Was tun gegen rechte Diskurspiraten

Autorin: Regina Wamper / Arbeitskreis Rechts des DISS

Entwendungsversuche der extremen Rechten finden auf drei Ebenen statt (die natürlich nur analytisch trennbar sind):

1. auf inhaltlicher Ebene

2. auf (sub)kultureller Ebene

3. auf taktischer Ebene

1. Inhaltliche Interventionen

Von „inhaltlichen Entwendungen“ zu sprechen, heißt nicht, Themenfelder „für sich“ zu proklamieren. Verschiedene Themen werden aus verschiedenen politischen Perspektiven gedeutet, niemand hat „Copyright“ auf Diskurse.

Die extreme Rechte forciert in den letzten Jahren einen Deutungskampf um Themen, die als Gegendiskurse (zu hegemonialen Diskursen) traditionell von links besetzt sind, so Feminismus, Antikapitalismus, die soziale Frage, Antimilitarismus, Ökologie etc. ((Das soll nicht heißen, dass dies ein neues Phänomen ist, sowohl die Nationalrevolutionäre der 20er Jahre, die der 70er Jahre und der NS selbst widmete sich auch Themen wie Antikapitalismus, Ökologie (BluBo) etc. Das heißt auch, dass bei einer rechten Intervention in diese Gegendiskurse linke Positionen oft Referenzpunkte waren bzw. sind.)) Themenfelder deshalb aufzugeben, weil die extreme Rechte sich mit diesen befasst, hieße, nicht in diese Deutungskämpfe einzusteigen, die Deutung der extremen Rechten zu überlassen. Darum kann es nicht gehen. In Kämpfe um Deutung einzusteigen, hieße dem entgegen, a) eine Intensivierung dieser Themen vorzunehmen und inhaltlich „genauer“ zu argumentieren (und damit auch je eigene Denktraditionen zu reflektieren), b) diskursive Anschlussstellen für Rechte zu vermeiden und c) rechte Interpretationen zu analysieren und zu dekonstruieren.

Beispiel Ökonomiekritik:

Neonazistische Bewegungen bedienen sich (wieder) antikapitalistischer Rhetorik. Dabei ist ihr Verständnis von Kapitalismus zentral als personalisierte, gesteuerte Macht zur Zerstörung völkischer Einheit durch die Implementierung von Klassenkämpfen und Migration. So kann völkische Kapitalismuskritik mit dem Fokus auf Prinzipien der Volksgemeinschaft ein Ende klassenkämpferischer Auseinandersetzung bei gleichzeitiger Beibehaltung ökonomischer Ungleichheit proklamieren. Der völkische Antikapitalismus will nicht die ökonomischen Verhältnisse insgesamt antasten, sondern eine ideologische Neubestimmung bestehender sozialer Ungleichheiten im Sinne des Wohls der „Volksgemeinschaft“ erreichen. Er behauptet, er könne den Gegensatz von Lohnarbeit und Kapital aufheben, indem er das Kapital in produktives und spekulatives teilt. Wo zuvor Lohnarbeit versus Kapital galt, gilt nun „schaffende Arbeit“ und „produktives Kapital“, befriedet in der Volksgemeinschaft versus spekulatives Kapital, i.d.R. identifiziert im Judentum.

a+b) Progressive Kapitalismusanalyse und -kritik, die keine Anschlussstellen für extrem rechte Diskurse bieten will, sollte ein nicht personalisiertes Verständnis von Kapitalismus in den Vordergrund stellen, das Kapitalismus als gesellschaftliche Totalität, als Struktur begreift, das die Bestimmung der Gesellschaft durch Warenproduktion, durch das Kapitalverhältnis berücksichtigt. Ein Verständnis, das eine Kritik an Tauschwert und Privateigentum, an Disziplinartechniken, an Konzepten der Bio-Macht, an den dem Kapitalismus immanenten antiegalitären Herrschafts- und Gewaltverhältnissen, an Prinzipien der Konkurrenz, der Leistung, der Ausbeutung, an der Verteilung von Reichtum, an den bürgerlichen Logiken von Fortschritt und Effizienz und schließlich am kapitalistischen Arbeitsbegriff impliziert.

Wenn progressiver Antikapitalismus die Verwobenheit gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnisse anerkennt, und das bedeutet, nicht einfach nur die Aufhebung des Hauptwiderspruchs, sondern die Verflechtungen von Herrschaftsformationen, also beispielsweise die kapitalistische Nutzbarmachung von Rassismus und Patriarchat, zu untersuchen ((Hier würde sich m.E. eine Rezeption der Mehrfachunterdrückungsthese und der daran anschließenden Intersektionalitätsforschung empfehlen.)) und den Zusammenhang von Staatlichkeit, Nationalismus und Kapitalismus berücksichtigt ((Betrachten wir das Zusammenspiel von Kapitalismus/Neoliberalismus und Nationalismus/Nationalstaatlichkeit/Rassismus historisch wie auch aktuell, so kann nicht von einem binären Gegensatz von kapitalistischer Verwertung und rassistischer wie nationalistischer Ausgrenzung gesprochen werden, wie das die extreme Rechte in antikapitalistischen Diskursen behauptet. Soziale Differenzierung schließt an rassistische Klassifikation an, Neoliberalismus nutzt nationalistische, rassistische, patriarchale und klassistische Kollektivsubjekte. Vgl. zur Funktion des Rassismus für kapitalistische Ausbeutung Foucault, Michel 2001: In Verteidigung der Gesellschaft, Frankfurt/M, hier besonders S. 82-104, zum Verhältnis von Kapitalismus und Staatlichkeit: Kuhn, Gabriel 2005: Tier-Werden, Schwarz-Werden, Frau-Werden. Eine Einführung in die politische Philosophie des Poststrukturalismus, Münster, S. 129-138 und zum Verhältnis von Nationalstaat und Globalisierung v.a. die Debatten um „Empire“ von Hardt/Negri (Hardt, Michael / Antonio Negri 2002: Empire, Frankfurt, beispielsweise Hirsch, Joachim 2001: Globalisierung und Terror, in: Prokla 125, 31. Jg., H. 4, S. 511-521.)), müsste die extreme Rechte zunächst diese Kapitalismusbestimmung decodieren, um Antikapitalismus nationalistisch recodieren zu können, will sie an diese Diskurse anknüpfen ((Das soll nicht heißen, dass die extreme Rechte in ihrer Kapitalismuskritik auf linken Antikapitalismus angewiesen ist. Insofern ist der Begriff der „Entwendung“ sicherlich irreleitend. Rechter Antikapitalismus ist ein eigenständiges Feld. Solange aber eine Linke Deutungshegemonie innerhalb antikapitalistischer Gegendiskurse hat, sind deren Inhalte zwangsläufig Referenzpunkt auch für extreme Rechte, das heißt, letztere müssen sich beziehen, sich abgrenzen, Gegenakzente setzen. Sie werden um eine diskursive Auseinandersetzung nicht umhinkommen. Das ist z.B. zu beobachten, wenn Teile der extremen Rechten linke Inhalte (wie etwa Positivbezüge auf „Befreiungsbewegungen“) aufgreifen und nationalistisch reformulieren. Dies gilt umso mehr, solange es die Linke ist, die in Proteste und Widerstände involviert ist, die präsent ist bei antikapitalistischen Auseinandersetzungen (siehe G8-Proteste oder weite Teile der Auseinandersetzungen um „Hartz IV“).)). Diskursiv sollte progressiver Antikapitalismus Anschlussstellen für rechte Ideologien vermeiden. Das gilt m.E. vor allem bei der Personalisierung struktureller Gegebenheiten. Diese kann Anschlussstellen für antisemitische Diskurse bieten, die konstitutiv für völkischen Antikapitalismus waren und sind ((Wichtig ist m.E. hier zu beachten, dass diese Anschlussstellen selbst nicht antisemitisch sind, sondern eben den Raum für Antisemitismus eröffnen können.)). Zudem sollte diese Schärfung der Begrifflichkeiten und des Verständnisses von Kapitalismus als Gesellschaftsformation nicht dazu führen, dass progressiver Antikapitalismus durch die Abgrenzung nach rechts handlungsunfähig und/oder sprachlos wird, indem beispielsweise keine FunktionsträgerInnen mehr benannt werden können. Die Vermeidung der Personalisierung von Struktur heißt nicht, keine AkteurInnen und keine Verantwortlichkeiten mehr zu kennen, sondern anzuerkennen, dass „der Kapitalismus“ nicht von einigen wenigen geplant und umgesetzt wird, kein Plan, keine Strategie ist, auch nicht schlicht eine Produktionsweise, sondern ein gesellschaftliches Verhältnis, ein Ordnungssystem, ein Axiom, das kein Außen kennt, in dem alle re-produzieren.

c) Eine Analyse von völkischem „Antikapitalismus“ kann diesen als rassistischen und völkischen Korporatismus entlarven. Denn der völkische Antikapitalismus befindet sich nicht im Widerspruch zu kapitalistischer Vergesellschaftung, es geht ihm vielmehr darum, auf die Entfremdung mit einer ideologischen Neubestimmung des Kapitalismus zu antworten.

Unter allen faschistischen Regimen bestand immer eine „integrale Verzahnung und Bedingtheit von Faschismus und Kapitalismus“ ((Renate Bitzan: Faschismus und Feminismus. Theoretische Überschneidungen und Widerstände in brüchigen Traditionen, in: alaska, Nr. 216, Nov 1997, S. 4-8)). Renate Bitzan schreibt:

„Das Hand-in-Handgehen drückte sich konkret in etlichen Aspekten aus: Die Förderung faschistischer Bewegungen durch Industrielle; die Liquidierung klassenkämpferischer Kräfte durch den faschistischen Repressionsapparat; die wirtschaftspolitische Kooperation; die Profite, die aus Zwangsarbeit und ‚Vernichtung durch Arbeit’ gezogen wurden; die ökonomischen Vorteile, die die Parole von der ‚Volks-’ und ‚Betriebsgemeinschaft’ mit sich brachte; der expansionistische Krieg und vieles mehr.“ ((ebd.))

Gerade in der Auseinandersetzung um die „soziale Frage“ sollte diese faschistische Praxis hervorgehoben werden. Zwangsarbeit als Alternative zu Hartz IV dürfte der NPD nicht allzu viele Sympathien unter ökonomisch und sozial Deklassierten einbringen ((Fabian Virchow beschreibt den Arbeitsbegriff der historischen wie aktuellen extremen Rechten: „Welches Verständnis von ‚Arbeit’ dabei impliziert wird, lässt sich am Beispiel einer neonazistischen Demonstration zum 1. Mai in Leipzig im Jahre 2004 zeigen, wo die Demonstrierenden ein Transparent mit sich führten, auf dem es hieß: ‚Arbeit macht frei – Freiheit für alle’. Dieses Motto erinnert zunächst an die schmiedeeiserne Schmuckzeile über den Toren verschiedener Konzentrations- und Vernichtungslager des deutschen Faschismus […]. Entsprechend huldigten zahlreiche völkische Bewegungen in Deutschland, wie z. B. die bereits früh nationalsozialistisch dominierte Artam-Bewegung einem Arbeitsbegriff, der Arbeit als Opfer für und Dienst an Nation und Volksgemeinschaft sah. Eine solche Nationalisierung der Arbeit wurde im Nationalsozialismus noch biologistisch unterfüttert: Wer aus rassischen Gründen nicht zum Arbeiten geboren sei, verdiente auch nicht zu leben. Der deutsche Faschismus, dessen Reichsarbeitsdienst die Tore seiner Lager mit der Parole ‚Arbeit adelt’ schmückte, bezeichnete sich diesem Verständnis zufolge selbst als ‚Staat der Arbeit’“ (Virchow, Fabian 2007: Von der „antikapitalistischen Sehnsucht des deutschen Volkes“. Zur Selbstinszenierung des Neofaschismus als Anwalt der „kleinen Leute“, in: UTOPIE kreativ, H. 198 (April 2007), S. 352-360).)).

Beispiel Feminismus:

Auch wenn wir Faschismus als patriarchale Ideologie ansehen, können wir nicht leugnen, dass es nationalfeministische Ansätze innerhalb faschistischer Ideologien gab und gibt. Dass feministische Theorien, die lediglich sexistische Auswirkungen patriarchaler Gesellschaft kritisieren, Anschlussstellen für eine extreme Rechte bieten können, ist ebenso einsichtig, wie das Gender Mainstreaming für neoliberale Diskurse tut. Einige Strömungen der extremen Rechten beziehen sich in ihrer Rhetorik positiv auf die „Befreiung der Frauen“, um Rassismus und Islamophobie zu legitimieren. Dieses Argumentationsmuster findet sich freilich auch in konservativen Diskursen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie bei der Bezugnahme auf feministische Diskurse gleichzeitig jede progressive feministische Analyse negieren.

a+b) Zum Verständnis „des Feminismus“: Durch das Aufgreifen von dekonstruktivistischen feministischen Theorien, die Identität nicht als starres Konzept ansehen, Dualismen in Frage stellen, Homogenisierung ablehnen und eine Verwobenheit von gesellschaftlichen Unterdrückungsmechanismen (class, gender, race etc.) annehmen und zudem ein „etwas weitergehendes“ Verständnis von patriarchalen Weltbildern haben (für Logozentrismus, Dualismus, Hierarchisierung von Differenz, Militarismus, Imperialismus etc. sind hier patriarchale Strukturen unabdingbar), würden Anschlussstellen für extrem rechte Ideologien erschwert ((Renate Bitzan spricht vom „antifaschistischen Nutzen der Dekonstruktion“ (Renate Bitzan: Faschismus und Feminismus. Theoretische Überschneidungen und Widerstände in brüchigen Traditionen, in: alaska, Nr. 216, Nov 1997, S. 4-8). Gerade die Annahme der Mehrfachunterdrückung schließt das Ausspielen von feministischen Ansätzen und antirassistischen Ansätzen aus und lässt somit die populistische Wendung des Feminismus schwieriger erscheinen.)). Poststrukturalistische Annahmen des Differenzdenkens, der Nicht-Identität von Gruppen und Subjekten, die Ablehnung von vereinheitlichenden Identitätsvorstellungen, von Homogenisierung, Formierung, das generelle Anzweifeln von Ganzheiten, die Orientierung an Minorität statt Majorität stehen faschistischen Ordnungsmodellen entgegen.

c) Zum Zusammenhang von Faschismus und Androzentrismus: Dass faschistische Ideologie antisexistische Aussagen zulässt, ist zwar prinzipiell möglich. Faktisch, also innerhalb faschistischer Herrschaftssysteme, wurden aber patriarchale und sexistische Strukturen umgesetzt (ähnlich der antikapitalistischen Rhetorik faschistischer Bewegungen bei gleichzeitiger Protegierung faschistischer Systeme und Parteien durch Industrielle ((Diese Diskrepanzen aufgreifend, entwickelt Robert Paxton eine Definition in fünf Stadien der Entwicklung von Faschismus. In der Bewegungsphase wird ideologisch durchaus anders argumentiert als dies nach der Machtübernahme durch faschistische Parteien praktisch umgesetzt wird. Siehe: Robert O. Paxton: Anatomie des Faschismus. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2006. Geht es um Gegenstrategien gegen rechte Ideologisierung ist dieser praxiologische Ansatz gewinnbringend: So kann neonazistische soziale Bewegungsrhetorik durch die Analyse faschistischer Herrschaftspraxis desavouiert werden. Denn die Rhetorik faschistischer Bewegungen war stets weitaus radikaler, als es faschistische Regime faktisch waren. Die rhetorische Ablehnung wirtschaftlicher Eliten steht im Widerspruch zur faktischen Zusammenarbeit mit diesen, soziale Rhetorik ist unvereinbar mit Zwangsarbeit, Tod durch Arbeit und mit dem faschistischen Arbeitsethos, die Rhetorik der Meinungsfreiheit steht im Gegensatz zur massenhaften Vernichtung von Oppositionellen in deutschen KZs und die Abschaffung sämtlicher Freiheitsrechte in faschistischen Regimen. Diese Diskrepanzen gilt es herauszustellen. Folgt man der Faschismusdefinition Paxtons, also dass Faschismus „eine Form des politischen Verhaltens [ist], das gekennzeichnet ist durch eine obsessive Beschäftigung mit Niedergang, Demütigung oder Opferrolle einer Gemeinschaft und durch kompensatorische Kulte der Einheit, Stärke und Reinheit, wobei eine massenbasierte Partei von entschlossenen nationalistischen Aktivisten in unbequemer aber effektiver Zusammenarbeit mit traditionellen Eliten demokratische Freiheiten aufgibt und mittels einer als erlösend verklärten Gewalt und ohne ethische oder gesetzliche Beschränkungen Ziele der inneren Säuberung und äußeren Expansion verfolgt“ (Paxton 2006, S. 319), so können etliche Diskurse faschistischer Bewegungen, gemessen an faschistischer Praxis, als bloße Rhetorik entlarvt werden.))). Insofern gilt es hier, die Diskrepanz aufzuzeigen zwischen faschistischer Bewegungsrhetorik und faschistischer institutioneller Politik.

Wenn wir von rechten Interventionen in Gegendiskurse sprechen, ist nicht nur eine diskursive Auseinandersetzung zwischen progressiven und rechten Deutungsmustern gemeint. Der Extremismus-Theorie bieten diese Phänomene eine gewisse scheinbare Plausibilität, sowohl progressive als auch rechte Weltbilder werden von ihr im Sinne eines binären Reduktionismus als verwandt zurückzuweisen. Zwei Probleme stellen sich hier: Neben dem „Eigeninteresse“ der Extremismus-Forschung, eine gesellschaftlich-politische Mitte zu konstruieren, sich selbst in dieser zu verorten, in einer Mitte, die frei sei von Ausgrenzungsdiskursen wie Rassismus, Sexismus, Nationalismus etc., können so rechte Deutungsmuster nicht erfasst und damit nicht zurückgewiesen werden, da lediglich die Ausdrucksform erfasst wird, nicht aber das Aussagen-Geflecht, das „Wissen“, das dieser Ausdrucksform zu Grunde liegt.

Diskursanalytische Ansätze bieten hingegen gute Möglichkeiten, extrem rechte Interventionen in Gegendiskurse zu dekonstruieren, da sie hohen Wert auf die Analyse diskursiver Einbettungen legen, also auf Kontexte, aus denen und in die gesprochen wird. Diskursanalyse kennt Unterschiede (und ist im Stande diese herauszuarbeiten) zwischen Aussage und Äußerung. So ist aus diskurstheoretischer Sicht die linke Parole „Kapitalismus abschaffen“ der rechten wortgleichen Parole nicht identisch ((In erstem Fall sind damit Forderungen nach Selbstbestimmung, Eigenverantwortung, Pluralisierung der Lebensstile, ein Ende von Ausbeutung und Unterdrückung, von Verwertungslogiken und ein Appell an internationale Solidarität impliziert, in zweiten Fall ist volksgemeinschaftliche Formierung, Unterordnung, Homogenisierung, Ausschluss und ggf. Vernichtung von „Unwertem“, etc. angesprochen. Dies sind inhaltliche Differenzen, die größer kaum sein könnten. Wissenschaft, die diese Unterschiede der Wissensordnungen übersieht oder gar leugnet, sollte ihre Methoden reflektieren.)). Die gleiche Äußerung lässt sich zu je zwei differenten Aussagen verdichten. Was die Extremismus-Theorie als identische Äußerung werten muss (weil sie ein lineares, dualistisches Verständnis von Gesellschaft pflegt, Kontexte, aus denen gesprochen wird, nicht entsprechend in Analyse mit einbezieht und stattdessen einen Vergleich von sprachlichen Performanzen vornimmt ohne Wissensordnungen zu berücksichtigen), gilt der Diskursanalyse als vielschichtiger Deutungskampf. So ist sie methodisch in der Lage, auch rechte „Einbrüche“ in hegemoniale Diskurse aufzuspüren und als Diskurse der Ausgrenzung zurückzuweisen.

2. (Sub-)Kulturelle Entwendungen

Geht es um kulturelle „Entwendungen“ von rechts, also um die Übernahme von Codes, Symbolik und Ästhetik politischer GegnerInnen, um die Intervention in (sub)kulturelle Bereiche, ist damit der so genannte „vorpolitische Raum“ angesprochen ((der diesem das Politische nicht absprechen soll.)). Auf dieser Ebene besteht ein Bedarf an der Entwicklung von Gegenstrategien. Viele ursprünglich progressive Gegenkulturen (Punk, Hardcore, Hip-Hop etc.) können auf eine lange Geschichte der Vereinnahmungen zurückblicken ((Stichwort: MTVisierung, kapitalistisch/neoliberale Vereinnahmungen. )). Zeichenspiele (Codierung, Decodierung, Verschiebung, Recodierung usw.), die Zeichen aus ihrem ursprünglichen Bedeutungszusammenhang nehmen und in andere Kontexte einfügen, dürften in diesen Gegenkulturen nicht allzu neu sein. So wurde diese Methode doch in etlichen Szenen selbst angewandt. Ein Beispiel dürften die Riot-Grrrls sein, eine feministische subkulturelle Bewegung, die die Hardcore und Punk Szene mit dem Slogan „I don’t want to play girl to your boy no more“ konfrontierte und durch Überzeichnung und Affirmation sexistischer Codes, durch „subversive Wiederholung des patriarchalen Blicks“ diesen innerhalb der Szenen zu verschieben suchte ((Vgl.: Katja Sabisch: „Spielarten des Postfeminismus: Die ‚riot grrrl’- Bewegung“ (http://ladyshake.de/text1.htm).)). Die Geschichte dieser Bewegung kann Aufschluss geben über die Tücken dieses „semiotische[n] Guerillakrieg[es]“ ((ebd.)). Während ein Teil der Bewegung mit „Ladyfesten“ auch die inhaltliche Bestimmung der eigenen Position transparenter bzw. vermittelbarer machte, wurde ein anderer Teil der „Grrrls“ von MTV&Co vereinnahmt, zu „Girlies“ umcodiert und ihrer subversiven, antipatriarchalen Kraft weitgehend beraubt ((was den Ansatz, die Strategie nicht diskreditieren soll.)). Die Subversion der Riot Grrrls wurde zur kapitalistischen Möglichkeit, wurde produktiv integriert. Dem Herausbrechen von Zeichen aus ihren ursprünglichen Systemen folgte keine nachhaltige subversive Verschiebung dieser Zeichen. Oder allgemeiner formuliert: Werden Codes adaptiert, müssen sie an anderer Stelle mit neuen Inhalten besetzt und diese Inhalte gefestigt werden. In Bezug auf die „Entwendungsstrategien“ der extremen Rechten auf der Ebene von Zeichen, Codes, Symboliken, heißt das, dass diese Strategie langfristig nur aufgehen kann, wenn es der extremen Rechten gelingt, diese Codes inhaltlich neu zu besetzen ((Dies schützt natürlich nicht vor der Tatsache, dass mit einer rechten Intervention in verschiedene Gegenkulturen die extreme Rechte ein breiteres Spektrum von Jugendlichen ansprechen kann und auf dieser Ebene durchaus Erfolge in der Mobilisierungsfähigkeit verbuchen kann. Wie lange diese Menschen aber in der extremen Rechten organisiert bleiben oder ob sie sich dort überhaupt organisieren, darüber sagen diese Mobilisierungserfolge erstmal nichts aus. Gerade bei dem Ausbleiben einer inhaltlichen Neubestimmung von Gegenkulturen wird faschistische Ideologie mit ihren Homogenisierungsparadigmen der Pluralisierung von Lebensstilen, wie sie beispielsweise von den „autonomen Nationalisten“ proklamiert und praktiziert wird, entgegenstehen. Es bleibt abzuwarten, ob eine radikale politische Bewegung eine solche Diskrepanz zwischen Politik und Alltag aushalten kann.

)). Dies mag davon abhängig sein, wie eng die Kopplung von Inhalt und Ausdruck zuvor war. Für Gegenstrategien heißt das freilich, dass auch „subkulturelle Politik“ die eigenen politischen progressiven Inhalte stärker betonen muss, dass Inhalte sich in den Ausdrucksformen wiederfinden lassen müssen. Das schützt sicherlich nicht vor Vereinnahmungen und Umdeutungen (vor denen es letztendlich keinen Schutz gibt), macht diese (zumindest die Re-Codierung) aber deutlich schwieriger. Auf dieser Ebene haben wir es also ebenfalls mit Deutungskämpfen zu tun.

M.E. ist die Existenz antifaschistischer „Gegenkulturen“ von zentraler Bedeutung, wenn es um ein Zurückdrängen extrem rechter Jugendkultur geht. Räume, die politisch nicht besetzt sind, bieten extrem Rechten Handlungsspielräume. Das gilt für Fußballkultur ebenso wie für Popkultur und Underground.

3. Die Übernahme von Aktionsformen

Wenn von einer Übernahme von Aktionsformen durch die extreme Rechte die Rede ist, wird momentan meist auf den „Schwarzen Block“ bei Demonstrationen Bezug genommen. Von der autonomen Bewegung abgekupfert, erfreut sich dieser bei den so genannten „autonomen Nationalisten“ ((Die“autonomen Nationalisten“ haben nichts mit dem Kozept der Autonomie zu tun, wie es von der autonomen Bewegung verstanden wird. Zu diesem Verständnis vgl. die 1994 revidierte Fassung eines Selbstverständnisses, das für ein Autonomie-Treffen im italienischen Padua im Oktober 1981 formuliert wurde und als eine Basis eines autonomen Selbstverständnisses gelten kann, in: O.A.: Der Stand der Bewegung. 18 Gespräche über linksradikale Politik. Berlin: Selbstverlag 1995, S. 274-281.)) großer Beliebtheit, während andere Teile der extremen Rechten unter dem Slogan „Unsere Fahnen sind schwarz, unsere Blöcke nicht“ diese Aktionsform inklusive ihrer Ästhetik strikt ablehnen.

Zudem macht sich ein Trend bemerkbar, dass Demonstrationen politischer GegnerInnen gestört und angegriffen werden, ob diese nun von Gewerkschaften oder antifaschistischen Organisationen ausgerichtet sind. Handlungsspielräume politischer GegnerInnen sollen so eingeschränkt werden. Der von der NPD proklamierte „Kampf um die Straße“ wird von diesen Gruppen umgesetzt ((Kollektive politische Gewalt von rechts gab es auch schon lange vor den „autonomen Nationalisten“.)).

Anders, als in nationalrevolutionären, nationalanarchistischen oder nationalbolschewistischen Gruppierungen, geht es den „autonomen Nationalisten“ nicht darum, so genannte Querfrontstrategien zu entwickeln. So wird der politische Gegner zwar auf ästhetischer und strategischer Ebene adaptiert, gleichzeitig richtet sich die Gewalt der „autonomen Nationalisten“ vor allem gegen politische GegnerInnen. Und anders als bei oben genannten Gruppen werden keine inhaltlichen Positionen politischer GegnerInnen übernommen und nationalistisch reformuliert ((Auch auf anderen Ebenen gibt es Adaptionen von Strategien politischer GegnerInnen. So referiert die konservativ-subversive Aktion (ksa) auf die situationistische „Subversive Aktion“. Dass das IfS nichts mit den Ideen der SituationistInnen zu tun hat, dürfte auf der Hand liegen. Was hier aber die intellektuellen Rechten beabsichtigen ist, mit direkten Aktionen gezielt in hegemoniale Diskurse zu intervenieren . In der Praxis waren das aber nicht mehr als ein paar läppische Störungen von Veranstaltungen, Flugblatt- oder Transparentaktionen. Neu an diesem Phänomen ist lediglich der Name und das Label des „Subversiven“. Das allerdings bleibt inhaltsleer.)).

Dass Neonazis mit Windbreakern statt Braunhemden auf ihre Demonstrationen gehen, ist kein allzu großes Problem. Bedenklicher ist dann schon die Projektionsfläche, die dies für Extremismustheorien darstellt. Es entsteht ein Bild von „Rechts- und Linksautonomen“, deren gemeinsamer Nenner die Randale sei. Hier ist sicherlich zum einen die kritische Forschung gefragt, Extremismustheorien wissenschaftlich zurückzuweisen ((Für eine historische Analyse, die Extremismustheorien widerlegt, empfiehlt sich die Lektüre der Arbeiten von Zeev Sternhell. Die Geschichte der Entstehung des europäischen Faschismus entzieht der Extremismusthese die Grundlage. Sternhell beschreibt die Kontinuität (die niemals Determinismus bedeutet) von Nationaler Revolution um die Jahrhundertwende, die Revolte gegen die Aufklärung zum europäischen Faschismus und Nazismus und widerspricht so der These, einer Geschwisterschaft von Faschismus und Kommunismus. „Die Theorie, dass Faschismus und Kommunismus Zwillingsbrüder seien, Komplizen und zugleich Feinde, dass der Nazismus eine Nachahmung des Stalinismus gewesen sei, eine verständliche und gar natürliche Antwort auf die bolschewistische Gefahr, sowie ein einfaches Produkt des Ersten Weltkrieges, stellt nicht nur eine Banalisierung des Faschismus und Nazismus dar, sondern vor allem eine völlige Verwischung der tatsächlichen Natur der europäischen Katastrophe dieses Jahrhunderts“ (Sternhell, Zeev 2001: Von der Aufklärung zum Faschismus und Nazismus. Reflexionen über das Schicksal der Ideen im 20. Jahrhundert, in Jäger, Siegfried/ Paul, Jobst (Hg.) 2001: „Diese Rechte ist immer noch Bestandteil unserer Welt“. Aspekte einer neuen Konservativen Revolution. Duisburg, S. 15-48, hier: S. 43). Sicherlich hatten Kommunismus und Faschismus gemeinsame Feinde, „aber die Bewegungen waren Gegner im Kampf auf Leben oder Tod, denn sie vertraten eine völlig unterschiedliche Konzeption des Menschen und der Gesellschaft“ (ebd.). Der große Unterschied, so Sternhell lag in den Zielen: „Der Faschismus gehörte der historischen Traditionslinie an, war das dramatischste und extremste Beispiel der Anwendung partikularistischer Prinzipien […]. Der Kommunismus […] strebte danach, die Gesellschaft zu verändern, indem er ihre ökonomische Struktur umgestaltete“ (ebd. S. 44f).)). Gesamtgesellschaftliche Probleme wie Rassismus, Antisemitismus, Homophobie, Nationalismus und andere Ausgrenzungsdiskurse können von dieser nicht erfasst und somit nicht zurückgedrängt werden. Diese Diskurse der Ausgrenzung spielen sich in der Mehrheitsgesellschaft ab und bieten der extremen Rechten ein Einlasstor zur Radikalisierung von Herrschaftsdiskursen. Zum anderen ist die politisch Linke gefragt, ihre Inhalte zu schärfen, transparenter zu gestalten und in den Formen politischer Auseinandersetzung wiedererkennen zu lassen. In diesem Sinne können Strategien der Adaption von rechts auch eine Chance der politischen Kultur darstellen. Denn sie erfordern eine tatsächliche breite gesellschaftliche Auseinandersetzung mit extrem rechter Ideologie, mit faschistischen Identitätsbildungen und Subjektivierungsformen. Wenn Neonazis nicht mehr an ihrem Äußeren zu erkennen sind (was sie so schlicht noch nie waren), so bedarf es einer inhaltlichen Auseinandersetzung.

Fazit

Allen Ebenen, auf denen diese Adaptionen stattfinden, ist gemein, dass es sich um Deutungskämpfe handelt. Geht es um eine Abwehr faschistischer Ideologisierung und um ein Zurückdrängen gesamtgesellschaftlicher Unterdrückungsdiskurse, müssen Gegenstrategien auf verschiedenen Ebenen ansetzen.

Für die politische Linke heißt das zum einen, die eigenen Inhalte zu schärfen, Themenfelder wie die soziale Frage nicht aufzugeben, diskursive Anschlussstellen für extrem Rechte zu vermeiden, politische Inhalte in politischen Aktionsformen transparent werden zu lassen und gesellschaftliche Räume politisch wie kulturell zu besetzen und damit Referenzpunkte zu schaffen. Zudem muss eine stärkere Kopplung von Ästhetiken, Symboliken, von Kultur an politische Inhalte stattfinden. Und schließlich müssen extrem rechte Ideologien als Ganze zurückgewiesen werden. Das heißt nicht zuletzt, Unterdrückungs- und Ausgrenzungsdiskurse nicht gegeneinander auszuspielen oder ausspielen zu lassen ((Ein aktuelles Negativbeispiel ist hier ein Artikel von Alice Schwarzer in der rechten schweizerischen Zeitung „Die Weltwoche“. Hier wird explizit Feminismus gegen Antirassismus ausgespielt. Islamismus gilt Schwarzer hier als der „Faschismus des 21. Jahrhunderts […] im Weltmassstab“. So werden in rechten Publikationsorganen rassistische und bellizistische Diskurse mit feministischen Argumentationsfiguren legitimiert (vgl. Alice Schwarzer: Wir müssen handeln. Die gezielte Unterwanderung muslimischer Gemeinschaften durch Islamisten muss gestoppt werden. In: Die Weltwoche, 14.10.2009, Ausgabe 42/09).)). Eine Zurückweisung von Rassismus wird es nicht ohne die Bekämpfung des Antisemitismus geben, Militarismus wird nicht ohne eine Dekonstruktion patriarchaler Diskurse abgeschafft usw. Allzu oft werden emanzipative Diskurse von der extremen Rechten aufgegriffen, um Unterdrückungsdiskurse zu legitimieren. Wenn die diskursiven Kopplungen von exkludierenden Aussagen nicht ernst genommen werden, bietet das der extremen Rechten die Möglichkeit, sich selbst als VerteidigerInnen von Freiheitsrechten zu präsentieren.

Voraussetzung für eine stärkere inhaltliche Schärfung und das Vermeiden von Anschlussstellen ist zum anderen die Kenntnis und Auseinandersetzung mit Grundlagen faschistischer Ideologie, Subjektivierung und faschistischer Identitätsbildung und nicht zuletzt die Analyse der Zusammenhänge von Nationalismus, Etatismus, Autoritarismus, patriarchalen Weltbildern und neofaschistischer Ideologisierung.

An diesem Punkt ist auch die Forschung gefragt. Einer kritischen Wissenschaft kann es nicht nur darum gehen, faschistische Strukturen und Diskurse zu analysieren, also Strukturprinzipien faschistischer Ideologisierung herauszuarbeiten, sondern auch darum, diese Strukturprinzipien sowie Diskurse der Ausgrenzung in der „Mitte der Gesellschaft“ aufzuspüren und zu benennen, diskursive Schnittstellen zur extremen Rechten herauszuarbeiten und Wechselwirkungen zu benennen. Jede Extremismustheorie, die auf der Ebene sprachlicher Performanzen verharrt, die Genese und Kontext negiert, muss politisch und wissenschaftlich zurückgewiesen werden.

Anmerkungen:

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