Pro NRW und Die Reise nach Absurdistan

Autor: Michael Lausberg

Die Merkez-Moschee in Duisburg der „Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion“ (DITIB) ist eine islamische Gebetsstätte im Stadtteil Duisburg-Marxloh. Im Jahre 2004 wurde beschlossen, die provisorische Moschee in einer früheren Zechenkantine durch einen Moscheeneubau zu ersetzen. In einem eigens dafür gebildeten Beirat saßen VertreterInnen der christlichen Kirchen, der Parteien und aller relevanten gesellschaftlichen Gruppen Marxlohs. Die Moschee, die am 26.10.2008 eröffnet wurde, ist eine der größten in der Bundesrepublik. An der offiziellen Einweihung nahmen der katholische Bischof von Essen, Felix Genn, der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Nikolaus Schneider, Ministerpräsident Jürgen Rüttgers und der Präsident des Amtes für religiöse Angelegenheiten der Türkei, Ali Bardakoglu, teil. ((Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 25. Oktober 2008))

In das Gebäude ist eine Begegnungsstätte mit einer Islam-Bibliothek/Islam-Archiv, einem Bistro und mehreren Seminarräumen integriert. Die Moschee mit einer interreligiösen und interkulturellen Begegnungsstätte steht unter dem Motto „Dialog unter der Kuppel“, das ein Miteinander der Kulturen und Religionen ermöglichen soll. ((www.ditip-du.de/index.php?option=com_content&view=frontpage&Itemid=61))

Kurz nach der Eröffnung der Merkez-Moschee hetzte Pro NRW gegen den Neubau, der „als Symbol der schleichenden Islamisierung“ bezeichnet wurde. ((Lausberg, M.: Die Pro-Bewegung. Geschichte, Inhalte, Strategien der „Bürgerbewegung Pro Köln“ und der „Bürgerbewegung Pro NRW“, Münster 2010, S. 68)) Verschwiegen wurde von Pro NRW jedoch, das Pro NRW-Mitglied Günther Kissel die Rohbauarbeiten der Moschee durchführte. ((Kölner Stadt-Anzeiger vom 27.11.2007)) Der Solinger Bauunternehmer Kissel, der sich für den Holocaust-Leugner Thies Christophersen einsetzte und laut einem Gerichtsbeschluss aus dem Jahre 1997 als „rechtsextremistischer Drahtzieher“ bezeichnet werden dufte, wurde im November 2007 Mitglied von Pro NRW. ((Ebd.))

Für das Wochenende vom 26. bis 28. März 2010 kündigte Pro NRW eine „öffentlichkeitswirksame Kampagne gegen Minarette, Parallelgesellschaften und den radikalen Islam“ an, die die Voraussetzungen für einen Einzug in den Landtag Nordrhein-Westfalens schaffen sollten. ((www.pro-koeln-online.de/artikel2010/080110/termine.htm))  Am Freitag sollten zunächst „diverse (…) öffentlichkeitswirksame islamkritische Veranstaltungen im Herzen des Ruhrgebietes“ stattfinden. ((Ebd.)) Dies wurde einige Tage vor dem Palmsonntagswochenende wieder relativiert. Nun sollten „Mahnwachen“ vor Moscheen „in sechs Ruhrgebietsstädten“ durchgeführt werden. ((www.neues-deutschland.de/artikel/168087.rechter-flop-in-grossem-stil.html)) An diesen antiislamitischen „Mahnwachen“ beteiligten sich jedoch nur jeweils 30-50 Anhänger von Pro NRW, die in Kleinbussen von Kundgebung zu Kundgebung transportiert wurden und dort auf den zahlreichen Protest von antifaschistischen GegendemonstantInnen trafen. ((www.jungewelt.de/2010/03-29/066.php))

Am Samstag sollte eine „internationalen Konferenz für ein Minarettverbot“ im Gelsenkirchener Schloss Horst, die im Rahmen eines „Parteitages“ von Pro NRW durchgeführt wurde. Angekündigt wurden „hochkarätige Politiker aus der Schweiz, Schweden, Österreich, Flandern, Großbritannien, Frankreich, den Niederlanden, Tschechien, Ungarn, Dänemark, Norwegen sowie den Vereinigten Staaten“. ((unrastwildcat.blogspot.de/2010/01/21/probewegung-plant-anti-islam-kongress-in-gelsenkirchen/))

Die Realität sah allerdings anders aus: Lediglich VertreterInnen der FPÖ, des Vlaams Belang, der spanischen Regionalpartei Plataforma per Catalunya, der französischen Splitterparteien MNR-FR und NDP-FR sowie der Schwedendemokraten nahmen an der Veranstaltung teil. Zu den Rednern zählten neben den Spitzenfunktionären von Pro NRW und Pro Köln Filip Dewinter, der Fraktionschef des Vlaams Belang im flämischen Regionalparlament, Annick Martin, Generalsekretärin des MNR, der FPÖ-Nationalratsabgeordnete Werner Neubauer sowie Kent Ekeroth von den Schwedendemokraten. ((www.bnr.de/content/ae-sternmarsch-ae-vom-parkplatz))

Insgesamt nahmen laut Augenzeugen (Polizei, anwesende Journalisten) rund 180 Personen an dem „Parteitag“ von Pro NRW teil. ((http://nrwrex.wordpress.com/2010/03/28/du-jeweils-knapp-200-teilnehmer-bei-demonstrationen-von-%e2%80%9epro-nrw%e2%80%9c-und-npd/; www.bnr.de/content/ae-sternmarsch-ae-vom-parkplatz sowie www.derwesten.de/staedte/gelsenkirchen/Hunderte-Gegendemonstranten-bei-Pro-NRW-Parteitag-id2793516-html)) Die Behauptung von Pro NRW, dass „über 300 Delegierte und Gäste“ ((www.pro-nrw.net/?p=323)) anwesend gewesen seien, entspricht also nicht den Tatsachen.

Pro NRW wertete diesen „Parteitag“ als Erfolg. Dies wurde damit begründet, dass „einstimmig die Einleitung einer Volksinitiative für ein Minarettverbot laut NRW-Verfassung beschlossen wurde“ und sich weiterhin die „Spitzen der Pro-Bewegung und die Vertreter des Vlaams Belang, der FPÖ sowie zahlreicher weiterer rechtsdemokratischer Parteien aus ganz Europa für ein EU-Bürgerbegehren zum gleichen Thema“ aussprachen. ((Ebd.)) Außerdem wurde auch eine Resolution „für eine christlich-abendländische Leitkultur in Europa” beschlossen, die als antimuslimische rassistische Stimmungsmache zu werten ist. ((www.pro-nrw.net/?p=332))

Da sich jedoch vollmundige Ankündigungen von Pro NRW im Nachhinein häufig als hohle Phrase entpuppten, sind diese Beschlüsse mit äußerster Vorsicht zu werten. Außerdem stellt sich die Frage nach der praktischen Durchsetzbarkeit dieser Dekrete.

Rund 350 DemonstrantInnen protestierten am Samstag friedlich gegen den „Parteitag“ von Pro NRW auf Schloss Horst. ((www.derwesten.de/staedte/gelsenkirchen/Hunderte-Gegendemonstranten-bei-Pro-NRW-Parteitag-id2793516-html)) Bevor der „Parteitag“ begann, zogen etwa 250 AntifaschistInnen durch den Gelsenkirchener Stadtteil Horst. Die Kundgebung löste sich ca. 14.30h am Schloss auf, bevor die TeilnehmerInnen des „Parteitages“ geschützt von der Polizei durch einen Nebeneingang das Gebäude betraten.

Am Sonntag war unter dem Motto „Abendland in Christenhand“ der „Sternmarsch“ zur Moschee in Duisburg-Marxloh geplant. In einer Vorankündigung hieß es, dass der „Sternmarsch inklusive mehrerer Auftaktkundgebungen und einer großen gemeinsamen Abschlusskundgebung“ direkt vor der Merkez-Moschee zwischen 11.00 Uhr bis 19.00 Uhr durchgeführt werden sollte. ((www.pro-koeln-online.de/artikel2010/080110_termine.htm)) Laut Pro NRW würden dann „bis zu 2000 Teilnehmer aus ganz Europa“ von verschiedenen Ausgangspunkten „zur gemeinsamen Abschlusskundgebung unmittelbar vor der Moschee“ marschieren. ((Ebd.))

Diese vollmundigen Ankündigungen wurden am Tag des „Sternmarsches“ schnell durch die Wirklichkeit widerlegt. Schon seit dem frühen Morgen gab es eine Sitzblockade von etwa 80 GegendemonstrantInnen, die die Zufahrt der Kundgebung von Pro NRW abriegelten. Nach vergeblichen Aufforderungen der Polizei, den Weg frei zu machen, wurden die DemonstrantInnen weggetragen. Die Anreise der AnhängerInnen von Pro NRW konnte so hinausgezögert werden. Der Startpunkt des Demonstrationszugs von Pro NRW musste ebenfalls verlegt werden und die Route wurde so um fast die Hälfte gekürzt.

Der angekündigte „Sternmarsch“ wurde somit zu einer Veranstaltung auf einem Parkplatz einer Sportanlage. Von dort aus zogen die AnhängerInnen von Pro NRW begleitet von einem Großaufgebot der Polizei 700 Meter in Richtung der Merkez-Moschee. ((www.bnr.de/content/ae-sternmarsch-ae-vom-parkplatz)) Die die Zufahrtswege zur Moschee versperrenden antifaschistischen DemonstantInnen sorgten dafür, dass sich die Kundgebung von Pro NRW nicht mehr als ca. 1000 Meter der Moschee nähern konnten. Die Kundgebung selbst dauerte etwa anderthalb Stunden. Neben Pro NRW-MitgliederInnen und SympathisantInnen bildete der belgische Vlaams Belang mit etwa 40 bis 50 Personen den größten Block. ((www.blauenarzisse.de/v3/index.php/aktuelles/1484-viel-versprochen-wenig-gehalten-der-sternmarsch-von-pro-nrw)) Insgesamt neun Redner sprachen auf der Kundgebung, unter ihnen Filip Dewinter vom Vlaams Belang, Robert Spieler (NDP) und Markus Beisicht, in denen ihre antimuslimische und rassistische Weltsicht zum Ausdruck kam.

Die im Vorfeld angekündigten 2000 TeilnehmerInnen blieben ein Wunschtraum. Pro NRW sprach nun von „über 400 Anhängern von pro NRW und befreundeten ausländischen Parteien wie der FPÖ und dem Vlaams Belang“. ((www.pro-nrw.net/?p=325)) Auch diese Zahl ist völlig übertrieben und steht im Gegensatz zu verschiedenen Augenzeugenberichten und Pressemeldungen. Dort wird die Anzahl der teilnehmenden Personen auf 180-200 geschätzt. ((nrwrex.wordpress.com/2010/03/28/du-jeweils-knapp-200-teilnehmer-bei-demonstrationen-von-%e2%80%9epro-nrw%e2%80%9c-und-npd/; www.bnr.de/content/ae-sternmarsch-ae-vom-parkplatz sowie www.neues-deutschland.de/artikel/168087.rechter-flop-in-grossem-stil.html))

Die mit der Pro-Bewegung sympathisierende rechte Schüler- und Jugendzeitung „Blaue Narzisse“, die mit einem Berichterstatter vor Ort vertreten war, geht sogar nur von 150 Personen aus. ((www.blauenarzisse.de/v3/index.php/aktuelles/1484-viel-versprochen-wenig-gehalten-der-sternmarsch-von-pro-nrw)) Ein „Augenzeugenbericht aus Duisburg-Marxloh“, der im islamfeindlichen Weblog „Politically Incorrect“ abgedruckt wurde, sprach ebenfalls nur von 150 DemonstrantInnen. ((www.pi-news.net/2010/03/demo-augenzeugenbericht-aus-duisburg-marxloh/))

An den Protesten gegen die Aufmärsche von Pro NRW und der neonazistischen NPD sollen laut der Tageszeitung „Junge Welt“ mehr als 10.000 Menschen teilgenommen haben. ((www.jungewelt.de/2010/03-29/066.php)) Der Kölner Stadtanzeiger sprach von ca. 5.000 TeilnehmerInnen. Neben verschiedenen Bürgerinitiativen, dem antifaschistischen Bündnis „Duisburg stellt sich quer!“ Gewerkschaften, Kirchen und Linkspartei, beteiligten sich auch der SPD-Bundesvorsitzende Sigmar Gabriel, die nordrhein-westfälische SPD-Spitzenkandidatin Hannelore Kraft sowie der Duisburger CDU-Oberbürgermeister Adolf Sauerland an den Protesten.

Die Proteste wurden vom unverhältnismäßigen gewaltsamen Vorgehen der Polizei begleitet. Friedliche Sitzblockaden wurden durch den Einsatz von Pfefferspray- und Schlagstockeinsätzen geräumt. Bei einer „Mahnwache“ von Pro NRW in Bochum wurden zwei antifaschistische Gegendemonstranten bei Übergriffen der Polizei verletzt. ((www.jungewelt.de/2010/03-29/066.php)) Eine Person, die von der Polizei festgenommen wurde, soll im Präsidium von mehreren Polizeibeamten bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt worden sein. ((www.neues-deutschland.de/artikel/168087.rechter-flop-in-grossem-stil.html))

Trotz der offensichtlichen Blamage des „Sternmarsches“ feierte Pro NRW diesen als „Meilenstein in unsere noch jungen Parteigeschichte“ und als „ersten Höhepunkt in unserer Landtagswahlkampagne“. ((www.pro-nrw.net/?p=325)) Als „Erfolg“ wertete Pro NRW somit die Durchführung der Veranstaltung für die Dauer von eineinhalb Stunden auf einem Parkplatz weit entfernt von der Moschee. Der Vorsitzende Markus Beisicht erklärte: ((Ebd.)) „ (…) gelang es der islamkritischen Bürgerbewegung, das Recht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit auch heute in Duisburg-Marxloh durchzusetzen. (…) Der heutige Tag war ein Sieg der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit über die Feinde der Freiheit, seien es Islamisten oder linke und rechte Sozialisten. Die Polizei hat ihren gesetzlichen Auftrag erfüllt und unsere friedliche islamkritische Kundgebung und Demonstration im Herzen von Duisburg-Marxloh ermöglicht. Für ihren schwierigen Einsatz gilt den eingesetzten Polizeibeamten unser ausdrücklicher Dank.“ Markus Wiener, Generalsekretär von pro NRW, deutete die Kundgebung als einen „Sieg für pro NRW und die Meinungsfreiheit.“ ((Ebd.))

Bei der öffentlichen Berichterstattung über die Aktivitäten von Pro NRW schlüpfte die „Bürgerbewegung“ wie bei ähnlichen Veranstaltungen in den vergangenen Jahren wieder in die selbstinszenierte Opferrolle. Die angeblich ‘linken’ Medien in der Bundesrepublik würden wie in einer Verschwörung mit allen Mitteln verhindern wollen, dass Pro NRW bei den bevorstehenden Wahlen in den Landtag von Nordrhein-Westfalen einzieht. Diese Selbstinszenierung soll bei (potentiellen) WählerInnen Solidarisierungseffekte auslösen. Pro NRW jammerte auf ihrer Website: ((www.pro-nrw.net/?p=332)) „Das ganze vergangene Wochenende fielen leider immer wieder linksgestrickte Medienvertreter völlig aus ihrer grundgesetzlich definierten Beobachterrolle und erwiesen sich als parteiisch, unfair und agitatorisch im ‚Kampf gegen pro NRW’. Im Kampf gegen den neuen rechtsdemokratischen Mitbewerber pro NRW scheint kein Mittel zu schmutzig, kein Trick zu skrupellos und keine Lüge zu platt, um sie nicht einzusetzen. Der Landtagseinzug der islamkritischen Pro-Bewegung soll unter allen Umständen verhindert werden, die möglichen pro-NRW-Wähler sollen durch eine mediale Schmutzkübel-Kampagne verunsichert und von einer Stimmabgabe für pro NRW abgehalten werden.“

Selbst die mit der Pro-Bewegung sympathisierende „Blaue Narzisse“ scheint die euphorische Selbsteinschätzung von Pro NRW nicht zu teilen. Unter der Überschrift „Viel versprochen, wenig gehalten: der Sternmarsch von pro NRW“ bemerkte das rechte Blatt: ((www.blauenarzisse.de/v3/index.php/aktuelles/1484-viel-versprochen-wenig-gehalten-der-sternmarsch-von-pro-nrw)) „Denn Pro NRW hat die eigenen Ziele weit verfehlt. Es ist nicht das erste Mal, dass pro NRW den Mund zu voll nimmt, wenn es um Teilnehmerzahlen geht. So nahmen zum Beispiel beim zweiten Antiislamisierungskongress von pro Köln 2009 rund 500 ((In Wirklichkeit waren es 2009 weniger als 200 Teilnehmer – d.Verf.)) statt der erwarteten 2000 Leute teil. Und auch bei den Mahnwachen am vergangenen Freitag scheint man der Mathematik nicht mächtig gewesen zu sein. (…) Es ist also fragwürdig, wenn pro NRW jetzt bereits von einem Sieg spricht. Die Teilnehmerzahl war sehr gering. Immerhin wurde dieses Mal eine rechtmäßig angekündigte und genehmigte Demonstration nicht kurzfristig abgesagt. Wenigstens das war ein reeller Erfolg für pro NRW.“

(Eine leicht abweichende Fassung dieses Artikels erschien in den "Antifaschistischen Nachrichten".)

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