Beifall für den Bürgerkrieger

Vor wenigen Tagen erschien in der Edition DISS im Unrast-Verlag ein Band mit Analysen zu den Reaktionen der deutschen Öffentlichkeit auf die Anschläge des rechten Terroristen Anders Behring Breiwik am 22.7.2011 in Norwegen. Der Band enthält auch einen Beitrag von DISS-Mitarbeiter Martin Dietzsch, in dem er die unmittelbaren Reaktionen auf die Anschläge in den beiden wichtigsten Haß-Blogs und deren Kommentarspalten analysiert. Der Text wurde Ende August / Anfang September 2011 verfasst.

Angesichts der neu bekanntgewordenen Fakten über rechten Terror in Deutschland bekommen die von ihm gefundenen billigenden Äußerungen zum Rechtsterror, die man nicht als pubertierende Gewaltfantasien abtun kann und die ‚weltanschaulich‘ grundiert sind, besonderes Gewicht.

Wir veröffentlichen hier eine stark gekürzte Fassung seines Beitrages. Die gedruckte Fassung enthält außerdem als Beleg eine Fülle von Original-Zitaten, die wir hier im Internet so nicht präsentieren möchten. Auslassungen sind kenntlich gemacht, die Fußnoten finden sich ebenfalls nur in der gedruckten Fassung.

Das Buch ist erhältlich in jeder guten Buchhandlung oder direkt beim Unrast-Verlag.

Cover "Das hat doch nichts mit uns zu tun", Edition DISS

Regina Wamper / Ekaterina Jadtschenko / Marc Jacobsen (Hg.)
„Das hat doch nichts mit uns zu tun!“
Die Anschläge in Norwegen in deutschsprachigen Medien

ISBN: 978–3-89771–759-6
184 Sei­ten, 18 Euro

 

 

Agent dunkler Mächte, Irrer oder einer von uns?
Die deutschsprachigen Hass-Blogs und die Anschläge von Oslo

Autor: Martin Dietzsch

Wie würden die einschlägigen deutschen Blogs und ihr Fußvolk auf die Anschläge in Oslo und Utøya reagieren? Das fragten wir uns im DISS, als wir beschlossen, eine Analyse dieses einschneidenden diskursiven Ereignisses zu erstellen. Würde der Massenmord von Oslo ihnen spürbar schaden? Würden sie angesichts des Massenmords zumindest zeitweise ihren Ton mäßigen (sei es aus taktischem Kalkül, sei es aufgrund von kritischer Selbstreflektion)? Würden vielleicht sogar einige Exponenten den Ausstieg aus der Bewegung vollziehen? Oder würde das Kalkül des Attentäters aufgehen, dessen Ziel auch eine weitere Radikalisierung des eigenen Milieus gewesen ist? Der folgende Beitrag soll diesen Fragen nachgehen – vor allem anhand der unmittelbaren Reaktionen auf die Anschläge auf den zwei meistfrequentierten deutschsprachigen Hass-Blogs der Szene, dem neonazistischen Altermedia-Deutschland und dem Anti-Islam-Blog Politically Incorrect (PI).

Der Mörder und das Web 2.0

Die Monstrosität der Tat Anders Behring Breiviks zeigte sich nicht nur in der Zahl der Opfer, nicht nur in der Tatsache, dass er vor allem Kinder und Jugendliche auswählte und nicht einmal nur, dass er sie mit Schusswaffen von Angesicht zu Angesicht ermordete.

Bei rechtsterroristischen Anschlägen in der Vergangenheit gab es sehr oft keine Bekennerbriefe. Die Tat stand für sich. Destabilisierung der demokratischen Gesellschaft, Verunsicherung der Bevölkerung, Angst und Schrecken bei den Opfern und beim politischen Gegner, all das stellte sich von allein ein.

Bei den Anschlägen von Oslo und Utøya ist das anders. Der Täter ist äußerst mitteilsam und weiß sich zu artikulieren. Er sieht sich als Teil einer großen Bewegung und will mit seiner Tat einen bewaffneten Arm dieser Bewegung initiieren. Er wirbt um Mitstreiter und Nachahmer. Der Anschlag soll das Startsignal für einen lang andauernden Bürgerkrieg sein. Ohne einen solchen Krieg stehe der unvermeidliche Untergang bevor. Mit Krieg erfolgt die Befreiung – vor allem auch vom inneren Feind. Er schreibt selbst, die allermeisten Menschen würden ihn heute wegen seiner Tat hassen. Erst im Verlaufe des Krieges und der unvermeidlichen Polarisierung in zwei Lager würde sich das ändern und er würde dann als Held verehrt. Die Radikalisierung der Gegenseite als Reaktion ist Teil des Kalküls und wird deshalb sogar begrüßt. Im Krieg gibt es nur noch Freund und Feind.

Breivik hat sich ausführlich im Internet zu Wort gemeldet: Ein youtube-Video soll eine Kurzfassung seiner Weltanschauung vermitteln. Die Langfassung besteht aus einer über 1.500 Seiten umfassenden Textdatei mit dem Titel „2083 – A European Declaration of Independence“, die in der Presse als „Manifest“ bezeichnet wird, Breivik selbst spricht von „compilation“. Mit dem Massenmord vom 22.7.2011 wollte der Täter die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit und von potentiellen Nachahmern auf diesen Text lenken. Ca. 70-80% des Konvolutes stammen nicht von Breivik selbst, sondern sind von ihm – meist mit Quellenangabe – aus Beiträgen der sogenannten „islamkritischen“ Bloggerszene zusammengestellt worden, weil er sie für ideologisch grundlegend hält. Breivik selbst war in den Jahren der Vorbereitung seiner Tat in dieser Szene aktiv, beteiligte sich rege an Diskussionen sowohl in norwegisch- als auch in englischsprachigen Foren und pflegte zahlreiche internationale Kontakte über seinen Facebook-Account. Dabei fiel er nie sonderlich auf. Er schwamm wie ein Fisch im Wasser im Web 2.0 des „islamkritischen“ Milieus.

Der britische Guardian machte sich die Mühe, die Internet-Quellen, die Breivik in seinem Konvolut benennt, auszuwerten und die 525 Links und deren Verknüpfungen untereinander in einer interaktiven Karte darzustellen. Laut dem Guardian „enthüllt Breiviks Manifest eine Subkultur nationalistischer und islamophober Websites, die die europäische und die amerikanische extreme Rechte verbinden in einer paranoiden Allianz gegen den Islam und die auch verwurzelt ist in einigen demokratisch gewählten Parteien.“ Als Zentrum des Netzes macht er drei sog. „counter-jihad“ Websites aus, als zentrale Ideologen fungieren Giselle Littman, alias Bar Ye‘or, die glaubt, die europäischen Eliten hätten sich gegen ihre Völker verschworen, um den Kontinent den Muslimen auszuliefern, der Norweger Peder Jensen, alias Fjordman und der Amerikaner Robert Spencer, der die Website „Jihad Watch“ betreibt.

Die deutsche Szene kommt in der Karte des Guardian zwar vor, ist aber aufgrund der Sprachbarriere stark unterbelichtet. Das Gedankengut, das Breivik übernahm und propagierte und aus dem er seine schreckliche Konsequenz zog, kursiert auch in deutscher Übersetzung.

[…]

Altermedia und die Anschläge von Oslo und Utøya

Die erste Altermedia-Reaktion auf die Anschläge erfolgte am 23.7. unter dem Betreff „Abt. Schlimmer Finger: Gewalttätiger Anti-Sozialdemokratenprotest in Norwegen“. Der Täter Breivik könne kein Rechtsextremer sein, schließlich nannte er in seinem Facebook-Profil den Norwegischen Widerstandskämpfer Max Manus als einen seiner Vorbilder, und „bei diesem [handle es sich] um einen Terroristen […], der während der deutschen Besatzungszeit in Norwegen Anschläge auf deutsche und norwegische Einrichtungen verübte“. Wer gegen Hitlerdeutschland ist, kann keiner von uns sein, lautet die schlichte Logik. Der Autor unterließ es dann aber nicht, trotzdem seine Sympathie für Breiviks Mord an sozialdemokratischen Kindern und Jugendlichen durchblicken zu lassen: „wobei man bei dessen Anschlagszielen freilich mildernde Umstände walten lassen muß“. Einen kritischen Kommentar konterte der Autor: „Brauchst du ne Packung Tempo für die Tränen? […] Kommt davon wenn man sich in schlechte Gesellschaft begibt. Die Gören können sich dafür ja bei ihren roten Eltern bedanken – oder bei der zuständigen Freimaurerloge.“ Einen weiteren kritischen Kommentator beschimpfte er: „Ja glaubst du selten dumme Nuß denn, man müßte sich für solche Ansichten heute noch genieren?“

In der Kommentarspalte äußerten zahlreiche Leser mit reflexhafter Gewissheit, es handle sich um eine Aktion unter ‚falscher Flagge‘, initiiert von Geheimdiensten, Geheimorganisationen oder sonstigen dunklen Mächten. Verschwörungsmythisches Denken ist in der Szene so weit verbreitet und so tief verankert, dass die Autoren es nicht einmal für nötig halten, auch nur das geringste Indiz für ihre Behauptungen anzuführen. Die zweite Verleugnungsstrategie in einer ganzen Reihe von Beiträgen argumentierte, dass jemand, der Hitler und den biologischen Rassismus ablehnt, ein Bündnis mit der israelischen Rechten befürwortet und sogar Mitglied in einer Freimaurerloge sei, niemals ein Rechtsextremer sein könne. Die Tat werde durch Medienmanipulation der extremen Rechten in die Schuhe geschoben.

Solche Verleugnungsstrategien sind nichts Ungewöhnliches. Sie finden sich auch – leicht variiert – in allen anderen rechten Foren, gleich welcher Strömung. Was die Besonderheit von Altermedia ausmacht ist, dass man hier zusätzlich eine ganze Reihe von Wortmeldungen – auch von regelmäßigen Kommentatoren – findet, die die Anschläge ganz offen billigen.

[…]

Am folgenden Tag meldete sich der Altermedia-Betreiber wieder zu Wort („Abt. Kabumm: Von Harten und Zarten – Ein Nachschlag in Sachen Oslo“) und solidarisierte sich noch einmal mit Breivik.

 „Unseren hiesigen Sensibelchen jedoch, die sich gestern ob des angeblichen Zynismusses unserer ersten Betrachtung über den Osloer Anschlag empörten, möchten wir an dieser Stelle sagen, daß wir davon nicht einen Satz zurücknehmen. Statt dessen empfehlen wir unseren Lesern dringend einmal selber über die weise Maxime des englischen Philosophen John Stuart Mill nachzudenken, die da lautet: ‚Eine Person mit Überzeugung hat so viel Kraft wie 100.000, die nur Interesse haben.‘“

Die Sentenz von John Stuart Mill hatte Breivik als Motto auf seinem Facebook-Account benutzt.

Die Botschaft kam zumindest bei einem Teil des Altermedia-Publikums an, wie exemplarisch der folgende Beitrag zeigt:

Reingeist (Jul 24, 2011 at 10:46): „Einer der ein Zeichen setzt ist mehr wert als hunderte Dummschwätzer. Die Ereignisse dort zeigen, was ein Einziger der entschlossen ist zu handeln erreichen kann, wenn es denn wirklich so passierte. Widerstand ist Widrstand und da ist es egal ob er angeblich christlich oder heidnisch ist. Und in einem hat er absolut recht, der multikulturelle Selbstmord muss unter allen Umständen gestoppt werden, denn sonst haben unsere Kinder sowieso keine Zukunft! […] Auf alle Fälle ist es das erste Kampfsignal gegen Multi-Kulti, das weltweit eine Wirkung hat. Jetzt wissen diese Heuchler, egal wo sie sind, sie sind nirgends sicher!“

Leider muss man davon ausgehen, dass es sich bei den zitierten (und den vielen aus Platzmangel weggelassenen) Äußerungen nicht nur um verbalradikale Phantasien von Schreibtischhelden handelt, sondern dass sich darunter die eine oder andere tickende Zeitbombe befinden könnte. Auch wenn sich die ideologische Begründung unterscheidet, wähnt man sich doch ähnlich wie Breivik in einem totalen Krieg gegen den selben Feind. Kritisiert wird allenfalls die Auswahl der Opfer – und auch das nicht etwa, weil sie Kinder und Jugendliche waren, sondern nur weil es sich um „nordische“ Europäer handelte.

Politically Incorrect

[…]

Jargon einer Parallelwelt

PI versucht in sehr aggressiver Form, den Islam als verbrecherische Religion und Muslime als Bedrohung darzustellen. Alle, die das nicht so sehen, werden ebenfalls zum Feind erklärt: darunter der allergrößte Teil des politischen Establishments und die gesamte Linke einschließlich SPD und sogar Teile der CDU. Der gemeinsame ideologische Nenner der PI-Akteure ist ein militanter Antiegalitarismus.

Insbesondere in den Kommentarspalten herrscht ein Ton, der manchmal eher an einen Lynchmob erinnert. Das ist noch unappetitlicher zu lesen als bei Altermedia. Man kann hier hautnah beobachten, wie die ‚Verrohung der Mittelschicht‘ sich anfühlt.

Das ist – auch angesichts des gewaltigen Umfangs des Textkorpus – schwer darstellbar. Es genügt nicht, exemplarisch einige spektakuläre Zitatfetzen aneinanderzureihen. Wir haben es mit einem brisanten, sektenartigen Milieu zu tun, das sich in seiner hermetischen Parallelwelt gegenseitig bestärkt und hochsteigert. Allem Anschein nach wird die Kommentarspalte von den Betreibern stark moderiert, kontroverse oder gar gegnerische Beiträge werden, wenn man den Beschwerden von Akteuren Glauben schenken darf, rigoros herauszensiert. So verwundert es nicht, dass das Meinungsspektrum der allermeisten PI-Kommentare ziemlich homogen anmutet.

Vielleicht kann man das PI-Milieu Außenstehenden anhand des speziellen Jargons erschließen, der sich dort inzwischen herausgebildet hat. Beispielhaft ist hier z.B. die Verwendung des Neologismus „Musel“ (abgeleitet von Muselmane), eine durchweg abwertend gebrauchte Bezeichnung für Musliminnen und Muslime.

Im Juli 2011 ergab eine Auswertung des PI-Archivs über 22.000 Fundstellen in über 5.600 Diskussionssträngen. Wir fanden hunderte abwertende Komposita. Hier nur eine kleine Auswahl, die auch schon in einer bloßen alphabetischen Aneinanderreihung einen Eindruck vermittelt, wie sich diese Form der ‚Islamkritik‘ artikuliert:

„Abgreifermusels abmuseln Antimuselfront Anti-Musel-Kampf Anti-Musel-Spray asozial-vermuselt ausgemuselt Balkanmusel Berufsmusel Blutsaugermusel Brüllmusel Drecksmusel durchmuselt Emanzenmuselinnen Entmuselfizierung Entmuselung Erz-Musel Geheimmusel Gender-Musel-Tum Ghettomusels Gutmenschenmuselversteher Halbmusel Hartz4-Musel Hausmuselschweinchen Heulmusel Hintergrundmuselmänner Innenmuselminister Inzuchtmuseln Kopflappen-Musel-Frauen Kryptomusels Lügenmusels Messermusel Mordmusel Multimuselkulti Muselabgrund Musel-Abkömmling Muselabschaum Muselacke Muselackenpfaffe Muselaffenarschloch Muselagent Muselagitatorin Muselalarm Musel-angehaucht Muselanschlag Muselant Muselantenbastarde Muselantentum Muselanus Muselarsch Muselarschkriecher Muselaufstände Musel-Bagage Muselbama Muselbande Muselbarbaren Muselbedrohung Muselbefehl Musel-Besatzer Muselbestie Musel-Bimbo Muselblagen Muselblick Muselblut Muselbock Muselbonze Muselbratze Muselbraut Muselbrut Muselbundeskanzler Musel-CDU Museldaritätszuschlag Museldeutschland Musel-Dezimierungs-Ministerium Museldödel Museldreck Musel-Dreckskultur Museleinfuhr Musel-Einschleimer Muselfaschismus Muselfrage muselfrei Muselgefick Muselgermanen Musel-Geschmeiss Muselgesindel Muselgesocks Muselgold Muselhengst Muselhexe Muselhorden Muselhuren Muselinfekt Muselinvasion Musel-Inzucht Museljagd Muselknechtschaft Musel-Kollaborateur Muselkuschelstaat Musellacke Musellobby Musellügen Muselmaden Muselmafia Muselmanenbekämpfung Muselmanenliebchen Muselmanenproblem Muselmanenschädling Muselmanenschläfer Muselmist Muselmob Muselmonster Muselmoral Muselmüll Muselnase Musel-Neger Musel-Obama Musel-Okkupanten Muselpack Muselpädos Musel-Parasiten Muselpest Muselplage Musel-Polizisten Muselrasse Muselratte Muselreservat Muselropa Muselsabber Musel-Sackratte Musel-Satanus Muselschäuble Muselscheusal Muselschlampe Muselschwanz Muselschwein Museltreibjagd Museltusse Muselungeheuer Muselunwesen Muselverbrecher Muselverschwörung muselverseucht Muselversteher Muselweibchen Muselweiber Obermusel RAF-Musel-Ströbele Sprengmusel Tarnkappenmusel Terrormusel Vermuselung Wandermusel Windelmusel Zottelmusel Zwergmusel.“

Persilschein vom Verfassungsschutz

Laut einem Bericht der Badischen Zeitung [27.7.2011] schätzt der Verfassungsschutz auch nach den Anschlägen von Oslo und Utøya PI als unbedenklich ein, weil es nicht in das Schema seines untauglichen Extremismusbegriffs passt:

„‚PI ist nicht rechtsextremistisch‘, heißt es dort. Schließlich sei die Webseite pro-israelisch, pro-amerikanisch und bekenne sich nachdrücklich zum Grundgesetz. Als Frühwarnsystem soll der Verfassungsschutz die freiheitlich-demokratische Grundordnung zwar auch gegen andere Bedrohungen verteidigen. Doch auch hier muss der Geheimdienst passen. ‚Es fehlt bei PI an einem einheitlich verfassungswidrig orientierten Personenzusammenschluss‘, so die BfV-Sprecherin. Deshalb liege keine Bestrebung im Sinne des Verfassungsschutzgesetzes vor. Weil die Anti-Islamhetzer nicht vom Verfassungsschutz beobachtet werden, weiß dieser auch nicht, wie groß und gewaltbereit dieses Spektrum ist.“

[…]

Politically Incorrect und die Anschläge von Oslo und Utøya

Die erste Meldung über die Anschläge erfolgte auf PI bereits am 22.7. um ca. 17:30: „Breaking News: Bomben-Anschlag in Oslo“. Um ca. 22:00 legte ein PI-Redakteur nach: „Warum bombt Islam ausgerechnet in Oslo?“.

PI-Redakteur Kewil schrieb: es steckt „vermutlich eher eine Splittergruppe der lokalen Alkaida in Norwegen dahinter. Wie in Skandinavien üblich, gab man sich in Oslo immer liberal, hat jeden Verbrecher aufgenommen und machen lassen und nie mehr ausgewiesen, siehe etwa Mullah Krekar (Foto).“

Illustriert ist der Beitrag mit dem Foto eines alten Mannes mit langem Bart.

Die Reaktion der meisten PI-Leser war euphorisch. Viele Kommentare verhöhnten die „Friedensreligion“ Islam und drückten die Hoffnung auf Zulauf zur Bewegung aus.

Einige Autoren gingen weiter und sahen die Zeit reif für einen Gegenschlag.

[…]

Als ab 19:24 erstmals durchsickerte, dass nach Nachrichtenlage „ein weißer Skandinavier“ als Täter gelte, war die Enttäuschung groß. Es müsse sich um einen Konvertiten handeln oder gar um ein groß angelegtes Täuschungsmanöver der Medien.

Die meisten PI-Nutzer ließen solche Nachrichten kalt, und manche hielten bis zum nächsten Tag an der Version vom muslimischen Anschlag fest. Als der Autor Aaron um 21:09 vorsichtig andeutete, es könnten „wirklich Rechtsextremisten“ gewesen sein, erntete er noch wütende Kommentare.

Später machten es sich viele PI-Kommentatoren dann einfach und erklärten Breivik zum irren Einzeltäter und sich selbst zu den eigentlichen Opfern, da sie wahrheitswidrig mit dessen Taten in Zusammenhang gebracht würden und ihnen nun eine vernichtende Repressionswelle von staatlicher Seite bevorstünde.

Eine große Rolle als Verleugnungsstrategie spielten aber auch beim PI-Publikum Verschwörungsphatasien. Anders als bei Altermedia standen im Mittelpunkt der Verschwörung aber meist keine Geheimdienste oder Geheimgesellschaften, sondern gleich die norwegische Regierung selbst. Mehrfach wurde eine Analogie zum Reichstagsbrand 1933 konstruiert, wobei eine eher linke Variante der Geschichtsdeutung dieses Ereignisses zu Grunde gelegt wurde, die Nazis hätten den Reichstag in einer geplanten Aktion selbst angezündet. Es wurde so unterstellt, die sozialdemokratische Regierung Norwegens hätte ihre eigene Jugend massakriert, um Islamkritiker in Misskredit zu bringen und in Konzentrationslager zu sperren.

[…]

Sehr spät dämmerte dann doch auch so manchem PI-Leser, dass alles auf einen rechten Terroranschlag hindeutete. Doch der Täter könne dann nur „Rechtsextremist“ oder „Nazi“ sein und damit habe man selbstverständlich nichts zu tun.

[…]

Erst am Morgen des 23.7. gegen 7:50 Uhr erfolgte von der PI-Reaktion ein Dementi der Meldung vom Vortag, freilich ohne sich für die gezielte Desinformation zu entschuldigen[.]

[…]

In der Kommentarspalte häuften sich nun die Wortmeldungen, die Verständnis für das Attentat zum Ausdruck brachten[.]

[…]

Gegen 14:15 erschien am 23.7 unter dem Titel „Fall Anders B. eine konservative Katastrophe“ ein redaktioneller Beitrag, der sehr ungewöhnlich für PI war. Breiviks Konvolut war zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt, es waren aber Breiviks Einträge in einem norwegischen Anti-Islam-Blog, der mit PI vergleichbar sein dürfte, in gesammelter Form veröffentlicht worden. Zwar findet auch hier eine Verleugnung durch Pathologisierung des Täters statt. Der ungenannte PI-Autor lässt aber eine gewisse Bereitschaft zur Selbstkritik anklingen, die über ein bloßes taktisches Wegducken hinauszugehen scheint.

[…]

Falls die Einschätzung stimmt, dass in diesem Beitrag auch ehrliches Erschrecken zum Ausdruck kam, so gleicht der Autor doch dem Zauberlehrling, der seine eigene Schöpfung nicht mehr unter Kontrolle hat. Das PI-Milieu ist so hermetisch, dass man dort von innen nichts verändern könnte und jedem Mitwirkenden, dessen Gewissen sich meldet, kann man nur dringend den Ausstieg empfehlen.

Es gab nur ganz vereinzelte vorsichtige Zustimmung, die meisten Reaktionen waren ablehnend, und diese Ablehnung steigerte sich bis hin zu einer kaum verhohlenen Billigung des Bürgerkrieges.

Ein Diskutant erwog ernsthaft, ob Breivik in der Zukunft als ein neuer Stauffenberg gefeiert werden würde[.]

[…]

Ein anderer gab die Losung aus, nicht der Islam sei der Hauptfeind, sondern die Regierungen, die die ethnisch homogenen europäischen Nationen verraten. Breivik erklärte er zum psychopathischen Produkt der Völkermischung.

[…]

Den Höhe- und vorläufigen Endpunkt dieser inhaltlichen Zuspitzung lieferte ein längerer Beitrag des Bloggers mit dem Pseudonym Michael Mannheimer, der offenbar im PI-Milieu über große Autorität verfügt. Seine Deutung des Anschlags als Fanal für einen legitimen Bürgerkrieg deckt sich frappierend mit dem Selbstbild des Attentäters, obwohl dessen Konvolut zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht bekannt war.

[…]

Nach diesem Beitrag verstummten die gemäßigten Stimmen ganz, und es gab eine Welle der Zustimmung in Form von kurzen Zurufen

„Danke für diesen sachlichen und konstruktiven Beitrag!“ „Danke für diesen wichtigen Kommentar.“ „Danke Michael Mannheimer für diese klaren Worte!“ „Zustimmung zum Beitrag.“ „Chapeau!“ „Danke für diesen Beitrag und seine klare Botschaft.“ „Richtig !!“ „Dem ist nichts hinzu zufügen.“ „Den Kommentar von Michael Mannheimer halte ich für sehr zutreffend.“

In den Stunden nach den Anschlägen war der Server von PI durch die zahlreichen Zugriffe stark überlastet. Deshalb kamen auch die Redakteure beim Löschen missliebiger Kommentare kaum nach. Und so flutschten auch einige wenige kritische Kommentare durch die Zensur.

Korrektur: (23. Jul 2011 02:27): „Man liest hier STÄNDIG gewaltverherrlichende Kommentare die sich gegen Linke, Moslems, Richter, Aktivisten, Punks, Politiker richten. Gutmenschen, die “Bereichert” gehören, gegen die man “im Bürgerkrieg” vorgehen wird, die man bei “Nürnberg 2.0§ bestrafen wird. Leute, um die es nicht Schade wäre, die man zu gerne mal….,. Ich weiß, das der absolute Großteil hier nur Tastaturhelden sind, allerdings gibt es auch ein Promillewert an Leuten, die es nicht bei Worten belassen. […] bis vor kurzem wurde jeder Kommentar von mir gelöscht, dabei waren die Beiträge immer sachlich und garnicht so provozierend wie ein paar die ich heute geschrieben habe.“

Fazit

In beiden untersuchten Hass-Blogs findet man zwar auch die Verleugnungsstrategie, bei dem Täter der Anschläge von Oslo und Utøya handle es sich um einen wahnsinnigen Einzeltäter, mit dessen wirren Zielen man sich erst gar nicht auseinandersetzen müsse. Es gibt aber darüber hinaus Deutungsmuster, die man in den Medien des Mainstreams selten oder nie findet. Breivik wird dem jeweils anderen Flügel der extremen Rechten zugeordnet, mit dem man nichts gemein habe: für Altermedia-Fans ist er Israel-Freund, Freimaurer und Anti-Nazi, für PI-Fans ist er Rechtsextremist und Nazi. Auf beiden Seiten gibt es viele, die fast reflexhaft verschwörungsmythische Erklärungen bei der Hand haben. Im PI-Publikum sind diese Deutungen sogar noch radikaler als bei Altermedia. Dort wird unterstellt, die Opfer hätten sich selbst massakriert. Erschreckend, und von uns in diesem Ausmaß nicht erwartet, war die mehr oder weniger offene Sympathie mit den Anschlägen als Fanal für den als unvermeidlich angesehenen oder sogar herbeigesehnten Bürgerkrieg, die auf beiden Blogs in vielen Beiträgen zum Ausdruck kam.

Erschrecken und Innehalten angesichts der Bestialität des Massenmords blieben die Ausnahme. Die überwiegende Tendenz der Reaktionen war: weiter so wie bisher, oder eine Radikalisierung der eigenen Positionen. Letzteres trifft insbesondere auf die anti-muslimischen Haß-Gruppen zu, in denen nicht mehr der Islam, sondern die westlichen Regierungen und demokratischen Bewegungen und Parteien zum Hauptfeind erklärt werden. Wenn das Kalkül Breiviks und anderer Hardliner aufgeht, dann bekam diese Bewegung mit den Anschlägen von Oslo und Utøya ihren bewaffneten Arm. Auch die gemäßigten sollten ihre Rolle spielen, würden sich aber durch die Dynamik der Entwicklung von selbst radikalisieren. Diese Gemäßigten haben dem kaum etwas entgegenzusetzen, denn sie haben verinnerlicht, dass es nur schwarz oder weiß, gut oder böse, Freund oder Feind gibt.

Breiviks Vorbild war nicht etwa Al Kaida, wie manche Kommentatoren schrieben, sondern das Konzept des „führerlosen Widerstands“ (leaderless resistance), das vom terroristischen Flügel der US-amerikanischen extremen Rechten propagiert wird. Zum Glück fanden sich bisher immer nur wenige, die dieses Konzept autonom operierender kleiner rechter Terrorzellen auch tatsächlich umsetzten. Es gibt aber auch in Deutschland ein Potential, das in ganz ähnlichen Bahnen denkt wie Breivik und das zur Aktion drängt. Der angeblich bevorstehende Bürgerkrieg, den natürlich immer die jeweils anderen angefangen haben sollen, ist nichts, was man ernsthaft abwenden will, sondern er soll siegreich ausgefochten werden. Die Dynamik des Krieges erzeugt dann schon einen Sog, dem sich niemand entziehen kann.

Alles andere als ‚gemäßigt‘ sind allerdings auch die Schreibtischtäter, die bewusst und skrupellos den Bürgerkrieg herbeischreiben, aber sich selbst nicht die Finger schmutzig machen wollen und die glauben, sie könnten die von ihnen aufgehetzten Breiviks nach begangener Tat einfach als nützliche Idioten fallen lassen.

Sorgen wir dafür, dass dieses perfide Kalkül nicht aufgeht.

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