»Von der Wiege bis zur Bahre«

Neu in der Edition DISS beim Unrast-Verlag:

Rebecca Folke:
»Von der Wiege bis zur Bahre«
Kindeswohlgefährdung im völkisch-neonazistischen Spektrum

ISBN 978-3-89771-781-7 | 128 Seiten | Edition DISS, Bd. 51 | 16,00 Euro

Seit den 1950er Jahren werden Kinder und Jugendliche in einem spezifischen Teil der organisierten neonazistischen Szene in der BRD in völkisch-nationalistischen und neonazistischen Jugendbünden erzogen. Dennoch war diese Form der institutionalisierten Erziehung bisher nicht Gegenstand erziehungswissenschaftlicher Forschung. Unter dem Pseudonym Rebecca Folke liefert die Autorin nun eine erste systematische Untersuchung der innerorganisationalen Sozialisationsbedingungen eines solchen Jugendbundes, der Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ). Zwar wurde die HDJ 2009 aufgrund ihrer Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus verboten, doch steht sie bis heute exemplarisch für diese spezifische Form institutionalisierter völkischer Erziehung. In ihrer Untersuchung beleuchtet die Autorin insbesondere den Aspekt der Kindeswohlgefährdung. Sie zeigt auf, dass die Grundrechte von Kindern und Jugendlichen in diesem Spektrum systematisch verletzt werden und diskutiert in ihrem Fazit Implikationen für die erziehungswissenschaftliche Forschung und Praxis.

DISS-Journal 45 erschienen

Die neue Ausgabe unserer Institutszeitschrift DISS-Journal ist erschienen und kostenlos als PDF-Datei abrufbar.

 

Vorwort

Seitdem Putin den guten alten Lenin zur Unperson, Stalin dagegen zum Vorbild und die Kriegspredigten des Patriarchen Kyrill zu aufbauenden Traktaten erklärt hat, erscheint es ratsam, wieder einmal in die alten Texte Lenins hineinzuschauen, die er während des Ersten Weltkrieges im Schweizer Exil geschrieben hat. Im April 1916 veröffentlichte er Thesen zum Selbstbestimmungsrecht der Nationen unter den Bedingungen eines Weltkrieges, in dem sich zwei imperialistische Blöcke gegenüberstanden. Mit Blick auf eine zukünftige sozialistische Revolution im Zarenreich schrieb er: „Die Tatsache, daß der Kampf gegen eine imperialistische Macht für die nationale Freiheit unter bestimmten Bedingungen von einer anderen ‚Großmacht‘ für ihre ebenfalls imperialistischen Ziele ausgenutzt werden kann, kann die Sozialdemokratie genauso wenig bewegen, auf die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der Nationen zu verzichten, wie die mehrfachen Fälle der Ausnutzung der republikanischen Losungen durch die Bourgeoisie […] die Sozialdemokratie bewegen können, auf ihren Republikanismus zu verzichten.“

Die Ukraine gehört nicht (mehr) zur Russischen Welt (Russkij Mir). Ihr Selbstbestimmungsrecht anzuerkennen, will nicht nur Putin und Kyrill partout nicht einfallen, sondern auch den sog. ‚Putinverstehern‘ in Europa und speziell Deutschland, die den Ukrainekrieg als Auftakt zur Abrechnung mit dem „Regenbogenimperium“ der angelsächsischen Vormacht sehen und von einem europäischen „Großraum“, selbstverständlich unter deutscher Führung, träumen, den sie mit russischer Hilfe zu installieren trachten. Björn Höckes Kriegsrede in Gera ist diesbezüglich ein Thema in diesem Heft, kontrastiert mit dem Ansinnen der „realistischen“ Fraktion der extremen Rechten, die „Zeitenwende“ diskursiv zu okkupieren, um die Nation endlich mental und militärisch (sogar zur Atommacht?) aufzurüsten und in den Zustand der viel beschworenen Souveränität zu versetzen, wenn auch noch, unter den gegebenen Bedingungen, innerhalb der NATO.

Im Ukrainekrieg geht es aber nicht nur um die nationale Unabhängigkeit, sondern auch, gewissermaßen überdeterminiert, um die zukünftige Weltordnung. In dieser Hinsicht ist der Ukrainekrieg ein Vorspiel zu einer noch schwerwiegenderen Konfrontation. Aus der Sicht amerikanischer Militärstrategen, schreibt Wolfgang Kastrup in seinem Beitrag, bleibe Russland „zwar durch seine Nuklearmacht weiterhin strategisch bedeutend, China als neue Nuklearmacht habe aber gegenüber Russland politisch, ökonomisch und militärisch eine andere Größenordnung, es sei ein systemischer Rivale, der die Weltordnung bedrohe“. Kastrup untersucht die Determinanten dieser sich schrittweise zuspitzenden Systemrivalität-

In einem zweiten Schwerpunkt geht es um die Engführung der ökologischen Transformation auf den sogenannten Green New Deal. Dringend benötigte, weiterreichende Konzepte wie die Option eines Degrowth, passen nicht in die grün gefärbte, kapitalistische Fortschrittsgläubigkeit.

Die Zuversicht der Politik, den ökologischen Kollaps rein technologisch abwenden zu können, klingt geradezu naiv angesichts des Energiehungers des vermeintlichen Allzweckheilmittels der künstlichen Intelligenz. Auf deren politische Schadwirkung blicken wir mit einer kritischen Untersuchung des derzeitigen Hypes um den künstlich ‚intelligenten‘ Chatbot namens ChatGPT.

 

Inhalt

4 VORWORT

5 (UNGEHALTENE) REDE ZUM OSTERMARSCH 2023
Von Helmut Loeven

6 USA UND CHINA – HEGEMONIEKAMPF UM DIE WELTORDNUNG
Von Wolfgang Kastrup

14 HÖCKES KRIEGSREDE AM 3. OKTOBER 2022 IN GERA
Von Helmut Kellershohn

18 „ES GEHT UM UNSERE NATION. ES GEHT UM UNSERE
LEKTIONEN AUS DEM UKRAINE-KRIEG AUS DER SICHT DER JUNGEN
Von Helmut Kellershohn

24 DER FALL MAASEN
Von Theo Morell

30 GRÜNER KAPITALISMUS – DIE LÖSUNG?
Von Lukas Gerke

32 KLIMATECHNOLOGISCHER KOLLAPS
Von Guido Arnold

36 CHATGPT – EIN POLITISCHES DESASTER
Von Guido Arnold

42 JUNG, MÄNNLICH, MIGRANTISCH – EXPLOSIV!
ZUR DISKURSIVEN VORGESCHICHTE DER SILVESTERDE-BATTE
Von Isolde Aigner

47 ZWISCHEN REPRESSION UND VERSTÄNDNIS
KOMMENTARANALYSEN ZU DEN EREIGNISSEN DER SIL-VESTERNACHT
Von Maria Kim Anastasia Pawlinski, Nuran Taner und
50 ZUR KRÖNUNG VON CHARLES III.
Von Jobst Paul

54 LESETIPPS
Leseempfehlungen von Helmut Kellershohn, Benno Nothardt

57 „ICH ÜBERLEGE, MEIN BAUCH ENTSCHEIDET“
HEINRICH STRUNK – NACHLASSAUSSTELLUNG
Veranstaltungsempfehlung von Margarete Jäger und Benno

57 ERST STIRBT DAS RECHT, DANN DER MENSCH

30 JAHRE NACH GRUNDGESETZÄNDERUNG & SOLINGEN
von Heiko Kauffmann

59 AUS DEM INSTITUT

„Ich überlege, mein Bauch entscheidet“

Heinrich Strunk – Nachlassausstellung


Ausschnitt aus einem Bild von Heinrich Strunk

Wer das DISS kennt, kennt den 1949 geborenen Künstler Heinrich Strunk, denn ihm verdanken wir unser Logo und die Gestaltung von Buchcovern aus den 1990-Jahren. Auch der stilisierte Fink, der die Duisburger Studierendenkneipe Finkenkrug bis heute ziert, stammt aus seiner Hand.
Heinrich war Mitte der 1990er-Jahre zwei Jahre Mitarbeiter des DISS und hat uns einen immerwährenden, antirassistischen Kalender hinterlassen. Dieser spielt mit dem changierenden Verhältnis von Individualität und allgemeinmenschlicher Solidarität. Dazu kombiniert er verfremdete, vielfältige und ausdrucksstarke gemalte Portraits mit immer neuen Variationen des Mottos „Du bist wie keiner. Alle sind wie jeder“. Restexemplare können noch heute im DISS und der Buchhandlung Weltbühne erworben werden.

2016 verstarb Heinrich. Jetzt zeigt die cubus kunsthalle in Duisburg seinen Nachlass. Die Ausstellung zeigt, wie vielfältig, kritisch und humorvoll er war. Zwischen den Ausstellungsstücke sind Fotografien des Duisburger Fotografen Gernot Schwarz platziert, die mit künstlerischem Blick Ausschnitte aus Heinrich Strunks ehemaligen Atelier zeigen.

In der Ausstellung können Bilder zu Preisen zwischen 5 und 100 € erworben werden.  Das bedeutet aber auch: Je später man hingeht, je wenige Bilder sind noch zu sehen. Also los…

cubus kunsthalle
Friedrich-Wilhelm-Straße 64 in Duisburg.
bis Sonntag, 11.6.2023
Mi–So, 14–18 Uhr, Eintritt frei

 

Kalenderblatt des Kalenders gegen Rassismus, © 1994 DISS

Umschlaggestaltung © 1995

 

Radio Corax Halle: Eine Querfront existiert (noch) nicht

Helmut Kellershohn im Gespräch mit Radio Corax

In Stadträten und Landesparlamenten stimmt die AfD zusammen mit anderen Parteien ab, bei konservativen Veranstaltungen beteiligen sich Neonazis und Rechte. Der aktuellste Anstoß der Debatte: Bei der Demonstration für den Frieden, zu der Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht aufgerufen hatten, waren rechte Akteure mit dabei und haben sogar den Aufruf mitunterzeichnet. Solche Ereignisse führen zur Kritik von antifaschistischer Seite, dass hier eine Querfront entstehe. Doch wann handelt es sich tatsächlich um eine Querfront und wie lassen sich Organisierungsfragen begrifflich gut fassen, um solche Phänomene linker und rechter augenscheinlicher oder tatsächlicher Zusammenkunft besser einzuordnen? Darüber sprachen wir mit Helmut Kellershohn, Historiker und Rechtsextremismusforscher.

-> Talk anhören

Samstag, 01.04.2023: Antirassistischer Brunch

Silvester 2022 – Feindbild junger migrantischer Mann

Samstag, 01.04.2023
11:00-14:00 Uhr
Präsenz im Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung,
Siegstraße 15, 47051 Duisburg -> Anreise

Am Beispiel der Ausschreitungen in der Silvesternacht 2022/23 wollen wir betrachten, wie in den Medien Feindbilder hergestellt und strategisch genutzt werden, aber auch wie sie hinterfragt und dekonstruiert werden.

Dazu stellen wir erste Ergebnisse einer aktuellen Studie zur Diskussion und nehmen uns Zeit zum Brunchen, Kennenlernen, Austausch und einer kleinen Übung. Die Veranstaltung ist kostenlos.

Damit wir planen können, bitten wir um formlose Anmeldung an info@diss-duisburg.de

Wir freuen uns aber auch über spontane Gäste ohne Anmeldung 🙂

Nigel Follett: Rezension BREXITANNIA

BREXITANNIA – Great Britain’s Exit from the EU’

written by

Robert Tonks & Zakaria Rahmani

Zusammenfassend schlüsselt dieses Buch die vielfältigen Einflüsse auf die WählerInnen im Vorfeld des britischen EU-Referendums auf. Es gibt einen umfassenden Einblick in die ausschlaggebenden Faktoren und Motivationen der WählerInnen im Juni 2016 und beschreibt den sich entwickelnden politischen Sumpf, in dem sich die Tory-Regierung bei der Umsetzung des Brexit vor dem Hintergrund einer schrumpfenden Wirtschaft befindet.

Das Buch endet mit einem Epliog, der die Ereignisse ab 2016 bis Juli 2022 beschreibt: Er enthüllt den Mangel an qualitativ hochwertigen Debatten im Vorfeld der Abstimmung und bietet eine Zusammenfassung der Drehungen und Wendungen der Brexit-Umsetzung seit dem Referendum. Er beschreibt den aufkommenden Populismus, der die Tory-Politik antreibt. Er entlarvt den Mangel an Planung und Vorbereitung auf den Austritt aus der EU, der die Fähigkeit der Regierung lähmte, den Brexit effektiv umzusetzen und das Erbe des von ihr selbst ausgehandelten Nordirland-Protokolls zu lösen.

Following the shock result of the Brexit referendum in June 2016 Robert and Zakaria toured theUK in late summer of 2020 in search of answers to the question ‘why did Britain vote to leave the EU?’.

They spoke to people from all over the UK and took on board the input from experts, such as sociologists and political journalists both in the UK and Germany. Their approach was to take at face value the reasons people gave for voting the way they did, then to explore the voter context or personal situation to unearth the drivers of voting to leave. They found both a willingness to talk candidly and some unease amongst some family members to open up old wounds. Over 4 chapters they thread together the underlying motivations and fears, both historical and immediate, that shaped the way people voted.

Chapter 1 explores the legacy of the miners dispute in the early 1980’s, the fight to retain jobs that culminated in the ‘battle of Orgreave’, the impact that losing that fight had on mining communities and the response, or lack of it, of the government to retrain redundant miners and rebuild local economies. One is left feeling there is a deep-seated and lasting resentment of Margaret Thatcher, the Tory government and the Police in particular, and a mistrust of the state in general that spilled over into voting against the bureaucrats in Brussels.

Chapter 2 addresses the perennial political fight to win the hearts and minds of ‘middle England’ – the swing voters without ‘dyed in the wool’ allegiances who may vote either way. They also examine the fallacy of the north-south divide and the role of the media and prominent politicians in shaping public opinion. What were voters’ intentions in the weeks leading up to the referendum and did they stick with it or did a significant number change their minds in the run-up to the vote? If so, why?

Chapter 3 looks at the significance of the NHS to the health of the nation and, more importantly, the pride of place it has in the minds of voters alongside a deterioration in its ability to cope with increasing demand and maintain standards of service.

Chapter 4 takes a longer term view of historical events, such as President de Gaulle’s repeated refusal to allow Great Britain into the Common Market, and the yearning of some senior voters to rekindle the belief that, having survived the early years of the Second World War alone, we can do it again.

Finally, the Epilogue provides a synopsis of the twists and turns of Brexit implementation since the Referendum, exposing the paucity of quality debate leading up to the vote, the emergence of populism driving Tory policy and the lack of planning and preparation for leaving the EU that crippled the government’s ability to execute Brexit effectively and to resolve the legacy of the Northern Ireland Protocol it negotiated.

In summary, this book catalogues the influences on voters in the run-up to the Referendum, provides insight into the drivers and motivations of voters in June 2016 and describes the evolving political mire in which the Tory government has found itself executing Brexit against a backdrop of a shrinking economy.

Nigel Follett

 

DISS Neuerscheinung: (Post-)Pandemische Normalitäten

»Nicht die Viren sind ungerecht, sondern die Strukturen, auf die sie treffen« (Christa Wichterich)

Guido Arnold, Helmut Kellershohn, Margarete Jäger:
(Post-)Pandemische Normalitäten
Edition DISS Bd. 50
1. Auflage, Dezember 2022
160 Seiten, 19,80 €
ISBN 978-3-89771-779-4
UNRAST Verlag, Münster

Bestellungen bitte über den Unrast-Verlag:
(Post-)Pandemische Normalitäten

Einhergehend mit rassistischen und nationalistischen Entsolidarisierungsprozessen, veränderten Gerechtigkeitsvorstellungen und einer zunehmenden Entwicklung sozialer Ungleichheitsverhältnisse – nicht zuletzt aufgrund eines technokratisch geleiteten ›Solutionismus‹ im automatisierten Bevölkerungsmanagement – hat die Corona-Krise ›neue Normalitäten‹ generiert, die gesellschaftsverändernde Wirkung auf die post-pandemische Zukunft haben.

In 13 lesenswerten Beiträgen geht dieser Sammelband des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS) der Frage nach, welchen Einfluss die Krise auf die Geschlechterverhältnisse hatte (und immer noch hat), auf den desolat ausgehöhlten Gesundheitssektor, auf die Digitalisierung im Bildungs- und Arbeitsbereich oder die zunehmende Bedeutung von Verschwörungsmythen.

Doch die Autor:innen sezieren nicht nur die spezifischen Merkmale der Pandemie. Sie nehmen auch möglicherweise kausale Zusammenhänge zwischen der pandemischen und der sich parallel zuspitzenden ökologische Krise in den Blick und analysieren die gesellschaftlichen Auswirkungen im Hinblick auf eine sich möglicherweise katastrophisch verschärfende Krisendynamik.

Inhalt

Guido Arnold /Margarete Jäger / Helmut Kellershohn
Vorwort

Jürgen Link
In welcher »neuen Normalität« wird die >Corona-Krise< enden?

Isolde Aigner
»Es ist Corona, was macht Ihr da?!« Jugendliche in der Corona-Pandemie

Christian Kolbe / Thomas Kunz
Hochschule und Digitalisierung in Post-Corona-Zeiten

Massimo Perinelli
Corona und Rassismus:
Die Krise der Solidarität im nationalen Shutdown

Christoph Butterwegge
Pandemische Ungleichheit im Corona-Kapitalismus

Christa Wichterich
Care, Geschlecht und Covid-19-Regime

Andreas Wulf
Der Pharma- und Patentekomplex

Guido Arnold
Postpandemisches Bevölkerungsmanagement

Bruno Kern
Die Rückkehr zum menschlichen Maß: Industrielle Abrüstung!

Helmut Kellershohn
»Blue Deal« versus »European Green Deal«

Andrea Becker
Der Reset der Großen Transformation

Clemens Knobloch
Verschwörungstheorie