Fatale Effekte des V-Leute-Unwesens

Die Studie des DISS zu den V-Leuten in der NPD aus dem Jahr 2002 kam zu dem Schluß, es sei an der Zeit das V-Mann-Unwesen endlich vollständig zu beenden und die Geheimdienste der Bundesrepublik einer wirksamen demokratischen Kontrolle zu unterziehen. Sie warnte aber auch vor Verschwörungsmythen, die die Organisationen und die Gewalttäter der extremen Rechten zu bloßen Marionetten geheimdienstlicher Machenschaften umdeuten.

Wir präsentieren hier noch einmal Auszüge aus dem Fazit der damaligen Studie und plädieren dafür, auch im aktuellen Fall in Bezug auf Verschwörungsmythen einen kritischen, kühlen Kopf zu bewahren. Die vollständige Studie können Sie hier als PDF-Datei abrufen: V-Leute bei der NPD. Geführte Füh­rende oder Füh­rende Geführte?

 

Fatale Effekte

Das Thema V–Leute in Organisationen der extremen Rechten ist alles andere als neu. Wie wir bereits schilderten, erinnerten sich Frenz und Kameraden von der DRP anlässlich ihrer Kontaktaufnahme mit dem Verfassungsschutz daran, dass sich die NSDAP in den dreißiger Jahren V–Männern bediente, um die Parteikasse zu füllen. Diese Traditionslinie ließe sich noch weiter zurückverlängern. Auch Adolf Hitler begann seine politische Karriere als bezahlter V–Mann. Hitler besuchte im September 1919 mit Bespitzelungsauftrag eine Versammlung der Deutschen Arbeiterpartei (DAP), der Vorläuferorganisation der NSDAP, und er trat bald darauf mit Auftrag in die DAP ein. Die Geschichte der NSDAP begann also mit einem V–Mann. Übrigens hatte dieser V–Mann-Einsatz noch eine Schlusspointe, denn Hauptmann Karl Mayr, der damals ein Parteigänger der extremen konterrevolutionären Rechten war und Hitler ‚führte‘, wandelte sich später zum Kritiker Hitlers, trat dem sozialdemokratischen Reichsbanner bei, floh 1933 nach Frankreich, wurde später von den Nazis gefangen und starb 1945 im Konzentrationslager Buchenwald. So wurde er also von den langen Armen seines früheren politischen Ziehkindes eingeholt.

Die historisch belegte V–Mann-Verpflichtung Hitlers ist ein alarmierendes geschichtliches Beispiel für die V–Leute-Problematik insgesamt.

Es wäre aber schon sehr aberwitzig, daraus verschwörungsmythisch in einer platten historischen Analogie zu folgern, die damalige NSDAP und die heutige NPD seien willenlose Marionetten an den Fäden von allmächtigen Geheimdiensten gewesen. Erstens lassen sich Entstehung, Aufstieg und die spätere Politik von Krieg und Vernichtung der Nazis nicht auf einen geheimdienstlichen Auftrag reduzieren. Zweitens ist eine derart zurechtgestutzte historische Analogie nicht als Interpretationsfolie für die hier untersuchten Aktivitäten der V–Leute Frenz und Holtmann geeignet. Sie anzulegen reproduzierte nur die Selbstermächtigungs- und Größenfantasien von Frenz und Kameraden.

Den komplexen Prozessen von Kooperation und Konkurrenz innerhalb einer Partei wie der NPD, ihrer Entwicklung innerhalb der Parteienkonkurrenz mit REPs und DVU und der außerparlamentarischen Rechten und ihrem Durchsetzungsvermögen im Rahmen einer hochkomplexen Gesellschaft und eines pluralen politischen Systems wie denen der Bundesrepublik Deutschland wird ein derartiges Verständnis der Aktivitäten von V–Leuten in der NPD nicht gerecht. Es reduzierte völlig unzulässig die Komplexität sozialer und politischer Prozesse, während es gleichzeitig die Aktivitäten von V–Leuten ins schier Unmögliche aufbauschte.

Vor derartigen Interpretationen, die wir hier – zugegeben in ironischer Überspitzung, doch in Kenntnis dessen, was auf dem besinnungslosen „Sinn“-Markt so feil geboten wird – präventiv simulieren, sei ausdrücklich gewarnt.

Allerdings gehört die Produktion und Reproduktion verschwörungsmythischer Vorstellungen von Macht und Politik, die die gesellschaftlichen Akteure auf bloße Marionetten von hinter den Kulissen agierenden geheimen Mächten reduzieren, bereits zu den fatalen Effekten, die die V–Leute-Praxis zeitigt. Ihre einer Demokratie abträglichen Konsequenzen sollten nicht unterschätzt werden; zwar führen sie nicht automatisch zur Herausbildung eines geschlossenen Wahnsystems, das überall Verschwörer am Werk sieht (und insofern ab einem gewissen Grad von Verselbständigung kaum mehr eines Haltes an der Realität bedarf), doch auch unterhalb solch gewissermaßen psychopathogener Wirkungen untergraben sie das Vertrauen in die verlässliche Funktionsweise des demokratischen Systems.

Leichter erkennbar als dieser grundsätzliche, der Demokratie abträgliche Effekt, den die V–Leute-Praxis der Verfassungsschutzämter bewirkt, sind diejenigen Effekte, die in bestimmten apologetischen Argumentationen der extremen Rechten ihren Ausdruck finden. Die V–Leute-Praxis leistet Apologien der extremen Rechten Vorschub, indem sie ihnen partielle Plausibilität verleiht. […]

Man mag versucht sein, diese Halluzination von Deutschland als Opfer finsterer geheimer Mächte im In- und Ausland zu belächeln. Dennoch ist festzustellen, dass derartiger Verschwörungswahn um sich greift und sich dabei auf gewisse Momente von Plausibilität stützen kann, die die V–Leute-Praxis der Geheimdienste liefert. Zudem zeigt die systematische Durchsicht der völkisch-nationalistischen Publizistik auch, dass solche Vorstellungen auch von Personen geteilt werden, denen man dies vermutlich nicht zugetraut hätte – was die extreme Rechte wiederum für sich auszuschlachten vermag. […]

Wolfgang Frenz und Udo Holtmann waren beide mehrere Jahrzehnte als V–Männer und hochrangige NPD-Funktionäre aktiv. Der Parteiführung war ihre Tätigkeit als V–Leute bekannt; insofern kann vor ihrer Loyalität gegenüber der Partei ausgegangen werden, auch wenn die NPD die beiden nun ausgeschlossen hat. Der Wert ihrer Spitzeltätigkeit muss daher gering veranschlagt werden; es kann unterstellt werden, dass sie nur weiterleiteten, was mit dem Interesse der Partei vereinbar und über ihre öffentlichen Aktivitäten auch in anderer Weise ans Licht kam. Frenz betont zudem, dass er seine Honorare über lange Zeit in die Parteikasse fließen ließ, angesichts der häufigen finanziellen Probleme der Partei keine unbedeutende Kleinigkeit.

Frenz und Holtmann waren vor ihrer Verpflichtung überzeugte Rechtsextremisten, Frenz bereits einige Jahre als Funktionär der DRP, der erst später verpflichtete Holtmann bereits mehrere Jahrzehnte in DRP, DFP und NPD. Frenz gab seiner geschlossenen rechtsextremistischen Weltanschauung auch in den Jahren nach seiner „Abschaltung“ Ausdruck. Insofern kann man es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschließen, dass die beiden durch die Behörden zu den hier dargestellten Aktivitäten angestiftet worden sind. Das Problem liegt also nicht darin, dass zu vermuten wäre, sie hätten ‚im Auftrag‘ rechtsextremistische Propaganda produziert. Das Problem liegt darin, was die beiden Verfassungsschutzämter ihren V–Leuten Frenz und Holtmann durchgehen ließen. Frenz und Holtmann konnten über viele Jahre harte rassistische und antisemitische Propaganda betreiben, die bisweilen die Grenze zum Justiziablen überschritt. Wenn Frenz betont, es sei in seiner „mehr als 20jährigen Redakteurstätigkeit für die Deutsche Stimme und der [sic] Deutschen Zukunft […] nur einmal zu einer Verurteilung zu einer Geldstrafe“ gekommen, und zwar im November 1999, also nach seiner Abschaltung, so lässt das nach Kenntnisnahme seines Schaffens den Verdacht aufkommen, er habe lange Zeit einen überaus irdischen ‚Schutzengel‘ gehabt.

Das Argument von der „Fürsorgepflicht des Staates für die V–Leute“, das im Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten der Antragsteller vom 8. Februar 2002 angeführt wird, um ihre Zurückhaltung bei der Auskunft über das Treiben der in den Verbotsanträgen zu legitimieren, läuft offenkundig auf eine implizite Fürsorge der Verfassungsschutzämter für sich selbst hinaus. Sehr schön interpretationsoffen heißt es ja im Schreiben Dr. Möllers vom Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen an Frenz vom 3. Januar 2002: „Das Innenministerium ist nicht daran interessiert, Ihre Tätigkeit für die nordrhein-westfälische Verfassungsschutzbehörde zu veröffentlichen“.

Demgegenüber möchten wir betonen, dass es höchste Zeit ist, die V–Leute-Praxis in der NPD (und darüber hinaus) offenzulegen. Es geht nicht an, dass auch nach dem Auffliegen von V–Leuten, die in einem Fall als Auskunftsperson nach Karlsruhe geladen bzw. mit ihren Aktivitäten in den Verbotsanträgen gewürdigt wurden, die Aufklärung nach wie vor nur stückweise betrieben wird. Angesichts der Detailfehler und Lücken, die sich auch noch im Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten der Antragsteller vom 8. Februar 2002 finden, müssen wir fragen, ob diese Lücken reiner Zufall sind oder ob die beteiligten Ämter den Antragstellern Informationen vorenthalten, um gegenüber dem Bundesverfassungsgericht und der Öffentlichkeit etwas zu vertuschen. Die „Fürsorgepflicht des Staates für seine V–Leute“ kann diese Lücken nicht legitimieren, denn all diese Lücken konnten wir ja durch das Studium öffentlich zugänglicher Quellen, nämlich Publikationen der NPD und ihrer Sympathisanten, in relativ kurzer Zeit und mit relativ geringem Aufwand aufzeigen. Es überzeugt nicht, das, was – wenn auch zumeist nur in spezialisierten Archiven gesammelten – Publikationen nachlesbar ist und zumeist von den Betroffenen selbst veröffentlicht wurde, nun als vertrauliche Angelegenheit zu deklarieren.

In unserer Darlegung bleiben allerdings einige Lücken und offene Fragen. Sie betreffen indes weniger das Treiben der NPD-Funktionäre Frenz und Holtmann in der NPD als die sie begleitende und betreuende behördliche Praxis. Es mag sein, dass sich unsere schlimmsten Befürchtungen, so der oben angesprochene Verdacht, dass etwas vertuscht werden sollte bzw. soll, dabei nicht bewahrheiten würden. Doch so lange dies ungewiss bleibt, fällt ein Schatten auf die V–Leute-Praxis der Verfassungsschutzämter. In jedem Fall führte die V-Mann-Praxis dazu, die NPD zu stärken statt sie zu schwächen, und sie erbrachte geheimdienstliche Erkenntnisse, die gefiltert und daher von zweifelhaftem Wert gewesen sein dürften. Und all dies bleibt eine Belastung für das Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, auch wenn die V-Mann-Affäre nicht als Argument gegen das längst überfällige Verbot taugt.

Es ist wenig tröstlich, dass die Verfassungsschutzämter künftig vermutlich einige Schwierigkeiten haben dürften, neue V–Leute zu verpflichten, nachdem diese im Zuge des V–Leute-Skandals anschaulich lernen konnten, dass sie sehr wohl auffliegen können.

Die V–Leute-Praxis der Verfassungsschutzämter bedarf einer grundsätzlichen Überprüfung, bei der der Gedanke, auf V–Leute gänzlich zu verzichten, nicht unter ein offenes oder auch unausgesprochenes Denkverbot fallen dürfte. Vielmehr stellt sich dringend die Frage, ob es nicht an der Zeit ist, das V-Mann-Unwesen endlich vollständig zu beenden. Die Affäre ist ein erschreckender Beleg dafür, dass sich die Geheimdienste der Bundesrepublik Deutschland einer wirksamen demokratischen Kontrolle erfolgreich entziehen.

Schreibe einen Kommentar