NPD-Verbot: staatsfundamentalistische Verfahrenshindernisse

Von Martin Dietzsch

Nach längerer Pause rückt das Verbotsverfahren gegen die NPD wieder einmal in die öffentliche Aufmerksamkeit. Seit dem Antrag des Bundesrats vom Dezember 2013 hatte man kaum noch etwas zum Thema gehört. Nun meldete sich das Bundesverfassungsgericht zu Wort mit einem „Hinweisbeschluss im NPD-Verbotsverfahren“ vom 19.3.2015.

Es geht wieder einmal um die unsägliche V-Leute-Praxis der Geheimdienste. Das Gericht gibt sich nicht zufrieden mit den Testaten der Innenminister, in den Führungsgremien der NPD befänden sich keine V-Leute mehr. Schon diese Testate waren 2013 nur mit Mühe zusammengetragen worden. Jetzt fordert das Gericht – wenn ich die Ausführungen richtige verstehe – die vollständige Offenlegung der V-Leute-Praxis. Das Schreiben schließt mit der Forderung, der Antragsteller solle „insbesondere zur Frage der Quellenfreiheit des Parteiprogramms Stellung nehmen“. Es fordert also Beweise dafür, dass das NPD-Parteiprogramm nicht von V-Leuten verfasst oder beeinflusst wurde.

Diese Forderungen wären nur zu erfüllen, wenn man die Geheimdienste dazu zwingt, sich in die Karten schauen zu lassen. Doch selbst die zahlreichen Enthüllungen im Zusammenhang mit dem NSU-Skandal haben nicht zu einem Umdenken geführt.

Titelseite der DISS Studie V-Leute bei der NPD
DISS Studie „V-Leute bei der NPD“ (2002)

In Deutschland existiert eine Form des Fundamentalismus, die nicht in das Schema einer Extremismustheorie passt. So wie beim religiösen Fundamentalismus die jeweiligen heiligen Bücher über den weltlichen Gesetzen stehen, vertritt diese weitverbreitete weltliche Form des Fundamentalismus das Axiom: Die Nationale Sicherheit steht über der Politik und über dem Grundgesetz. Bei der Debatte über V-Leute geht es nicht um Quellenschutz, sondern um Verteidigung und Ausbau der Privilegien und der Sonderstellung der Geheimdienste.

Eine neue legale und unverbietbare NSDAP ist im Lichte dieser Form des Fundamentalismus weniger schlimm als eine wirksame demokratische Kontrolle der Sicherheitsapparate.

Aber das schreibe ich ja nicht zum ersten mal. Ich bin es leid, immer wieder zum Thema Stellung nehmen zu müssen, obwohl die Statements aus früheren Jahren und Jahrzehnten nichts an Aktualität verloren haben.


November 2011:

NPD-Verbot: Sie werden es wieder vermasseln

Die Politiker, die jetzt ein neues NPD-Verbotsverfahren initiieren, haben immer noch nichts begriffen. Das Problem ist nicht, der NPD Verfassungswidrigkeit nachzuweisen; das wäre auch ganz ohne Verwicklung in die Zwickauer Terrorzelle möglich. Wir haben stattdessen ein Geheimdienstproblem.

Das erste NPD-Verbotsverfahren wurde von innen torpediert. Es wurde ja nicht nur dem Gericht, sondern auch den Vertretern der Anklage die frühere V-Mann Tätigkeit eines geladenen Zeugen vorsätzlich verschwiegen. Man hat die eigenen Leute ins offene Messer rennen lassen. Daraus sind nie Konsequenzen gezogen worden. Statt der Verselbständigung der Geheimdienste mit wirksamer Kontrolle gegenzusteuern, wurden deren Kompetenzen und Aufgabenfelder immer mehr ausgeweitet.

Man muss es einmal deutlich aussprechen: Es geht bei einem NPD-Verbotsverfahren schlicht und einfach darum, den Neonazis, also der NPD und den sogenannten Freien Kameradschaften, den staatlichen Schutz und die staatliche Förderung zu entziehen. Und das exzessive V-Mann Unwesen zählt nicht zur Bekämpfung, sondern zur Förderung des Neonazismus.

NRW-Innenminister Ralf Jäger äußerte kürzlich, eine Abschaltung der V-Männer sei unmöglich, denn sie mache die Behörden blind. Jahrzehntelang haben die Ämter den Rechtsextremismus durch die Brille der V-Männer des Verfassungsschutzes betrachtet. Vielleicht sollten sie diese Brille endlich einmal absetzen. Man hat den Eindruck, dass diese Brille von innen verspiegelt ist und der Betrachter glaubt, er würde die Welt sehen, in Wirklichkeit sieht er nur sein Spiegelbild.

V-Leute versprechen sich von ihrer Tätigkeit nicht nur Geld, und staatlichen Schutz bei möglichen Strafverfahren. Sie sind und bleiben Rechtsextremisten und füttern die Dienste mit gefilterten Informationen, und die Dienste hören nur das, was sie hören wollen. Wenn die amtliche Vorgabe ist, dass nur Linksextremisten an eine ernsthafte Gefahr von Rechts glauben, dann darf man sich nicht wundern, wenn die bittere Realität verharmlost und geleugnet wird. Die Dienste waren blind, weil sie nur das sehen durften, was sie sehen wollten.

Es heißt, die V-Mann-Dichte im NPD-Umfeld sei heute sogar noch höher als beim ersten Verbotsverfahren. Nach allem, was man bisher weiß, muss man befürchten, dass auch im engeren Umfeld der Terrorzelle Vertrauenspersonen von deutschen Geheimdiensten tätig waren und eher zur Verdunkelung als zur Aufklärung beitrugen und vielleicht sogar in die terroristische Vereinigung involviert waren. Diese Möglichkeit kann zur Zeit niemand ausschließen. Und es verwundert nicht, dass nicht nur in der rechten Szene, sondern auch in der breiten Öffentlichkeit die irrsten Verschwörungsmythen kursieren und durch das undurchsichtige Operieren der Geheimdienste scheinbare Plausibilität erhalten. Dadurch erleidet unsere Demokratie zusätzlichen schweren Schaden, dessen langfristige negative Folgen nicht unterschätzt werden dürfen.

Doch an den Pforten der Geheimdienste endet der demokratische Sektor der Bundesrepublik Deutschland.

NPD-Verbot? Das geht nur, wenn man den Diensten kräftig auf die Füße tritt. Und wenn man den institutionellen Rassismus in der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr verleugnet und ihn stattdessen bekämpft. Dazu gehört Mut. Liebe Politiker, Freiwillige bitte vortreten! – Es meldet sich niemand? Dann sei mir die Prognose gestattet: Ihr werdet es wieder vermasseln.


April 2008

Keine Partei wie jede andere

Die Innenminister der Länder und des Bundes sind mehrheitlich gegen ein neues NPD-Verbotsverfahren. Das ist nicht überraschend, aber deshalb nicht weniger fatal. Die NPD ist keine Partei wie jede andere. Sie ist auch nicht einfach nur »verfassungsfeindlich«. Sie kombiniert eine geschlossene, menschenverachtende Weltanschauung mit Einschüchterung und Gewalt, und sie nutzt geschickt die Schwächen des demokratischen Staates aus.

Die von ihr ausgehende Gefahr wird immer noch unterschätzt. Es wächst so etwas heran, wie eine moderne NSDAP. Dass sie noch über keine talentierte Führerfigur verfügt und noch weit von den Schalthebeln der Macht entfernt ist, kann nur ein schwacher Trost sein.

Die NPD ist nicht nur verfassungsfeindlich, sondern verfassungswidrig, und man muss dem Bundesverfassungsgericht nur die Chance geben, dies auch in einem Urteil festzustellen. Ein solches Verbot würde das Problem des Rechtsextremismus nicht aus der Welt schaffen. Es würde aber einer auch im europäischen Vergleich ungewöhnlich gewalttätigen und radikalen Variante des Rechtsextremismus die Flügel stutzen und den staatlichen Schutz entziehen.

Erinnern wir uns. 2003 scheiterte der erste Anlauf zu einem NPD-Verbot vor dem Bundesverfassungsgericht. Die Klageschriften führten öffentlich zugängliche Quellen gegen die NPD ins Feld, vor allem Texte, die von der Partei selbst veröffentlicht worden waren. Die Chancen für ein Verbot wurden damals als sehr hoch eingeschätzt. Es stellte sich aber heraus, dass einiges aus diesem Belastungsmaterial von Autoren stammte, die über eine Nebeneinkunft beim Staat verfügten und dass dies dem Gericht vorsätzlich verschwiegen worden war. Das Bundesverfassungsgericht verlangte, ihm gegenüber in Sachen V-Leute mit offenen Karten zu spielen. Dazu war man nicht einmal ansatzweise bereit, und deshalb scheiterte das Verfahren.

Hier ist nicht von Geheimagenten, von verdeckten Ermittlern, oder von Aussteigern die Rede. V-Leute in der NPD und deren Umfeld sind Rechtsextremisten, die Rechtsextremisten bleiben, die die Organisation aktiv aufbauen und vorantreiben, und immer wieder kommt es vor, dass sie auch an schweren Straftaten beteiligt sind. Sie unterscheiden sich von ihren Kameraden nur durch eine kleine Nebeneinkunft. Sie liefern auf konspirativem Wege Spitzelberichte an ihren V-Mann-Führer. Die so erlangten Informationen haben zweifelhafte Qualität, werden von den konkurrierenden Geheimdiensten eifersüchtig gehütet, und sie sind so geheim, dass sie nicht zu einer wirksamen Bekämpfung der NPD verwendet werden können.

Die V-Mann-Dichte in der NPD ist sehr hoch. Jedes von der NPD produzierte Material könnte durch die Mitwirkung von V-Leuten »kontaminiert« sein. Man muss sich das einmal vorstellen: Bei den Bundesvorstandssitzungen der NPD kommen die V-Männer des Bundes und der Länder und der anderen Geheimdienste zusammen, die alle von einander nichts wissen, und schreiben eifrig Spitzelberichte über andere V-Männer. Und das Ganze nutzt der NPD mehr als es ihr schadet. Es sei nur daran erinnert, dass ein gewisser Adolf Hitler seine politische Karriere als V-Mann der Reichswehr begann.

Von einer Kontrolle oder Steuerung der NPD durch die Geheimdienste kann nicht die Rede sein, das gehört ins Reich der Verschwörungsmythen und wird am eifrigsten von der NPD selbst als Schutzbehauptung verwendet, wenn sich mal wieder einer der ihren bei einer schweren Straftat hat erwischen lassen.

Geheimdienste entwickeln immer ein gewisses Eigenleben und werden leicht zum Selbstzweck. Deshalb unterliegen sie auch der demokratischen Kontrolle. Das sollte in demokratischen Staaten jedenfalls so sein. Vielleicht fehlt es ja an tapferen Politikern, die diese unpopuläre Kontrollfunktion auch wirksam ausüben? Liebe Politiker, verschont uns bitte mit weiteren Verbotsdiskussionen, wenn Ihr nicht die den Mut habt, das V-Mann Unwesen einzuschränken!

So wird die NPD also weiter als das gelten, was sie nicht ist: als eine ganz normale Partei. Sie wird gefördert durch staatliche Parteienfinanzierung und V-Mann-Gehälter; Spenden sind steuerlich absetzbar. Sie bemüht die Gerichte, um Aufmärsche und Kundgebungen zu erzwingen und Kritiker mundtot zu machen. Aus Polizeiperspektive werden diejenigen zu »Störern«, die mit bewundernswerter Courage gewaltfrei Neonazi-Aufmärsche blockieren, um denen nicht den öffentlichen Raum zu überlassen. Schlagstöcke und Wasserwerfer gegen Demokraten, damit Neonazis marschieren können.

Herr Biedermann hat die Brandstifter wieder in seinem Dachstuhl einquartiert, und das einzige, was ihn stört, sind die nörgelnden Nachbarn, die etwas von »Feuergefahr« faseln.


August 2002

2002 veröffentlichten wir im Zusammenhang mit dem ersten NPD-Verbotsverfahren die Studie „V-Leute bei der NPD: Geführte Führende oder Führende Geführte?“ Der Text ist leider heute immer noch so aktuell wie damals.

Eine Analyse der Aktivitäten der V–Leute Holtmann und Frenz ergibt, dass diese nicht als agents provocateurs innerhalb der NPD wirkten. Vollkommen unsinnig wäre es, sogar von einer Steuerung der NPD durch Geheimdienste zu sprechen. Vielmehr verkörperten die beiden exponierten NPD-Funktionäre den Typus des omnimodo facturus, d.h. es handelte sich um Personen, die man zu nichts anstiften kann, weil sie ohnehin zu allem bereit sind. Ihre Aktivitäten deckten sich nahtlos mit dem sonstigen Kurs der Partei, und sie genossen gerade wegen ihrer antisemitischen und rassistischen Hetze über Jahrzehnte das Vertrauen der Partei. Aus diesem Grund kann die V–Mann-Affäre nicht als Argument gegen das lange überfällige Verbot der NPD dienen.

Freilich wirft die Affäre ein düsteres Licht auf die Aktivitäten der Verfassungsschutzämter, insbesondere auf deren V–Mann-Praxis. Diese führte letztendlich dazu, die NPD zu stärken, statt sie zu schwächen, und sie erbrachte geheimdienstliche Informationen, die zuvor von der NPD-Führung gefiltert worden waren und deren Wert auch deshalb mehr als zweifelhaft gewesen sein dürfte.

Es stellt sich die Frage, ob es nicht an der Zeit ist, das V–Mann-Unwesen endlich vollständig zu beenden. Die Affäre ist ein Beleg dafür, dass sich die Geheimdienste der Bundesrepublik Deutschland einer wirksamen demokratischen Kontrolle erfolgreich entziehen.

Die komplette Studie V-Leute bei der NPD können Sie hier als PDF-Datei abrufen.

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