Das „Institut für Staatspolitik“ setzt auf Elitenbildung
Autor: Helmut Kellershohn
Unlängst veröffentlichte das „Institut für Staatspolitik“ den ersten Band ihres „Staatspolitische(n) Handbuch(s)“ mit dem Titel „Leitbegriffe“: Ein „Wörterbuch“ zum leichteren Gebrauch konservativer Weltanschauung für die zukünftige jungkonservative Elite.
Jede politische Bewegung kennt ihre ‚Klassiker’, um deren Exegese und aktualisierende Interpretation sie sich immer und immer wieder bemüht; sie verfügt zumeist über eine reichhaltige Literatur, in der die verschiedenen Verästelungen ihres Weltbildes und die brennenden Fragen des politischen Tageskampfes in immer neuen Spezialstudien ausgeleuchtet werden. Und sie kennt ihre ‚Kompendien’, in denen das „Grundwissen“ lehrbuch- oder lexikonartig zusammengefasst und für die Anhänger der Bewegung mehr oder weniger leicht verdaulich aufbereitet wird.
Um ein solches Kompendium handelt es sich bei dem kürzlich im Verlag „Edition Antaios“ erschienenen ersten Band des „Staatspolitischen Handbuchs“ des „Instituts für Staatspolitik“ (IfS), bekanntlich die Denkfabrik des jungkonservativen Flügels der Neuen Rechten. In der Form eines „Wörterbuchs“ hat hier der Autor Karlheinz Weißmann an die hundert „Leitbegriffe“ zusammengetragen, von denen er annimmt, dass sie zum Kanon „der konservativen Weltanschauung“ gehören. Der zweite Band, für November 2010 angekündigt, wird sich mit 150 Schlüsselwerken befassen, „die für das konservative, rechte Denken grundlegend sind“ (Werbung).
Konservative Begriffe?
Weißmann knüpft mit dem ersten Band an das „Lexikon des Konservatismus“ an, das der mittlerweile verstorbene Caspar v. Schrenck-Notzing 1996 herausgegeben und an dem Weißmann mitgearbeitet hatte. Etwa ein Fünftel der Begriffe im Handbuch finden sich auch in diesem vom „Leopold-Stocker-Verlag“ herausgegebenen Band. Der Anspruch war allerdings dezidiert wissenschaftlicher Natur, Biographien wurde ein großer Raum gegeben, Organisationen wurden, zwar nicht in demselben Maße, ebenfalls gewürdigt. Auf den wissenschaftlichen Anspruch verzichtet Weißmann bewusst: das Handbuch sei „nicht als wissenschaftliches Nachschlagewerk, sondern für den Gebrauch in der Auseinandersetzung gedacht“. „Parteilichkeit“ habe die Auswahl der Begriffe geleitet, was zunächst schwer fällt zu glauben. Denn es gibt (fast) keinen lexikalischen Eintrag, der normalerweise nicht auch in historischen, soziologischen, philosophischen oder politikwissenschaftlichen Lexika zu finden sein könnte. Wie überhaupt die Vorstellung, dass es speziell konservative Begriffe gebe, befremdet.
Ein Überblick über die Einträge macht das deutlich: Neben den großen politischen Strömungen (Konservatismus, Liberalismus, Sozialismus, Faschismus) werden eine Reihe von historisch-soziologischen Begriffen (Aristokratie, Bauer, Bürger, Gesellschaft, Gemeinschaft, Bund etc.) bearbeitet, dann eine Menge staatstheoretischer (Demokratie, Diktatur, Monarchie, Nation, Volk etc.) und allgemein weltanschaulicher oder philosophischer Begriffe (Dekadenz, Differenz, Identität, Entfremdung, Wert, Tugend etc.). Eine wichtige Gruppe bilden politische Begriffe, die vornehmlich Bezug auf Carl Schmitt nehmen (Entscheidung, Ernstfall, Homogenität, Kampf, Krieg, Politische Theologie etc.), der zweifellos mit Arnold Gehlen und Armin Mohler zu den Säulenheiligen Weißmanns zählt: Zu erwähnen sind eine Reihe von strategischen Begriffen wie Metapolitik, Realismus, Geschichtspolitik, Dritter Weg etc. Allerweltsbegriffe wie Kultur, Natur, Umwelt beschließen die Liste.
Sprachmacht als Ziel
Tatsächlich legt das Vorwort nahe, dass es weniger um die Begriffe als solche geht, als vielmehr um deren Bedeutung und Definition: „Wer einen Begriff plaziert und definiert, erreicht, daß man ein Wort benutzt und außerdem, daß man sich darunter etwas Bestimmtes vorstellt.“ Erst die öffentlichkeitswirksame Verschmelzung von Begriff und bestimmter Bedeutung macht das aus, was Weißmann dann als „Sprachmacht“ bezeichnet. In diesem Sinne „Kontrolle über die Sprache“ zu gewinnen, ist für Weißmann „ausschlaggebender Faktor des politischen Kampfes“, eine Setzung, für die zum x-ten Mal der gute alte Gramsci herhalten muss.
Die „Parteilichkeit“ macht sich folglich vor allem in Aufbau und Inhalt der Artikel bemerkbar. Im Eintrag „Anarchie“ etwa erfährt der/die LeserIn zunächst das Notwendigste über die ursprüngliche Wortbedeutung, es folgen knappe begriffsgeschichtliche Ausführungen, sodann eine politische Zuordnung des Begriffs zum Anarchismus als einem „integralen Bestandteil der linken Gesamtbewegung“, bevor dann die abschließende Wende zum konservativen Sprachgebrauch erfolgt und Weißmann bei „Ernst Jüngers Rede vom ‚preußischen Anarchisten’“ landet. Dieser Aufbau mit den Elementen Wortbedeutung, Begriffsgeschichte, politische Funktion, konservativer Sprachgebrauch ist typisch, wird aber durchaus je nach Artikel variabel gehandhabt. Hauptaugenmerk legt Weißmann auf die Bereitstellung von Argumenten zur Rechtfertigung (jung-)konservativer Weltsicht. Würde man sich die Mühe machen wollen, den Verlinkungen gerade in dieser Hinsicht zu folgen, ergäbe sich ein Netzwerk von Theoriefragmenten, die dem Leser einen Zugang zur Gedankenwelt Weißmanns ermöglichen würde. Einfacher wäre es freilich, zwei kleine Büchlein von Weißmann zu lesen: „Das Konservative Minimum“ (2007) und den Interviewband „Unsere Zeit kommt“ (2006), beide selbstverständlich erschienen in der „Edition Antaios“.
Der Adressatenkreis
Es stellt sich an dieser Stelle die Frage, wen Weißmann mit seinem Handbuch behelligen möchte. Wen hat er im Auge, wenn er von dessen „Gebrauch in der Auseinandersetzung“ spricht? Dazu sind einige Anmerkungen zum Institut für Staatspolitik nötig:
Das IfS ist als Bestandteil eines Netzwerks von arbeitsteilig operierenden Einrichtungen entstanden. Nach der erfolgreichen Etablierung der „Jungen Freiheit“ (JF) unter Führung Dieter Steins erfolgte im Jahr 2000 die Gründung des Instituts mit Persönlichkeiten aus dem Umfeld der Berliner Wochenzeitung. Leiter war und ist Karlheinz Weißmann, Geschäftsführer war bis vor kurzem Götz Kubitschek (jetzt Erik Lehnert), der parallel dazu einen neuen Verlag gründete, die „Edition Antaios“. Institut wie Edition waren ursprünglich in Hessen angesiedelt, in Bad Vilbel, in unmittelbarer Nähe der Mainmetropole. 2003 erfolgte der Umzug auf das Rittergut Schnellroda in Sachsen-Anhalt. Ein erneuter Umzug, diesmal in die ‚Hauptstadt’, ist geplant.
Die Aufgabenverteilung in diesem jungkonservativen Netzwerk, dessen Führungspersönlichkeiten allesamt einer bündischen Korporation, der „Deutschen Gildenschaft“, entstammten, war relativ klar umrissen. Die Wochenzeitung JF versuchte ihre Position in der Presselandschaft weiter auszubauen und diverse rechtspopulistische Projekte medial zu begleiten und zu unterstützen. Das IfS widmete sich den Bereichen von Forschung und Wissenschaft, Fortbildung und Politikberatung, um dem Mangel „an geistiger Orientierung“ abzuhelfen. „Uns geht es“, umschrieb Weißmann die metapolitische Stoßrichtung des Instituts, „um geistigen Einfluß, nicht die intellektuelle Lufthoheit über Stammtischen, sondern über Hörsälen und Seminarräumen interessiert uns, es geht um Einfluß auf die Köpfe, und wenn die Köpfe auf den Schultern von Macht- und Mandatsträgern (siehe Martin Hohmann und Henry Nitzsche, Anmerkung H. K.) sitzen, um so besser.“ Der „Edition Antaios“ verblieb die Aufgabe, Arbeitsergebnisse, die im Kontext dieses Netzwerks entstehen und insbesondere aus der Arbeit des Instituts resultieren sollten, zu publizieren und durch ein eigenes Verlagsprogramm zu erweitern und abzurunden.
Öffentlichkeitsarbeit betrieb das IfS über so genannte Sommer- und Winterakademien und das „Berliner Kolleg“, einer in gewissen Abständen regelmäßig veranstalteten Vortrags- und Diskussionsreihe mit Referenten aus dem erweiterten Dunstkreis des heutigen Jungkonservatismus. Seit 2003 erscheint zudem eine institutseigene Zeitschrift namens „Sezession“ (mit einer Rubrik „Begriffe“), zunächst vierteljährlich, dann seit 2007 in zweimonatiger Erscheinungsweise. Ein Internetauftritt „Sezession im Netz“ folgte Anfang 2009. Für aktivistisch gesinnte junge Leute mit einem „abenteuerliche(n) Herz“ (etwa aus dem Umfeld des „neu-rechten Magazins für Schüler und Studenten, „Blaue Narzisse“) erfand Götz Kubitschek zudem die „Konservativ-subversive Aktion“ als Tribüne, um über gezielte Provokationen im öffentlichen Raum neue Rekrutierungsfelder zu erschließen.
All diese Aktivitäten, um auf die Frage nach dem Adressaten des „Staatspolitischen Handbuchs“ zurück zu kommen, beruhen auf einem Grundgedanken, der bereits in der vorhin zitierten Erklärung Weißmanns anklingt, wenn er von der „intellektuelle(n) Lufthoheit (…) über Hörsälen und Seminarräumen“ spricht. Der Grundsatz lautet: „Das IfS begründet eine Denkschule, richtet sich also im Wesentlichen an den akademischen Nachwuchs. Das bedeutet: Elitenbildung und Denkanstrengung.“
Lehrplan für Rechte
„Denkschule“ ist hier durchaus wörtlich zu nehmen; schließlich ist Weißmann Schulmeister von Beruf, und der Oberleutnant der Reserve Kubitschek verteilt gerne mal Kopfnoten im rechten Lager. So verwundert es nicht, dass Kubitschek im April 2007 ein „curriculum dextrum“ (sic!), einen „Lehrplan für Rechte“ vorstellte, mit der Begründung, man könne durchaus lernen, „rechts, konservativ zu denken und zu sein“. Es sei zwar nicht jeder geeignet, die „Lehre eines ‚Blick von rechts’ auf die Welt anzunehmen und anzuwenden“, aber denen, die die harte Schulbank des IfS drücken, verspricht er mit Armin Mohler als Lohn der Mühen – „per aspera ad astra“ würde der alte Lateiner sagen – eine Art von „zweiter Geburt“, gewissermaßen eine Wiedergeburt als examinierter Rechter, der mit dem Diplom in der Hand dem ‚Feind’ gegenübertritt. Kubitschek wird da ganz „konkret“: „ein Jahrgang mit zehn Schülern und Studenten, ein Programm, das zur ‚zweiten Geburt’ verhilft, verteilt auf vier Seminare, ordentlich Lektüre, eine Hausarbeit und ein Praktikum im Institut.“ Es fehlt nur noch die feierliche Überreichung des Diploms. Im September 2008 schrieb dann ein heimlicher Verehrer Kubitscheks in der „Süddeutschen Zeitung“ namens Marc Felix Serrao, man wolle „den Unterricht noch einmal intensivieren“: „Über zwei Jahre sollen Klassen à 12 Schüler Texte von Theoretikern wie Carl Schmitt oder Armin Mohler und Schriftstellern wie Gottfried Benn oder Knut Hamsun kennenlernen“.
Der Zweck der Übung ist, wie oben zitiert, die „Elitenbildung“. Dem dient das neue „Handbuch“. Wie Generationen von Altsprachlern mit dem „Kleine(n) Stowasser“ oder dem „Gemoll“ unterm Arm durch die Welt liefen, so nun unser ‚Dipl. Konservativer’ in spe mit dem Handbuch in der Vorbereitung auf seine Abschlussprüfung. Der Artikel „Elite“ gibt ihm folgende Hilfestellung: „Unter den veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die seit den neunziger Jahren erkennbar wurden, bestreitet kaum noch jemand die Notwendigkeit von E(liten)“; die Rechte sei „aufgrund ihrer skeptischen Anthropologie (hier ein Link zum Art. ‚Menschenbild’)“ schon immer der Auffassung gewesen, „daß das Vorhandensein von E. immer unumgänglich bleiben wird und die historische Entwicklung eben nicht von Massen (Link), sondern von Führungsgruppen (Link zu ‚Führung’) bestimmt wird, die miteinander konkurrieren und siegen, untergehen oder sich nach einem Kompromiß zwischen Machtbesitzern und Aufsteigern reorganisieren. In dieser Perspektiven erscheint die Geschichte (Link) insgesamt als ‚Friedhof von Aristokratien’ (Vilfredo Pareto).“ Unser Dipl. Konservativer weiß nun Bescheid. Getreu dem alten Motto „non scholae, sed vitae discimus“ erhält er nicht nur eine gute Abschlussnote, sondern die Gewissheit, dass er sich am zukünftigen ‚kannibalistischen’ Ringen der Eliten, für das ihn das IfS ausbildet, beteiligen darf.
Dieser Beitrag erschien in der Zeitschrift Der Rechte Rand, Nr. 123, März/April 2010.