Demokratieerziehung mit Schlapphut


Oder: Wie der Inlandsgeheimdienst eigenmächtig seinen Aufgabenbereich erweitert. Schleichend, versteht sich.

Autor: Alexander Wielers
Aufgabe der Verfassungsschutzbehörde ist die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sach- und personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen […]“ (§ 3 VSG-NRW) ((http://www.im.nrw.de/sch/doks/vs/vsg_nrw_2007.pdf ))
Das Selbstverständnis der Verfassungsschutzämter in Deutschland hat sich geändert. Wir wollen, dass die Bürgerinnen und Bürger Extremismus erkennen und bewerten können, denn eine aufgeklärte Öffentlichkeit ist das Fundament einer demokratischen Kultur. Im Rahmen des Ansatzes „Verfassungsschutz durch Aufklärung“ stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.“ (VS-NRW 2008) ((http://www.im.nrw.de/imshop/shopdocs/Musik-Mode-Markenzeichen_Auflage_5.pdf))

Der Verfassungsschutz (VS) hat bereits Mitte der 70er Jahre das Konzept „Verfassungsschutz durch Aufklärung“ entwickelt. Dass seine eigentliche Funktion als Inlandsnachrichtendienst kaum mehr wahrgenommen wird, ist dagegen ein neues Phänomen. Dies liegt unter anderem daran, dass der Bereich pädagogischer Präventionsarbeit zunehmend ausgebaut wird. Der VS-NRW hat sich diesbezüglich seit mindestens acht Jahren intensiv um eine Ressorterweiterung bemüht. Denn seitdem arbeiten für den VS auch Sozialwissenschaftler, namentlich Thomas Pfeiffer (2002) und Thomas Grumke (2004). Dies ist natürlich nicht folgenlos geblieben: Erstens unterhält der VS-NRW inzwischen das „Referat 621: Verfassungsschutz durch Aufklärung, Gesellschaftswissenschaftliche Analysen“. Die Arbeitsgrundlage des VS wird also von ihm selbst mit politikwissenschaftlichen Instrumenten unterfüttert und damit legitimiert. Zweitens dringt der VS-NRW massiv und sehr erfolgreich in den Bereich der pädagogischen Prävention ein. Der „Andi“-Comic ist hier das prominenteste Beispiel. ((http://www.andi.nrw.de/andi1/Comic/comic.htm)) Thomas Grumke betreute das Projekt seit seiner Einstellung:

„Andi ist eine Comic-Figur, die wir 2004 entwickelt haben. Das Projekt ging los, als ich den Arbeitsauftrag bekam, etwas für Jugendliche zum Thema Rechtsextremismus zu machen. Dabei ist Andi entstanden.“ ((http://www.buendnis-toleranz.de/cms/beitrag/10030841/425892/))
Der „Zielgruppe von Extremisten“ habe sich Grumke damit annehmen wollen – und das sind eben bereits die „12-, 13- und 14-Jährigen“. Die Gesamtauflage aller drei Comics beläuft sich bisher auf 780.000 (Stand: 2010). Der als Antwort auf den dritten Teil (Linksextremismus) erschienene Comic „Mandi. Comic gegen den Extremismusbegriff“ von der Antifaschistischen Gruppe Marburg kommt in zwei Auflagen übrigens auf eine Auflage von 16.000. ((http://mandi.blogsport.de/ ))

Der VS-NRW arbeitet dazu intensiv mit verschiedenen staatlichen Stellen zusammen. Gemeinsam mit dem Ministerium für Schule und Weiterbildung werden Arbeitsmaterialien für die Comics erstellt. Die Handreichung für den zweiten Teil (Islamismus) ist bereits fertig und anscheinend gut angelaufen. Des Weiteren gab es Kooperationen mit der Landeszentrale für politische Bildung, dem Ministerium für Wirtschaft, Energie, Bauen, Wohnen und Verkehr und dem Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales. Ebenso wird die Nähe zu nichtstaatlichen Stellen gesucht. Der Innenminister Ralf Jäger lobte unlängst in einem auf den VS-Seiten veröffentlichten „Bericht der Landesregierung über Maßnahmen zur Prävention des Extremismus in NRW“ die Zusammenarbeit mit Jugendschutz.net oder dem DGB. Weiter heißt es:

„Wirksame Extremismusprävention basiert auf den Prinzipien der Langfristigkeit und Nachhaltigkeit. Vor diesem Hintergrund zielen die Maßnahmen der Landesregierung, die in den vergangenen Monaten – vielfach mit neuen Akzenten – stattgefunden haben, auf eine kontinuierliche Aufklärung durch Publikationen und Informationsveranstaltungen für alle relevanten Zielgruppen, die Förderung zivilgesellschaftlichen, bürgerschaftlichen Engagements für Grundwerte der Demokratie und gegen demokratiefeindliches Denken und Handeln sowie auf die Vernetzung von Akteurinnen und Akteuren der Präventionsarbeit. Hierzu gehört eine vertrauensvolle Zusammenarbeit staatlicher und zivilgesellschaftlicher Stellen.“ ((http://www.im.nrw.de/sch/doks/vs/MMV15.pdf ))

Unter dem Titel „Erlebniswelt Rechtsextremismus“ wird 2011 erstmals eine Fortbildung an drei Wochenenden stattfinden, die sich an „Fachkräfte in der außerschulischen politischen Weiterbildung“ wendet. ((http://www.bpb.de/veranstaltungen/7HEEY7,0,Erlebniswelt_Rechtsextremismus.html))Neben der Schaffung von „aufgeklärten Bürgern“ und der Etablierung als Anbieter „antiextremistischer“ Bildungsarbeit dürfte der VS-NRW hier nach zukünftigen Referenten Ausschau halten. In den Präventionsberichten des NRW-Innenministeriums ist die Zahl der „Aufklärungsveranstaltungen“ von über 150 (2009) ((http://www.im.nrw.de/sch/doks/vs/MMV14-3015.pdf)) auf über 100 (2010) zurückgegangen. Sollte sich der VS-NRW weiter erfolgreich in der Präventionsarbeit ((http://www.im.nrw.de/sch/doks/vs/MMV15.pdf )) etablieren, wäre die Schaffung neuer Planstellen zumindest ein nahe liegender nächster Schritt.

Die hier skizzierte Entwicklung bezieht sich auf den VS-NRW. Allerdings lassen sich auch bei den Behörden anderer Bundesländer wie der der Bundesbehörde Maßnahmen zur Ressorterweiterung feststellen:

  • Im Januar 2009 wurde vom VS-Bayern die „Bayerische Informationsstelle gegen Extremismus“ (BIGE) ((https://www.bayern-gegen-rechtsextremismus.de/ueber-die-bayerische-informationsstelle-gegen-extremismus-bige)) ins Leben gerufen.
  • In Hessen gibt es seit Mai 2008 das „Kompetenzzentrum Rechtsextremismus“ (KOREX) ((http://www.verfassungsschutz.hessen.de/irj/LfV_Internet?uid=06837d19-4230-214f-bf1b-144e9169fccd)) , um die „Aufklärungs- und Präventionsarbeit“ des VS-Hessen zu unterstützen. Das vom hessischen VS jährlich ausgerichtete „Herbstgespräch“ trug 2010 den bezeichnenden Titel „Extremistische ‚Karrieren’ verhindern – Prävention als Aufgabe der Verfassungsschutzes?“ ((http://www.verfassungsschutz.hessen.de/irj/LfV_Internet?rid=HMdI_15/LfV_Internet/nav/440/44020e9c-3277-e611-aeb6-df144e9169fc,2303f4b4-fb13-c217-9cda-ae2389e48185,,,11111111-2222-3333-4444-100000005003%26overview=true.htm&uid=44020e9c-3277-e611-aeb6-df144e9169fc))
  • Bereits 2008 brachte der VS Mecklenburg-Vorpommerns einen eigenen Comic mit dem Titel „Weiß ist keine Farbe“ heraus, der seitdem im Schulunterricht eingesetzt wird. ((http://www.verfassungsschutz-mv.de/cms2/Verfassungsschutz_prod/Verfassungsschutz/content_downloads/Broschueren/Comic_gegen_Rechtsextremismus.pdf ))
  • Die niedersächsische Landesregierung schaffte 2004 die Landeszentrale für politische Bildung ab. Im September 2009 kam man auf die Idee, der VS könne die politische Bildungsarbeit übernehmen. Zu diesem Zweck wurde die „Niedersächsische Extremismus-Informationsstelle“ (Neis) ((http://www.verfassungsschutz.niedersachsen.de/live/live.php?navigation_id=12259&article_id=54287&_psmand=30)) gegründet. Die VS-Mitarbeiter sollten als „Demokratielotsen“ auftreten. Die „Andi“-Comics sollen ebenfalls ins Programm aufgenommen werden.
  • In Rheinland-Pfalz wurde 2008 die „Präventionsagentur gegen Rechtsextremismus“ im VS-RLP gegründet. ((http://www.ism.rlp.de/sicherheit/verfassungsschutz/die-praeventionsagentur/))
  • Das Bundesamt schließlich präsentiert unter dem Label „Jugend@BfV“ den „Andi“-Comic, ein PC-Spiel und weitere Gimmicks. Damit sollen „in jugendgerechter Form über die Aufgaben des Bundesamtes für Verfassungsschutz sowie die Gefahren des Rechtsextremismus und anderer verfassungsfeindliche Bestrebungen“ auch die Kleinen erreicht werden. ((http://www.verfassungsschutz.de/de/young_bfv.html))

Fazit:

Die eigenmächtige Aufgabenerweiterung des Inlandsgeheimdienstes ist eine Kompetenzüberschreitung. Der nunmehr ‚wissenschaftlich’ auftretende VS schafft sich Instrumente, mit denen er seine eigene Arbeit legitimiert. Der Extremismusbegriff kann nach eigenem Gusto für eine der Behörde genehme Freund/Feind-Erkennung gedehnt und eingeengt werden.

Auf der Grundlage dieser Legitimationsstrategie stellt die Präventionsarbeit des VS eine Konkurrenz gegenüber den vielen nichtstaatlichen und teils ehrenamtlich arbeitenden Initiativen dar. Der VS als (kostenloser) Anbieter politischer Bildungsarbeit ist durchaus begehrt, fällt doch mit der Zusammenarbeit mit staatlichen Behörden immer auch der Schein der Legitimität auf den Veranstalter selbst zurück.

Die unabhängigen, nichtstaatlichen Initiativen stehen dagegen – spätestens durch die Ausweitung der vom Bund geförderten Programme gegen Rechts auf den „Extremismus“ von Links – unter Generalverdacht. Die Beobachtung und Bewertung rechter Aktivitäten soll allein dem Geheimdienst und seinen Verbündeten obliegen. So wurde dem seit Jahren gegen Rechts engagierten Verein „Antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München“ (A.I.D.A.) die Gemeinnützigkeit abgesprochen, weil ihm im bayerischen VS-Bericht 2008 die Nähe zu „linksextremistischen und linksextremistisch beeinflussten Organisationen“ unterstellt worden war. Der VS-NRW schrieb in seinem Bericht im selben Jahr diverse antifaschistische Initiativen dem „diskursorientierten Linksextremismus“ zu. Betroffene wehrten sich juristisch mit Erfolg. Der Begriff des „diskursorientierten Linksextremismus“ verschwand sang- und klanglos aus den weiteren Publikationen des VS-NRW. Von dem eigenen Anspruch, seriöse Gesellschaftsanalysen zu betreiben, ist der VS dagegen nicht abgerückt.

Das Selbstverständnis des Inlandsgeheimdienstes, sozusagen als Wächter der zivilgesellschaftlichen Meinung aufzutreten, wird dabei nicht allein von ihm selbst gefördert. So sollte das wegen seines Kampfes gegen Antisemitismus und Rassismus bekannte „Alternative Kultur- und Bildungszentrum e.V.“ (AKuBiZ) aus dem sächsischen Pirna eine „antiextremistische“ Grundsatzerklärung unterschreiben, um einen Förderpreis in Höhe von 10.000 € zu erhalten. Damit hätte der Verein seine Partnerorganisationen, Referenten etc. nach möglichen „extremistischen Strukturen“ durchleuchten sollen. Angeblich sei zu befürchten, „dass eine[r] Unterstützung extremistischer Strukturen durch die Gewährung materieller oder immaterieller Leistungen Vorschub geleistet wird.“ ((http://ablehnung.blogsport.de/category/erklaerung/)) Erst nachdem sich der Verein demonstrativ gegen eine Unterzeichnung entschlossen hatte und darauf eine breite Solidarität von Trägern politischer Bildungsarbeit erfuhr, verzichteten die Initiatoren des Preises auf diese Erklärung. Dass hier ausgerechnet ein um Demokratie und Courage bemühter Verein unter Generalverdacht des „Extremismus“ gestellt wird, ist allerdings kaum auf diese allein zurückzuführen. Vielmehr scheint der skandalöse Vorgang der Initiative der Bundesregierung geschuldet zu sein, den Kampf gegen den „Linksextremismus“ auszuweiten. Insbesondere Bundesministerin Kristina Schröder sprach sich wiederholt für eine Ausweitung von Präventions- und Aussteigerprogrammen aus. In diesem Zusammenhang geraten antifaschistische Initiativen unter Generalverdacht:

„Die sogenannte Antifa sehe ich nach wie vor sehr kritisch. Der Verfassungsschutz sagt, viele Antifas vertreten linksextremistische Ideologien und haben ein ungeklärtes Verhältnis zur Gewalt. Man kann schließlich nicht Extremisten mit anderen Extremisten bekämpfen.“ ((http://www.faz.net/s/Rub594835B672714A1DB1A121534F010EE1/Doc~ED4B88950E14645F9A65F9EEFB24762E0~ATpl~Ecommon~Scontent.html))

Abschließend wäre grundsätzlich die Frage zu stellen, wieso ausgerechnet der Inlandsnachrichtendienst zivilgesellschaftliches Handeln fördern solle. Wie ‚wehrhaft’ ist eine demokratische Gesellschaft tatsächlich, die dieses unwidersprochen hinnimmt? Dennoch schreibt der VS sich diese Rolle wie selbstverständlich auf seine Fahnen. Sein Motto, „der beste Verfassungsschutz ist ein aufgeklärter Bürger“ könnte also auch lauten: „Dem Inlandsgeheimdienst ist ein von ihm selbst aufgeklärter Bürger am liebsten.“

Petition:
Wer sich gegen Rechtsextremismus engagiert, macht sich verdächtig! Aufruf gegen Generalverdacht und Bekenntniszwang http://www.petitiononline.de/petition/wer-sich-gegen-rechtsextremismus-engagiert-macht-sich-verdaechtig-aufruf-gegen-generalverdacht-und-bekenntniszwang/160

Literatur:
Martin Dietzsch und Alfred Schobert: V-Leute bei der NPD – Geführte Führende oder Führende Geführte. In: Archiv-Notizen (DISS, Duisburg) Sonderausgabe August/September 2002

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