte die NS-Verfolgung und Zwangsarbeit und kehrte 1945 nach Duisburg zurück, wo ihr derselbe Kriminalpolizist eine „Wiedergutmachung“ versprach….
Wie die Geschichte dieser Begegnung anfing und endet präsentieren Wolfgang Esch und der Historiker Dr. des. Nicolás Brochhagen gemeinsam mit Anne Ley-Schalles, wissenschaftliche Mitarbeiterin am ZfE, als Rezitatorin. Die Veranstaltung präsentiert die neusten Rechercheergebnisse aus dem „Arbeitskreis Geschichte der Duisburger Sinti und Roma“ des ZfE.

 

Freitag, 13.04.2018, 14 Uhr, DenkStätte im Stadtarchiv Duisburg, Karmelplatz 5
Dialektik der Aufklärung als Antiziganismuskritik
Dr. Markus End, Vorstandsvorsitzender der Gesellschaft für Antiziganismusforschung e.V.

Die deutschsprachige Antisemitismusforschung wie auch die Antisemitismuskritik eines Teils der deutschen Linken sind maßgeblich geprägt durch die „Dialektik der Aufklärung“ von Horkheimer und Adorno, insbesondere durch die Thesen zum Antisemitismus. Kaum lässt sich ein Text zum Thema finden, der sich nicht implizit oder explizit auf diese Thesen bezieht. Die sehr viel jüngere deutschsprachige Antiziganismusforschung wie auch die sich entwickelnde Antiziganismuskritik in der Linken haben sich häufig an diesen Vorannahmen und Thesen orientiert, sich auf sie bezogen oder sie modifiziert.

Im Vortrag soll diese Perspektive der Antiziganismuskritik erweitert werden, indem aufgezeigt wird, inwiefern im Text der „Dialektik der Aufklärung“ selbst, insbesondere im Kapitel zum „Begriff der Aufklärung“, bereits der Kern einer materialistischen Theorie des Antiziganismus formuliert ist. Daraus ergeben sich im Anschluss an diese Rekonstruktion weiterführende Thesen zum Verhältnis von Antisemitismus, Antiziganismus und (post-)kolonialem Rassismus.

 

Freitag, 27.04.2018, 14 Uhr, DenkStätte im Stadtarchiv Duisburg, Karmelplatz 5
Verachtung und Romantisierung
Zur Sozialpsychologie der Roma-Feindlichkeit
Dr. Sebastian Winter, Inhaber der Gastprofessur für kritische Gesellschaftstheorie an der Justus-Liebig-Universität Gießen.

Zwei Merkmale, die alle Ressentiments gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit teilen, treten an der Roma-Feindlichkeit in besonderer Deutlichkeit hervor: Erstens die Ambivalenz von Verachtung und Romantisierung gegenüber der stigmatisierten Gruppe und zweitens die Aktivität „von unten“, welche den Staat drängt, institutionelle und rechtliche Diskriminierungen auszuweiten. In der kapitalistischen Leistungsgesellschaft werden Parias benötigt, die als exkludierte „homines sacri“ verkörpern, was allen droht, wenn sie nicht selbstdiszipliniert und arbeitsam genug sind. Umgekehrt können diese als nicht-bürgerliche „Outlaws“ dadurch aber auch zum Stellvertreter eines Glücksversprechens werden. Innere und äußere Exklusionen sind homolog: Die psychoanalytische Sozialpsychologie untersucht, wie der gesellschaftliche Ausschluss sich innerpsychisch über projektive Abwehrprozessen als Gefühlsambivalenz niederschlägt und in einem Verfolgungsdrang mündet.

 

Dienstag, 15.05.2018, 17 Uhr, DenkStätte im Stadtarchiv Duisburg, Karmelplatz 5
Das Bild der „Zigeunerin“ als Potenzierung von Stereotypen
Anmerkungen zum Wechselverhältnis von Geschlecht und Ethnie
Dr. Rafaela Eulberg, wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Religionswissenschaft des Forums Internationale Wissenschaft der Universität Bonn.

Der Vortrag zeigt Parallelen in der diskursiven Konstruktion einer weiblichen Identität und einer spezifischen „Zigeuneridentität“ auf, als von der Norm abweichende Gruppen.
Die Konstruktion einer spezifisch weiblichen „Zigeuneridentität“ beinhaltet dabei vielfach eine Potenzierung der Konstruktion eines „zigeunerischen“ wie auch eines spezifisch weiblichen Wesens. Exemplarisch werden verschiedene Topoi der parallelen Konstruktion vorgestellt, wie die Gegenüberstellungen „saubere Kulturmenschen vs. schmutzige Naturkinder“ (Zigeuner und Frauen als naturnahe Wesen) und „religiöse Vernunft vs. magische Irrationalität“ (Zigeuner und Frauen als übersinnlich Begabte). Gemeinsam ist diesen konstruierten Gegensätzen ein gleichzeitiges Exotisieren wie auch Dämonisieren der als minderwertig angesehenen Gruppe. Die Potenzierung der Konstruktionen wird im Bild der wahrsagenden Zigeunerin wie auch der Zigeunerin als erotische femme fatale deutlich.

 

Freitag, 25.05.2018, 14 Uhr, DenkStätte im Stadtarchiv Duisburg, Karmelplatz 5
Antiziganismuskritische Bildung in der national-bürgerlichen Konstellation
Prof. Dr. Astrid Messerschmidt, Professorin für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Geschlecht und Diversität an der Bergischen Universität Wuppertal.

Der Vortrag skizziert Konturen für eine historisch reflexive Auseinandersetzung mit Antiziganismus und verortet diesen in der Geschichte der Herausbildung von bürgerlichen Nationalstaaten. Der Antiziganismus stabilisiert sich im Kontext der Nationenbildung im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert in Europa. Bürgerlichkeit und nationale Identität gehen ein Bündnis ein und grenzen diejenigen aus, die als Fremde und Abweichende adressiert werden können. Nationalismus und Rassismus verschränken sich zu einer Konstellation der Ausgrenzung und Abwertung. Parallelen und Unterschiede zum Antisemitismus lassen sich feststellen. Die Wirkung und Bedeutung der Verfolgungsgeschichte bis zum NS-Völkermord ist für ein antiziganismuskritisches Geschichtsbewusstsein zu berücksichtigen. Wie die Mechanismen des Fremdmachens bis in die Gegenwart hinein funktionieren, ist Thema des Vortrags, wobei insbesondere Bildungsinstitutionen und Integrationsmaßnahmen kritisch betrachtet werden.

 

Freitag, 08.06.2018, 14 Uhr, DenkStätte im Stadtarchiv Duisburg, Karmelplatz 5
Ordnungsrecht und/oder Integration
Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien seit 2011
Joachim Krauß, AWO-Integrations gGmbH,
Arbeitsgruppenleitung Migration und Integration

Joachim Krauß wird über die aktuelle Lage der Stadt Duisburg als Brandherd antiziganistischer Stimmungsmache sprechen und dabei insbesondere die Perspektive institutioneller Integrationsangebote berücksichtigen.

 

Freitag, 22.06.2018, 14 Uhr, DenkStätte im Stadtarchiv Duisburg, Karmelplatz 5
Ausgrenzung und Antiziganismus in Duisburg-Marxloh
Sylvia Brennemann, Kinderkrankenschwester, engagiert sich seit Jahren in ihrem Stadtteil Duisburg-Marxloh.

Der sogenannte Problemstadtteil Duisburg Marxloh landet in den letzten Jahren immer wieder in die Schlagzeilen, wenn es darum geht, mit der Zuwanderung von Romafamilien mediale Stimmungsmache gegen selbige zu produzieren. Aus Sicht der Referentin handelt es sich um ein klares Ablenkungsmanöver, um von den eigentlichen Problemen, wachsende Armut, Ausgrenzung und Rassismus abzulenken. Die Referentin beschreibt in ihrem Vortrag die alltäglichen Probleme der betroffenen Romafamilien, denn noch immer ist ein Großteil der Betroffenen von staatlich existentiellen Leistungen ausgeschlossen, Tausenden fehlt noch immer der Zugang zu einer Krankenversicherung und somit zu einer angemessenen Gesundheitsversorgung. Menschenwürdiger und bezahlbarer Wohnraum steht ihnen zumeist nicht zur Verfügung, noch immer fehlen hunderte Schulplätze.
Die Kinderkrankenschwester Sylvia Brennemann lebt in Marxloh und engagiert sich seit Jahren im Stadtteil u.a. im Petershof und in der Praxis für Menschen ohne Krankenversicherung, die im Petershof angesiedelt war. Ihre politische Forderung nach gleichen Rechten für alle stösst vor allem im örtlichen Rathaus auf großen Widerstand. Sylvia Brennemann dazu: „Die Vertreibungs- und Verdrängungsversuche seitens der Stadt zementieren eine humanitäre Katastrophe, der soziale Frieden im Stadtteil ist massiv gefährdet.“

 

Donnerstag, 05.07.2018, 18 Uhr, DenkStätte im Stadtarchiv Duisburg, Karmelplatz 5
Antiziganismus, Kolonialismus, Neoliberalismus – eine Analyse aus Sicht einer Selbstorganisation
Merfin Demir, Vorsitzender der interkulturellen Jugendselbstorganisation von Roma und Nichtroma in Nordrhein-Westfalen Terno Drom e. V.

Im Rahmen des Vortages wird der Rassismus gegen Sinti und Roma als ein historisch gewachsener Rassismus gegenüber als archaisch markierten Menschen dargelegt. Es wird auf die Wechselwirkung und die Abgrenzung gegenüber dem Kolonialrassismus und auch gegenüber dem Antisemitismus eingegangen. Besondere Bedeutung hat der Rassismus gegenüber Sinti und Roma im Zusammenhang der Leistungsgesellschaft als Teil des Neoliberalismus. Mit der Finanzkrise hat sich der Rassismus gegenüber Roma in Osteuropa verstärkt. Nicht zuletzt ist diese Analyse wichtig, um daraus Rückschlüsse, Konzepte und Handlungen zu folgern. Das gilt insbesondere für eine Gesellschaft, die auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung beruht und somit auch für eine demokratische Stadtgesellschaft. Daraus ergibt sich insbesondere, dass wissenschaftliche Erkenntnisse in die Praxis umgesetzt werden müssen, obwohl diese Erkenntnisse oft als zu theoretisch diskreditiert werden.

 

Kooperationspartner und Förderer

Die Veranstaltungsreihe wird vom Arbeitskreis Antiziganismus im Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung durchgeführt in Kooperation mit dem Zentrum für  Erinnerungskultur, Menschenrechte und Demokratie.

Sie wird gefördert durch die Amadeu Antonio Stiftung und durch den AStA der Uni Duisburg/Essen.

 

 

 

 

 

 

 

Zum Download:

Plakat der Veranstaltungsreihe als PDF-Datei
Flyer der Veranstaltungsreihe als PDF-Datei