Unverbesserlicher Rechtsextremist

Gastbeitrag von Anton Maegerle

Vor 50 Jahren, am 31. März 1965, fand in der österreichischen Landeshauptstadt Wien eine Demonstration gegen den antisemitischen Universitätsprofessor Taras Borodajkewycz statt. Im Verlauf der Demonstration versetzte der Neonazi Günther Kümel dem Widerstandskämpfer Ernst Kirchweger (Jg. 1898) einen Faustschlag. Das Opfer starb kurz darauf an den Folgen.

Ex-NSDAP-Mitglied Borodajkewycz hatte in seinen Vorlesungen Rosa Luxemburg als „jüdische Massenaufpeitscherin“ denunziert, deutsche Freikorps verherrlicht und Hitlers Heldenplatz-Rede zu seinem glücklichsten Tag gekürt. Ein Wiener Geschworenengericht verurteilte Kümel, Mitglied rechtsextremer Studentenzirkel um den Ring Freiheitlicher Studenten (RFS),  am 25. Oktober 1965 wegen Vergehens gegen die Sicherheit des Landes zu einer 10-monatigen Haftstrafe. Nach fünf Monaten Gefängnisaufenthalt wurde Kümel vorzeitig entlassen. Kümel, früher Mitglied des in Österreich verbotenen „Bundes Heimattreuer Jugend“ (BHJ), versicherte vor Gericht, er habe in Notwehr gehandelt. Der deutsche BHJ berichtete über den Vorgang: „Ein angetrunkener Kommunist und ehemaliger KZ-Häftling wurde bei einem Handgemenge so unglücklich durch die Abwehrmaßnahmen des Studenten Kümel getroffen, daß er kurz darauf verstarb.“ Kirchweger war das erste politische Todesopfer der Zweiten Republik.

Günther Kümel verschwand nach seiner Haftentlassung aus Österreich. Seit ca. 2000 ist der im hessischen wohnhafte Virologe als Gunther Kümel in einschlägigen Foren aktiv und greift für Szene-Publikationen zur Feder. Schriftverkehr mit dem Holocaust-Leugner Horst Mahler („Lieber Herr Mahler!“) pflegte Kümel vor Jahren mit dem Gruß „Für unser Volk und unser Recht!“ zu beenden. In einem Schreiben an Mahler vom 5. Mai 2003 schwadronierte Kümel über „opferbereite Revolutionäre, die Deutschland, die das Volk, die das Heilige Deutsche Reich brauchen.“ Nach dem Unfalltod des sächsischen NPD-Landtagsabgeordneten Uwe Leichsenring 2006 orakelte Kümel in der NS-apologetischen Postille „Recht und Wahrheit“ über ein „Attentat“ („ob der Mossad mal wieder ein Zeichen setzen wollte“). 2010 bezog Kümel im antisemitischen Blatt „Phoenix“ (Österreich) Stellung zum „’Ketzer‘-Prozess“ gegen den Holocaust-Leugner Gerd Honsik. In jüngster Zeit tummelt sich Kümel, der Eigenbekunden zufolge in seiner Familie „seit vielen Jahren“ das Fernsehen abgeschafft hat, „da die Berichterstattung langweilig und ideologiebelastet ist“, als Schreiber in verschwörungstheoretischen Kreisen wie „Elsässers Blog“.

Rezension: Der Hungerplan im „Unternehmen Barbarossa“ 1941

Autor: Anton Maegerle

Am 20. Juni jährt sich zum 70. Mal der Überfall Deutschlands  auf die Sowjetunion. Der Karlsruher Historiker Wigbert Benz dokumentiert in seiner Monografie „Der Hungerplan im ‚Unternehmen Barbarossa‘ 1941“, dass bei diesem NS-Großverbrechen „zig Millionen Menschen“ in den besetzten Gebieten der UdSSR verhungern sollten, um Nahrungsmittel für die Wehrmacht und deutsche Bevölkerung frei zu machen.

Dem von der politischen, militärischen und wirtschaftlichen Elite des NS-Staates im Rahmen des Eroberungs-, Ausbeutungs- und Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion praktizierten Konzepts des gezielten Massenmordes durch Hunger, fielen mindestens vier Millionen Menschen in den besetzten Gebieten und mehr als zwei Millionen sowjetische Kriegsgefangene zum Opfer. Da der größte Vernichtungskrieg in der Geschichte nicht planmäßig verlief und der Hungerplan so nicht in vollem Umfang in die Tat umgesetzt werden konnte, wurde die von den NS-Machthabern einkalkulierte Zahl von „zig Millionen“ Hungeropfern jedoch nicht erreicht.

Buchcover: Wigbert Benz: Der Hungerplan

Im ersten Teil seiner Studie analysiert Benz die im Auftrag Hermann Görings  in den für die Kriegswirtschaft zuständigen Dienststellen erfolgten Planungen, beim sogenannten Russlandfeldzug „zig Millionen Menschen verhungern“ zu lassen, um die Ernährung im Deutschen Reich und die der Wehrmacht in den besetzten Gebieten der Sowjetunion zu sichern. Göring wurde, heute ist dies selbst in Historikerkreisen vergessen, explizit auch wegen seiner Verantwortung für dieses Hungervorhaben bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen zum Tod verurteilt. Im zweiten Teil skizziert Benz die Entwicklung des Forschungsstandes zum Vernichtungscharakter des  „Feldzuges“, dessen Zusammenhang mit den nationalsozialistischen Kriegszielen sowie den Grundzügen der Kriegführung und Besatzungspraxis des Regimes, in deren Rahmen das Hungerprojekt geschichtlich zu verorten ist und sich dessen zentrale Fragestellungen erschließen lassen. Die Konzeption des „Hungerplans“ sieht Benz im „Kern“ des nationalsozialistischen Weltbildes, der Einteilung der Völker in wertvolle und minderwertige, begründet. Die wertvollen, an der Spitze die Deutschen, haben das Recht, auf Kosten der minderwertigen besser zu leben, ja „Lebensraum“ und Wirtschaftsraum im Osten zu erobern. Die sowjetischen Gebiete sollen um unnütze Esser bereinigt werden.

„zig Millionen Menschen verhungern“

Im Fokus der Analyse des dritten Kapitels stehen die  zentralen Dokumente des Hungervorhabens. Der Plan, „zig Millionen Menschen verhungern“ zu lassen, wurde im Protokoll der Besprechung des Chefs des Wehrwirtschafts- und Rüstungsamtes im Oberkommando der Wehrmacht (OKW), General der Infanterie Georg Thomas, mit den Staatssekretären aller wirtschafts- und sozialpolitisch wichtigen Ressorts am 2. Mai 1941 festgehalten. Das Protokoll, so Benz, zeigt das „extreme Hungerkalkül“ der deutschen Kriegsplaner für die Besatzungspolitik in der UdSSR. Weitere Eckpfeiler des Hungerplans bilden die wirtschaftspolitischen Richtlinien der Wirtschaftsorganisation Ost, Gruppe Landwirtschaft, im Vierjahresplan vom 23. Mai 1941 sowie Görings sogenannte „Grüne Mappe“ vom 1. Juni 1941, die als Richtlinien für die Führung der Wirtschaft die Ziele und Methoden zur wirtschaftlichen Ausbeutung der zu besetzenden Ostgebiete festlegten.

Am Rande seiner Monografie stellt  Benz ein für alle mal  klar, dass die von rechtsextremen und geschichtsrevisionistischen Kreisen immer wieder bemühte Präventivkriegsthese, wonach Hitler-Deutschland einem Überfall Stalins auf das deutsche Reich lediglich zuvorkam, ins Reich der Legenden und Mythen gehört. Mutmaßungen über Angriffabsichten Stalins, so Benz, sind „nicht nur unbewiesen“, sondern haben bei der  „Entscheidungsfindung der deutschen politischen und militärischen Führung an keiner Stelle eine Rolle gespielt.“ Enttäuscht zeigt sich Benz am Ende seiner Bilanz, dass der NS-Terror der aktiv betriebenen Hungerpolitik bislang im deutschen Sprachraum nicht zu einem Thema geworden ist. Der Historiker befürchtet, dass viele Bundesbürger beim Begriff „Hungerplan“ an einen Diätplan zum Abspecken überflüssiger Pfunde denken, statt an das nach dem Holocaust größte Massenverbrechen des NS-Regimes. Diesem Mißstand endlich entgegenzuwirken zu können, hat Benz mit seiner glänzenden Analyse der dokumentarischen Grundlage des Hungerplans, eingebettet in die Fokussierung der Ergebnisse der internationalen Forschung zu diesem Thema, selbst einen entscheidenden Schritt in die richtige Richtung getan.

Wigbert Benz
Der Hungerplan im „Unternehmen Barbarossa“ 1941
84 Seiten. Wissenschaftlicher Verlag Berlin wvb. Berlin 2011.
ISBN 978-3-86573-613-0
16 Euro

Dieser Beitrag erschien in gekürzter Fassung zuerst auf vorwärts.de.

Friedhofsschänder und Computerspezialist

Eine österreichische Karriere

Autor: Anton Maegerle

Im Rahmen der Großrazzia gegen die Betreiber, Aktivisten und Hintermänner der Neonazi-Website „alpen-donau.info“ wurde neben dem bekannten Neonazi Gottfried Küssel auch ein zweiter Mann verhaftet, der Computerexperte Wilhelm-Christian Anderle (Jg. 1971). Bei Anderle soll es sich um einen der Webmaster des militanten Neonazi-Netzwerks handeln.

Kontakte ins neonazistische Milieu soll Anderle bereits 1990 – als 19jähriger – geknüpft haben. Demnach lernte er bei einer Sonnwendfeier in Kirchberg am Wechsel Norbert Burger, den Vorsitzenden der 1988 wegen NS-Wiederbetätigung verbotenen Nationaldemokratischen Partei (NDP) kennen. In der Folgezeit nahm Anderle Verbindungen zu bekannten Neonazis wie Franz Radl und Gerd Honsik sowie zu der Neonazi-Truppe Nationalistische Front (NF) auf, die 1992 in der Bundesrepublik Deutschland verboten wurde.

Im Visier der Sicherheitsbehörden stand Anderle erstmals 1991. Wegen „rechtsextremer Äußerungen“ im BTX-System des Grazer „Instituts für Grundlagen der Informationsverarbeitung“ fiel er der Staatspolizei auf. Bis 1994 konnte er dort dennoch unter den Pseudonymen „Morris“, „Whiteknight“ und „Lancelot“ rassistische und hetzerische Parolen veröffentlichen.

Am 18. Oktober 1992 kandidierte Anderle, damals Mitglied der FPÖ-Jugendorganisation „Ring Freiheitlicher Jugend“ (RFJ), für die FPÖ bei der Gemeinderatswahl im burgenländischen Stadtschlaining auf dem zweiten Listenplatz.

Wenige Tage später, in der Nacht vom 30. zum 31. Oktober 1992, beschmierte Anderle gemeinsam mit einem Gesinnungskumpanen 88 Grabsteine auf dem Jüdischen Fiedhof in Eisenstadt mit Hakenkreuzen, „SS“-Runen und Parolen wie „Sieg Heil“ und „Heil Haider“. An einem Grabstein befestigten die Neonazis ein Flugblatt, in dem eine „Rassischsozialistische Arische Wiederstandsbewegung“ (R.A.W.) unter dem Titel „Affen raus“ sich mit folgendem Text „Friedhofsschänder und Computerspezialist“ weiterlesen