DISS-Neuerscheinung: Gabriel Riesser

Edition Deutsch-Jüdische Autoren des 19. Jahrhunderts: Schriften zu Staat, Nation, Gesellschaft.

Der erste Band mit Ausgewählten Werken des deutsch-jüdischen Bürgerrechtlers Gabriel Riesser ist im Böhlau-Verlag in Köln erschienen.

Abbildung Cover Gabriel Riesser Bd. 1

Der Band umfasst die politische Erstlingsschrift Riessers Ueber die Stellung der Bekenner des Mosaischen Glaubens in Deutschland (1831) und seine Jüdischen Briefe. Zur Abwehr und Verständigung (1838-1841).

Gabriel Riesser (1806–1863) wuchs in Hamburg in einer religiösen jüdischen Familie auf. Er wurde in Heidelberg zur Zeit der Restauration promoviert, als die Diskriminierungen gegen Juden einen neuen Höhepunkt erreichten. Zwei Universitäten verweigerten ihm die Habilitation, seine Heimatstadt Hamburg die Anstellung als Advokat. Danach wuchs Riesser in die Rolle eines Bürgerrechtlers hinein und wurde dadurch berühmt. 1848 wählten ihn christliche Wahlmänner in die Paulskirchen-Versammlung. Er wurde 1860 der erste jüdische Richter Deutschlands. Seine vielfältigen, rhetorisch brillanten Schriften spiegeln die Kultur des Vormärz und die Entwicklung des deutschen Parlamentarismus.

Mit seiner politischen Erstlingsschrift Ueber die Stellung der Bekenner des Mosaischen Glaubens in Deutschland (1831) zielte Riesser – kurz nach der Juli-Revolution in Paris – in die Mitte der deutschen Öffentlichkeit, d. h. in einen Raum, in dem man – bis dahin – die Schriften deutscher Juden weitgehend unbeachtet gelassen hatte.

Während frühere Schriften der Vertreter des Judentums meist durch ein defensives Bit­ten um vorenthaltenes Recht geprägt waren, forderte Riesser nun Gerechtigkeit, statt „Rechtfertigungen oder Zugeständ­nissen“, die „die alte Schmach nur durch neue Demüthigung erneuern und verlängern“ würden.

Wie ein „elektrischer Funke“, so schildert ein Rezensent, habe diese Schrift in weiten Kreisen gewirkt: „fast erschreckend, so kühn erschien die Sprache des lang ge­kränkten Rechts“. Von da an habe Riesser „die Aufmerksamkeit nicht bloß seiner Glaubensgenos­sen, sondern aller Freisinnigen, aller Denker, aber auch aller Gegner auf sich“ gezogen. Wie zeitgleich Giuseppe Mazzini (1805-1872) in Italien ging es Riesser darum, über die „persönlich Betheiligten“ hinaus „Menschenfreunde aller Confessionen“ zum gemeinsamen Kampf für die Menschen- und Bürgerrechte zu bewegen. Damit warf er – so ein Zeitgenosse – „deutschen Staaten und Kammern den Fehdehandschuh hin, trat mit Argumenten auf, die seine Ebenbürtigkeit erkennen ließen. Diese Schrift erregte großes Aufsehen, und es richteten sich die Blicke Vieler achtungsvoll auf den Verfasser.“

In seinen Jüdischen Briefen (1838/41) ging Riesser einen Schritt weiter: Angesichts der Masse der zeitgenössischen judenfeindlichen Angriffe auf Juden und Ju­dentum versuchte er mit hoher Konzentration und Disziplin, eine konstruktive Wendung heraus aus bloßer Empörung und Erschöpfung zu finden.

Vielleicht überhaupt zum ersten Mal in deutscher Sprache erarbeitete er exempla­rische Argumentations- und Diskursanalysen zu antisemitischen Texten und legte assozia­tive und konnotative Techniken offen, die für die gegen Juden und Judentum gerichtete Rhetorik der Herabsetzung und Ausgrenzung typisch sind, aber auch darüber hinaus. Passagen des außerordentlich behutsamen Vortastens und Auslotens, in denen sich Riesser den antisemitischen Kernbotschaften und Bilderwelten nähert, wechseln sich ab mit diachronen Einordnungen, aber auch mit Ausbrüchen der Empörung, der öffent­lichen Abrechnung oder der autobiographischen Ansprache. Unabhängig von Verleger­interessen, Terminzwängen und politischen Nötigungen schuf Riesser in den Jüdischen Briefen ein Experimentierfeld für sprachkritische Strategien gegen eine Kultur der Her­absetzung und Ausgrenzung.

Riesser hat ein umfangreiches Werk bürgerrechtlicher Schriften geschaffen, das an analytischer Intensität und historiographischer Authentizität unübertroffen geblieben ist. In einem zweiten Band der Ausgewählten Werke sollen u.a. Riessers Analysen der bürgerlichen Verhältnisse der Hamburgischen Israeliten (1834), Analysen zu den Verhandlungen der Holsteinischen Provinzialstände (1840/41), der Verhandlungen der 2ten Kammer des Großherzogthums Baden (1831/1832) und der Verhandlungen der Badischen Ständeversammlung über die Emancipation der Juden (1833) neu ediert werden.

 

 

Bestellen Sie den Titel bitte in Ihrer Buchhandlung oder direkt beim Böhlau-Verlag: http://www.boehlau-verlag.com/978-3-412-20864-6.html

Deutsch-jüdische Autoren des 19. Jahrhunderts. Schriften zu Staat, Nation, Gesellschaft. Werkausgaben
Herausgegeben von: Michael Brocke, Siegfried Jäger und Jobst Paul
Band 3,1
Gabriel Riesser
Ausgewählte Werke
Teilband 1
Herausgegeben von: Jobst Paul und Uri R. Kaufmann
2012, 280 S.
Preis: € 39.90 [D] | € 41.10 [A]
ISBN 978-3-412-20864-6

 

 

 

Neuerscheinung: Elias Grünebaum

Der erste Band der Edition Deutsch-Jüdische Autoren des 19. Jahrhunderts. Schriften zu Staat, Nation, Gesellschaft ist erschienen:

Elias Grünebaum: Die Sittenlehre des Judenthums anderen Bekenntnissen gegenüber: Nebst dem geschichtlichen Nachweise über die Entstehung und Bedeutung des Pharisaismus … Edition der Ausgaben von 1867 und 1878. Herausgegeben von Carsten Wilke. Köln : Böhlau 2010, 336 Seiten, 39,90 €. 

Links zum Verlag: 

http://www.boehlau.at/978-3-412-20316-0.html

http://www.boehlau.at/download/161734/978-3-412-20316-0_WB.pdf 

Die christliche Tradition hat unter dem Begriff der Pharisäer ein Bild des Judentums geschaffen, das für Heuchelei, Selbstgerechtigkeit, Kleinlichkeit und für sinnlose Strenge steht. Weil Jesus gegen den Einfluss der Pharisäer das eigentliche Judentum habe bewahren wollen, sei – so die Darstellung im Neuen Testament – das Christentum entstanden.

Die Karikatur der Pharisäer hat erheblich zur christlichen Mentalität des Übertrumpfens beigetragen und auch die judenfeindliche Legendenbildung beflügelt. Das Zerrbild der Pharisäer stellt aber nicht nur die Wirklichkeit auf den Kopf, sondern trifft den Stifter der christlichen Religion selbst, denn er gehörte zu den Pharisäern.

Der Landauer Rabbiner Elias Grünebaum unternahm 1867 die Aufgabe (wie mit ihm der Frankfurter Rabbiner Abraham Geiger), die Leistung der Pharisäer im Rahmen der jüdischen Geschichte darzustellen und die Wurzeln der jesuanischen Ethik „im ächten Pharisaismus“ aufzuzeigen. Auf diese Weise stellte Grünebaum die „Sittenlehre des Judenthums“ neben die christliche Identität und begründete so „den gleichberechtigten Anteil beider Religionen an den Werten Europas“ (Carsten Wilke).

Als im Kaiserreich die judenfeindliche Agitation aufflammte, brachte Grünebaum seine »Sittenlehre« stark erweitert noch einmal heraus. Mit der vorliegenden Neuausgabe ist es dem Herausgeber gelungen, beide Ausgaben in einer leserfreundlichen, synoptischen Form zu vereinigen. Damit dokumentiert das Werk zugleich „jene Dekade, in der christliche Talmudfeinde der Rassenideologie den Boden bereiteten“ (Carsten Wilke).

Die Edition basiert auf der interdisziplinären Kooperation zwischen dem Salomon Ludwig Steinheim-Institut für deutsch-jüdische Geschichte an der Universität Duisburg-Essen und dem Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung.