Tagungsbericht DISS-Colloquium 2010

DISS-Colloquium 2010

„Im Griff der Medien? Krisenproduktion und Subjektivierungseffekte“

Ein Tagungsbericht von Sebastian Friedrich und Hannah Schultes

Wie gehen Medien mit Krisen um? Welche Deutungen werden durch sie vorgenommen und welche Effekte haben diese auf die Rezipient_innen? Diesen Fragen widmete sich das 23. Colloquium des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS), das in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für politische Bildung vom 12. bis zum 14. November 2010 unter dem Titel „Im Griff der Medien? Krisenproduktion und Subjektivierungseffekte“ in der Akademie Frankenwarte in Würzburg stattfand. In verschiedenen Panels wurden der diskursive Kontext, die Entwicklung der momentanen Krisen auf drei Ebenen, deren Subjektivierungseffekte und mögliche Gegenstrategien diskutiert.

Kontext

Tom Schimmeck kam die Aufgabe zu, im ersten Referat aus der Sicht des „Insiders“ den diskursiven Kontext des Colloquium-Themas darzustellen. Schimmeck führte in seinen Beitrag „Am besten nichts Neues. Medien, Macht und Meinungsmache. Situation und Funktion der Medien in der Krise“ mit der Erläuterung seines „Unbehagens mit der eigenen Zunft“ ein und attestierte dem politischen Journalismus eine „Gleichschaltung“, die sich aufgrund dreier Faktoren ergebe. Durch ökonomische Zwänge und daraus resultierenden Sparmaßnahmen hätten es Journalist_innen häufig mit prekären Arbeitsbedingungen zu tun, wodurch die Qualität leide. Die strukturelle Gleichschaltung würde insbesondere durch PR-gesteuerte Meinungsmache verstärkt, während sich die habituelle Gleichschaltung in einer häufig mutlosen Haltung der Journalist_innen zeige.

Ökonomie- und Finanzkrisen

Jürgen Link nahm eine Analyse der deutschen „Rekord-Normalisierung“ nach der Wirtschaftskrise vor. Die Normalisierung der Krise in Form der idealen V-Formation sei nur in China und in Deutschland so erfolgt. Mit der Verkündung der Arbeitslosenzahlen im Oktober 2010 durch Ursula von der Leyen solle die Krise diskursiv als überwunden angesehen werden. Dieses Vorgehen verdeutliche die Gefahr, dass die politische Klasse sich in Richtung protonormalistischer Grenzen von Normalität bewege. Darauf weise auch der „rassistische Protonormalismus“ beim „diskursiven Mega-Ereignis Sarrazin“ hin. Sarrazin zeige einen Hang zur „Verdatung“ und wende beispielsweise die Gauß’sche Normalverteilung auf Intelligenz an. Link warnte vor der Aufnahme klassisch biologisch-rassistischer Mentalität, die bei Sarrazin durch kulturellen Rassismus relativiert und von „Sprecherpositionen der Mitte“ überliefert werde. Er erinnerte in diesem Zusammenhang an die frappierende Ähnlichkeit von Sarrazins Aussagen und dem „Heidelberger Manifest“ von 1981, das jedoch im Unterschied zu heute damals „abgeschmettert“ worden sei.

Unter dem Titel „Die Regierung des Prekariats. Ratgeberliteratur in der Krise“ stellte Niels Spilker die Ergebnisse seiner Untersuchung von vier Fallbeispielen vor. Ausgehend von einer Verbindung des Foucault’schen Verständnis von Gouvernementalität als eine „neue Art der Menschenführung“ und der Regulationstheorie konstatierte er, dass die im Fordismus dominierende Technologie der Fremdführung im Postfordismus zugunsten einer Selbstführung im Sinne eines „unternehmerischen Selbst“ in den Hintergrund trete. Diese „Ökonomie der ersten Person“ strebe Chancengleichheit statt Gleichheit an und fördere den Glauben daran, dass Macht durch Leidenschaft ersetzt werden kann. Das „unternehmerische Selbst“ stehe damit kollektiver Interessensvertretung und der Einforderung einer Humanisierung von Arbeitsverhältnissen diametral entgegen.

Außenpolitische Krisen

Margarete Jäger und Siegfried Jäger stellten die Ergebnisse einer kursorischen Diskursanalyse zum „Krieg in Afghanistan in den Medien“ vor. Sie gingen der Frage nach, wie dieser Krieg angesichts seiner Ablehnung seitens der Mehrheit der Bevölkerung medial kommuniziert wird. Während die Süddeutsche Zeitung (SZ) uneindeutige Positionen formuliere, werde in der tageszeitung (taz) zunehmend Kritik am Krieg laut, wenn auch aus einer defensiven Position heraus. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) positioniere sich indes deutlich für den Krieg und fordere Rückhalt für die Armee an der „Heimatfront“. Insgesamt füge sich das „mediale Orchester zu einem einheitlichen Klang“ zusammen, in dem der scheinbar alternativlose Afghanistankrieg in den politischen Alltag von Deutschland integriert werde.

Andreas Zumach berichtete ausgehend von seinen Erfahrungen als langjähriger taz-Auslandskorrespondent unter dem Titel „Gute Medien – böser Krieg? Die Rolle der Medien zur Schaffung der Kriegsbereitschaft“ von den Rahmenbedingungen, die einen „regierungs- und elitenfixierten Meutenjournalismus“ förderten. Sein Abriss der Kriegsberichterstattung seit dem Irak-Krieg Anfang 1990 machte deutlich, wie eine erfolgreiche Steuerung der Journalist_innen durch die Politik zu einer Einbindung der Medien in offene Kriegspropaganda führt. Zentrale Bedingungen dafür seien die Verankerung von Außenpolitik als Politik der Eliten, die „Diktatur der Online-Medien“ und verstärkter Konkurrenzdruck sowie Techniken der Darstellung wie Personalisierung, Stereotypisierung und Dekontextualisierung. Dies sei nicht im Sinne einer „konfliktsensitiven Berichterstattung“ und führe zu einem erheblichen Qualitätsverlust.

Innenpolitische Krisen

Regina Wamper griff in einem Impuls-Referat zum „Feindbild Demonstrant“ die Medienberichterstattung der BILD, des SPIEGEL (einschließlich SPIEGEL Online) und der tageszeitung (taz) zu den Demonstrationen am 1. Mai in Berlin und zu den Protesten gegen den Castor-Transport Anfang November auf. Zusammenfassend sei festzuhalten, dass es sowohl keine durchgehende Stigmatisierung der Demonstrant_innen als auch keine durchgehende Kritik am Verhalten der Polizei gebe. Differenzen in der Berichterstattung führte Wamper auf unterschiedliche Gesellschaftskonzepte der Medien zurück, wobei alle die Abgrenzung zu vermeintlichen „Extremisten“ gemein hätten, für die nicht die universellen Bürgerrechte zu gelten hätten. Insofern würde der Typus eines „idealen Bürgers“ konstruiert.

In seinem Vortrag „Kopftuch-Aishe und Prügel-Ali“ analysierte Thomas Kunz popkulturelle Fremd- und Feindbilder von Jugendlichen mit Migrationshintergrund anhand zweier in der Jugendzeitschrift „Yam“ erschienener Foto-Love-Stories. Was Kunz als „das Märchen von Aysenputtel“ bezeichnete, entpuppte sich als zentraler Ort für die Konstruktion rassistischer Feindbilder, indem beispielsweise die Figur des Ali, der Bruder der Protagonistin Ayse, zum Repräsentanten eines Bedrohungsszenarios durch männliche Jugendliche mit Migrationshintergrund gemacht werde. Verschiedenste Stereotype von der Konstruktion der „westlich-modernen Frau“ als Gegenpol zur „unterdrückten Muslima“ bis hin zu christlichen Überlegenheitsansprüchen gegenüber der islamischen Religion wurden dabei mühelos auf ein paar bebilderten Seiten reproduziert. Abschließend wies Kunz auf den Zusammenhang zwischen den Themen Gewaltbedrohung öffentlicher Sicherheit und Integrationsdebatte und dem Sicherheitsdiskurs hin.

Subjektivierungseffekte

Jobst Paul ging in seinem Referat „Gewaltästhetik in den Medien“ auf die Darstellung und ihrer zugrunde liegenden Struktur in verschiedenen Medien ein. Die Bilder von Abu Ghuraib, TV-Castings, Doku-Soaps, PC-Spielen wie „frontiers“ und „1378 km“ hätten den binären Reduktionismus in Form einer Einteilung von Wir- und Sie-Gruppen gemein. Ob es sich bei dem Dargestellten um Realität oder Fiktion handelt, verflüchtige sich zunehmend. Entscheidend bei einer Kritik sei nicht die Reiz-Reaktions-Theorie, wonach Rezipient_innen dazu neigen könnten, das Gesehene oder in PC-Spielen Erlebte in der „Realität“ auszuführen. Vielmehr müsse das Verhältnis von Herrschaft und Opfer fokussiert werden. Die Visualisierungen der Wir- und Sie-Gruppen seien gekennzeichnet durch „Nur-Kopf-Identitäten“ (Wir-Gruppe), die für Rationalität, Moral und Gehorsam stünden, und „Nur-Körper-Identitäten“ (Sie-Gruppe), denen es um bloße Selbsterhaltung gehe. Somit entstehe Raum für die Differenzierung in moralisch legitimierte und blinde Gewalt.

Gegenstrategien

Abgeschlossen wurde das Colloquium durch Gabriel Kuhn, der sich in seinem Vortrag den Gegenstrategien widmete. Ausgehend von den sich gegenseitig bedingenden Faktoren Ideologie, Diskurs und Subjektivierungsformen zeigte Kuhn, wie Angst als politische Inszenierung von Paranoia funktioniert. Um diskursiv der paranoid-reaktionären Seite der Subjektivierungsformen (Deleuze/Guattari) entgegen zu wirken, schlug er fünf Gegenstrategien auf medialer Ebene vor. Demnach müsste der Medienbereich mehr in den Fokus „linker“ Politik gestellt und Analysen unterzogen werden. Darüber hinaus sollten vermehrt eigene Medien produziert und die Mainstream-Medien mit „linken“ Inhalten infiltriert werden sowie subversive Techniken zur Umkehrung und Dekonstruktion von bspw. Werbung als Möglichkeit der Intervention erkannt und praktiziert werden.

In der abschließenden Diskussion schlug Siegfried Jäger vor, zur Skandalisierung von Diffamierung und Diskriminierung in den Medien vermehrt auch Bezüge zum Grundgesetz herzustellen. Gabriel Kuhn verwies abschließend auf die Vielfältigkeit der Formen des Widerstands und begriff den in der Abschlussdiskussion diskutierten Vorschlags Jägers als eine Form von weiteren.

Für 2011 plant das DISS – gleichfalls in Kooperation mit der Gesellschaft für politische Bildung e.V. Würzburg – ein Colloquium zu Formen von Rassismus. Es findet vom 18.11. bis 20.11.2011 in der Frankenwarte in Würzburg statt.

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