Konservative Reconquista?

Aus dem Umkreis der Jungen Freiheit wird eine erneute Attacke gegen die CDU-Führung vorgetragen.

Autor: Helmut Kellershohn

Wir erinnern uns: Als der Bundestagsabgeordnete Martin Hohmann wegen seiner mit antisemitischen Anspielungen gespickten Rede aus der CDU ausgeschlossen werden sollte, organisierte ein Sympathisantenkreis einen Aufruf zu Gunsten Hohmanns. Damals fiel auf, dass ein Großteil der Erstunterzeichner mit der jungkonservativen Wochenzeitung „Junge Freiheit“ (JF) in Verbindung gebracht werden konnte. Zurzeit wiederholt sich dieses Schauspiel, diesmal jedoch im Rahmen einer neuen Konstellation und – vor allem – auf einer breiteren Basis.

Am 13. Februar veröffentlichte eine Gruppe von konservativen Zeitgenossen auf Initiative des Rechtsanwalts Friedrich-Wilhelm Siebecke ein „Manifest gegen den Linkstrend“ in der CDU. Siebecke war lange stellvertretender Vorsitzender des Bundesparteigerichts der CDU und verfasste in der Hohmann-Affäre ein Gutachten gegen dessen Ausschluss, das 2005 in einem Buch des mittlerweile verstorbenen JF-Kolumnisten Fritz Schenk veröffentlicht wurde. Im Manifest bezichtigen die Unterzeichner „die Führung der CDU“ des offenen Verrats. Sie habe sich mit der „Berliner Erklärung“ vom 15. Januar „offenbar endgültig von ihren Wurzeln und langjährigen Stammwählern verabschieden“ wollen. Die „Öffnung nach links“ drohe die Volkspartei CDU von ihren „christlich-konservativen und marktwirtschaftlichen Positionen“ zu entfremden. „Immer mehr Mitglieder und Wahlbürger“ rückten von der Partei ab. Gefordert wird eine „grundlegende politische Kurskorrektur“.

Soviel Sorge um die gedeihliche Entwicklung der CDU mag den einen oder anderen anrühren, tatsächlich ist sie vergiftet durch die unausgesprochene Drohung, man werde, soweit möglich, die Basis gegen die Führung mobilisieren oder gar die Zukunft in einer neuen politischen Formation rechts von der Union suchen. Ein solcher Verdacht liegt auf der Hand, wenn man bedenkt, dass der weitaus größte Teil der 18 Erstunterzeichner im engeren Umfeld der JF oder in deren weiteren Sympathisantenkreis zu verorten ist. So wird etwa der Politikwissenschaftler Prof. Klaus Motschmann als ständiger Mitarbeiter geführt; Ferdinand Fürst von Bismarck betreibt mit persönlichen Anschreiben Abonnentenwerbung; Prof. Dr. Klaus Hornung, Mitglied im Präsidium des Studienzentrums Weikersheim, war lange Zeit ständiger Mitarbeiter und ist jetzt noch Kolumnist; Dr. Klaus Peter Krause, Ex-Redakteur der FAZ, betätigt sich seit 2003 des Öfteren als Autor, während der Sprecher des Arbeitskreises Engagierter Katholiken (AEK), Martin Lohmann, vor allem in den Jahren 2001/02 regelmäßig zur Feder griff.

Weitere acht Personen waren oder sind Autoren, Interviewpartner, Leserbriefschreiber, Unterzeichner der für die JF so wichtigen Appelle und Unterschriftenaktionen oder Teilnehmer an offiziösen JF-Veranstaltungen: Prof. Dr. Menno Aden (ehemals Präsident des Oberkirchenrates der evangelisch-lutherischen Landeskirche Mecklenburg, Vorsitzender der Staats- und Wirtschaftspolitischen Gesellschaft Hamburg), Dr. Ursula Besser (langjähriges CDU-Fraktionsmitglied im Berliner Abgeordnetenhaus, JF-Ehrengast bei der Verleihung des Gerhard-Löwenthal-Preises 2008, Claus Jäger (CDU-MdB a.D., stellvertr. Vors. der „Christdemokraten für das Leben“ in Baden-Württemberg), Prof. Dr. Karl-Heinz Kuhlmann (evang. Theologe), Dr. Hans Merkel (CSU-Mitglied, u.a. Autor in der FPÖ-nahen Zeitschrift AULA), Dr. Ute Scheuch (Sozial- und Medienwissenschaftlerin), René Stadtkewitz (CDU-Fraktionsmitglied im Berliner Abgeordnetenhaus, stellvertr. Bundesvorsitzender der antiislamischen „Bürgerbewegung Pax Europa“), Johanna Gräfin von Westphalen (Vors. der Stiftung „Ja zum Leben“, Trägerin des Großkreuzes des Heiligen-Gregorius-Ordens).

Seit Jahren versucht die JF ihre Anschlussfähigkeit in das national- und wertkonservative bzw. nationalliberale Spektrum hinein unter Beweis zu stellen. Da dieses Spektrum von den Unionsparteien bzw. der FDP vernachlässigt werde, sei auf der Rechten, so Chefredakteur Dieter Stein (JF 4/07) „eine Leerstelle im Parteienspektrum“ entstanden, während es auf der anderen Seite des Parteienspektrum „eine breite Palette linker Parteien“ (einschließlich der „gesellschaftspolitisch gesehen“ links stehenden FDP) gäbe, „die bundesweit parlamentarisch vertreten und etabliert“ seien. Es fehle immer noch, nach vielen gescheiterten Ansätzen, „eine seriöse rechte parlamentarische Alternative“, als deren geistiger Wegbereiter sich offenbar die JF versteht.

Die JF hat sich immer darum bemüht, den weltanschaulichen Kern einer solchen Alternative möglichst auf Sparflamme zu halten. Der vielfach beschriebene völkische Nationalismus ist zwar eine ideologische Klammer, aber es bedarf einer breiten Ansprache von konkreten Themen und Interessen, um in einer Art Sammlungspolitik potenziell dissidente Strömungen miteinander in Kontakt zu bringen. Unter diesem Gesichtspunkt ist das „Manifest“ ein Abbild des strategischen Ansatzes der JF: Es benennt eine Reihe von brisanten Themen, die als mögliche Bruchstellen zur Union in Frage kommen könnten und seit Jahren in der Berichterstattung der JF in Permanenz behandelt wurden.

So betreibe die Unionsführung den „Marsch in den Schuldenstaat“ auf Kosten der Mittelschicht und der Familien mit Kindern; sie übernehme Positionen „linke[r] Gesellschaftspolitik“ (Gender Mainstreaming, Homo-Ehe, Antidiskriminierungsgesetz); sie stelle sich hinter die illusionäre „Multi-Kulti-Integrationspolitik“; sie verzichte im Sinne „linker Schulpolitik“ auf die Verteidigung des dreigliedrigen Schulsystems; sie vernachlässige die „würdige Erinnerung an die deutschen Opfer der Vertreibung“ und einen „konsequenten Lebensschutz“; sie scheue sich, das „christliche Erbe“ gegen die „Gefahr der Islamisierung“ zu verteidigen und deutlich den „EU-Beitritt der Türkei“ abzulehnen.

Man setzt also auf die selbsternannten Leistungsträger in den Mittelklassen, denen der Sozialstaat zu teuer geworden ist; man zielt auf traditionalistische bis fundamentalistische Christen beider Konfessionen, wofür in der Unterzeichnerliste etwa die Namen Motschmann, von Westphalen, Jäger, Lohmann, Kuhlmann oder der noch nicht erwähnte Hubert Gindert (Vorsitzender des „Forums Deutscher Katholiken“, Chefredakteur der erzkatholischen Zeitschrift „Der Fels“) stehen. Und man setzt auf all diejenigen gesellschaftlichen Kräfte, die nationale Identität im völkischen Sinne und revisionistische Geschichtspolitik auf ihre Fahnen schreiben, angefangen von den Burschenschaften bis hin zu den Vertriebenenverbänden.

Es bleibt abzuwarten, ob und inwieweit die Unterzeichnergruppe des Manifests Ausgangspunkt für „die Formierung eines starken konservativ-freiheitlichen Widerlagers“ sein kann, „das die Union von rechts unter Druck setzt“, wie Stein in seiner Begutachtung der Bundestagswahl 2009 schrieb. Die programmatischen Eckpunkte eines solchen Widerlagers formulierte er damals gleich mit. Die Übereinstimmungen mit dem Manifest sind weitreichend. Kein Wunder, dass Stein jetzt einen vorsichtigen Optimismus an den Tag legt. Zwar sieht er innerhalb der Union keine Chancen für eine „konservative Reconquista“ (sic!). „Die Initiative könnte jedoch in jedem Fall zur Sammlung einer nicht mehr vernachlässigbaren starken konservativen Minderheit führen.“

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