Zum Bochumer Tortenprozess

Neues Bilderverbot durch Bochumer Tortenprozess:
Stehen wir vor einer Einschränkung der Pressefreiheit?

Autor: Rolf van Raden

Vor dem Bochumer Amtsgericht hat am Mittwoch ein Aufsehen erregender Prozess stattgefunden: Der verantwortliche Redakteur des lokalen Internetportals bo-alternativ ist zu einer Strafe von 1.500 Euro verurteilt worden, weil er ein Anti-Nazi-Plakat dokumentiert hat. Auf dem Plakat ist eine Comicfigur zu sehen, die eine Torte in der Hand hält. In den Augen der Staatsanwaltschaft und der Richterin stellt die Abbildung auf dieser Seite aus dem Jahr 2008 einen „Aufruf zur gefährlichen Körperverletzung“ dar.

http://www.bo-alternativ.de/aktuell/wp-content/uploads/2008/10/nazistopp.jpg
„Aufruf zur gefährlichen Körperverletzung“? Die dokumentierende Abbildung dieser Grafik soll strafbar sein.

Es handelt sich bereits um den dritten Prozess zum Thema – vor einem Jahr gab es bereits einen Freispruch, worauf die Staatsanwaltschaft allerdings Revision einlegte. Der beschuldigte Redakteur hat jetzt angekündigt, gegen das neue Urteil selbst in Berufung zu gehen. Sollte die Verurteilung vor weiteren Instanzen Bestand haben, könnte das die Presse- und Meinungsfreiheit in Deutschland empfindlich einschränken.

Die Anklage der Bochumer Staatsanwaltschaft (hier im Wortlaut) stand von Anfang an unter massiver Kritik. In einer Solidaritätserklärung bewerteten eine Reihe prominenter Persönlichkeiten den Prozess als einen „Affront gegen die Menschen, die sich am 25. Oktober in Bochum und an anderen Tagen in anderen Städten den Nazi-Aufmärschen entgegen stellten.” Andere BeobachterInnen weisen darauf hin, welche politischen Folgen die Verurteilung haben kann: Wenn nämlich schon die Abbildung einer Comicfigur mit einer Torte in der Hand dazu ausreicht, um das Recht auf Äußerungsfreiheit im Internet einzuschränken, dann wäre der behördlichen Willkür Tür und Tor geöffnet.

Die Anklage hat die Abbildung einer Torte zu einer „getarnten Bombe“ umgedeutet. Damit aber nicht genug. Denn im nächsten Schritt erklärte die Staatsanwaltschaft die angebliche Bombe zu einem verbotenen Aufruf, „Gegenstände, die ihrer Art nach zur Verletzung von Personen oder Beschädigung von Sachen geeignet und bestimmt sind, ohne behördliche Genehmigung mit sich zu führen und diese zur Begehung von Vergehen der gefährlichen Körperverletzung einzusetzen“. In einfache Sprache übersetzt behauptet die Staatsanwaltschaft: Indem das Internetportal das Plakat dokumentiert, rufe es dazu auf, mit Waffen zur Demo zu gehen und diese zu benutzen.

Kommt die Staatsanwaltschaft mit dieser obskuren Argumentation durch, wäre künftig keine grafische Veröffentlichung mehr vor solch aggressiver Interpretation und Umdeutung geschützt. Ein Plakat mit einer erhobenen Faust? Klar, da holt jemand zum Schlag aus. Es droht ein neues Bilderverbot für politische Publikationen. Und noch mehr: Die Strafverfolgungsbehörden bekämen ein einfaches wie mächtiges Instrument an die Hand, um politisch missliebige Äußerungen weitgehend willkürlich zu kriminalisieren. Das wäre eine massive Einschränkung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit – und weil es sich bei dem Angeklagten ja nicht einmal um den Plakat-Urheber, sondern lediglich um den Redakteur eines Internetportals handelt, auch um eine Aushebelung der Pressefreiheit.

Der Diskursanalytiker und Herausgeber der Zeitschrift kultuRRevolution Jürgen Link ging noch einen Schritt weiter. Bereits anlässlich des ersten Tortenprozesses vor einem Jahr veröffentlichte er eine „Diskursanalytische Wortmeldung“, in welcher er deutlich machte: Selbst, wenn auf dem Plakat tatsächlich eine Bombe zu sehen wäre, würde es sich dadurch nicht um einen Aufruf zu Gewalt handeln – weil bei einer Interpretation immer Kollektivsymboliken und diskursive Kontexte zu berücksichtigen sind. Um das zu verdeutlichen, überträgt Link das Argumentationsmuster der Staatsanwaltschaft probeweise auf eine Karikatur, welche die WAZ elf Jahre zuvor veröffentlicht hatte. In der Grafik ist der damalige Verteidigungsminister Volker Rühe zu sehen, der den im Rollstuhl sitzenden Wolfgang Schäuble mit einem Panzer bedroht. Folge man der Logik der Bochumer Staatsanwaltschaft, stelle diese Veröffentlichung „zweifelsfrei sogar einen Aufruf zum Mord dar.“ Jürgen Link weiter: „Staatsanwältin W. weiß nicht, dass Karikaturen Konflikte symbolisch darstellen und dazu groteske Übertreibungen als ihr wesentliches Mittel einsetzen müssen. ‚Panzer’ bedeutet symbolisch ‚große Entschlossenheit’ (und nicht: realer Panzereinsatz!!!) – Torte mit Lunte bedeutet symbolisch ‚Entschlossenheit mit Spaß’ (erheblich kleinere als Panzer!!!), und nicht realen Terrorismus! Man muss schon nicht bloß völlig humorlos, sondern außerdem diskursanalytisch eine Null sein, um derart danebenhauen (keine Unterstellung, Staatsanwältin W. habe wirklich zugeschlagen!!!) zu können.” Zum vollständigen Text von Jürgen Link.

Ob die Staatsanwaltschaft und die vorsitzende Richterin tatsächlich diskursanalytische Nullen sind, oder ob es andere Gründe dafür gibt, dass sie eine Interpretation des Plakats für gültig erklären, die überhaupt nichts mit der tatsächlichen diskursiven Wirkung der Veröffentlichung zu tun hat, das kann an dieser Stelle nicht geklärt werden. Fest steht jedenfalls, dass die Demonstration, zu der das Plakat aufrief, selbst in den Augen der Polizei völlig friedlich verlaufen ist. Und obwohl die Polizei – wie zu solchen Anlässen üblich – umfangreiche Taschenkontrollen durchführte, konnte sie nicht einen einzigen „gefährlichen Gegenstand“ finden – weder als Torten getarnte Bomben, noch andere Gegenstände, die zur Beschlagnahme geeignet waren. Darüber hinaus ist der jetzt wegen „Aufruf zur gefährlichen Körperverletzung“ verurteilte Redakteur seit Jahrzehnten ein aktives Mitglied der Friedensbewegung und für seine kompromisslos gewaltfreie politische Linie bekannt.

Diese Tatsachen verweisen auf eine Fragestellung, um die es bei der Berufungsverhandlung zumindest implizit auch gehen wird: Wenn Strafverfolgungsbehörden und Gerichte über die Strafbarkeit einer Publikation befinden, dürfen sie dann einfach eine Interpretation zur Grundlage machen, die weder vom Publizisten selbst, noch von der Zielgruppe der Publikation, und noch nicht einmal im Rahmen des Hegemonialdiskurses als naheliegend oder gar zwingend angesehen wird? Oder verletzen die Behörden vielleicht sogar ihre Sorgfaltspflicht, wenn sie sich auf eine Interpretation berufen, die nichts mit den diskursiven Verhältnissen zu tun hat, in denen die Publikation veröffentlicht worden ist?

Diese Fragen sind aus einer diskurs- und machtanalytischen Perspektive interessant. In der politischen Dimension wird in der Berufungsverhandlung allerdings nicht weniger verhandelt als die Reichweite der Grundrechte auf Presse- und Äußerungsfreiheit. Deswegen ist sicher, dass weiterhin viele Augen auf den Bochumer Tortenprozess gerichtet sein werden.

Zum Weiterlesen: Alle Stellungnahmen und Berichte zum Bochumer Tortenprozess auf bo-alternativ.de

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