DJ20: Fatale Antworten auf Herrn S.

Ökonomie und Minderheiten-bashing zum 20. Jahrestag der Einheit

Autor: Jobst Paul

In seiner Ansprache zum 3. Oktober 2010 ließ Bundespräsident Wulff den rassistisch-biologistischen Tenor der Sarrazin-Debatte unkommentiert und übernahm stattdessen deren ‚ordnungspolitischen’ Reduktionismus. So, als habe die Einwanderung in die BRD gerade erst begonnen und als seien nicht bereits ganze Generationen von Einwanderern deutsche Staatsbürger, forderte Wulff die Beachtung von deutschem „Recht und Gesetz“, von „unsrere(n) gemeinsamen Regeln“ und das Akzeptieren von „unsere(r) Art zu leben“. In einem polemischen Schwenk gegen „multikulturelle Illusionen“ setzte er hinzu, diese hätten bei Einwanderern stets zum „Verharren in Staatshilfe, Kriminalitätsraten, Machogehabe, Bildungs- und Leistungsverweigerung“ geführt.

Bereits tags zuvor hatte der ehemalige rotgrüne Präsidentschaftskandidat Joachim Gauck im Berliner Abgeordnetenhaus – aus ‚christlicher Fürsorge’, wie er andeutete – die Gruppe der ‚integrationsunwilligen Ausländer’ mit Forderungen und Drohungen bedacht. Überrascht meldete daher die Neue Zürcher Zeitung aus Berlin „eine ganz neue Tonlage“ (4. Oktober 2010, Titel) und die Wiederaufnahme der deutschen ‚Leitkultur’-Rhetorik, nun als Haltung aller politischer Lager: Wulff und Gauck hätten „an diesem historischen Tag“ eine Tonlage aufgenommen, „die ziemlich genau zwei Wochen nach der ersten Welle der Empörung über Sarrazin aufkam und sich derzeit immer deutlicher in nahezu allen Lagern durchsetzt.“

Auch wenn die NZZ Wulffs Wendung „deutsch lernen“ als „deutsch leben“ missverstand (ein seltener Lapsus des Blatts), „DJ20: Fatale Antworten auf Herrn S.“ weiterlesen

DJ20: Wenn der „Mantel des Schweigens“ fällt

Die Ausweitung des Sagbarkeitsfeldes

Autor: Jobst Paul

Unterschiedliche Politiker haben den gewachsenen Spielraum des Sagbaren schnell genutzt, darunter der bayerische Ministerpräsident Seehofer am 9. Oktober 2010: „Es ist doch klar, dass sich Zuwanderer aus anderen Kulturkreisen wie aus der Türkei und arabischen Ländern insgesamt schwerer tun.“ Daraus ziehe er den Schluss, „dass wir keine zusätzliche Zuwanderung aus anderen Kulturkreisen brauchen“. Gleichzeitig forderte er – ebenso wie Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) – schärfere Sanktionen gegen Integrationsverweigerer. (http://www.focus.de/politik/deutschland/horst-seehofer-kampfansage-an-schmarotzer-und-zuwanderer_aid_560515.html)

Der Ministerpräsident von Hessen, Volker Boufier (CDU), meinte, nicht Deutschland müsse sich ändern, sondern die islamischen Einwanderer müssten es (ebd.). Der CDU-Fraktionschef im Landtag von Schleswig-Holstein, Christian von Boetticher: „Was machen wir mit denjenigen, die nicht wollen?“ In besonders krassen Fällen, so seine Fraktionskollegin Astrid Damerow, müssten Sanktionsmöglichkeiten angewandt werden: die Aufenthaltsgenehmigung etwa „DJ20: Wenn der „Mantel des Schweigens“ fällt“ weiterlesen